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Schmidt: Gesundheitsreform liegt im Zeitplan

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat das Ziel der großen Koalition bekräftigt, die Gesundheitsreform noch im laufenden Jahr im Bundestag zu verabschieden. Die SPD-Politikerin wies zurück, dass die Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Union stockten. Zunächst werde über Einsparungen im Gesundheitssystem beraten.

Moderation: Martin Steinhage | 14.05.2006
    Martin Steinhage: Frau Ministerin, unter Ihrer Leitung tagt zurzeit regelmäßig die Arbeitsgruppe Gesundheit mit Vertretern von Union und SPD. Diese Verhandlungen sind vertraulich, um den angestrebten Erfolg, nämlich eine Gesundheitsreform, nicht zu gefährden. Dieser Tage war zu lesen, dass die Verhandlungen stocken, man komme nicht voran. Ist dem so, woran hakt es, was können Sie verraten?

    Ulla Schmidt: Es ist dem nicht so, sondern wir haben uns ein Zeitraster gegeben und wir haben Termine vereinbart. Und dabei wird heftig diskutiert. Und wir haben dazu den Weg gewählt, dass wir zwischendurch auch Arbeitsgruppen einsetzen. Woher die Behauptung Ihrer Kollegen aus der schreibenden Zunft kommt, weiß ich nicht. Sie ist nicht wahr, sondern wir sind mitten drin.

    Steinhage: Grundsätzlich geht es ja um zwei Kernfragen: Was kann man erstens auf der Einnahmeseite tun, wie also kommt mehr Geld ins System, und wie kann man zweitens bei den Ausgaben Kosten eindämmen beziehungsweise das Gesundheitswesen über Strukturmaßnahmen effizienter machen? Wie geht da eigentlich - vielleicht können Sie das verraten - die Arbeitsgruppe methodisch vor, und an welchem Punkt ist man derzeit?

    Schmidt: Also ehe neues Geld in einen Topf gesteckt wird, da muss man den Topf unten zumachen, dass es nicht wieder rausfällt. Und deshalb hat die Arbeitsgruppe gesagt: Wir wollen uns zuerst damit befassen, nochmal in alle Bereiche zu schauen. Wird denn eigentlich jeder Euro dahin gelenkt, wo er optimal zum Nutzen der Patienten und Patientinnen eingesetzt wird? Und da haben wir gar keine lange Diskussion, um zu sagen, dem ist nicht so. In Deutschland fließen ja insgesamt gut 240 Milliarden Euro in dieses System, und das muss ja ausreichen, um ein 80-Millionen-Volk gut zu versorgen. Also schauen wir uns an: Wie fließt das Geld, sind eigentlich die Leistungen aufeinander abgestimmt, was kann man verbessern in der Kommunikation der Ärzte und anderen, die im Gesundheitsberuf beteiligt sind, zum Beispiel Ärzte und Ärztinnen in Krankenhäusern und denen, die in den Praxen arbeiten, wie kann man da mehr den Patienten in den Mittelpunkt stellen, wie können Doppeluntersuchungen vermieden werden? Wir haben bisher darüber diskutiert und werden das wahrscheinlich auch noch den Mai über zu einem großen Teil tun.

    Steinhage: Allenthalben heißt es, die Gesundheitskosten werden weiter steigen. Auch Sie haben wiederholt darauf hingewiesen. Warum muss das eigentlich so sein, gibt es da wirklich keine Alternative? Kann man den Topf nicht, um Ihr Bild zu benutzen, unten wirklich zumachen?

