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Schnörkelloses Dokuwanderdrama

"Luther 2009 – Eine szenische Collage" ist eine Auftragsarbeit der Evangelisch-lutherischen Landeskirche, die zum 500. Jubiläum des Thesenanschlages im Jahr 2017 hinführt. Uraufführung war gestern in Hannover.

Von Hartmut Krug |
    Ein Mann und eine Überzeugung: "Hier stehe ich und kann nicht anders". Das ist das Bild, das die evangelisch-lutherische Kirche von Luther als Vorbild pflegt. Ein Bild, das immer wieder aufs Neue weniger überprüft als beschworen wird. Und so steht er jetzt in der Markuskirche von Hannover, ganz in Schwarz, die Arme eng um den Oberkörper geschlungen, als müsse er sich an sich selbst festhalten: Martin Luther wird von einem päpstlichen Legaten im Oktober 1518 in Augsburg wegen seiner Thesen verhört.

    Kollegial, fast jovial gibt sich der aus Rom angereiste Kardinal. Auf Luthers Vorwürfe gegen den Ablasshandel reagiert er mit stereotypem, scheinbar verständnisvollem "das wissen wir doch". Dennoch bleibt er hart: Luther soll widerrufen. Aber der junge Mann beharrt auf seiner Überzeugung, dass nur die Schrift die Wahrheit sage, und nur aus dieser die Kirche ihr Verhalten begründen könne.

    Der Luther des Stückes "Luther 2009" steht dabei vor dem Altar der Markuskirche. Schön ist sie nicht, die massige Kirche, mit deren Bau 1901 begonnen wurde. Doch das eher enge, fast runde Kirchenschiff ist kein schlechter Raum für ein nüchternes Theaterspiel. Wenn Luther vor seinem Auftritt auf dem Reichstag zu Worms Gott um Kraft anfleht, kniet er vor Kruzifix und Altar nieder, und später erklimmt er auch die Kanzel. Mit Google zoomt sich die Inszenierung auf einer Projektionswand zu den jeweiligen Handlungsorten, und Chorgesänge hallen vom Band, während eine Flötistin musikalisch einfallsreich die Szenenübergänge der knapp zweistündigen Aufführung überbrückt.

    Regisseur und Autor Peter Ries hat Erfahrung mit der Theatralisierung von Luthers Leben. Bereits in den 90er-Jahren hat er in Lutherstadt Wittenberg Stücke von Harald Mueller und Thomas Oberender über Luther und dessen aktuelle Bedeutung inszeniert. Wo in Wittenberg durch ein Kostümspiel an historischen Orten und ein theatralisches Wandern durch die Stadt der Schauwert bedient werden konnte, wird in der Markuskirche in Hannover die szenische Collage um Luther zu einem reinen Thesen- und Denkspiel. Größeren Schauwert bietet dieses Stehtheater ohne viel körperliche und gedankliche Bewegung nicht. Zwar wird Luther auch als ein Mann mit Widersprüchen gezeigt, aber vor allem wird er als aktuelles Vorbild vorgeführt: weil er auch ein politischer Mensch war, der an seinen Überzeugungen fest hielt. In dieser Inszenierung ist alles von der ersten Szene an völlig eindeutig. So werden, bevor Luther sich vor dem Legaten verteidigt, der Kämmerer und der Architekt des Papstes in Rom gezeigt, wie sie mit Michelangelo über den Bau des Petersdoms verhandeln: Das Geld aus dem deutschen Ablasshandel wird für Pracht und Macht einer geistigen Weltmacht gebraucht. Rom rechnet und Luther sucht nach dem wahren Glauben, ein Mann gegen eine Institution, und die Kardinäle sind zynisch: Auch wenn Menschen recht hatten, mussten sie leider brennen, - für die Macht der Kirche.

    Die Diskussionen zwischen Luther und Melanchthon wie die zwischen Kardinälen im Vatikan über die politische Wetterlage sind mehr Text-Verlautbarungen als sinnliches Theaterspiel, da helfen auch die einfachen Licht- und Toneffekte wenig. Intime Situationen sind in diesem Theaterraum nicht möglich, nur ein Vorführtheater der klaren Stellungen. Trotz allem: Die acht Schauspieler vom "Theater für Niedersachsen" und die Schauspielstudenten aus Hannover fesseln ihr Publikum durchaus, da mögen die engen Stühle noch so unbequem sein. Und Regisseur Peter Ries versucht, dieses Vortragstheater durch spielerische Effekte zu versinnlichen. Da erfolgen Auftritte aus dem Mittelgang und es wird von der Empore herab gesungen, und bei einem katholischen Stammtisch werden vor dem Altar nicht nur alle Vorurteile gegen Luther aufgetischt, sondern auch die Bierhumpen gehoben, - Auerbachs Keller ist nicht weit. Schön auch die Hochzeitszene zwischen Katharina von Bora und Luther, bei dem der Fuchs und der kleine Prinz aus Antoine de Saint-Exupérys Märchen das "Bitte zähme mich" als Puppenspiel aufführen.

    Bitter dann der Schluss: Der Kanzler des sächsischen Kurfürsten fertigt eine selbstbewusste Katharina von Bora nach Luthers Tod ab; entgegen dessen Testamentsbestimmungen wird sie der Verfügungsgewalt über Haus und Kinder entbunden und unter Vormundschaft gestellt. Wenn sich zum Schluss die Kardinäle überlegen, Luthers Nachwirkung bei den Menschen durch eine Heiligsprechung zu konterkarieren, ist alles gesagt über das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Individuum. Wer an der Figur Luthers interessiert ist, wird zwar von diesem Lehrstück nichts Neues erfahren, doch als schnörkelloses Doku-Drama überzeugt "Luther 2009" durchaus.