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Schockenhoff: Russland muss sich öffnen

Ungeachtet der Unregelmäßigkeiten bei der Duma-Wahl gibt es zur demokratischen Entwicklung Russlands aus Sicht des CDU-Politikers Andreas Schockenhoff keine Alternative. "Ein Russland, das sich nach innen zurückzieht und nach außen abschottet, kann kein moderner wettbewerbsfähiger Staat werden", sagte der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Russland brauche eine offene Gesellschaft.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: 107 Millionen Russen konnten gestern ein neues Parlament wählen. Und die Wahl ging aus, wie es erwartet wurde. ( MP3-Audio , Beitrag von Robert Baag)

    Am Telefon ist nun Andreas Schockenhoff, stellvertretender Fraktionschef der CDU im Bundestag, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis?

    Schockenhoff: Wie wir gerade gehört haben, hat es gestern vielleicht nur geringfügige Unregelmäßigkeiten gegeben, aber insgesamt muss man sagen: Die Wahlen waren weder frei noch fair. Es hat im Vorfeld der Wahlen wesentliche Behinderungen für die Oppositionsparteien gegeben schon beim Registrierungsverfahren durch die ungewöhnlich hohe Sieben-Prozent-Hürde, aber auch im Wahlvorgang selber. Es wurden in manchen russischen Betrieben Mitarbeiter geschlossen zu den Urnen geführt und haben ihren Lohn erst ausgezahlt bekommen, nachdem sie für "Einheitliches Russland" gestimmt haben. Es wurden in den letzten Tagen Werbespots von Oppositionsparteien, die im Fernsehen ohnehin krass benachteiligt waren, einfach abgeschaltet. All das hat nicht den Umständen einer freien und fairen Wahl entsprochen.

    Spengler: Würden Sie denn sagen, es war überhaupt noch eine Wahl, oder war es doch mehr ein Schauspiel?

    Schockenhoff: Es war sicher eine Wahl, aber eine gelenkte Wahl. Damit hat Jelzin sich eine angepasste Duma geschaffen. Er hat eine Duma, deren Mehrheit auf ihn zugeschnitten ist. Er hat einen angepassten Staatsapparat. Jetzt hat er noch mehr Verantwortung für die künftige Entwicklung in Russland.

    Spengler: Sie meinten Putin, nicht Jelzin?

    Schockenhoff: Ich meine Putin, Entschuldigung. Wir haben dadurch mehr Korruption, mehr Bürokratie. Das widerspricht genau der Wahlplattform, die "Einheitliches Russland" vorher verabschiedet hat.

    Spengler: Hat eine solch skeptische Einschätzung und Bewertung Folgen für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit?

    Schockenhoff: Ich glaube nicht. Wir müssen jetzt erst recht auf zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland setzen. Wir brauchen so viel wie möglich persönliche Kontakte zwischen den Menschen, damit die Beziehungen belastbarer werden. Wir müssen Nichtregierungsorganisationen stärken. Wir müssen vor allem in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht nur auf die großen Unternehmen setzen, sondern auch auf kleine und mittlere. Wir sind gegenseitig aufeinander angewiesen, Europa und Russland, nicht nur in Fragen der Energie, auch in Fragen der Umwelt, in Fragen der Terrorismusbekämpfung, bei der Lösung von Krisen in unserer gemeinsamen Nachbarschaft. Ich nenne nur die Beispiele Kosovo und Iran. Deshalb müssen wir Putin und die künftige russische Führung beim Wort nehmen. Sie haben sich den Werten des Europarates verpflichtet. Das müssen wir nun verstärkt auch einfordern.

    Spengler: Wird es eine Wahlgratulation seitens der Bundesregierung geben?

    Schockenhoff: Die Bundesregierung wird sich an die Gepflogenheiten halten und dem gewählten Parlament zu der Wahl gratulieren. Ich gehe aber davon aus, dass die Bundesregierung auch die kritischen Bemerkungen zu den Umständen dieser Wahl deutlich ansprechen wird.

    Spengler: Herr Schockenhoff, nun spricht ja vieles dafür, dass auch dann, wenn die Opposition ganz faire Bedingungen gehabt hätte, Putin und seine Partei in Russland die Mehrheit erobert hätten, einfach weil seine Politik offenbar doch von vielen Russen geteilt wird. Erhard Eppler, der alte Fahrensmann der SPD, hat neulich geschrieben: "Putin hat den Staatszerfall gestoppt, das Chaos gebändigt, ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung hergestellt und den wirtschaftlichen Aufbau möglich gemacht." Das war ein Zitat. Müssen wir, muss die Bundesregierung das nicht auch anerkennen?

    Schockenhoff: Zunächst stimmt auch, dass die Oppositionsparteien untereinander viel zu zerstritten sind, um ihre Möglichkeiten zu nutzen. Sie haben selbst auch keinen optimalen Auftritt gehabt in diesem Wahlkampf. Das ist richtig.

