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Schneiderhan

Clement: Wenn man sich in diesen Tagen mit einem Offizier, mit dem höchsten Offizier der Bundeswehr zu einem Interview verabredet, dann kommt man um eine Frage nicht herum: Der Aufmarsch, den wir zurzeit im Irak beobachten, ist der aus militärischer Sicht schon so weit, dass ein Krieg unausweichlich ist? Ist da der Point of no return bereits überschritten oder gibt es noch eine Chance, den Krieg zu vermeiden?

Rolf Clement |
    Schneiderhan: Also. Der Point of no return - wie Sie das genannt haben - der ist nicht überschritten. Ich glaube fest daran, dass die Politik noch eine Chance hat, einen militärischen Einsatz zu verhindern. Und ich glaube nicht nur fest daran, sondern ich hoffe auch, dass es gelingt durch die Inspektionen, durch das Engagement der internationalen Staatengemeinschaft zu einer anderen Lösung als zu einer militärischen Lösung in diesem Fall zu kommen. Natürlich muss dem Irak sehr glaubwürdig gemacht werden, dass die Sache sehr ernst ist für ihn. Und natürlich muss durch die militärischen Vorbereitungen diese Glaubwürdigkeit auch unterstrichen werden. Und so verstehe ich im Augenblick das, was die Amerikaner in diesem Bereich machen.

    Clement: Gehört dazu auch die Anfrage der Amerikaner an die NATO mit der Bitte um Unterstützung?

    Schneiderhan: Dazu gehört auch die Anfrage, die Sie gerade angesprochen haben, weil der NATO-Partner, der rein geografisch am nächsten liegt, natürlich ein Interesse daran hat, dass im Falle einer militärischen Auseinandersetzung für ihn auch Vorsorge geleistet wird.

    Clement: Es ist die Türkei.

    Schneiderhan: Das ist die Türkei. Und im Augenblick findet nichts anderes statt, als dass im NATO-Bereich sich überlegt wird, wie man denn "für den Fall, dass" der Türkei Sicherheiten als bündnissolidarischen Ausdruck bereitstellen kann. Diese Diskussion ist ausgelöst, diese Diskussion ist einem sehr allgemeinen Rahmen ausgelöst. Und da gibt es im Augenblick noch keinen Status, der ganz bestimmte, ganz konkrete Dinge auslösen muss. Aber man muss sich natürlich mit dem Interesse der Türkei schon beschäftigen.

    Clement: Die mögliche Auseinandersetzung um den Irak, im Irak wäre ein sog. Präventiv-Krieg, weil in dieser Situation, in der wir uns befinden, der Irak mutmaßlich Waffen anhäuft, Kampfstoffe anhäuft, sie aber noch nicht eingesetzt hat. Ist diese Tatsache, dass so etwas unter Umständen kommen kann, nicht Anlass, eine sicherheits-politische Diskussion über die Frage Präventiv-Krieg ganz anders zu diskutieren als man das bisher getan hat?

    Schneiderhan: Ich glaube, man muss in der sicherheitspolitischen Diskussion einige Themen anders anfassen, als man das in der Vergangenheit gemacht hat, weil jetzt doch sichtbar geworden ist, dass das, was im Konzept der NATO von 1999 ja schon angelegt war - Umgang mit Terrorismus, Gefahr durch Terrorismus, Gefahr durch Verbreitung von Waffen, die man als Massenvernichtungsmöglichkeiten bezeichnet in Verbindung mit Terrorismus - dass sich da qualitativ etwas geändert hat. Ich würde es nicht festmachen an der Frage: Präventiv oder nicht? Ich würde es festmachen an der Frage: Die Qualität der Bedrohung hat sich grundsätzlich geändert. Folglich muss sich auch die Gegenreaktion - also der Schutz oder vielleicht die Verteidigung - grundsätzlich einer Überprüfung stellen. Das ist - glaube ich - der Punkt. Und am Ende dieser Diskussion mögen Fragen wie präventiv oder nicht präventiv drin sein. Aber der Einstieg in die neue Diskussion muss sich von der neuen Qualität der Bedrohung her ableiten. Ich glaube, das ist sehr deutlich geworden in den letzten Jahren.