    Schmidt: Man hat ja da zwei Dinge zu beachten. Erstens - ich freue mich zumindest darüber, dass wir alle älter werden, und auch - Gott sei Dank - die meisten von uns werden relativ gesund älter, aber trotzdem steigt mit zunehmendem Alter auch der Bedarf, den Arzt aufzusuchen oder auch behandelt zu werden. Es steigt die Anzahl der chronischen Erkrankungen oder es steigt zum Beispiel auch die Anzahl des Verschleißes von Gelenken, wo auch Hüftgelenksoperationen zum Beispiel notwendig sind. Deswegen wird das auf Dauer nicht immer weniger kosten. Das Zweite ist: Wir hoffen ja, dass der medizinische Fortschritt sich entwickelt, und zwar so entwickelt, dass er auch hilft, Krankheiten zu heilen, die bisher nicht heilbar sind. Aber wenn es da neue Verfahren gibt - und da ist sehr viel Geld in die Entwicklung gesteckt worden - dann wird das zunächst einmal teurer als andere Verfahren. Deswegen, wenn man nur die beiden Punkte nimmt, kann das, was der einzelne für Gesundheit aufbringen muss, nicht immer weniger werden. Aber Sie haben im zweiten Punkt Recht: Das Geld ist nicht unbegrenzt zur Verfügung, was ins Gesundheitswesen fließen kann. Und deswegen ist das, was wir derzeit machen, zu sagen: Das Geld, was wir brauchen, was in dieses Gesundheitssystem fließt, wie kann das gerecht aufgebracht werden, wie können sich alle daran beteiligen? Und zweitens: Wie müssen wir die Strukturen so verändern, dass wirklich jeder Euro zielgenau dahin fließt, wo er den besten Nutzen für kranke Menschen hat? Und damit wollen wir verhindern, dass Gesundheit nicht mehr bezahlbar bleibt. Es wird nicht weniger werden auf Dauer, aber wir wollen auch nicht, dass es so viel wird, dass es nicht bezahlbar bleibt.

    Steinhage: Immer mal wieder, Frau Schmidt, gibt es ja Schreckensszenarien in der Presse, was da alles auf den Bürger zukommen könnte, zum Beispiel eine Anhebung der Praxisgebühr. Können Sie das für diese Legislaturperiode wirklich ausschließen?

    Schmidt: Wir haben uns vereinbart, auch in der Gruppe, dass es nichts bringt, zu verhandeln, wenn man sagt: Das schließe ich aus, und das schließe ich aus, darüber reden wir nicht, und das machen wir nicht. Aber eines kann ich hier definitiv sagen: Es ist in der Gruppe nicht darüber gesprochen worden, die Praxisgebühr auf fünf Euro pro Arztbesuch anzuheben, so wie das derzeit auch in den Medien propagiert wird. Das ist nicht angesprochen, das ist auch nicht angedacht. Und ich hielte das auch für etwas, was unsinnig wäre, weil es keine Steuerungseffekte hat.

    Steinhage: Und ist denn in der Gruppe angedacht worden, oder haben Sie das vielleicht selbst im Hinterkopf, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung vielleicht ein Stück weit einzukürzen, oder soll der so erhalten bleiben wie er ist?

    Schmidt: Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen wird immer wieder überprüft. Und zwar: Was ist medizinisch notwendig und was kann erbracht werden? Und wir haben bei der letzten Reform ja die Dinge, von denen wir dachten, dass sie in die Eigenverantwortung der Versicherten übergehen können, zum Beispiel der größte Anteil der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel oder die Finanzierung der Sehhilfen, es sei denn bei ganz schweren Seherkrankungen - da haben wir bereits diese Ausschlüsse vorgenommen. Und wenn Sie den Katalog als solchen nehmen, da ist nicht viel drin. Aber der wird immer auch überprüft durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Und wenn sich etwas als nicht wirklich medizinisch notwendig erweisen würde, dann müsste man das auch aus dem Katalog herausnehmen, wenn es finanziert wird. Aber da ist kein Punkt dabei, wo man derzeit sagt, wie das lange diskutiert wurde - nehmen wir zum Beispiel die ganze Zahnbehandlung da heraus oder nehmen wir Krankengeld oder so etwas heraus. Über Risikosportarten wünschen die Menschen, dass wir diskutieren, weil viele sagen: Wer Risikosportarten betreibt, da wäre es doch richtig, wenn man die Menschen verpflichtet, auch eine private Haftpflichtversicherung abzuschließen. Aber immer würden Menschen, die verletzt sind bei uns und die behandlungsbedürftig sind, auch behandelt werden. Das wäre ja eine Regelung zu sagen: Wo kann die Krankenkasse anschließend Regress nehmen, wie das auch bei Unfällen mit dem Auto passiert? Das ist aber keine Frage "Leistungsausschluss Unfälle", sondern die Frage: Verpflichte ich andere, bei Risikosportarten auch eine Unfallversicherung abzuschließen? Darüber wird mit Sicherheit auch gesprochen werden.

