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Schnelle Aufklärung der Schiedsrichteraffäre

Doris Simon: Nun ist es offiziell. Im deutschen Fußball ist betrogen worden. Der 25jährige Schiedsrichter Robert Hoyzer gab gestern zu, dass er Spiele verschoben hat, viel Geld dafür bekommen hat, Partien so zu pfeifen, dass am Ende das Ergebnis heraus kam, auf das er und andere vorher Wetten abgeschlossen haben. Da wird wohl noch einiges nachkommen, denn Hoyzer erklärte, dass noch weitere Personen aus der Fußball-Branche in die Affäre verstrickt seien. Die ganze Sache werde ein "sehr, sehr immenses Ausmaß für den Fußball haben". Hoyzer hat sich inzwischen der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge angeboten. - Am Telefon ist nun Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußballbundes DFB. Guten Morgen!

Moderation: Doris Simon |
    Theo Zwanziger: Ja, hallo! Guten Morgen!

    Simon: Herr Zwanziger, was überwiegt denn bei Ihnen nach dem Geständnis von Robert Hoyzer: Erleichterung, dass Sie jetzt die ganze Sache angehen können, oder Entsetzen, dass so etwas im deutschen Fußball möglich ist?

    Zwanziger: Also das sind ganz zwiespältige Gefühle - ich muss das ganz offen sagen -, die mich die letzten Wochen verfolgt haben: auf der einen Seite eine schwere Betroffenheit, dass wir jetzt wissen, dass im deutschen Fußball manipuliert worden ist, auf der anderen Seite - das sage ich ganz offen - aber auch etwas Erleichterung. Wir kennen jetzt die Wahrheit. Wir kennen noch nicht den ganzen Umfang, aber wir kennen die Wahrheit und mit der Wahrheit lässt sich immer leichter umgehen als mit Spekulationen.

    Simon: Herr Zwanziger, womit rechnen Sie, wenn Herr Hoyzer auspackt?

    Zwanziger: Ich kann das nicht sagen. An diesen Spekulationen werde ich mich jetzt nicht beteiligen. Ich hoffe und wünsche mir nur, dass dieser junge Mann, der ja offenbar in ein kriminelles Umfeld geraten ist, jetzt die Wahrheit sagt. Wir brauchen nichts anderes als die Wahrheit. Es macht keinen Sinn, andere Schiedsrichter zu Unrecht zu belasten und mit hineinzuziehen. Es macht aber auch keinen Sinn, andere zu decken. Ich wünsche mir von ihm - und ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich die Verhaltensweise seines Anwaltes sehr, sehr anerkenne -, ich wünsche mir von diesem jungen Mann jetzt die Wahrheit. Das ist auch für ihn die beste Lebensperspektive.

    Simon: Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, Wilfried Straub, hat ja gestern Abend durchblicken lassen, dass es bei diesem Skandal wohl nicht nur um Schiedsrichter und Spieler gehen könnte, sondern möglicherweise auch um Funktionäre. Was wissen Sie dazu?

    Zwanziger: Überhaupt nichts! Ich kann mir gar nicht erklären, wo das her kommen soll. Ich warte da auch jetzt die Ereignisse ab. Ich sage das ganz offen. Es macht gar keinen Sinn, jetzt weitere Spekulationen zu erheben, andere Menschen zu verdächtigen, vielleicht auch zu Unrecht zu verdächtigen. Wir wollen wissen was ist und ich denke, dass wir das jetzt sehr schnell erfahren. Ich bin deshalb auch froh, dass unser Gang in die Öffentlichkeit am letzten Wochenende, der auch kein leichter Schritt für uns gewesen ist - das haben Sie ja den Pressemeldungen dann am Sonntag, Montag, Dienstag ja auch sehr schnell entnehmen können -, richtig war. Wir haben auf diese Art und Weise erreicht, dass die Wahrheit jetzt schnell auf den Tisch kommt.

    Simon: Sie sagen es war kein leichter Gang, aber die Wahrheit kam schnell auf den Tisch. Vorher hat es aber doch viele Monate Vorlauf gebraucht, bevor etwas passierte. Warum hat der DFB erst so spät reagiert?

