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Schockenhoff gegen Kurswechsel in der Afghanistan-Politik

Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff hält es für nicht angebracht, das Konzept des Afghanistan-Einsatzes wegen des Anschlags vom Wochenende in Frage zu stellen. Auch das optionale Mandat für eine Beteiligung an der US-geführten Operation Enduring Freedom müsse beibehalten werden.

    Heckmann: Die Reise von Außenminister Steinmeier nach Afghanistan, sie ist keine spontane Reaktion auf den tödlichen Anschlag vom vergangenen Wochenende gewesen. Sie war ohnehin geplant. Allerdings änderte Steinmeier seine Reiserute und besuchte als erstes die deutschen Soldaten in Kundus, dort wo drei Angehörige der Bundeswehr und fünf afghanische Zivilisten zu Tode kamen. Anschließend reiste er nach Kabul weiter.

    Während in Deutschland darüber diskutiert wird, ob nicht der gesamte Ansatz der Afghanistan-Mission überdacht werden müsse - Teile der SPD fordern ein Ende der US-geführten Anti-Terror-Mission enduring Freedom in Südostafghanistan -, setzt man im Weißen Haus in Washington andere Akzente. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop-Scheffer hielt sich gestern zu Gesprächen in der amerikanischen Hauptstadt auf. US-Präsident Bush forderte bei dieser Gelegenheit von den NATO-Partnern verstärkte Anstrengungen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Andreas Schockenhoff, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsbundestagsfraktion und dort zuständig für die Außenpolitik. Guten Tag Herr Schockenhoff!

    Schockenhoff: Guten Tag!

    Heckmann: Herr Schockenhoff, Niels Annen, der außenpolitische Experte der SPD-Fraktion, fordert, die Unterstützung für die amerikanische Anti-Terror-Mission einzustellen. US-Präsident Bush auf der anderen Seite fordert vermehrte Anstrengungen der NATO-Partner auch im Anti-Terror-Kampf. Wie hält es die Union?

    Schockenhoff: Ich glaube, dass der zivile Aufbau, Afghanistan zu einem eigenständigen, handlungsfähigen Staat zu machen, der ein zuverlässiger Partner der internationalen Gemeinschaft ist, die eine Seite ist und auf der anderen Seite der Kampf gegen den Terror die Voraussetzung für den zivilen Aufbau ist. Nur der Kampf gegen den Terror, ohne langfristig eine eigenständige Staatlichkeit zurückzugewinnen, wäre falsch. Auf der anderen Seite können wir den Aufbau, die Entwicklungshilfe in Afghanistan nur in einem sicheren Umfeld machen. Deswegen brauchen wir beides!

    Heckmann: Das heißt es soll alles bleiben wie es ist: Augen zu und durch.

    Schockenhoff: Nicht Augen zu und durch. Wir müssen natürlich immer angesichts der gegebenen Situation überprüfen, ob wir angemessen reagieren. Aber ich glaube, dass auch die unterschiedliche Führung sich bewährt hat. Wir haben die ISAF-Mission unter NATO-Führung und wir haben Enduring Freedom, den Kampf gegen den Terror, unter amerikanischer Führung. Ich glaube, dass es falsch wäre, auch den zivilen Aufbau ausschließlich unter ein amerikanisches Oberkommando zu stellen. Auf der anderen Seite würde es die NATO überfordern, wenn wir alle Aufgaben, die die Amerikaner dort machen, in die NATO und damit auch in die Verantwortung der europäischen Partner stellen würden.

    Heckmann: Aber die Argumentation der Kritiker, Herr Schockenhoff, wenn ich da einhaken darf, lautet ja, dass die amerikanisch geführte Operation Enduring Freedom eben die Wiederaufbauarbeit der ISAF-Schutztruppen behindert?

    Schockenhoff: Ich glaube wir haben bei dem letzten NATO-Gipfel in Riga sehr viel Zuspruch gehabt für die Konzeption, die die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland hat, nämlich zivil-militärische Zusammenarbeit, die übrigens ein Konzept ist, das nicht wir erfunden haben, sondern das die Amerikaner erfunden haben. Aber wir müssen uns natürlich immer über die Angemessenheit unseres Einsatzes vergewissern und damit uns auch geänderten Situationen anpassen. Das ist richtig. Das ist aber kein Argument dagegen, grundsätzlich den Ansatz beides, Sicherheit und Aufbau, in Frage zu stellen.

    Heckmann: Höre ich da Kritik heraus an der Art und Weise, wie im Süden und Südosten Afghanistans eben der Krieg gegen die Taliban geführt wird?