    Clement: Wie wird sich das, was Sie jetzt gesagt haben, niederschlagen in den neuen konzeptionellen Richtlinien, die die Bundeswehr bekommen soll in diesem Frühjahr?

    Schneiderhan: Die neuen konzeptionellen Richtlinien, die der Bundesminister in Auftrag gegeben hat, werden sich sicherlich mit dieser Frage auseinandersetzen. Und dabei wird nach meiner Vorstellung deutlich werden, dass die Vorbereitung auf einen Krieg, der gekennzeichnet ist durch geordnete konventionelle Streitkräfte, Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder die NATO zum Zwecke der Landnahme, dass dieses Bild nicht mehr das wahrscheinlichste Bild ist, sondern dass die andere Qualität, die wir bezeichnet haben gerade eben - Terrorismus, Asymmetrie, Überraschung, Irrationales - dass diese Kriterien sehr viel mehr im Vordergrund stehen. Und dann muss man sich überlegen, wie sich daraus die Struktur der Bundeswehr ableitet und damit auch der Auftrag der Bundeswehr ableitet. Das kann man nicht vereinfachen, indem man sagt, Landesverteidigung ist passee. Das ist mir zu einfach. Was ich gerne in die Diskussion einbringen möchte ist das Thema: Verteidigung muss sich ändern. Es bleibt Verteidigung, aber Verteidigung ist anders, als wir das in den 90er, 60er oder was weiß ich immer Jahren gedacht haben.

    Clement: Verteidigung kann auch am Hindukush stattfinden?

    Schneiderhan: Ich glaube, in dem Bericht der Weizsäcker-Kommission ist es sehr gut formuliert. Da findet man die Begrifflichkeit, die uns sagt: "Die Teilnahme an internationalen Maßnahmen zur Konfliktverhinderung oder Konfliktverhütung zum Zwecke der Verteidigung" - das ist, glaube ich, ein sehr guter Punkt. Nun ist ein Schlagwort mit dem Hindukush in die Diskussion eingeführt worden.

    Clement: Der Minister hat dies auf einer Pressekonferenz gesagt.

    Schneiderhan: Ja. Man kann es so sehen. Das, was wir in Afghanistan tun, das dient auch der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Und von daher abgeleitet kann man auch dazukommen, zu sagen: Das dient auch der Verteidigung unserer Souveränität, unserer Ordnung und all diese Dinge, die wir bisher in dem Begriff Verteidigung auch untergebracht haben. Die geografische Bindung, die wir bisher haben oder hatten, die hat sich verändert.

    Clement: Eine ganz praktische Frage in dem Zusammenhang: Heute von 14 Tagen ist über Frankfurt ein Sportflugzeug geflogen und keiner wusste so richtig, was das vor- hatte. In diesem Zusammenhang kam eine Diskussion auf über die Frage: Reichen die Rechtsgrundlagen aus für eine Bekämpfung eines möglicherweise auf diese Art und Weise zustande kommenden Terroranschlags? Wie ist Ihre Position?

    Schneiderhan: Also, ich will mich nicht einmischen in die Diskussion, die im Augenblick zwischen Politik und Verfassungsrechtlern und Juristen im weitesten Sinne stattfindet. Das ist nicht mein Thema. Mein Thema ist, dass die Leute, die an der Vorbereitung einer solchen Entscheidung - wie geht man damit um? - und die Menschen, die Entscheidung treffen und vor allem die, die sie ausführen müssen, Rechtssicherheit haben. Der Soldat in der Bundeswehr der darf Befehle nur befolgen, wenn sie rechtmäßig sind. Anderenfalls macht er sich selbst strafbar. Diese Sicherheit müssen die Leute haben, die in solchen Prozessen eingebunden sind - Rechtssicherheit. Wo es dann verankert wird rechtlich, das ist nicht mein Problem. Ich will es nur sicher haben.