    Steinhage: Ich bleibe noch einmal kurz bei der Einnahmenseite. Man kann ja die Einnahmen der Krankenkassen auch dadurch erhöhen, dass man die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung anhebt. Die liegt heute bei rund 3500 Euro. Ist das für Sie vorstellbar?

    Schmidt: Bei der Frage der Finanzierung wird es darauf ankommen, wirklich einmal zu sehen, dass die alleinige Beschränkung, wie wir das heute haben, der Beitragserhebung auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - das ist ja das tragende Element der Beiträge bei uns - und wird ja dann fortgesetzt. Beiträge auf Renten oder Beiträge bei Arbeitslosigkeit, das sind immer Lohnersatzleistungen, die zur Grundlage gelegt werden, dies reicht nicht aus. Wir haben in den letzten Jahren, allein von 2000 bis jetzt, 1,7 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse verloren. Das führt bei den gesetzlichen Krankenkassen zu Netto-Mindereinnahmen zwischen drei und vier Milliarden Euro, und das Jahr für Jahr. Deswegen haben wir gesagt: Wenn man sieht, dass immer mehr Menschen auch selbstständig sind und dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zwar die Hauptbeschäftigungsform ist, aber auch viel abgelöst wird von arbeitnehmerähnlichen Selbständigen oder anderen Organisationsformen, müssen wir andere Einkommen mit einbeziehen, wenn man auf Dauer eine nachhaltige Finanzierung haben will. Und das zeigt sich auch im Bericht der Bundesregierung über die Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Prognostiziert ist bis 2010 bei den beitragspflichtigen Einnahmen oder Entgelt aus nichtselbstständiger Arbeit - das wächst um gut 1,5 Prozent, während die Einkommen aus Vermögen oder auch bei Unternehmen praktisch bei ungefähr 5,7 Prozent liegen werden. Und deswegen müssen wir sagen: Wie kann man zu einer gerechten Finanzierung kommen? Und da sind alle Punkte erstmal auf dem Prüfstand.

    Steinhage: Es gibt das berühmte Stichwort "Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags zur Senkung der Lohnnebenkosten". Ist das mit Ihnen zu machen?

    Schmidt: Ich halte was davon, und das ist das auch die Meinung der SPD, dass die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung für ein bezahlbares Gesundheitswesen entlassen werden. Die Koalition ist sich einig, dass wir die ausschließliche Bindung an Beschäftigung lockern wollen. Das macht man, wenn auch andere Einkommen herangezogen werden. Wir wollen auch die Kosten für Arbeit begrenzen, aber Arbeitgeber aus der Verantwortung für ein bezahlbares Gesundheitswesen zu entlasen, birgt in sich die Gefahr, dass vielleicht die Arbeitgeber noch mehr als heute aus der betrieblichen Prävention aussteigen oder erst gar nicht einsteigen - was wir wollen, auch bei kleinen und mittleren Unternehmen. Und das birgt auch die Gefahr, dass man einen wichtigen Bündnispartner in der Frage Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens verliert, denn heute haben die Arbeitgeber ein Interesse daran, dass die Kosten nicht steigen, und dass der Gesundheitsmarkt nicht nur einfach Markt ist, sondern auch eine soziale Verantwortung hat. Und sie haben das Interesse daran, weil eben jede Steigerung der Kosten auch zu Steigerungen der Belastungen des Faktors Arbeit führt. Aber wenn wir da kein ausgewogenes Maß finden - das wollen wir - hielte ich das für fatal.

