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Schmidt verteidigt Gesundheitskompromiss

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat die Koalitionsbeschlüsse zur Gesundheitsreform gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigt. "Ich hätte auch lieber bei den Wahlen 50 Prozent gehabt, dann hätte die SPD alleine entscheiden können", verwies sie auf die Notwendigkeit eines Kompromisses mit der Union.

    Silvia Engels: Seit gestern liegen die Eckpunkte der Gesundheitsreform auf dem Tisch. Zentrales Element ist der Gesundheitsfonds. In den zahlen alle Beitragszahler ein, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auch Steuermittel fließen in den Topf. Und daraus erhalten die Krankenkassen dann pro Versichertem eine feste Summe. Brauchen sie mehr Geld; können sie einen Beitrag oder einen Festsatz von ihrem Versicherten zusätzlich erheben. Doch daneben steigen auch die Beitragssätze und zwar um 0,5 Prozentpunkte schon ab kommendem Jahr. Daneben soll gespart werden und es soll mehr Wettbewerb ins Gesundheitssystem. Viele Einzelheiten sind aber noch offen und zudem hagelt es auch schon wieder Kritik an den Kompromiss, es sei kein großer Wurf. Fragen wir also zu beidem Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin. Guten Morgen, Frau Schmidt!

    Ulla Schmidt: Ja Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Sie haben sich gestern zufrieden mit dem Kompromiss gezeigt, aber gerade die Beitragssätze der Versicherten, die sie ja unter Rot-Grün mühsam gesenkt hatten, steigen nun wieder. Konterkarieren Sie Ihre eigene Politik?

    Schmidt: Frau Engels, es geht bei dieser Reform darum, dass wir auch einen neuen Weg anfangen. Das Bewährte, was wir haben, nämlich einen guten Leistungskatalog, den auch die Versicherten so haben wollen, dass wir den sichern und dass wir zweitens die Finanzierung auf eine sichere Basis stellen. Im kommenden Jahr haben wir Probleme. Das ist auch ein Übergangsjahr, denn ab dem 1.1.2008 soll ja auch die neue Finanzierung gelten, auch mit dem zusätzlichen Steuerfluss, und im kommendem Jahr müssen auch einige Punkte überbrückt werden, und da kann es sein, dass die Beitragssätze angehoben werden, weil wir zwar Einsparungen vornehmen, aber die Einsparungen nicht in einer Größenordnung von rund sieben Milliarden Euro, die ja fehlen könnten im extremsten Fall, die werden wir nicht zustande bringen, weil wir eben die Leistungen der Versicherten nicht streichen wollen.

    Engels: Aber wenn die Beitragssätze steigen, dann steigen auch die Lohnnebenkosten wieder und dass ist ja das Gegenteil ihres alten Ziels, dass man eben hier die Lohnnebenkosten senken muss.

    Schmidt: Ja aber wir wollen ja ab dem 1.8, am 1.1.2008, eine neue Finanzierungsbasis aufbringen, die einmal sich speist aus den Beiträgen der Versicherten, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, daran halten wir fest, wir wollen, dass die Arbeitgeber beteiligt bleiben an der Finanzierung des Gesundheitswesens und zweitens ab dem 1.1.2008, Steuergelder ins System fließen, in einem mehrjährigen Zufluss, so dass als ersten Schritt, das was heute die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern ausmacht über Steuern auch finanziert wird, und dann kommen zusätzlich zu den Beiträgen Steuergelder. Und damit hoffen wir, dass die Beiträge stabil gehalten werden, zumal wir den Kassen mit der Reform ein ganzes Bündel an Möglichkeiten geben über flexible Tarifgestaltungen, über Angebote für Versicherte, auch zum kosten- und gesundheitsbewussten Verhalten, mit dazu beizutragen, dass wirklich die Versichertengelder so effektiv und effizient wie möglich eingesetzt werden. Das startet, das müssen wir nächstes Jahr vorbereiten, und dazwischen gibt es eben ein Problem, und dieses Problem muss überbrückt werden, und da haben sie die Alternative. Streichen wir Leistungsblöcke? Sie wissen, es war in der Diskussion die Unfälle aus der Krankenversicherung rauszunehmen. Wir haben gesagt nein, denn auch die Versicherten sagen ehe ganze Leistungsblöcke gestrichen werden, werden wir lieber etwas mehr Beiträge bezahlen und wir brauche eine Regelung. Gesundheit ist teuer. Eine gute Gesundheitsversorgung kostet Geld und man kann, man muss auch dafür sorgen, dass das Geld da ist, denn wir wollen ja, dass die Kassen schuldenfrei in ein neues System starten können.