    Clement: Ist die Diskussion, wie wir sie in der Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren führen, eigentlich noch zeitgemäß? Sie sprachen gerade an, es gibt neue Bedrohungen, andere Bedrohungen, die eigentlich regional gar nicht mehr so eindeutig festzumachen sind. Muss man nicht solche Diskussion aufgabenorientiert führen? Ein Beispiel: Wenn eine ABC-Bedrohung in Deutschland stattfindet, ist in Deutschland die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk zuständig. Die Bundeswehr hat aber die Fähigkeit, solche Kampfstoffe zumindest festzustellen, begrenzt auch zu dekontaminieren. Ist es nicht sinnvoll, dass eine solche Aufgabe dann querschnittsmäßig wahrgenommen wird egal, ob es im Inneren oder im Äußeren stattfindet? Ist es richtig, dass die Bundeswehr - ich überspitze mal - Kuwait vor einem ABC-Angriff schützt, aber Deutschland nicht?

    Schneiderhan: Ich teile die Überlegungen, die in Ihrer Frage angelegt sind, schon. Es ist im Augenblick für den Generalinspekteur schwierig, dazu etwas zu sagen, weil das ungeheuer politisch ist, was Sie angesprochen haben. Aber im Zusammenhang mit dem, was ich vorher sagte, dass - wenn sich Bedrohung geändert hat, muss sich auch die Einstellung auf die Bedrohung ändern - in dem Zusammenhang - glaube ich - muss man hier sich schon einige Fragen stellen. Was mir nicht so gut gefällt, ist, dass im Augenblick die Wahrnehmung für mich ist, dass die Diskussion sich verkürzt auf die Frage: Bundeswehr im Inneren - ja oder nein? Ich bin mir nicht sicher, ob das das eigentliche Problem ist, das die Bundes-republik Deutschland hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ja vielleicht die Frage zu beantworten: Sind wir vorbereitet auf Katastrophen völlig neuer Qualität? Das hat sich im Zusammenhang ja auch mit der Hochwassergeschichte deutlich gezeigt, dass da einige Fragen zu beantworten sind. Also, sind wir vor-bereitet auf Naturkatastrophen? Sind wir vorbereitet auf Industriekatastrophen? Sind wir vorbereitet auf Katastrophen, die sich durch solche terroristische Aktionen auslösen? Da ist die Frage nach der Warnzeit, da ist die Frage nach der Reaktionsfähigkeit, dem Zusammenwirken aller, die da einen Auftrag finden können. Diese Fragen stellen sich. Und irgendwo in dem Bereich ist auch die Frage: Was können Streitkräfte da tun? Irgendwo ist auch die Frage: Reichen die Gesetze, die wir jetzt mit Amtshilfe, Notfallhilfe, Notstandsgesetze haben, aus oder reichen sie nicht aus? Und wenn man die Diskussion so herum führt, dann bin ich extrem offen in dieser Diskussion. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen, weil das einfach jetzt noch in einem sehr frühen Stadium ist, wo man noch nicht genau sieht, wo die Rolle der Streitkräfte sein wird. Aber natürlich ist die Bundeswehr darauf eingestellt, wenn sie gefragt wird und wenn der Bedarf besteht, ihre Fähigkeiten natürlich auch zum Schutz unserer eigenen Bevölkerung, zum Schutz unseres eigenen Landes anzuwenden. Damit hätte ich intellektuell überhaupt kein Problem.

    Clement: Das ist eher eine rechtliche und dann eine politische Frage.

    Schneiderhan: Ja. Ich bin Auftragnehmer der Politik. Und ich berate natürlich - klar. Aber zunächst mal muss man diese Dinge regeln und dann kann ich sagen, da kann die Bundeswehr das oder jenes machen. Und da können wir helfen oder da können wir nicht helfen. Dafür sind wir geeignet, dort sind wir weniger geeignet. Aber im Augenblick muss erst einmal das politisch sich zurechtschütteln.

    Clement: General Schneiderhan, die Bundeswehr ist mit rund 12.000 Soldaten zurzeit im Auslandseinsatz. Sie übernimmt im kommenden Monat die Führung von Afghanistan - ISAF. Die Amerikaner haben gesagt, sie bräuchten weitere Unterstützung im Fall eines Waffengangs im Irak. Wie sieht diese Unterstützung, die die Amerikaner dafür einfordern, aus? Und kann die Bundeswehr das eigentlich überhaupt noch leisten?