    Zwanziger: Ich muss zunächst einmal klarstellen: das ist so nicht richtig. Da wird ein Vorgang aus dem August genannt, eine Mitteilung von Odset an den Kontrollausschuss, wo lediglich ein hoher Wetteinsatz auf ein Spiel bestätigt wurde. Ich muss ganz offen sagen: von diesem Vorgang haben weder Herr Mayer-Vorfelder, der damalige Präsident, noch ich gewusst. Er ist ausschließlich im Kontrollausschuss behandelt worden und die Juristen haben nach meiner Ansicht zu Recht ermittelt. Sie haben versucht, mit Odset und der Kripo in Berlin weitere Anhaltspunkte für eine Manipulation zu finden. Die ist nicht gefunden worden. Erst am letzten Freitag durch die Vernehmungen haben wir im Grunde die Verbindung zwischen Wetteinsatz, Schiedsrichterleistung und Wetteinsatz und Schiedsrichter selbst herstellen können. Das muss man mal so sehen. Ich weiß nicht, was die Öffentlichkeit gesagt hätte, wenn aufgrund dieser Meldung im August dann anschließend ein Schiedsrichter beschuldigt worden wäre.

    Simon: Kritiker merken jetzt an, dass aufgrund der eigenen Ermittlungen des DFB die Beschuldigten möglicherweise jede Menge Zeit und Gelegenheit hatten, sie beschuldigendes Material bei Seite zu schaffen. Würden Sie im Rückblick sagen es sei besser gewesen, die Ermittlungen gleich an die Staatsanwaltschaft zu geben?

    Zwanziger: Das ist ja geschehen. Es gibt ja nur einen einzigen Vorgang aus dem letzten Jahr, der überhaupt einen Ermittlungsgang rechtfertigen konnte, und das ist geschehen. Das ist ja durch die Kripo in Berlin auch geprüft worden. Wenn die staatlichen Organe bei dem doch offensichtlich jetzt hier vorliegenden Verdacht auf kriminelle Handlungen nicht in der Lage sind, mit ihren Möglichkeiten den Tatverdacht zu erhärten, dann können Sie doch nicht von einer Sportgerichtsbarkeit erwarten, dass sie aufgrund eines solchen Hinweises im Grunde genommen ihre eigenen Ermittlungen stärker ausprägen kann als die staatlichen Organe. Das ist kriminell, was dort geschieht, und davon wird nicht allein der Fußball betroffen sein, so wie ich das im Moment einschätze. Wir sind hier einfach darauf angewiesen, dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden uns helfen und diese Vorgänge auch dort umfassend aufklären.

    Simon: Herr Zwanziger, inzwischen betrachtet man auch das Spiel 1. FC Köln gegen Rot-Weiß Essen im letzten Jahr mit etwas anderen Augen. Jetzt, vor drei Tagen, hat der Schiedsrichter Felix Zwayer erklärt, dass er vor dem Spiel unter Druck gesetzt wurde und Einfluss auf das Spielergebnis ausüben sollte. Können Sie sich eigentlich erklären, warum der Mann das erst jetzt sagt?

    Zwanziger: Gut, ich habe mit diesen Schiedsrichtern allen persönlich nicht gesprochen. Das ist Aufgabe unseres Kontrollausschusses. Von daher möchte ich das auch nicht bewerten. Ich weiß nicht, in welcher Situation junge Menschen sind, die plötzlich von einem Kollegen, mit dem sie ja kameradschaftlich verbunden sind, mit dem sie als Schiedsrichter zusammen sind, mit dem sie sich austauschen über die Spiele, die man pfeift, erfahren, dass dort plötzlich Anhaltspunkte zu Tage treten, der könnte gefährdet sein und könnte möglicherweise die Unparteilichkeit seines Tuns aufgeben. Das ist natürlich ein Prozess, der dort stattfindet. Vielleicht nimmt man es zunächst gar nicht so ernst, wenn da der eine oder andere Hinweis mal kommt. Man glaubt der macht Spaß oder der macht nur ein bisschen Blödsinn. Der will sich nur ein bisschen wichtig machen. Irgendwann verdichtet sich das natürlich und ich bin sehr, sehr froh, dass die Berliner Schiedsrichter dann letztlich doch in der letzten Woche sich offenbart haben. Das sind Entwicklungen wissen Sie, die gehen schon mal so über ein paar Wochen und man macht sich darüber Gedanken. Das sind junge Menschen, die hier in einem ganz wichtigen Leistungsbereich eingebunden sind und dies halt nicht anders glaubten, entscheiden zu können. Ich will darüber keinen Stab brechen.

