Simon: Was können Sie als Familienministerin dem Modell der Bürgerversicherung, was derzeit so heftig diskutiert wird, abgewinnen?
Schmidt: Es geht überhaupt noch nicht darum, wie die im Detail ausgestaltet wird und das muss man dann danach beurteilen, wie solche Probleme dann in Angriff genommen werden. Die Befürworter einer Bürgerversicherung in der unterschiedlichsten Form finden sich in allen Parteien, insbesondere in beiden großen Volksparteien und Gegner ebenfalls. Ich habe als Familienministerin darauf zu achten, dass Familien nicht benachteiligt werden. Das heißt also ganz deutlich, dass zum Beispiel Kinder weiterhin beitragsfrei mitversichert sind und dort, wo die Mütter, meistens sind es ja die Frauen, nicht erwerbstätig sein können, weil es nach wie vor noch nicht so gut mit der Kinderbetreuung bei uns aussieht, dass dann die Familien nicht doppelt bezahlen müssen. Das sind Kriterien, auf die ich zu achten habe, auf die ich jetzt geachtet habe bei dieser Gesundheitsreform und auf die ich auch weiterhin achten werde.
Simon: Das ist die eine Gerechtigkeitsdebatte, die der Familien. Was halten Sie von der unterschwelligen Gerechtigkeitsdebatte in der SPD, was zum Beispiel Bürgerversicherung in dem Punkt angeht, die Arbeitgeberbeträge einzufrieren oder zu deckeln. Ist das etwas, womit Sie leben könnten?
Schmidt: Davon halte ich überhaupt nichts. Ich finde, wir sollten im Prinzip bei der solidarischen Versicherung von Krankheit bleiben, wobei wir rund die Hälfte tragen. Da darf sich gerne mal das ein oder andere ein bisschen verschieben, um auch die Arbeit attraktiver zu machen, die Arbeitgeber von Lohnnebenkosten zu entlasten, aber dass man sagt, dass das auf Dauer eingefroren ist, wenn wir wissen, dass Gesundheitskosten auch steigen werden, davon halte ich gar nichts.
Simon: Das heißt also auch, ein bisschen weg von diesem Kompromiss zur Gesundheitsreform, wo fast alle Experten ja sagen, es ist ziemlich einseitig zu Lasten der Beitragszahler gegangen.
Schmidt: Das sehe ich überhaupt nicht so, sondern ich sehe, dass wir hier versucht haben, wirklich einen Kompromiss zu finden, aber das beinhaltet natürlich auch, dass man nicht alles, was man für richtig hält, durchsetzen kann und dass wir am Anfang einer Reformdebatte und nicht etwa am Ende. Ich glaube, das ist jedem in Deutschland klar, der sich ein bisschen damit befasst hat.
Simon: Wenn Sie schon von einer großen Reformdebatte sprechen, da wird es noch mehr Durchsetzungskraft geben müssen und vielleicht auch noch mehr Nichtbeachtung diverser Lobbygruppen, um eben so etwas überhaupt umsetzen zu können. Sehen Sie da eine neue Bereitschaft?
Schmidt: Ich sehe, dass wir jetzt mit den Hartz-Gesetzen von 1 bis 4, 3 und 4 stehen jetzt noch aus, die größte Sozialreform auf den Weg gebracht haben, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Die müssen wir jetzt erst mal umsetzen, die Gesetze sind jetzt auf dem Tisch, aber wenn sie dann verabschiedet sind, müssen sie auch umgesetzt werden. Es wird ganz neue Verantwortungen und Strukturen geben und wir müssen auch schauen, dass das dann erst mal zum Funktionieren kommt und dann den nächsten notwendigen Schritt gehen, sicherlich auch in der Rentenreform. Wir müssen das tun, es ist notwendig, um unser Land wieder fit zu machen. Andere Länder in Europa haben diesen Prozess bereits hinter sich, wir sind jetzt im Moment mittendrin und sind willens und bereit, dieses auch gegen Interessegruppen durchzusetzen. Wohlgemerkt nicht an erster Stelle gegen die Gewerkschaften, wir wollen sie mit ins Boot holen; auch nicht gegen die Arbeitgeber, es wäre gut, wenn die auch die Dinge, die sie betreffen, siehe Handwerksordnung, mittragen würden und nicht immer dann anfangen zu schreien, wenn sie selber betroffen sind, sei es von Subventionsabbau oder bei anderen Regularien, zum Beispiel im Handwerk.
Simon: Es gibt nicht nur die finanziellen Zwänge, sondern auch ganz konkrete Vorgaben. Vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Pflegeversicherung familienfreundliche Gesetzgebung verlangt und dem Gesetzgeber dafür bis Ende nächsten Jahres Zeit gegeben. Also auf gut deutsch: wer Kinder erzieht, soll Vorteile haben. Welche Veränderungen streben Sie als Familienministerin denn in der Pflegeversicherung konkret an?