    Engels: Bleiben wir beim Stichwort Finanzierung. Da haben Sie angesprochen, ab 2008 ist der Einstieg in die Mitfinanzierung durch Steuern geplant: 1,5 Milliarden Euro sind das ab 2008, ein Jahr später 3 Milliarden. Aber das reicht doch nicht für die ursprünglich geplante, kostenlose Kindermitversicherung, denn die kostet ja 16 Milliarden Euro.

    Schmidt: Ja, es reicht auch nicht, aber wir haben ja nicht gesagt, dass das mit 4,5 Milliarden oder 3 Milliarden dann zu Ende ist, sondern das geht weiter. Jahr für Jahr wird der Steuerzuschuss erhöht. Die kostenfreie Mitversicherung von Kindern ist zwischen 14 und 16 Milliarden Euro. Und dieses Geld ist beschlossen, dass es in jährlich aufwachsendem Steueraufkommen auch dem Gesundheitssystem zufließen wird und in den Fonds einfließen wird. Das wird im Gesetz so verankert.

    Engels: Aber auch Ihr Parteifreund, Finanzminister Peer Steinbrück, sagt heute früh im "Handelsblatt", das Finanztableau für die Reform sei noch nicht verabredet und die vereinbarten Leistungen könnten nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden - und jetzt?

    Schmidt: Frau Engels, es ging ja darum: Machen wir eine eigene Steuer, damit wir in einem großen Sprung auch mit Steuergeldern ins System steigen können, oder, wie es alle auch wünschen, es soll keine Steuererhebungen geben, sondern es soll aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Und am Sonntagnacht haben wir uns dafür entschieden, dass es auch den laufenden Haushalt entschieden wird,...

    Engels: Das heißt, Herr Steinbrück muss sich was einfallen lassen.

    Schmidt: ...dass Herr Steinbrück jetzt überlegen muss, wo an anderer Stelle in diesem Haushalt auch Geld eingespart werden kann, damit hier eine Finanzierung stattfinden kann. Das ist doch selbstverständlich. Aber entschieden ist, dass es kommt, und auch Peer Steinbrück war dabei. Der Finanzminister sagt ja, aber dass er jetzt Zeit braucht und sagt, wie finanziere ich das auf die Dauer und wie kann der Haushalt da aufgebaut werden, das ist ganz selbstverständlich. Wir haben heute Dienstag. Und er hatte gestern auch Zeit, auch mit seinem Haus darüber, dass in Auftrag zu geben: Wie finanzieren wir das? Nur wichtig ist, das Ziel ist da, und die Entscheidung ist da.

    Engels: Stichwort Einsparung. Das könnte man ja auch auf das Gesundheitssystem selbst anwenden. Da sollen fünf Milliarden an Struktureinsparungen kommen aber bei einem Volumen von ungefähr 140, 150 Milliarden insgesamt, erscheint das doch ein bisschen wenig. Wo wird denn nun überhaupt gespart? Da werden ja auch immer von der Bevölkerung die Aspekte Pharmaindustrie, Apotheken, Krankenhäuser, da müsste sich doch etwas machen lassen.