    Simon: Wobei als Schiedsrichter weiß man doch, als Schiedsrichter muss man unparteiisch sein. Das müssen auch junge Menschen in diesem Beruf wissen. Sie sind ja ausgewählt, das zu machen.

    Zwanziger: Ja, das ist richtig. Es gibt aber auch Richter, die unparteiisch sein müssen, und es gibt unter den Richtern dann auch mal schwarze Schafe. Es gibt in unserem Leben halt immer nur Menschen und Menschen sind fehlbar. Es gibt keinen Beruf, auch nicht im Schiedsrichterwesen, auch nicht im Sport, auch nicht in der Justiz, auch nicht in der Verwaltung, auch nicht bei der Polizei, auch nicht bei Journalisten, wo sie von vornherein davon ausgehen können, das ist eine heile Welt. Es gibt keine heile Welt. Wir haben eine Welt so wie sie ist, mit Stärken, mit Fehlern und mit Schwächen.

    Simon: Es gibt ja inzwischen in Folge dieser Anschuldigung gegen Robert Hoyzer auch eine Reihe Anschuldigungen gegen andere Schiedsrichter. Jeder sieht jetzt in irgendeinem Spiel etwas. Ein Beispiel sind etwa die Vorwürfe gegen Dominik Marks, der auch aus dem Berliner Verband kommt. Wie sicher sind Sie, dass solche Vorwürfe, wie sicher können Sie sein, dass solche Vorwürfe etwa bei der Partie Bielefeld gegen Herta Amateure nicht zutreffen?

    Zwanziger: Sicherheit kann ich am heutigen Tage überhaupt nicht mehr haben. Wenn Sie mich vor zehn Tagen gefragt hätten, ob ich sicher bin, dass im deutschen Fußball nicht manipuliert wird, dann hätte ich gesagt, ich bin sicher. Das kann ich jetzt nicht mehr sein. Das ist völlig klar. Es hat gestern viele Vernehmungen in Frankfurt gegeben. Unser Kontrollausschuss ist wirklich hart an der Arbeit, versucht jeder Spur nachzugehen. Wir müssen natürlich jetzt ganz entscheidend abwarten auf das, was Herr Hoyzer sagt. Das was er sagt wird natürlich unverzüglich und schnell überprüft werden. Dann denke ich sind wir sicher!

    Simon: Wie gehen Sie denn derweil mit den beschuldigten Schiedsrichtern um, gegen die nichts vorliegt? Dürfen die weiter pfeifen?

    Zwanziger: Ja aber selbstverständlich! Wir dürfen doch jetzt nicht anfangen, aus diesem einen Fall, selbst wenn er noch Weiterungen haben sollte, kollektiv ein Schiedsrichterwesen in Deutschland, das aus großartigen Persönlichkeiten besteht, die seit die Bundesliga existiert auf den Plätzen untadelige Leistungen gebracht haben, nun alle zu verunglimpfen. Ich bin absolut sicher: am kommenden Wochenende steht kein einziger Schiedsrichter auf dem Platz, der auch nur im Ansatz daran denken würde, eine Manipulation vorzunehmen. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Fans aus diesem einen schwarzen Schaf jetzt nicht eine Kollektivverurteilung für alle unsere guten Schiedsrichter machen.

    Simon: Die bewussten Fehlentscheidungen von Robert Hoyzer haben Vereine um Punkte gebracht. Den HSV zum Beispiel hat Hoyzer aus dem Pokal befördert. Da ist viel Geld, viel Ansehen verloren gegangen und zum Beispiel hat in der Folge auch Trainer Toppmöller seinen Job beim HSV verloren. Was können die Hoyzer-Geschädigten vom DFB erwarten?