    Auf der anderen Seite stimmt es, dass in Russland die erste Phase der Demokratisierung unter Jelzin als eine Zeit der Wirren, als eine Zeit des Niedergangs, des Verlustes der äußeren Weltmachtrolle, aber auch des inneren Autoritätszerfalls des Staates erlebt wurde. Deswegen muss Demokratie in Russland erst einen guten Namen bekommen. Die Menschen müssen erst spüren, dass mehr Beteiligung, mehr Wettbewerb, mehr freie Medien das Land modernisieren und dem Land nicht schaden.

    Spengler: Die Bundeskanzlerin hat wiederholt die Behinderung der Opposition in Russland kritisiert. Sie haben das eben auch wiederholt. Nun hat Altkanzler Helmut Schmidt gesagt, unsere Regierung habe den Russen keine öffentlichen Ratschläge zu geben, was ihre inneren Angelegenheiten anginge. Schließlich würden wir selbst nicht gerade auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

    Schockenhoff: Wenn sich Partner als Wertepartner verstehen und nicht nur gemeinsame Interessen verfolgen, ...

    Spengler: Tun wir das denn schon mit Russland?

    Schockenhoff: Wir streben diese Wertepartnerschaft an. Sie muss in vielen Bereichen entwickelt werden. Aber so, wie die Bundeskanzlerin gegenüber dem amerikanischen Präsidenten die Missstände in Guantanamo angesprochen hat, weil wir uns gemeinsamen demokratischen und rechtstaatlichen Werten verpflichtet fühlen, ist es eine Frage der Partnerschaft, auch in Russland in angemessener Form, nicht belehrend, aber in angemessener Form darauf hinzuweisen, dass Russland sich mit einer Politik der Lenkung, der Anpassung selbst schadet und nicht öffnet als moderner wettbewerbsfähiger Staat.

    Spengler: Aber wem hilft eine solche Mahnung? Hilft das uns? Hilft das dem deutsch-russischen Verhältnis, oder hält uns das nur moralisch sauber?

    Schockenhoff: Nein. Es geht nicht um Moralisieren. Es geht darum, dass Russland selber die Herausforderung annimmt, im globalen Maßstab ein wettbewerbsfähiger moderner Staat zu werden. Dazu braucht es das Potenzial aller Bürger. Dazu braucht es eine breite Zivilgesellschaft, einen breiten Mittelstand. Dazu braucht es Wettbewerb, auch das Ringen um die besten politischen Lösungen. Dieses Russland als starker moderner Partner ist für Europa langfristig ein Partner, der für Stabilität und Sicherheit sorgt. Deshalb hilft es Russland zunächst selbst, aber es hilft uns auch, gemeinsam in der Welt für unsere Werte, aber auch für unsere Stabilität zu stehen.

    Spengler: Also Sie sind schon der Ansicht, dass die Ermahnungen Russland selbst helfen, dass es nicht im Gegenteil sich versperrt gegen diese Ermahnungen?

    Schockenhoff: Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Ein Russland, das sich nach innen zurückzieht und nach außen abschottet, kann kein moderner wettbewerbsfähiger Staat werden. Russland kann sich auf Dauer nicht nur auf Erdgas und Erdöl stützen, sondern Russland braucht eine wirtschaftliche Modernisierung. Es braucht eine offene Gesellschaft. Russland muss angesichts einer dramatischen Demografie auch die Zusammenarbeit mit dem Westen suchen. Deshalb ist dieses Russland, das sich öffnet, das sich im Wettbewerb weltweit auch stellen kann, ein starker Partner. Und diesen starken Partner wollen wir.

    Spengler: Es ist also nicht an der Zeit, dass die Bundesregierung ihre Kritik an Putin nun zügelt und wieder Zurückhaltung an den Tag legt?

    Schockenhoff: Diese Kritik ist kein Selbstzweck, und sie muss immer in einer Form geäußert werden, dass wir die Modernisierung Russlands befördern, und nicht, dass wir uns von außen hinstellen und einfach jemanden ausschließen. Ganz im Gegenteil! Eine Kritik, die Russland hilft, seinen Weg in die Demokratie, in eine moderne offene Gesellschaft zu finden, hilft Russland und hilft der europäisch-russischen Zusammenarbeit.

    Spengler: Stellt sich die Bundesregierung darauf ein, es auch in den kommenden Jahren mit Wladimir Putin zu tun zu haben?

    Schockenhoff: Wir müssen nach dieser Wahl davon ausgehen, dass Putin der starke Mann bleibt. In welcher Form wäre jetzt rein spekulativ. Aber Putin hat den Apparat in der Hand, hat die Partei "Einheitliches Russland" ganz klar auf sich zugeschnitten. Deswegen wird er der starke Mann bleiben.

    Spengler: Andreas Schockenhoff, stellvertretender Fraktionschef der CDU im Bundestag, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Schockenhoff.

    Schockenhoff: Bitteschön, Herr Spengler.