    Schmidt: Wird fast alles dort gespart. Es wird fast alles dort gespart. Nur, Frau Engels, ich musste jetzt so lächeln, weil alle immer sagen, mein Gott, das sind 140, 150 Milliarden Euro, da müsste es doch mal möglich sein, eben 5 oder 10 Milliarden zu sparen. Das ist eben nicht so einfach. Das Geld wird gebraucht, weil viele Menschen krank sind und weil die Behandlung vieler Krankheiten so viel kostet, dass es viele Menschen nicht in ihrem ganzen Leben an Beiträgen zahlen können. Ich will Ihnen mal ein Beispiel nehmen: Nehmen Sie mal die Hüftoperationen. Allein die Krankenhausbehandlung kostet fast 10.000 Euro, und davon haben wir eben auch sehr viele in Deutschland. Und Sie haben Operationen, sie haben Medikamentenbehandlungen, für manche Menschen 1000 Euro oder mehr am Tag und deshalb ist die Frage "Wo sparen?", ist sehr schwierig in einem System, das immer funktionieren muss, weil Menschen, die krank sind, Behandlung brauchen. Wir machen neue Instrumente auf, noch mehr Wettbewerb im Bereich der Arzneimittel, dass wir wirklich sagen, wir wollen die Preise weiter senken, so wie wir eben angefangen haben.

    Engels: Denn wir haben die teuersten Medikamente weltweit.

    Schmidt: Ja, es ist nicht mehr so. Wenn Sie es vergleichen, ist es nicht mehr so. Wir haben jetzt im Sommer durch unsere Gesetzte, auch Arzneimitteleinsparungsgesetz, haben wir einen Preisdruck und -senkung gehabt bei den Generika, wie es sie nie in Deutschland gegeben hat. Und wir gehen da weiter, wir geben den Apotheken, den Krankenkassen, allen die beteiligt sind, die Möglichkeit über Preise zu verhandeln, über Rabatte zu verhandeln, wir beseitigen die Grenzen, dass es immer festgesetzte Arzneimittelpreise gibt, wir wollen neue Verträge machen. Da ist ein ganzes Bündel dran. Das wird sich jetzt erst in den Diskussionen der nächsten Tage auch zeigen. Das ist von Fachleuten auch gemacht, und da ist Vieles drin, was auch den normalen Menschen gar nicht interessiert, sondern Ziel ist: Die Preise sollen sinken, auch teure Arzneimittel sollen überprüft werden, ob denn ihr Nutzen so hoch ist, dass es den hohen Preis wert ist und wenn nicht, dass die Krankenkassen auch sagen können, wir ersetzten das so nicht, oder mit den Unternehmen verhandeln können. Also da ist, das wird jetzt die Diskussion zeigen, ganz viel drin, was diesen Sektor auch verändern wird. Das dauert im Gesundheitswesen immer etwas länger. Man kann nicht sagen "heute Knopfdruck, morgen ist es so", sondern da gehören jetzt die Anstrengungen dazu, auch der Kassen, der Vertragspartner. Aber wir haben das schon gesehen, wir wollen da sparen, aber es ist mühsam, bis sie eine Milliarde eingespart haben in diesem System, aber das sind auch 1000 Millionen.

    Engels: Um mehr Geld ins System zu bringen hatte die SPD ja ursprünglich auch geplant, die privaten Kassen stärker heranzuziehen. Das hat ja wohl nun nicht geklappt.

    Schmidt: Das hat so nicht geklappt. Das ist etwas, wo ich auch sagen muss, das hätte ich mir gerne anders gewünscht, weil ich glaube, dass auf Dauer alle sich beteiligen müssen zu gleichen Bedingungen und an der Finanzierung. Die Privatversicherten werden über die Steuergelder miteinbezogen, da zahlen sie ja mit. Und das Geld fließt nur der gesetzlichen Krankenversicherung zugute, das zur Beitragsstabilität dort oder auch langfristig zur Beitragssatzabsenkung. Aber die Privaten werden sich verändern müssen. Erstmals ist es gelungen, Reformen zu machen, die wirklich die Privaten nachhaltig verändern, die sie zwingen, Menschen, die bei ihnen versichert waren auch wieder aufzunehmen. Die sagen, Menschen haben einen Anspruch darauf, dass die Krankenkasse ihnen einen Vertrag bieten muss und zwar ohne Ansehen des Risikos und ihnen auch einen Pauschalpreis und eine Versorgung dessen, was auch die gesetzliche Krankenkasse macht, garantieren muss, zu bezahlbaren Preisen. Da dürfen keine Alters- und Risikozuschläge mehr drin sein. Erstmals wird der Wettbewerb für Privatversicherte ermöglicht, dass sie wechseln können von Kasse zu Kasse, und erstmals sind wir auf einem Weg, dass wir sagen, vergleichbare Leistungen müssen auch vergleichbar benannt werden, und es muss gelingen eine vergleichbare Vergütung auf den Weg zu bringen - ein ganz wichtiger Punkt, um mehr Gerechtigkeit im System zu schaffen, auch im Hinblick darauf, dass privatversichert oder gesetzlichversichert, das entscheidend ist, was kostet eine medizinische Leistung und nicht, von welcher Krankenkasse kommst du? Dieser Prozess wird eingeleitet, das dauert, das muss sich entwickeln, aber da ist Vieles passiert, was mehr Wettbewerb und auch mehr Gerechtigkeit schafft.

