Engels: Förderung von Wachstumskernen im Osten statt Förderung mit der Gießkanne, ein gutes Konzept?
Schmoldt: Wenn es dann allen hilft, dann ja. Aber es wäre fatal und würde den Menschen überhaupt keine Perspektive eröffnen, wenn man bestimmte Regionen, die eben im wirtschaftlichen Aufbau nicht so weit vorangekommen sind, einfach abhängen würde. Das würde keiner verstehen, das ist auch nicht verantwortbar, dennoch war es ja auch in der Vergangenheit richtig, dass man, wir haben das damals Leuchtturmpolitik genannt, versuchte, bestimmte Leuchttürme zu schaffen, um die herum sich dann auch Neues und mehr ansiedelt.
Engels: Das heißt die Gewerkschaften ziehen bei dem Plan
Sonderwirtschaftszonen einzurichten nicht mit?
Schmoldt: Nein, Frau Engels, denn im Grunde genommen verbirgt sich ja dahinter die alte Absicht, für die ostdeutschen Länder bestimmte Teile des Arbeits- und Sozialrechtes auszuhebeln. Das werden wir nicht mitmachen. Es gibt heute ja deutlich - beispielsweise Lohnkosten - Abstände zum Westen, wenn diese Philosophie, dass niedrige Kosten alleine schon Wirtschaftswachstum hervorbringen, stimmen würde, dann müsste der Osten ja sozusagen blühen, das tut er nicht, weil es um mehr geht als nur um Lohnkosten oder Kosten.
Engels: Nun argumentiert beispielsweise der sächsische Ministerpräsident Milbradt damit, man bräuchte auch mehr Ungleichheit, um besser Wettbewerb hervorbringen zu können.
Schold: Wir haben heute schon Ungleichheit genug, auch im westdeutschen Bereich gibt es unterschiedliche wirtschaftsstarke und wirtschaftsschwächere Regionen, daraus alleine ergibt sich schon Ungleichheit. Wir haben im Osten, was es im Westen nicht gibt, Investitionszulagen, das sind ja steuerliche Erleichterungen, die dort helfen sollen, Investitionen anzusiedeln. Ich glaube, wir haben keinen Mehrbedarf. Was, glaube ich, richtig ist, ist ja die schon etwas ältere Diskussion, ob unser überreglementiertes und bürokratieüberladenes Vergaberecht, viele Zustimmungen, die eingeholt werden müssen, ob man das nicht entschlackt. Das hatte sich ja eigentlich der Bundeswirtschaftsminister Clement vorgenommen und ich glaube, da könnte man eine Menge auch an positiven Impulsen setzen.
Engels: Nun schlagen Sie selbst ein Modell vor, das zunächst eigentlich so klingt, als könnte es in diese ganze Diskussion passen: nämlich ein Kombilohnmodell. Danach sollen Unternehmen, die vor der Wahl stünden, Stellen zu streichen und das tun ja viele in Ostdeutschland, die sollten eben die Löhne befristet auf 80 Prozent senken können, 20 Prozent sollen dann von der Bundesagentur für Arbeit kommen. Das klingt doch eigentlich so, als ob sie da an einem Strang ziehen?
Schmoldt: Nein, natürlich wollen wir damit verhindern, dass alle Arbeitsplätze in den Bereichen, die im Lohnwettbewerb beispielsweise jetzt mit den mittel- und osteuropäischen Ländern stehen, abwandern und der Vorschlag beinhaltet eine konkrete Überprüfung einzelner Arbeitsabläufe, ob man sie nicht mit einer anderen Produktivität, mit einer höheren, ob man sie mit anderer Arbeitszeitflexibilität und einer geringeren Zahlung der Unternehmen hier halten kann, aber nicht zu Lasten der Beschäftigten, etwa indem man die Tarife absenkt, sondern indem die Differenz, in dem Beispiel, das Sie nannten, 20 Prozent, von der Bundesagentur geleistet wird. Das belastet nicht den Staatshaushalt sondern das sind Beitragsgelder der Versicherten und der Vorteil eines solchen Modells ist, dass die Betroffenen dann für 80 Prozent Steuern und Sozialversicherung zahlen und nicht 100 Prozent Arbeitslosengeld bekommen. Ein Vorschlag, über den man intensiv diskutieren muss und dieses Instrument von Zuschüssen kennen wir ja beispielsweise bei Langzeitarbeitslosen, die heute schon solche Zuschüsse beantragen können.
