Meurer: Wie tief sitzt denn der Frust bei den Gewerkschaften immer noch über die Reformpolitik?
Schmoldt: Zum Einen gibt es einen Teil von Reformvorhaben, die wir als Gewerkschaften so nicht für akzeptabel halten, aber insgesamt, - und das gilt für alle Gewerkschaften im DGB -, kann es am Reformkurs keinen Zweifel geben. Die Frage ist, wie im Detail die Reformen aussehen und darüber müssen wir mit der Regierung reden.
Meurer: Nur, wenn die Gewerkschaften auf die Straße gehen, kann von Protest nur gegen Details ja wohl kaum noch die Rede sein?
Schmoldt: Herr Meurer, der dritte April, die Demonstrationen am dritten April sind ja eine europäische Initiative des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Idee war für ein soziales Europa zu werben, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Erweiterung und natürlich werden dann auch in diesem Zusammenhang die kritischen Reformdiskussionen, Reformvorhaben auch Gegenstand der Demonstrationen sein. Aber der Kern ist eine Demonstration für ein künftiges soziales Europa.
Meurer: Werden Sie sich bei den Demonstrationen hinstellen, gegen die Reformpolitik demonstrieren, mitdemonstrieren?
Schmoldt: Natürlich werden wir an den Demonstrationen teilnehmen, zumal es ja einen grundsätzlichen europäischen Aspekt hat. Aber, Herr Meurer, wir haben immer gesagt, dass jeder in diesem Land, wenn er eine Zukunft für das Land will, an Reformen sich nicht vorbeimogeln kann. Die Auseinandersetzung, die wir mit der Regierung führen müssen und auch geführt haben, ist, wie die Details der Reformen aussehen. Da gibt es im Detail auch bei den Gewerkschaften ein paar unterschiedliche Positionen, aber im Grundsatz sind wir uns einig.
Meurer: Das scheint DGB Chef Michael Sommer ein bisschen anders zu sehen, als Sie, Herr Schmoldt, der sagt ja gleich in Bausch und Bogen, die Reformen sind Gift für Konjunktur und Arbeitsmarkt.
Schmoldt: Das glaube ich so nicht, dass sie Gift sind. Natürlich werden wir keinen zusätzlichen Arbeitsplatz dadurch bekommen, wenn wir den Bezug des Arbeitslosengeldes kürzen, sondern wir haben Voraussetzung zu schaffen, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig ist, damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme krisenfest machen, das alles sind Aufgaben, da wird auch bei den Gewerkschaften die Erkenntnis sich verbreiten müssen, dass diese Reformvorhaben nicht ohne persönliche Beiträge aller in diesem Lande gehen.
Meurer: Wo sollte sich Ihrer Meinung nach der Kanzler bewegen?
Schmoldt: Ich glaube, dass ein ganz schwieriger Punkt die Frage ist, was künftig noch zumutbare Arbeit ist, das ist ja ein sehr dehnbarer Begriff und da müssen seitens der Regierung ein paar Klarstellungen getroffen werden, sodass wir hier nicht eine, ich sage mal, Rutschbahn nach unten bekommen, weil Menschen gezwungen werden, hinterher zu Einkommen zu arbeiten, die wirklich kein Leben ermöglichen sondern eine pure Ausnutzung des jeweils Betroffenen sind.
Meurer: Also, Sie sagen auch, an der Zumutbarkeitsregelung für Langzeitarbeitslose da muss wieder etwas geändert und zurückgenommen werden?
Schmoldt: Es heißt ja es muss zumutbar sein und es darf nicht sittenwidrig sein und die Frage der Sittenwidrigkeit, die kann ja definiert werden. Die bisherige Definition, dass sittenwidrig alles das ist, was weniger als 30 Prozent des ortsüblichen Lohnes ausmacht, kann für die Zukunft nicht gelten. Der ortsübliche Lohn und 30 Prozent davon abgezogen, das wäre unterhalb der Sozialhilfe. Das, denke ich, kann niemand wollen.
Meurer: Bisher hat ja Schröder die Linie, wenn ich das richtig sehe, an den beschlossenen Reformen wird nichts verändert, aber was jetzt noch kommt, da kann man vielleicht den einen oder anderen Akzent setzen. Die Zumutbarkeitsregelung ist geschlossen. Wenn Schröder sich da bewegt, heißt es dann nicht, der Kanzler vertritt eine unsteten Kurs?