    Engels: Dazu kommt aber auch der politische Widerstand, und der kommt auch aus ihrer eigenen Partei. Wie vermitteln Sie diesen Kompromiss, wo die SPD ja auch wirklich sich in Einigem nicht hat durchsetzten können, der eigenen Basis?

    Schmidt: Ja, die eigene Basis. Wir hatten leider keine 50 Prozent. Ich hätte auch lieber bei den Wahlen 50 Prozent gehabt. Dann hätte die SPD alleine entscheiden können. Wir haben ein Wahlergebnis, bei dem beide Koalitionspartner in etwa gleich groß sind, aber beide alleine keine Mehrheit hatten und keine von beiden eine Mehrheit hatte, mit einem kleineren Partner in eine Koalition zu gehen. Und deshalb ist Politik immer auch Kompromiss. Was die SPD wollte, diese Dinge sind hier angelegt. Und es geht sowohl bei den Strukturreformen, dass man das Aufbrechen dieser Sektorengrenzen, dass man sagt Krankenhäuser mehr öffnen für die ambulante Behandlung, Patienten in den Mittelpunkt stellen, all das ist erreicht. Wir haben keine Leistungskürzungen. Es gab ja die Diskussion über den Ausschluss von Leistung. Wir haben auch dafür sorgen können, dass chronisch kranke Menschen nicht zusätzlich belastet werden, sondern dass man sagt, wer chronisch krank ist, der muss auch bei den Zuzahlungen anders behandelt werden, als jemand der nur mal krank ist. Und die SPD hat einen Einstieg darin, dass wir sagen, wir wollen auch die Private einbeziehen darin. Wir hätten gerne mehr gewünscht, aber die andere Seite hätte auch gerne mehr gehabt dabei.

    Und deshalb muss, die Demokratie lebt vom Kompromiss, und wir müssen jetzt sehen, dass wir eben aus diesem Kompromiss eben auch etwas Gutes schaffen für die Menschen in Deutschland, dass wir eine bessere Versorgung bekommen und was mir am Herzen liegt,: Wir haben jetzt Instrumente, die wir auf den Weg bringen, damit überall in Deutschland eine gute Versorgung ist und wir nicht mehr das Gefühl haben, dass es schwierig ist in ländlichen Regionen auch Ärzte zu finden oder andere.

    Engels: Sie sagen, die wichtigen Punkte sind angelegt. Soll diese Reform dann also nur bis zur nächsten Wahl halten und wenn die SPD dann wieder eine Mehrheit mit anderen Partnern hätte, würde sie es anders machen?

    Schmidt: Nein, das läutet eine Prozess ein, in eine Richtung auf Veränderung, das ist angelegt. Sehen Sie mal, mit der Gesundheitsreform 2003 haben wir das erste Mal die Türen geöffnet zu mehr Wettbewerb. Da hat es auch ein Geschrei gegeben, es wäre alles nichts. Wir haben heute in Deutschland medizinische Versorgungszentren, in Deutschland gibt es überall Programme für chronisch kranke Menschen, wir haben die strikte Trennung zwischen ambulant und stationär überwunden, aufgestoßen, und wir werden jetzt daran fortsetzten, diesen Prozess weiter zu begleite. Und genau so geht es mit dieser Reform. Alles was man nach vorne aufstößt, wird im Laufe der Jahre eben zur Selbstverständlichkeiten werden, und man wir des immer wieder anpassen an neue Bedingungen, aber die grundlegenden Entscheidungen, die werden jetzt getroffen.

    Engels: Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin von der SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Schmidt: Bitte.