    Steinhage: Noch einmal kurz zum Stichwort "Strukturreform": Gibt es da eigentlich irgendwelche Denkverbote, oder halten Sie alles für möglich - also Einsparungen bei Ärzten, beispielsweise über Hausarztmodelle, bessere Vernetzung mit der ambulanten Behandlung, dann bei den Pharmaherstellern wären ja auch denkbar stärkere Eingriffe in die Preisgestaltung. Gibt es da irgendetwas, wo Sie sagen "nein, das in keinem Fall"? Oder ist bei den Strukturen alles möglich?

    Schmidt: In einer Demokratie sollte man generell keine Denkverbote aufstellen, und auch nicht, wenn man versucht, zu verhandeln und zu einem Kompromiss zu kommen, weil vom Kompromiss lebt die Demokratie. Aber vielleicht findet man in den Verhandlungen sogar das bessere Dritte, das auch tragfähig ist und nach vorne geht. Wir setzen im Moment auch an, und das ist kein Geheimnis, bei den Strukturreformen, die 2003 eingeleitet wurden, nämlich: Wie funktioniert die integrierte Versorgung, wollen wir integrierte Versorgung weiter verbessern, wie können wir es noch stärker zur Regelfallversorgung machen, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten in der Praxis und in den Krankenhäusern auch zu verbessern? Was bringen die bisherigen Hausarztmodelle, ist es richtig, hier das weiter auszubauen - aber immer mit der Frage der Freiwilligkeit auch der Versicherten? Sollen Versicherte die Möglichkeit haben, sich selber in ein Hausarztmodell einwählen zu können oder Hausarzttarife wählen zu können? Wie können wir auf Dauer sicherstellen, dass auch teure Therapien und auch Arzneimittelversorgung für jeden erhältlich ist? All das sind Dinge, da sind wir sehr offen in der Diskussion. Und da werden wir auch Vorschläge machen. Und dazu gehört, dass wir das Honorarsystem für die Ärzteschaft, auch im niedergelassenen Bereich, auf neue Füße stellen.
    Steinhage: Auf welche Weise, vielleicht noch mal konkret nachgefragt, kann man denn den berühmt-berüchtigten Wettbewerbsgedanken im Gesundheitswesen stärken?

    Schmidt: Indem man den Partnern mehr Möglichkeit gibt, auch einzelne Verträge zu schließen.

    Steinhage: Also konkret Krankenkassen mit Ärzten?

    Schmidt: Krankenkassen mit Ärzten, Krankenkassen mit Krankenhäusern, vielleicht in Teilsegmenten. Dazu muss man einfache, überschaubare Regeln haben. Aber es geht auch darum, mal zu denken, wie kann denn staatliche Rahmenplanung aussehen? Wo ist sie notwendig, und wo kann man vielleicht auch darauf verzichten, um die Freiheit zwischen den Vertragspartnern zu stärken? Was der Staat immer festlegen muss, ist, dass das medizinisch Notwendige von allen erbracht werden muss, die Leistungen erbracht werden müssen. Und der Staat wird sich nie aus der Verantwortung herausziehen können, dass auch für alle Menschen in unserem Land in jeder Region der Zugang zu medizinischer Versorgung organisiert wird. Im Moment haben wir ja Probleme in Deutschland, obwohl wir mehr Ärzte haben als noch vor zehn Jahren, haben wir nicht in allen Ecken und in allen Regionen Deutschlands auch ausreichend Ärzte. Vor allen Dingen nicht in der Perspektive, wenn morgen oder übermorgen Ärzte in Pension gehen, wie sähe es mit der Nachfolge aus? Und daneben brauchen Kassen, braucht auch die Ärzteschaft die Möglichkeiten für gute Dinge, wo sie sagen, wir wollen die Versorgung verbessern, auch mehr Freiräume zu haben, Verträge zu schließen. Und das setzt auch voraus, dass wir uns mit Reformen befassen müssen, die sich auf das System beziehen, die Kompetenzen zum Beispiel von Krankenkassen und von kassenärztlichen Vereinigungen, die Möglichkeiten, auch Einzelverträge zu schließen, die Frage der Öffnung der Krankenhäuser, das spielt alles eine Rolle.