Schmoldt: Herr Meurer, wenn man ein solch Riesen Reformvorhaben auf den Weg bringt, dann wird nicht alles gleich auf den ersten Punkt gelingen und in sich schlüssig sein, sondern da wird das Eine oder Andere hinterher im Lichte der Diskussion und der Umsetzung sich als, sage ich einmal, veränderungsbedürftig erweisen. Das hat ja nichts damit zu tun, dass man damit seine grundsätzliche Linie aufgibt und die Gewerkschaften dürfen natürlich auch nicht den Eindruck erwecken, als würden sie die grundsätzliche Linie verändern wollen. Das wird diese Regierung nicht machen, das würden wir umgekehrt auch nicht tun.
Meurer: Sind Sie insgesamt der Meinung, der Kurs der SPD ist sozial gerecht?
Schmoldt: Nein, da gibt es ja mit Sicherheit Nachbesserungsbedarf. Gerade die soziale Ausgestaltung, das heißt die Belastung der Bevölkerungsgruppen ist eben nicht sozial gerecht. Das ist ein kritischer Punkt, mit dem gerade eine sozialdemokratische Regierung sich auseinandersetzen muss und wir als Gewerkschaften haben hier auch die besondere Aufgabe, diesen sozialen Ausgleich, die soziale Gerechtigkeit einzufordern. Das wird nicht immer ohne Konflikte gehen.
Meurer: Auf was drängen Sie hier? Höhere Erbschaftssteuer?
Schmoldt: Wir haben uns ja immer dagegen ausgesprochen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen, das ist ja ein Symbolthema, das ja auch einige SPD-Prominente sagen, also mit solchen Symbolthemen kann man die Menschen nicht gewinnen sondern eher nur verärgern und irritieren. Bei der Erbschaftssteuer gibt es einen Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes und insoweit wäre hier dringender Handlungsbedarf.
Meurer: Eine andere Möglichkeit ist die Ausbildungsplatzabgabe. Da gibt es ja jetzt relativ starken Widerstand aus den SPD-Ländern. Wird dieser Widerstand möglicherweise dazu führen, dass die Ausbildungsabgabe doch nicht kommt?
Schmoldt: Herr Meurer, wir sind gegen die Ausbildungsplatzabgabe, weil wir immer befürchten und das auch gesagt haben, dass damit unser duales Ausbildungssystem, also die Teilung betrieblicher und schulischer Ausbildung, dass die in Gefahr gerät. Aber ich sehe auch den Zwang, in der die Politik steckt, nachdem die Wirtschaft ihre wirklich jahrelangen Versprechungen, genügend Ausbildungsplätze anzubieten, nicht erfüllt hat. Insoweit wird es wohl an einer gesetzlichen Abgabe oder Umlage kein Vorbei geben. Auf was wir drängen ist, dass in diesem Gesetz, den Bereichen, wo es Tarifverträge gibt und unsere Branchen haben Tarifverträge, dass die auch künftig gelten und dann nicht das Gesetz greift.
Meurer: Verlassen Sie die Solidarität mit den anderen Gewerkschaften in Sachen Ausbildungsplatzabgabe?
Schmoldt: Nein, ich sage ja, es wird wohl an diesem Gesetz kein Vorbei mehr geben. Aber wir fordern eben, dass tarifliche Vereinbarungen und wir haben seit 1984 in unseren Branchen jedes Jahr eine Verabredung über die Steigerung von Ausbildungsplätzen, das die auch künftig Gültigkeit hat. Also, freiwillige Vereinbarungen müssen dann vor dem Gesetz gelten.
Meurer: Würden Sie dann sagen, freiwillige Vereinbarungen sind sowieso besser bei der Ausbildung?
Schmoldt: In der Regel sind freiwillige Lösungen immer die Besseren bevor es einen gesetzlichen Zwang gibt. Aber dazu gehören natürlich zwei. Das heißt, die beiden Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber wie Gewerkschaften müssen sich darauf verständigen. Ich sehe aufgrund der Diskussion um die Ausbildungsplatzumlage hier auch bei anderen, die bisher solche tariflichen Lösungen nicht haben, Bewegung nach vorne und zwar in Richtung von Tarifverträgen.
Meurer: Das war Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Ich danke für das Gespräch und auf Wiedersehen, Herr Schmoldt.
Schmoldt: Ja, tschüss.