Schmidt: Es wird vollkommen klar, dass man bei der Pflegeversicherung bei den Leistungen nicht differenzieren kann. Anders ist es in der Rentenversicherung. Dort können dann die Leistungen für diejenigen, die Kinder erzogen haben, deutlich höher sein. Vielleicht kann man da an der ein oder anderen Stelle auch noch mehr bei den Leistungen und in der Pflegeversicherung tun, wo diese Differenzierung nicht möglich ist - man ist entweder pflegebedürftig oder nicht - muss es bei den Beiträgen eine Differenzierung geben. Dieses liegt in der Zuständigkeit von Ulla Schmidt und ich bin mir sicher, dass wir eine gemeinsame und vernünftige Lösung finden werden.
Simon: Und Sie gehen auch davon aus, dass das bis Ende nächsten Jahres wird.
Schmidt: Selbstverständlich. Das ist eine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts und an diese werden wir uns halten und es darf auch keine Pro-forma-Lösung sein.
Simon: Sie sprachen gerade die Rente an und die Möglichkeiten, die sich da vielleicht ergeben könnten und dass es bereits die Kindererziehungszeit, die angerechnet wird, das ist aber nach Meinung von Experten wohl zu wenig, um Kindererziehung wirklich gerecht zu berücksichtigen. Was genau für Möglichkeiten sehen Sie noch?
Schmidt: Ich würde jetzt das nicht, wir haben den Auftrag, das zu prüfen, müssen das sehr sorgfältig tun und dann dem Parlament und der Öffentlichkeit das Ergebnis dieses Prüfauftrages nennen und dem möchte ich auch nicht vorgreifen. Auch dieses sollten wir im jetzt kommenden Jahr bewältigen und gemeinsam mit den Regelungen zur Pflegeversicherung vorlegen. Ich weiß also, dass wir dadurch, dass drei Rentenversicherungsjahre pro Kind in der Rente angerechnet werden für Geburten ab 1992, in der Rentenreform die Anwartschaftszeiten verbessert haben, dass wir Teilzeitbeschäftigte, die Kinder erziehen auf Durchschnittseinkommen angehoben haben und dass wir vor allen Dingen auch bei der Riester-Rente die Tatsache des Kindererziehens sehr deutlich berücksichtigt haben, dass es hier auch große Vorteile gibt und die möchte ich dann gerne erst einmal wirklich zusammengerechnet haben und sehen, ob das wirklich nicht ausreicht, bevor wir unfinanzierbare Versprechungen machen. Zusätzlich drei Kinderversicherungsjahre in der Rente anzurechnen würde bedeuten, dass das wiederum ein Finanzvolumen von rund 12 Milliarden Euro ist. Ich habe noch keinen einzigen Finanzierungsvorschlag gehört und ich möchte die erst einmal hören, bevor man so etwas beurteilen kann.
Simon: Sie als Familienministerin beschäftigen sich täglich damit, aber als Beobachter, wenn man etwa nur flüchtig die Ergebnisse der Rürup-Kommission anschaut, hat man nicht den Eindruck, dass Familienerziehung, dass diese Dinge wirklich im Vordergrund stehen bei den Sozialreformen. Führen Sie da noch immer ein bisschen einen Kampf, um dem Thema seinen Raum zu geben?
Schmidt: Ich hab in der Zwischenzeit den Eindruck, dass begriffen wurde und auch die gesamte Bundesregierung weiß, dass wenig Kinder - und wir sind eines der geburtenschwächsten Länder dieser Erde - nicht erst in zwei oder drei Jahrzehnten sondern bereits heute weniger Wohlstand bedeuten und zwar deshalb, weil das geringeres Wirtschaftswachstum bedeutet und so weiter. Deshalb ist auch jetzt vom Bundeskanzler in der Haushaltsdebatte die Frage der Demographie mehrfach geäußert worden. Alle Kabinettsmitglieder, die geredet hatten und etwas damit zu tun haben, nicht nur Renate Schmidt, haben über die Notwendigkeit des Aufbaus der Kinderbetereuung gesprochen. Wir finanzieren, obwohl es nicht unsere Zuständigkeit ist, mit vier Milliarden Euro in dieser Legislatur, die Ganztagesschulen und wir werden ab dem Jahr 2005 1,5 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung stellen, damit die Kinderbetreuung der unter Dreijährigen ausgebaut werden kann. Das sind alles Dinge, die eigentlich nicht in unsere Zuständigkeit fallen, wo wir aber den größten Modernisierungsbedarf in Deutschland haben und wo die jetzige Situation auch dazu führt, dass junge Menschen sich ihre Kinderwünsche nicht erfüllen, obwohl sie nach wie vor welche haben. Das müssen wir an erster Stelle ändern, das sind unsere größten Defizite und natürlich gibt es auch im materiellen Bereich auch noch den einen oder anderen Nachholbedarf. Aber wir müssen in Zeiten knapper Kassen auch Prioritäten setzen und dafür muss ich nicht mehr kämpfen.
Simon: Vielen Dank. Das war Renate Schmidt, die Bundesfamilienministerin.
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