    Steinhage: In der Vergangenheit gab es ja schon viele, viele, viele Bemühungen, eine Gesundheitsreform, die dann auch wirklich nachhaltig ist, ins Werk zu setzen. Das hat nie so richtig geklappt und man sagte, das hätte auch daran gelegen, dass eben die Lobbyisten sehr, sehr starken Einfluss haben auf die Politik. Nun haben wir eine große Koalition. Bei der großen Koalition haben es die Lobbyisten, sagen alle Ihre Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise der Finanzminister, nicht so einfach.

    Schmidt: Ich hoffe das.

    Steinhage: Wir hoffen das auch. Und können Sie ausschließen, um mal jetzt etwas ketzerisch ein Bild zu benutzen, dass bei der Arbeitsgruppe oder jetzt bei den Gesprächen, die Lobbyisten nicht sozusagen unter dem Tisch dabei sind?

    Schmidt: Ausschließen kann man das nie. Denn es sind nicht nur die Lobbyisten, wie immer gesagt wird zu der pharmazeutischen Industrie oder auch nicht. Das Gesundheitswesen ist eben anders als das Steuerwesen oder zum Beispiel die Frage von Bildung. Es gibt kein System und kein Politikfeld, das so sehr beherrscht ist von Ängsten, von Hoffnungen, von Sorgen, von Wünschen wie das Gesundheitssystem. Auch Patienten wollen eine Lobby haben. Derjenige, der nur versichert ist, hätte gerne, dass er so wenige Beiträge wie möglich bezahlt. Wenn er oder sie krank ist, hätten sie gerne, dass alles getan wird, was überhaupt möglich ist. Die Versicherten wünschen sich, dass ihre Ärzte sehr gut bezahlt werden. Aber die wenigsten wollen dafür mehr Geld ins System einzahlen. Die pharmazeutische Industrie will ihre Forschungsergebnisse, wo ja auch viel Geld hineingeht - manchmal wird vergessen, dass in die Entwicklung eines innovativen Medikamentes zwischen 500 Millionen oder eine Milliarde fließen kann, je nach dem, wie lange man auch daran geforscht hat und wie viele Fehlversuche es gab. Und die Patienten wollen, dass dieses teure Medikament in die Versorgung kommt, weil sie die Hoffnung haben, es hilft. Und auch ehe man vielleicht weiß, ob es auch wirklich mehr hilft oder ob es nur wieder alter Wein in neuen Schläuchen ist, was ja immer zu entscheiden ist. Insofern, die Einflussmöglichkeiten sind da groß. Und die sind immer wieder auch gerade in der Gesundheitspolitik groß, weil ja auch Menschen dort Politik machen, die auch bestimmte Interessen - jetzt nicht für sich selber, es ist kein Lobbyismus, wo mit Geld oder Geschenken gearbeitet wird, sondern immer in der Verantwortung einer guten Versorgung der Patienten. Und da gehen eben die Meinungen auseinander. Und diese Diskussion werden wir auch jetzt wieder haben.

