An vielen Orten in Deutschland fehlen Bewerberinnen und Bewerber für das Schöffenamt, insbesondere in Großstädten. Mehrere hundert Schöffen braucht es in einer Großstadt, und es ist gesetzlich festgeschrieben, dass doppelt so viele Menschen zur Wahl stehen müssen.
Wie viele Bewerbungen genau fehlen, dazu gibt es keine deutschlandweiten Zahlen. Die Verantwortung für die Besetzung liegt bei den Kommunen, der Druck ist hoch. Bewerber müssen fast keine Unterlagen einreichen und werden nahezu nicht kontrolliert. Rechtsextreme sehen darin eine Chance, gesellschaftlich einflussreiche Positionen zu besetzen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat Maßnahmen angekündigt.
Was machen Schöffen?
Schöffen sind als Laienrichter an Amts- und Landgerichten tätig und haben dort ganz schön viel Einfluss. Sie entscheiden in Strafprozessen mit über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten, sie haben dabei dieselben Stimmrechte wie Berufsrichter – und sie sind in der Mehrzahl. Ein Schöffengericht besteht jeweils aus einem Berufsrichter und zwei Laien. Gegen die Stimmen beider Schöffen kann somit kein Angeklagter verurteilt werden.
Nicht alle Strafverfahren landen vor Schöffengerichten. Zuständig sind diese beispielsweise, wenn die zu erwartende Strafe zwischen zwei und vier Jahren liegt. Auch im Jugendstrafrecht gibt es Verfahren mit Schöffen.
Wer kann sich als Schöffe bewerben?
Die formalen Voraussetzungen für das Amt sind gering: Bewerber müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt, deutsche Staatsangehörige und gesundheitlich ausreichend belastbar sein. Juristische Vorkenntnisse sind nicht nötig. Gegen Bewerber darf allerdings kein Strafverfahren laufen und man darf in der Vergangenheit nicht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sein.
Die Bewerbungsphase für die Amtszeit von 2024 bis 2028 läuft im Frühjahr 2023. Das genaue Ende der Bewerbungsfrist wird von den jeweiligen Kommunen festgelegt, oft ist es der 31. März.
Schöffen werden dann für fünf Jahre gewählt. Und wer sich bewirbt, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch genommen, denn es fehlt an Bewerbern. Ein Grund dafür: Schöffe ist ein vergleichsweise zeitintensives Ehrenamt: Jährlich werden Schöffen bei bis zu zwölf Prozessen eingesetzt, die oft aus mehreren Verhandlungstagen bestehen. Berufstätige müssen dafür vom Arbeitgeber freigestellt werden.
Bei Bewerbermangel gibt es das "Pflichtehrenamt"
Wenn sich nicht genug Bewerber finden, dann werden nach dem Zufallsprinzip Bürgerinnen und Bürger ausgewählt. Dagegen kann man sich nur mit guten Gründen wehren, beispielsweise wenn man Angehörige pflegen muss. Ansonsten heißt es: Pflichtehrenamt. Nach Angaben der Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen waren bei der vorigen Wahl 2018 etwa 20 Prozent der Kandidaten unfreiwillig verpflichtet.
Wie wollen Rechtsextreme das Schöffenamt nutzen?
Schöffen haben hohen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen – und nahezu jeder Bewerber wird genommen. Rechte Akteure nutzen diesen Zustand aus und motivieren ihre Anhänger, sich als Schöffen zu bewerben. Erst im Januar hat die rechtsextreme Regionalpartei Freie Sachsen in einem Telegram-Chat mit 150.000 Abonnenten dazu aufgerufen, an den derzeitigen Schöffenwahlen teilzunehmen. Auch der thüringische AfD-Politiker, Björn Höcke, hat seine Anhänger schon mehrmals zu diesem Schritt motiviert.
Der Leipziger Soziologe Johannes Kiess sieht das als Teil einer Gesamtstrategie. Es gehe um „Verankerung in der Gesellschaft“. Das könne über Schöffengerichte passieren, aber zum Beispiel auch über Elternbeiräte. Ziel sei allerdings daneben auch Aufmerksamkeit. Man solle die Aufrufe daher auch nicht überbewerten.
Rechtsextreme sind als Laienrichter bereits aufgefallen
Dass Rechtsextreme es ins Schöffenamt schaffen, zeigt ein Prozess gegen mutmaßliche Schleuser am Erfurter Landgericht. Der MDR hat über diesen Prozess berichtet und den Journalisten fiel dabei die Schöffin auf. Denn die kannten sie aus einem ganz anderen Kontext: Sie war im Milieu der radikalen Querdenker aktiv, hat Demonstrationen angemeldet, zu denen auch das Who-is-Who der rechten Szene eingeladen war: Björn Höcke (AfD), Lutz Bachmann von Pegida, Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin und Martin Kohlmann von der Partei Freie Sachsen. Die Schöffin selbst hat zudem an NPD-Treffen teilgenommen.
Und diese Frau war nun in der Position, das Strafmaß in einem Verfahren gegen Schleuser zu beeinflussen, also bei einem Delikt, das direkt mit Migration zusammenhängt. In diesem Fall ist das aufgefallen, jedoch eher zufällig. Der Prozess wurde dann so nicht fortgesetzt. Die Vereinigung der Ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands hat die Thüringer Justiz mit Blick auf diesen Fall zum Handeln aufgerufen und fordert die Amtsenthebung der Schöffin. Sie könnte sich hier einer "gröblichen Amtspflichtverletzung" schuldig gemacht haben.
Gibt es Maßnahmen gegen rechte Unterwanderung?
In Düsseldorf gibt es zwei Sachbearbeiter, die 2.200 Kandidaten prüfen müssen. Und in der kommunalen Verwaltung liegen zudem im Regelfall keine Daten vor, die auf einen extremistischen Hintergrund schließen lassen könnten. Und auch sonst ist die Datengrundlage dünn, Parteimitgliedschaften werden in Deutschland beispielsweise gar nicht systematisch erhoben.
„Sollten die Kommunen Zweifel an der Verfassungstreue einer Bewerberin oder eines Bewerbers haben, steht es ihnen frei, neben dem Verfassungsschutz auch die Staatsschutzdienststellen der Polizei zu kontaktieren“, erklärt das NRW-Justizministerium auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur dpa.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) will zumindest eine kleine Hürde in den Prozess einbauen. Angehende Schöffen sollen schriftlich erklären, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Gleichzeitig soll abgefragt werden, ob sie bei Bedarf mit einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz einverstanden wären.
Das könnte aber wohl höchstens stichprobenhaft oder im Verdachtsfall genutzt werden. 120.000 Kandidaten zu überprüfen wäre für die Behörde ein immenser Aufwand. Mit der Initiative ist die Hoffnung verbunden, dass schon die Möglichkeit einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz Extremisten von einer Bewerbung abhält.
(Quellen: Deutschlandfunk Kultur, Bastian Wierzioch, Anastasija Roon, dpa, pto)