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Schöne neue Gentechnik
Forscher feiern die CRISPR-Cas-Revolution

Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich die Arbeit in den Gen-Labors der Welt von Grund auf verändert. An die Stelle grobschlächtiger, aufwendiger und fehleranfälliger Verfahren ist eine neue Gen-Chirurgie getreten: einfach, punktgenau und hoch effizient. Mit einer Methode namens CRISPR-Cas können Wissenschaftler das Erbgut von Lebewesen gezielt manipulieren.

Von Michael Lange | 06.09.2015
Die Forscherin Emmanuelle Charpentier steht am 19.05.2015 in einem Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen).
Die Forscherin Emmanuelle Charpentier gilt als einer der Köpfe hinter der neuen Technik CRISPR-Cas (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
Wie ein Textdokument im Computer ändern sie das Erbgut einer Zelle. "Das ist fast zu schön, um wahr zu sein", jubeln die Forscher und träumen nach 25 Jahren voller Rückschläge von einem Durchbruch für die Gentherapie. Fast im Wochenrhythmus präsentieren die Fachzeitschriften neue Ideen. Eine Impfung gegen Herzinfarkt wird möglich, die Malaria könnte für immer verschwinden und das ausgestorbene Mammut wird möglicherweise dank CRISPR-Cas wieder auferstehen. Und schließlich – so glauben viele - wird der Mensch demnächst seine eigenen Gene umschreiben. Umstrittene Experimente an menschlichen Embryonen haben bereits begonnen.