    Steinhage: Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte ja kürzlich ein so genanntes Fondsmodell vorgeschlagen. Vielleicht nur noch kurz zur Erinnerung für unsere Hörerinnen und Hörer: Gespeist werden soll dieser Fonds - wenn er denn käme - aus den Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie aus Steuermitteln, die dann über einen sogenannten Gesundheits-Soli erhoben würden. Aus diesem Fonds sollen denn alle Kassen eine Summe X bekommen, und die Kasse, die nicht vernünftig wirtschaftet, die muss dann eben zusätzlich noch eine Prämie erheben, damit dann auch alle Kosten beglichen werden können. Mit diesem Modell hat sich Volker Kauder bereits viel Ärger eingefangen, auch in den eigenen Reihen - was ja mal wieder zeigt: Wer sich in der Gesundheitspolitik aus dem Fenster lehnt, der droht rauszufallen. Ist denn dieser Vorschlag überhaupt noch aktuell, oder ist der schon zu Tode diskutiert?

    Schmidt: Der Vorschlag wird einer derer sein, über die wir reden. Es geht ja darum, wie können eigentlich die Finanzströme neu gelenkt werden? Und das ist in Deutschland immer so, aber wahrscheinlich überall auf der Welt. Es wird ja schon etwas kritisiert und abgelehnt, ohne dass man genau kennt, wie es funktionieren soll. Volker Kauder hatte ja in dem Interview nur so grobe Raster angegeben, und schon weiß die ganze Welt in Deutschland, warum das alles nicht geht und was des Teufels ist. Wenn das so, wie es heute funktioniert, nicht mehr richtig funktioniert in der Finanzierungsbasis, das sehen wir ja daran, dass wir auch massive Einnahmeprobleme haben, die nicht mehr durch Einsparungen einfach aufzufangen sind. Das haben wir in den letzten Jahren gemacht, wir haben die Beiträge senken können. aber nicht in dem Maße, wie es eigentlich vorgesehen war, nicht nur, weil die Kassen Schulden hatten, sondern auch, weil auf der Einnahmeseite die Prognosen, die 2003 auch von Wirtschaftsexperten, unseren Ökonomen, die ja immer die Daten auch liefern, auch gesagt wurde, weil diese Einnahmeseite so nicht eingetreten ist. Und wer einmal grundlegend neu darüber nachdenken will, wie können wir solidarisch und nachhaltig das System finanzieren, der sollte nicht von vorneherein sagen, über das eine oder andere Modell wird nicht gesprochen.

    Steinhage: Ein positiver Aspekt beispielsweise des Kauder-Modells könnte ja auch sein, die kostenfreie Mitversicherung von Kindern künftig über Steuern zu finanzieren. Teilen Sie grundsätzlich diesen Ansatz?

    Schmidt: Es wäre richtig, wenn die Gesellschaft das insgesamt macht. Aber ich habe immer gesagt, wer Steuermittel in dieses System lenken will, der muss einen Weg finden, dass diese Steuermittel nicht wieder gekürzt werden können. Man muss darüber reden, wie können sich alle an der Finanzierung beteiligen. Und das Problem heute ist doch, dass diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, wenn sie keine Kinder haben, die Beiträge für die, die Kinder haben, mitfinanzieren. Diejenigen, die nicht Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, ob das Singles sind - da sind ja viele auch, die dann in der privaten Krankenversicherung sind, weil die meisten

    Menschen mit Kindern in die gesetzliche Krankenversicherung gehen - dass die sich nicht beteiligen an der Finanzierung auch der Gesundheitskosten der Kinder. Und da einen neuen Weg zu gehen, kann man das über Beiträge machen, zahlt der Staat die Beiträge, so wie der Staat auch die Beiträge für die Elternzeit, also Erziehungsurlaub jetzt zahlt und die Rentenversicherung zahlt Beiträge, so kann man doch darüber reden. Ich sehe nur im Moment, dass wir in Deutschland wenig Spielraum haben für neue Steuern.