Engels: Wenn wir mal über die Diskussion der letzten Wochen schauen, dann sehen wir ja ein recht widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite Hunderttausende beteiligen sich an großen Sozialdemonstrationen am vergangenen Wochenende, dort soll der Sozialstaat gerettet werden, zum anderen diese Vorschläge, die ja jetzt gerade mit Blick auf Ostdeutschland gekommen sind, die auf noch mehr Wettbewerb und Kostenreduzierung zielen. Klafft unterdessen die Wahrnehmung in Deutschland, was das Land braucht, immer mehr auseinander?
Schmoldt: Ich habe den Eindruck, dass eigentlich auch die Menschen im Lande wissen, dass Reformen notwendig sind. Aber dass es um die Frage geht, wie die Reformen konkret ausgestaltet werden und wir sehen ja auch mit Blick in andere Länder, Frankreich oder Italien, dass es dort gleiche Wahrnehmungen gibt. Also, das Empfinden der Menschen, ungleich belastet zu sein und solche Reformvorhaben, wie wir sie auf den Weg gebracht haben, zum Teil noch auf den Weg bringen müssen, kann man nicht gegen die Menschen, also gegen das Volk, durchsetzen. Akzeptanz lässt sich bekanntermaßen nur erreichen, wenn jeder das Gefühl hat, nicht über Gebühr belastet worden zu sein sondern jeder weiß, wofür er sich einschränken soll.
Engels: Die Bundesregierung hat die Gewerkschaften dazu aufgefordert, nun auch einen konstruktiveren Beitrag zu leisten und nicht immer nur zu kritisieren. Wie sieht denn dieser Beitrag aus?
Schmoldt: Wir müssen sagen, wie wir uns konkrete Reformvorhaben vorstellen, da genügt nicht immer auf alte Antworten zu verweisen. Also, mit Rezepten von vorgestern kann man die Probleme von heute nicht lösen und Gewerkschaften müssen auch deutlich erkennbar machen, dass auch sie ihre Beiträge zu Reformen mitleisten wollen und Reformen sind heute leider nicht mehr ohne Beitrag jedes einzelnen möglich. Die Zeit, wo Reformen immer nur Verbesserungen gebracht haben, sind zumindest im Moment vorbei und ich denke, vor dieser Aufgabe stehen die Gewerkschaften. Wir werden sie anpacken müssen, ansonsten verlieren Gewerkschaften ihren Gestaltungsanspruch und das ist etwas, was wir mit Sicherheit nie aufgeben dürfen.
Engels: Könnten wir es etwas konkreter haben? Sie schlagen nun dieses Kombilohnmodell vor, haben Sie weitere Vorschläge?
Schmoldt: Es muss beispielsweise im Gesundheitswesen zu einer so genannten Strukturreform kommen. Was wir zurückliegend erlebt haben, waren ja nur einfache Kostenreduzierungen und dann noch zu Lasten im Wesentlichen der Versicherten. Also, alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen müssen an den Tisch, wir brauchen im Bereich der Ausbildung endlich ein Rezept, wie wir die Unternehmen zwingen können, die genügende Anzahl an Ausbildungsstellen zur Verfügung zu stellen. Wir müssen am gesamten Bildungswesen Reformen auf den Weg bringen, wir müssen im Bereich der Rente deutlich machen, wie wir individuelle Rentenansprüche auf den Weg bringen. Also, neben der gesetzlichen, die betriebliche Säule und die individuelle und hier hat der Gesetzgeber im Moment ein falsches Signal gesetzt. Ich denke, es gibt eine Fülle von Vorhaben, die wir dann auch gemeinsam diskutieren und gemeinsam starten müssten.
Engels: Das heißt aber, ein Weggehen vom Flächentarifvertrag oder Lockerung des Kündigungsschutzes, das sind nach wie vor die Dinge, die die Gewerkschaften nicht mit sich machen lassen?
Schmoldt: Nein, Frau Engels, der Flächentarifvertrag ist ja so flexibel, da kann man sich kaum noch wesentliche Veränderungen vorstellen und der Kündigungsschutz ist ja inzwischen so durchlöchert, dass niemand mehr sagen kann, er wäre dadurch an der Einstellung von Mitarbeitern gehindert. Es stellt grundsätzlich ein Unternehmen nur einen Mitarbeiter ein, wenn die wirtschaftliche Situation es rechtfertigt und nicht weil das Kündigungsrecht so oder so aussieht.
Engels: Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Schmoldt: Ich bedanke mich auch.