    Schneiderhan: Also, wir diskutieren im Augenblick nur um die Frage, wie wir Infrastruktur - also Einrichtung der amerikanischen Verbündeten, die sie in Deutschland haben und die sie dann verlassen, weil sie in anderen Bereichen gefragt sind - wie wir die sichern können. Und wir diskutieren in dem Zusammenhang auch, wie man Einrichtungen, die amerikanische Staatsbürger in Deutschland benützen, schützen kann. Das ist die Diskussion, die aktuell da ist. Über anderes wird nicht gesprochen. Es gibt auch keine Anfragen. Und um Ihre Frage nun präzise aufzunehmen: Ja, wir können diese Bewachung leisten. Und ich sage von mir aus: Ja, wir wollen sie auch leisten. Wir müssen sie auch leisten. Das ist ja nicht nur Sicherheit für amerikanische Einrichtungen. Das ist Sicherheit für unser Land.

    Clement: Was werden die zusätzlichen Aufgaben sein im Zusammenhang mit der Führung von ISAF?

    Schneiderhan: Im Zusammenhang mit Führung von ISAF ist vor allem qualitativ neu, dass wir in die Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung in Afghanistan eintreten und da sehr viel in dem Schnittbereich zwischen Politik und Militär mitleisten müssen. Das sind eine ganze Reihe von Koordinationsaufgaben zwischen den über 20 Staaten, die da Kontingente stellen und beteiligt sind. Das ist sehr viel Abstimmung auch innerhalb derer, die engagiert sind. Das ist sehr viel Koordinationsaufgabe. Aber ich glaube, der qualitativ neue Teil ist, dass wir aus dem rein taktischen, was jetzt mit Patrouillen und Herstellen von fassbarer Sicherheit zu tun hat, in einen Führungsbereich hineingehen, der sehr viel auch mit militärpolitischen Aufgaben zu tun hat. Herr

    Clement: Es wird immer wieder diskutiert über die Frage "Mittel und Auftrag", dass das in Einklang gebracht werden muss. Wenn wir nach Afghanistan gucken, vielleicht auch auf den Balkan: Ist die Bundeswehr auf eine solche Aufgabe wie jetzt die Führung von der Afghanistan-Truppe ausreichend und ausreichend gut ausgerüstet, um so etwas problemlos wahrnehmen zu können?

    Schneiderhan: Ja, das muss man sicherlich sehr differenziert sehen. Wenn ich bezug nehme auf das, was ich gerade gesagt habe zu dieser Aufgabe - die Koordination, Zusammenarbeit, Militär, Politik - dann kann ich nur sagen: Wir sind exzellent vor-bereitet. Dafür haben wir genau den richtigen Soldaten. Seit über 40 Jahren bilden wir diesen Soldaten aus, der etwas versteht von Streitkräften in einer demokratisch kontrollierten Gesellschaft. All diese Dinge, was wir mit so mit Innerer Führung oder Staatsbürger in Uniform bezeichnen - das ist im Grund das, was da jetzt gefragt ist. Und da sind wir exzellent vorbereitet. Wir sind auch militärisch sehr gut vorbereitet. Und ich bin sicher - dass wir auch die richtige Ausrüstung unseren Leuten mitgeben. Das ist übrigens was, was mich sehr ärgert manchmal, wenn ich das mal so sagen darf, dass wir immer sehr vordergründig an diesen Dingen gemessen werden, die heißen, wie alt oder wie neu ist irgendein Gerät. Das verkürzt das Problem. Nein, es gibt keinen militärischen Vorgesetzten und ich glaube auch keinen politischen Verantwortlichen, der leichtfertig damit umgehen wird, wenn es darum geht, unsere Soldaten gut ausgebildet und gut ausgerüstet in solche Aufgaben hineinzuschicken. Da bin ich mir 100 Prozent sicher. Und wir haben die Dinge, die wir dafür brauchen, die haben wir auch. Dass es in anderen Bereichen, die dann in Deutschland bleiben, dass es da Mängel gibt und dass es da Dinge gibt, die ich mir moderner wünsche, das ist damit nicht beantwortet. Natürlich ist es so, dass wir solche Dinge auch haben. Aber dort, wo wir im Einsatz auf den Prüfstand kommen, sind wir gut. Und das ist auch das, was ich von meinen internationalen Kollegen höre.