    Steinhage: Dieser Tage hat nun auch Ihr Parteifreund - Bundesfinanzminister Steinbrück - die kostenlose Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung infrage gestellt. Ist doch eigentlich auch richtig, wenn man das abschaffen würde, oder?

    Schmidt: Natürlich ist das richtig, aber es ist kein dauerhaftes Problem. Sie werden immer Partner, die Kinder erziehen, ausnehmen müssen. Sie können doch nicht Menschen, die Kinder erziehen und die sich dann entscheiden, eine Zeit zu Hause zu bleiben, dafür bestrafen, dass man auch noch eigene Beiträge zahlen muss. Das müssen heute die freiwillig Versicherten im Übrigen, das ist nicht gerecht. Und deswegen ist die Frage: Junge Menschen, junge Frauen wollen erwerbstätig sein, aber sie haben eine Gruppe von älteren Frauen, bevor sie ins Rentenalter eintreten, weil dann zahlen fast alle wieder Beiträge, weil fast jeder auch eine eigene kleine Rente hat. Die haben eine andere Lebensplanung gehabt. Das hört sich immer sehr gut an und das hört sich auch immer so an, als würde es viel Geld bringen. Real: Diejenigen, die dann wirklich da drunter fallen, die sind relativ wenig. Und ich sehe nicht, wo das sehr viel an Einnahmen wirklich bringt.

    Steinhage: Frau Ministerin, es scheint ja klar, dass wir beim dualen System bleiben in der Krankenversicherung, also gesetzliche und private Krankenversicherung nebeneinander. Wie sollte man denn dieses duale System künftig organisieren, dass sozusagen das eben auch solidarisch bleibt, wie vor allen Dingen die SPD das immer einfordert?

    Schmidt: Indem wir faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, indem man wirklich sagt: Warum ist es eigentlich nur Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, jeden ohne Ansehen des individuellen Risikos aufzunehmen? Warum kann das nicht auch eine Vorgabe für die private Krankenversicherung sein? Das wären schon viel bessere Wettbewerbsbedingungen, wenn die private Krankenversicherung genau so kranke oder ältere Menschen zu gleichen Konditionen versichern müsste, wie die gesetzliche das heute tut. Und darüber zu reden, wie können wir den Wettbewerb zwischen diesen Systemen auch so machen, dass sie wirklich fair sind und dass es ein wirklicher Wettbewerb ist, das wird eine der Aufgaben auch dieser Gruppe sein.

    Steinhage: Anders als die gesetzlichen bilden die privaten Krankenversicherungen Altersrückstellungen für ihre Kunden. Die müssen das natürlich selber bezahlen. Aber dann sind die Kostensprünge im Alter, wenn man nicht mehr so viel Geld als Rentner zur Verfügung hat, nicht so groß bei Beitragssteigerungen. Wollen Sie ran an diese Altersrückstellungen der privaten Kassen?

    Schmidt: Die Altersrückstellungen sind verfassungsrechtlich geschützt. Darum geht es doch gar nicht. Keiner will an die Altersrückstellungen heran. Da gibt es einen großen Eigentumsschutz. Uns geht es für die Zukunft darum, zu sagen, wie kann ein fairer Wettbewerb organisiert werden. Und in der privaten Krankenversicherung, da ist der Wettbewerb ja überhaupt nicht entwickelt, weil ältere Menschen nicht wechseln können wegen ihrer Altersrückstellungen, weil sie die nämlich nicht mitnehmen können und weil sie dann bei einer neuen Krankenversicherung wieder als Neukunde behandelt werden. Das heißt, sie kommen in hohe Tarife oder sie haben den Ausschluss von Leistungen für Erkrankungen, die sie bereits haben.
    Steinhage: Da muss der Gesetzgeber ran.

    Schmidt: Das hat der Koalitionsvertrag auch gesagt, wir wollen den Wettbewerb auch zwischen den privaten Krankenversicherungen stärken und wir wollen, dass zum Beispiel die Altersrückstellungen mitgenommen werden können.