    Zwanziger: Ja gut, das wird jetzt, wenn der Gesamtvorgang auf dem Tisch liegen wird, einige Fragen geben. Wir haben ja im Präsidium darüber schon mal gesprochen. Allerdings sind das dann Entscheidungen; die muss unser Sportgericht treffen. Sie müssen sehen: der DFB hat dort auch unabhängige Organe, die zuständig sind. Das macht nicht der Präsident oder das Präsidium, sondern das macht das Sportgericht. Tendenz, wenn ich das so sagen darf, ist, dass Wiederholungsspiele - das ist ja die erste Frage, die man stellen muss - im DFB-Pokal, wenn die Runde fortgeschritten ist, wohl nicht möglich sein werden. Ganz einfach deshalb nicht, weil man aus einem schlimmen Unrecht nicht ein weiteres Unrecht machen darf, denn es haben sich natürlich viele Vereine völlig korrekt durch ihre sportliche Leistung für die nächsten Runden qualifiziert. Das wird kaum möglich sein.
    Es wird auch kaum möglich sein, die letzte Saison noch einmal aufzurollen. Das würde ebenfalls nur neue Ungerechtigkeiten hervorrufen. Das können wir nicht.
    Die laufende Saison sehe ich unter einem anderen Blickwinkel. Hier halte ich es für möglich, dass das Sportgericht einen größeren Ermessensspielraum hat und unter Umständen Spiele, die manipuliert sind, neu ansetzt. Das ist denkbar.
    Finanzielle Forderungen? Nun die werden in solchen Situationen immer erhoben. Da muss ich sagen der DFB wird das natürlich sehr sorgfältig prüfen. Mir ist auch sehr, sehr wichtig, mit den betroffenen Vereinen ins Gespräch zu kommen. Andererseits müssen Sie sehen: diese Forderungen müssen natürlich auch auf einer zivilrechtlichen Grundlage stehen. Es gibt keinen Arbeitgeber, der für vorsätzliches kriminelles Handeln eines seiner Angestellten haftet. Das muss man sehen. Von daher will ich trotzdem anbieten: wir werden mit den Vereinen sprechen. Das gehört sich so. Wir sind eine Sportgemeinschaft. Dann müssen wir sehen, ob wir zu verträglichen Lösungen kommen können.

    Simon: Herr Zwanziger, die Frage, die sich alle stellen: Wie wollen Sie jetzt 500 Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft in Deutschland verhindern, dass sich Fans und Sponsoren abgestoßen zurückziehen?

    Zwanziger: Ja, durch schnelle Wahrheitsfindung, schnelle Aufklärung und konsequentes Handeln. Anders geht es nicht.

    Simon: Und Sie gehen davon aus, dass das auch angenommen wird?

    Zwanziger: Ich wünsche mir das, weil der Fußball ist nun einmal etwas, das uns alle ja über Jahrzehnte schon bewegt hat: die Älteren schon länger, die Jüngeren erst jetzt. Ich denke es gehört ja bei vielen auch zum Lebensinhalt. Wir müssen einfach erkennen, dass der Fußball keine heile Welt ist, wie auch alles andere. Das habe ich immer gewusst. Nun sind wir schwer getroffen worden und ich hoffe, dass diese Fußballgemeinschaft mit ihren sechs Millionen Mitgliedern gleichwohl zusammen steht und sagt das ist schlimm, da müssen wir raus und wir müssen die Konsequenzen daraus ziehen. Dann werden wir auch wieder neues Vertrauen aufbauen.

    Simon: Haben Sie Angst morgen vor dem ersten Spieltag nach dem Fall Hoyzer?

    Zwanziger: Ich habe Angst ein Stück um unsere Schiedsrichter, dass sie dort verunglimpft werden könnten, obwohl sie es nicht verdient haben. Ich war gestern aber anderthalb Stunden mit ihnen zusammen und habe in Frankfurt gesehen, das sind großartige junge Sportler. Ich bin absolut sicher, dass sie souverän morgen diese Spiele leiten werden. Vielleicht ist das schon ein erstes Stück Vertrauensbeweis, dass es wieder aufwärts gehen kann. Ich wünsche mir schlicht und einfach, dass der Maßstab Fairplay, den wir ja immer versuchen, ein bisschen hoch zu halten, auch von unseren Fans gegenüber diesen Schiedsrichtern morgen erbracht wird.