    Clement: Das Alter von militärischem Gerät hat ja in der Diskussion nach dem Absturz des Hubschraubers in Kabul eine große Rolle gespielt. Nun gibt es einen ersten Zwischenbericht, dass es einen Wartungsfehler gegeben hat. Ist das menschliches Versagen gewesen?

    Schneiderhan: Also, die Untersuchungen sind nicht abgeschlossen. Insofern ist es schwer, da hier irgendwas dazu zu sagen. Aber wir müssen uns jetzt damit auseinandersetzen, dass wir nicht mehr ausschließen können, dass es menschliches Versagen am Boden im Wartungsbereich - wie Sie gesagt haben, Herr Clement - gegeben hat.

    Clement: Sie haben gerade beschrieben: Der Soldat, der in Deutschland aus-gebildet wird nach dem Prinzip der Inneren Führung, ist gut geeignet für den Einsatz in fremden Regionen, fremden Kulturen. Ist das ein Punkt, wo Sie sagen, auch um dieses zu erhalten brauchen wir die Wehrpflicht. Oder ist es nicht eher anders herum, dass man sagen muss, für solche Einsätze brauchen wir eher den Berufssoldaten, brauchen eine höhere Professionalität. Widerstreiten da nicht zwei Ideologien - sage ich mal, Wehrpflicht und Professionalität?

    Schneiderhan: Also, ich glaube, wir brauchen die Wehrpflicht dazu. Nein, ich glaube es nicht, ich bin davon überzeugt, dass wir sie dazu brauchen. Und man muss sich davor hüten, Professionalität mit Berufsarmee durcheinander zu bringen. Wir haben eine sehr professionelle Streitmacht. Die Soldaten, die eingesetzt werden, sind sehr professionell. Das hängt nicht so sehr davon ab, welchen Status, welchen Rechtsstatus sie haben - also Wehrpflichtiger, freiwillig länger dienender Soldat, Zeitsoldat, Berufssoldat. Das sind ja nun Statusfragen. Ich glaube, die Wehrpflicht hilft uns ungeheuer dabei, weil die Vorgesetzten permanent herausgefordert sind. Sie müssen im Grunde alle neun Monate - wenn ich es mal so vereinfacht sage - auf dieselben Fragen antworten. Warum muss ich gehen? Ist es sinnvoll, was wir hier machen? Und das ist eine Herausforderung, die ist lebensnotwendig für ein attraktives modernes und aufgeschlossenes Führerkorps. Also insofern bin ich wirklich überzeugt davon, dass die Wehrpflicht da ein ganz wesentliches Element ist.

    Clement: Die Befürworter der Wehrpflicht geraten gelegentlich in die Defensive wegen Begriffen wie Wehrgerechtigkeit, Professionalität, dazu haben Sie schon etwas gesagt, und anderem. Sie haben den Auftrag, sich in dieser Legislaturperiode mit diesem Thema auseinander zusetzen. Bis zum Ende der Amtszeit dieses Bundestages soll eine Entscheidung fallen. Wie stellen Sie sich vor, dass Sie diese Diskussion führen?

    Schneiderhan: Also, zunächst einmal muss ich Sie da ein bisschen korrigieren, den Auftrag habe ich nicht. In den Koalitionsvereinbarungen steht drin, dass bis zum Ende dieser Legislaturperiode über die Wehrform zu befinden sei. Aber bisher ist an mich in der Richtung kein Auftrag gegangen.

    Clement: Aber Sie als Teil der Bundesregierung.....

