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Schmilzt die Antarktis dahin?

Gerner: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Hörer; heute früh ging eine Meldung durch Fernseh- und Hörfunknachrichten, bei der man kurz aufhorchte. Eine Meldung, die einem aus den letzten Wochen irgendwie bekannt vorkommt. Vom Ross-Schelf in der Antarktis ist nach Angaben amerikanischer Wissenschaftler erneut eine riesige Eisplatte abgebrochen. 80 Kilometer lang soll der Brocken sein. Wenn man zugleich liest, dass sich die Antarktis in den vergangenen Jahren um zweieinhalb Grad erwärmt hat, dann bekommt die Phantasie des ein oder anderen Flügel und die Frage taucht auf: schmilzt die Antarktis langsam aber sicher dahin? Fragen an einen Experten: Wolfgang Rack vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven ist am Telefon. Herr Rack, schmilzt der Südpol langsam aber sicher?

    Rack: Nein, eigentlich nicht. Was Sie erwähnt haben, diese Temperaturerhöhung von 2,5 Grad, die gemessen wurde, ist nur auf einen kleinen Teil der Antarktis begrenzt, auf die antarktische Halbinsel, die sich vom antarktischen Kontinent sehr weit nach Norden Richtung südamerikanischer Kontinent erstreckt. Das ist richtig, dass dort gemessen wurde, dass die Temperatur sehr stark angestiegen sind in den letzten etwa 30 bis 50 Jahren und dort sind auch sehr viele Eisberge in letzter Zeit abgebrochen. Das hat mit einer lokalen Klimaänderung zu tun, die Zusammenhänge mit einer globalen Erwärmung sind nicht geklärt. Das jetzige Ereignis ist davon aber getrennt zu betrachten. Es liegt sehr weit im Süden, es ist sogar ein relativ kleiner Eisberg und dieses Ereignis ist ein Abbrechen, das regelmäßig vorkommt und wiederkehrt.

    Gerner: Da ist nicht nur von Abbrechen die Rede beim jüngsten Vorfall, sondern auch von Kalben, wie es in Agenturmeldungen heißt. Können Sie uns das erklären?

    Rack: Ja, genau, das ist eigentlich der Fachausdruck. Wenn Eisberge von sogenannten Schelfeisen, das sind schwimmende Eisplatten, die an der seewärtigen Kante bis zu 200, 250 Meter dick sind, wenn die abbrechen, dann spricht man von Kalben. Das heißt, Eisberge kalben in das Meer. Das ist eigentlich nur der Fachausdruck, aber es ist nichts anderes, als dass ein Tafeleisberg von diesem Schelfeis abbricht, das den antarktischen Kontinent zum großen Teil umgibt.

    Gerner: Nun haben wir eben vom Ross-Schelf gesprochen. Ein anderes, das Larsen-Schelfeis hat neulich einen Brocken verloren, wie gemeldet wurde von der Gesamtfläche des Saarlandes. Ist das eine andere Qualität?

    Rack: Das ist von der Größe her auch ein relativ kleines Ereignis, aber es ist insofern von einer anderen Qualität, weil es hier tatsächlich eine Reaktion auf eine Klimaänderung gibt, die wir dort auch beobachtet haben und es ist so, dass dort diese Eisberge, Eismassen, die dort abbrechen unter dem vorherrschenden Klima nicht mehr fest werden. Also dort sind wirklich irreversible Vorgänge im Gange. Wie das jetzt im globalen Kontext zu betrachten ist, ist noch ungeklärt.

    Gerner: Sie sagen, dieses große Teil, was da abbrach, sei immer noch kein großes. Wo sind denn die größten gemeldeten Abbrüche erfolgt?

    Rack: Man muss sich vorstellen, die wirklich großen Schelfeise sind bis zu 500.000 Quadratkilometern groß, vergleichbar Frankreich. Und Eisberge, die dort abbrechen in der Größe in einzelnen Stücken von bis zu 10.000 Quadratkilometern Größe sind nicht wirklich besondere Ereignisse. Am Larsen-Schelfeis sind insgesamt Eisberge in der Größe von 3.600 Quadratkilometern weggebrochen in Form vieler kleiner Eisberge. Aber dort sind in den letzten Jahren sehr oft signifikante Schmelzen im Sommer beobachtet worden und es ist so, dass diese Temperaturerhöhung im Sommer diese Schelfeisabbrüche gemacht hat.

    Gerner: Sie haben von irreversiblen Vorgängen gesprochen. Was ist im schlimmsten Falle zu erwarten?

    Rack: Für die Antarktis hat das eigentlich keine Auswirkungen. Für uns ist es insofern ein sehr interessanter Fall, weil wir diese Mechanismen zwischen vorgelagertem Schelfeis und dahinterliegendem festaufliegendem Eis studieren können.

    Gerner: Also keine Folgen für Schiffsverkehr in der Gegend, für den Meeresspielegel etc.?

    Rack: Vorerst nicht, das wird auch sehr genau beobachtet, wie sich diese Eisberge bewegen.

    Gerner: Wir beobachten mit Ihnen weiter, ganz herzlichen Dank. Das war Wolfgang Rack vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung mit Sitz in Bremerhaven.