    Schockenhoff: Man muss zunächst einmal sagen, dass es objektiv andere Bedingungen gibt. Im Süden sind die Paschtunen als ethnische Mehrheit. Die Paschtunen sind eigentlich das Reservoire der Taliban, die im Süden und Osten Afghanistans und in Pakistan leben. Wir haben im Norden eine andere ethnische Zusammensetzung, haben dort andere Gegebenheiten. Es ist nicht nur die Art des Auftretens der westlichen Alliierten, die zu den unterschiedlichen Sicherheitssituationen führt, aber wir müssen trotzdem insgesamt darüber reden, ob wir in angemessener Art und Weise den zivilen Aufbau und den Kampf gegen den Terror miteinander verbinden.

    Heckmann: Noch einmal, Herr Schockenhoff. Es gibt keinen Anlass, an der Art und Weise der Kriegsführung im Südosten Afghanistans Kritik zu üben, wie das Verteidigungsminister Jung bereits schon getan hat?

    Schockenhoff: Es gibt Anlass, nicht den Kampf gegen die Taliban zu kritisieren. Es gibt allenfalls Anlass einzufordern, dass in gleichem Umfang eben auch in den Südosten und in den Osten die Aufbauhilfe gebracht wird. Dazu brauchen wir ein sicheres Umfeld. Dann sind wir wieder am selben Punkt. Wir müssen Sicherheit schaffen, aber Sicherheit alleine löst die Probleme nicht. Wir müssen dann auch für die Menschen erkennbar ihre Lebensbedingungen verbessern, Infrastruktur schaffen, ihnen eine Zukunftsperspektive geben.

    Heckmann: Und die Lage wird sicherer mit den Truppen der Operation Enduring Freedom?

    Schockenhoff: Die ist Voraussetzung, weil ohne die Fähigkeiten, die wir bei Enduring Freedom haben, können wir in manche Teile Afghanistans überhaupt nicht Entwicklungshelfer, Aufbauteams schicken, ohne deren Leib und Leben zu gefährden.

    Heckmann: Herr Schockenhoff, ich habe es gerade eben schon angesprochen: US-Präsident Bush hat die NATO-Partner zu verstärkten Anstrengungen aufgerufen. Wie könnten die aussehen auf deutscher Seite?

    Schockenhoff: Ich glaube, dass wir auf deutscher Seite betonen müssen, dass wir eben die Gleichgewichtigkeit von zivilem Aufbau und militärischer Sicherheit weiter betonen. Das birgt große Risiken. Manche in Deutschland fragen sich auch, ob es zu verantworten ist, deutsche Soldaten als Patrouillen zu Fuß auf einen Markt zu schicken, wo Selbstmordattentäter als potenzielle Gefahr lauern.

    Andererseits können wir ohne ein Mindestmaß an Kontakten zur Bevölkerung kein Vertrauen schaffen und damit keinen zivilen Aufbau leisten. Ich glaube, dass wir deshalb ohne ein gewisses Risiko für die Soldaten, aber auch für die zivilen Helfer, die dort sind, langfristig Afghanistan nicht zu einem sicheren Platz machen können und deshalb auch langfristig nicht sicherstellen können, dass von dort nicht wieder durch terroristische Gruppen eine Gefahr auch für uns und für die ganze Welt ausgeht.

    Heckmann: Das ist alles nachvollziehbar, Herr Schockenhoff. Meine Frage lautete allerdings: wie könnten die verstärkten Anstrengungen auf deutscher Seite aussehen?

    Schockenhoff: Ich weiß, Sie wollen mich locken. Ich sage aber, wir müssen beides, nämlich den zivilen Aufbau und die militärische Sicherheit gewährleisten. Wir haben etwa die Antwort gegeben damit, dass wir die Tornados dorthin entsandt haben. Mehr Informationen, mehr Aufklärung bedeutet mehr Sicherheit und deswegen mehr Garantie für den Erfolg der gesamten Mission. Wir haben ja im Verlauf der Mission reagiert auf sich verändernde Rahmenbedingungen.

    Heckmann: Das heißt das Soll der Deutschen ist erfüllt aus Ihrer Sicht?

    Schockenhoff: Das Soll der Deutschen ist noch lange nicht erfüllt, aber das Konzept, das wir haben, hat doch Erfolge gezeitigt und wir dürfen es jetzt durch die schlimmen Zwischenfälle vom vergangenen Wochenende nicht insgesamt in Frage stellen lassen.

    Heckmann: Herr Schockenhoff, auch deutsche Elitesoldaten nehmen offenbar teil an der Operation Enduring Freedom im Südosten Afghanistans. Kann das so weiterlaufen? Teile der SPD haben sich dagegen ausgesprochen.

    Schockenhoff: Es sind keine deutschen Soldaten dort ständig stationiert, aber wir haben ein Mandat, dass sie in ganz besonderen Krisensituationen zur Verstärkung dort hingesandt werden können. Das müssen wir aus Bündnissolidarität und um des Gesamtauftrages in Afghanistan willen auch weiter so beibehalten.

    Heckmann: Andreas Schockenhoff war das, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion. Herr Schockenhoff, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Schockenhoff: Bitte schön!