    Schneiderhan: Ich wollte es nur klarstellen. Im Moment habe ich diesen Auftrag noch nicht. Im Moment habe ich ja den Auftrag, sozusagen die Planungsvorstellungen, die ich übernommen habe, mit den Realitäten des Haushalts zu versöhnen. Da gibt es eine Abweichung, die wir sozusagen bereinigen müssen. Das ist der Punkt. Aber um auch die andere Frage zurückzukommen. Ich beschäftige mich im Moment nicht mit der Frage Wehrpflicht. Das ist für mich gesetzt. Ich habe eine klare Aussage meines Ministers. Ich habe eine klare Aussage des Bundeskanzlers. Und insofern sind für mich neun Monate Wehrpflicht ein gesetztes Thema. Dass man deshalb trotzdem über die Inhalte der Wehrpflicht reden muss, das hängt auch mit den Fragen von vorher zusammen. Das ist unstrittig. Und das machen wir auch. Damit beschäftigen wir uns auch. Womit ich mich jetzt aus-einandersetze, ist die Frage: Wie können wir im Bereich der Betriebskosten uns so verhalten, dass wir mehr Investitionsfähigkeiten gewinnen innerhalb dessen, was wir sehen, was wir an Ausrüstung brauchen, an Modernisierung brauchen. Aber auch in der Frage: Wie müssen unsere Strukturen angesichts der veränderten Bedrohung sein? Wir sprachen eingangs davon. Das sind Dinge, die jetzt in Ruhe überlegt werden müssen, so dass man die Reform, die ja im Jahre 1999 eingeleitet wurde, im Jahre 2000 beschlossen wurde, folglich bestimmte Entwicklungen nicht reflektieren konnte - weder die Ereignisse in New York noch die nun beschlossene Erweiterung der NATO. All das konnte ja 2000 nicht reflektiert werden im Reformansatz. Das löst nun Überprüfungen, Modifikationen aus, die nicht radikal werden. Die Grundstatik dieser Reform ist richtig. Und es gibt noch einen dritten Punkt, den möchte ich schon erwähnen: Eine Modifikation ist auch deshalb notwendig, weil einfach die finanziellen Annahmen, die 2000 zugrundegelegt wurden, sich als nicht belastbar herausgestellt haben. Ich kann nun in das bekannte Horn blasen und über die Unterfinanzierung der Bundeswehr mich klagend äußern. Das will ich aber nicht tun. Ich will sagen, ich nehme zur Kenntnis, was die Bundesrepublik Deutschland der Bundeswehr zur Verfügung stellt. Und ich werde der politischen Führung sagen, was für eine Bundeswehr damit zu bekommen ist.

    Clement: Also doch designed to budget?

    Schneiderhan: Nein. Nicht designed to budget. Das ist mir zu streng. Ich glaube, es ist eine Kombination. Das eine - wie ich versucht habe zu sagen - sind die finanziellen Voraussetzungen. Die muss ich zur Kenntnis nehmen. Und das andere sind die Veränderungen, die in den letzten Jahren tatsächlich eingetreten sind. Und aus dem gemeinsam muss man die richtige Struktur, die richtige Aufgabengestaltung der Streitkräfte entwickeln. Das ist ein schwieriger Prozess. Das ist auch innerhalb der Streitkräfte ein schwieriger Prozess, weil man von einem oder anderem, an das man sich gewöhnt hat und das man lieb gewonnen hat fast 50 Jahre lang, sich unter Umständen auch verabschieden muss.

    Clement: Kann es sein, dass General Schneiderhan nach außen sagt: Ich klage nicht, aber nach innen schon deutlich macht: Also eigentlich bräuchten wir mehr?

    Schneiderhan: Also, ich glaube, dass muss ich nicht deutlich machen, weil das eben klar ist auch im Inneren. Sie haben aber einen richtigen Punkt gemacht. Und ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür. Ich sehe meine Rolle nicht, hier öffentlich durch die Gegend zu gehen und zu lamentieren und einen Zustand zu beschreiben, den eh alle kennen. Ich muss mit dem Faktum umgehen. Ich will aber schon sagen, dass all das, was ich jetzt versuche, mit der militärischen Führung hier zu verbessern, das stößt an Grenzen. Wir haben einen festgeschriebenen Haushalt in der Finanzplanung bis zum Jahre 2006. Ein festgeschriebener Haushalt ist ja ein Haushalt, der vor allem im Personalbereich eine sinkende Tendenz hat, weil all das über Lohnsteigerungen, Gehaltssteigerungen - das muss ich ja auffangen. Also habe ich de facto ja einen Haushalt, der über die Jahre hinweg geringer wird, weil er weder Inflationsraten noch Gehaltssteigerungen so abfängt, wie sie dann auf uns zukommen. Nur mit dem, was ich mir jetzt vorstelle an Betriebskostensenkung ist das Problem nicht zu lösen. Irgendwann muss der Verteidigungshaushalt angereichert werden. Ich kann jetzt mit bis 2006 damit umgehen, aber ich denke, danach ist das Thema da, dass wir da einen Nachschlag brauchen.