    Steinhage: Heute, Frau Schmidt, gilt der Grundsatz: Einmal privat versichert - immer privat versichert. Dafür gibt es gute Gründe. Ein Zurück gibt es nur in ganz wenigen Ausnahmefällen. Soll das so bleiben, oder sind Sie künftig auch für eine Durchlässigkeit in beide Richtungen?

    Schmidt: Das kommt darauf an, wie sich beide aufeinander zubewegen. Also, das was jahrelang üblich war, "so lange es mir gut geht, gehe ich in die Private, weil ich da weniger Beiträge bezahle und auch noch beim Arzt vielleicht bevorzugt behandelt werde, aber wenn ich älter werde und die Kosten bei den Privaten steigen, gehe ich wieder zurück in die Solidargemeinschaft", diesen Weg werden wir nicht eröffnen.

    Steinhage: Wir haben 200.000, vielleicht sogar 300.000 Menschen, die überhaupt keinen Versicherungsschutz mehr haben, die aus verschiedensten Gründen herausgeflogen sind aus der gesetzlichen oder sich die private Krankenversicherung nicht mehr leisten können - eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Will und was kann der Gesetzgeber da tun?

    Schmidt: Also, im Koalitionsvertrag steht schon, dass jeder, der seinen Versicherungsschutz verloren hat, auch einen Rechtsanspruch darauf bekommt, ihn bei seiner Versicherung wieder zu erhalten. Und ich glaube, dass es richtig wäre, auch den Schritt zu tun, zu sagen, jeder in diesem Land muss versichert sein. Krank werden kann jeder, das Risiko hat jeder von uns. Und krank zu sein ist oft damit verbunden, wenn man nicht versichert wäre, dass es in finanzielle Nöte, auch wirklich in Existenzvernichtung führt, weil eben bestimmte Krankheitsbehandlungen auch sehr teuer sind.

    Steinhage: Abschließend, Frau Ministerin: Sie gelten ja allgemein als Optimistin. Sind Sie zuversichtlich, dass es eine große Gesundheitsreform gibt, die diesen Namen verdient, oder wird es wieder mal nur ein Reförmchen?

    Schmidt: Dieses "wieder mal nur ein Reförmchen" sagen immer nur die, die an den Reformen nicht beteiligt sind. Ich muss das einmal zurückweisen. Die 2003er Reform war eine große Reform. Und das werden Sie auch sehen, weil sie mehr an Strukturen verändert hat als viele Reformen vorher, und vieles aufgebrochen hat. Aber es wird eine grundlegende Reform werden, wenn es uns gelingt, eine Neuordnung der finanziellen Basis auf den Weg zu bringen. Und sie wird weiter groß sein in der Weiterentwicklung dessen, was 2003 begonnen wurde. Das ist ja nicht fertig.

    Steinhage: Und wird die Reform zum 1. Januar 2007 greifen, also im Gesetzblatt stehen?

    Schmidt: Ich will sie dieses Jahr im Gesetzblatt stehen haben, also dass sie entschieden sind. Das ist eine ganz große Herausforderung und auch eine große Aufgabe. Und die Frage, was wie wann in Kraft tritt - man braucht vielleicht für manche Dinge auch Vorbereitungszeit. Nehmen Sie mal, Sie würden neue Honorierungssysteme jetzt endlich mal anders regeln können als das bisher der Fall war, weil ja die Ärzteschaft, die das sollte, mit den Krankenkassen das nicht auf den Weg gebracht hat, das braucht seine Zeit. Sie können ja nicht jetzt - hier wird beschlossen, Knopfdruck, und alles funktioniert so. Dann wird es um die Umsetzung gehen in den kommenden Jahren. Und das macht man im Gesundheitssystem in der Regel sukzessive.

    Steinhage: Herzlichen Dank.

    Schmidt: Bitte schön, gerne.