Manuskript zur Sendung:
In der Gentechnik bahnt sich Großes an. Sogar auf dem Satire-Gipfel sind die neuen Entwicklungen ein Thema für Dieter Nuhr.
"Moment, das habe ich mir aufgeschrieben. Dieses genetische Verfahren heißt: C – R – I – S – P – R – Bindestrich C – A – S. Kurz: Crsprc... oder so ähnlich. Ist ja auch egal."
So schwer ist das doch gar nicht. Krisper-Kass. CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Und Cas 9 lautet der Name eines Enzyms: "CRISPR associated protein number nine"
"Jedenfalls lässt sich damit das Erbgut gezielt verändern. So wie ein Textdokument im Computer. Copy, paste und Feierabend."
Gentechnik wird einfacher und schneller mit CRISPR-Cas. Unmögliches wird möglich. Die Wissenschaft reagiert euphorisch.
"In China haben Forscher jetzt zum ersten Mal menschliche Embryonen manipuliert. Das ist bei uns nicht erlaubt aus ethischen Gründen. Wobei das auch faszinierend ist..."
Schöne neue Gentechnik
Forscher feiern die CRISPR-Cas-Revolution
Eine Sendung von Michael Lange
Über 50 Jahre hat Klaus Rajewsky hart gearbeitet. Viele wichtige Beiträge zur Wissenschaft hat er geleistet, an den Universitäten Köln und Harvard - und jetzt am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. Gejubelt hat er nur selten, jetzt aber sieht er Grund dazu.
"Das ist eine neue Welt. Jetzt können Sie das Genom in jeder Weise – wie Sie wollen – manipulieren."
CRISPR-Cas ist ein molekularer Werkzeugkasten. Er steuert einzelne Positionen im Erbmolekül DNA gezielt an; schneidet das Erbmolekül – punktgenau und hoch effizient. Dann wird die alte Erbinformation durch neue ersetzt. Wie die Funktion "Suche – Ersetze" im Computer. Kranke Gene lassen sich dank CRISPR-Cas gezielt reparieren. Die Natur wird korrigierbar.
"Wenn Sie heute einem Doktoranden sagen, er soll ein Projekt machen mit der klassischen Technologie. Dann sagt der: Ich will das auch mit CRISPR-Cas machen. Dann weiß ich, dass ich in einem halben Jahr mit dem Experiment fertig bin."
Warum Bücher per Hand abschreiben, wenn der Buchdruck schon erfunden ist? Das Wort "Revolution" macht die Runde.
Und das allerbeste: Es ist gar nicht schwer, eine kleine Einweisung, und es geht los.
An der Universität Freiburg plagen sich Jungforscher: Schneiden, auftrennen, sequenzieren, synthetisieren. CRISPR-Cas – das erledigt die Masterstudentin Jana Block, die im Labor ein Praktikum absolviert.
"Hier ein 1,5 Milliliter Eppi. Da kommt jetzt der Forward und der Reverse Primer rein mit den Pipetten, die wir hier zur Verfügung haben ..."
Auf den ersten Blick: Methoden wie sie typisch sind für die moderne Molekularbiologie.
"Das ist der Heizblock. Wird auf hundert Grad aufgeheizt."
Die geniale Idee stammt aus der Natur
Jana Block pipettiert winzige Tropfen Flüssigkeit und setzt – natürlich mit Handschuhen – die fingerhutgroßen Plastikgefäße von einem Kasten in einen anderen.
"Ja, dann brauchen wir noch unser Cas 9-Plasmid. Und dann kann man auch gleich in die Zellkultur gehen. Und das ganze wird dann auf die Zellen gegeben. Und dann werden die beiden Bestandteile in die Zelle hineingeschleust."
Fast wie Zauberei – und doch einfach wie ein Kinderspiel. Die geniale Idee stammt aus der Natur.
"I am Emmanuelle Charpentier. I am heading the department of regulation in infection biology at the Helmholtz-Centre for Infection Research in Braunschweig."
Die Französin Emmanuelle Charpentier hat an vielen Orten der Welt geforscht, bevor sie ans Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung nach Braunschweig kam.
"Wir wollten eigentlich verstehen, wie Bakterien Krankheiten verursachen. Über bestimmte RNA-Moleküle – so genannte Virulenz-Faktoren – gelangten wir dann zu CRISPR-Cas. Weil wir uns für regulatorische RNA interessierten."
RNA ist ein mit dem Erbmolekül DNA verwandtes Molekül. Es erledigt vielfältige Aufgaben in jeder Zelle. Bakterien spüren zum Beispiel mit Hilfe von RNA feindliche Viren auf, denen sie zuvor bereits begegnet sind. Die RNA erkennt die Virus-DNA und führt eine genetische Schere an sie heran. Die Schere - ein Enzym mit dem Namen Cas Nummer 9 – zerschneidet das Erbmaterial des Virus und zerstört den Eindringling.
Als Emmanuelle Charpentier sich mit diesem Immunsystem der Bakterien beschäftigte, war CRISPR-Cas bereits bekannt. Verschiedene Forscher in Kanada, den USA und Japan arbeiteten damit. Den Mechanismus aber kannten sie nicht.
Die Forscherin Emmanuelle Charpentier steht am 19.05.2015 in einem Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen).
Die Forscherin Emmanuelle Charpentier in einem Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen). (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
2011 präsentierte Emmanuelle Charpentier in einem Fachartikel in Nature die einzelnen Komponenten und das Grundprinzip. Dann tat sie sich mit Jennifer Doudna von der Universität von Kalifornien in Berkeley zusammen.
Gemeinsam konnten sie den CRISPR-Cas-Mechanismus im Detail aufklären. In ihrer Veröffentlichung im August 2012 in der Wissenschaftszeitschrift Science beschreiben sie ihn detailliert, so dass Wissenschaftler ihn im Labor nachahmen können. Das war der Startschuss für die CRISPR-Revolution.
"Der Gentechniker muss lediglich eine RNA konstruieren, die genau auf den Bereich der DNA passt, der verändert werden soll. Die RNA führt das Protein „Cas 9" zur DNA, und das schneidet genau an dieser Stelle. Die Reparatur-Maschinerie der Zelle baut schließlich eine Mutation ein, ein DNA-Stück, das der Zelle vorgegeben wird."
CRISPR plus Cas9 – Zielvorrichtung plus Schere. Das ist das Crispr Cas –System. Den Rest erledigt die Zelle. Sie will den Schnitt reparieren – und kittet mit dem, was man ihr anbietet.
"Im Prinzip ist es sehr preiswert, einfach anzuwenden und hoch effizient. Deshalb wurde es so schnell angenommen und ist so verlockend für die Wissenschaft."
CRISPR-Cas ist nicht die erste Methode, mit der sich Erbmoleküle gezielt verändern lassen. Am Anfang standen so genannte Zinkfinger-Nukleasen. Wenn diese Enzyme richtig konstruiert werden, können auch sie DNA punktgenau zerschneiden. Aber die Arbeit mit ihnen ist kompliziert und aufwendig. Nur wenige spezialisierte Labore beherrschen sie.
2009 kam dann ein einfacheres Verfahren namens TALEN hinzu. Auch dabei werden Nukleasen maßgeschneidert, um bestimmte Schnitte durchzuführen.
Und dann 2012 CRISPR-Cas 9. Besser und einfacher geht es kaum, so scheint es.
"Man weiß nie. Vielleicht wird in Zukunft ein Enzym entwickelt, das besser ist als CRISPR-Cas 9. Aber lassen Sie es mich so sagen: Dieser spezielle Mechanismus, um DNA zu erkennen, ist schon ziemlich gut."
In den letzten zwei Jahren hat Emmanuelle Charpentier bereits mehrere Wissenschaftspreise erhalten. Weitere werden folgen, Nobelpreis nicht ausgeschlossen. Außerdem hat sie gemeinsam mit Kollegen eine Firma gegründet namens CRISPR-Therapeutics. Die soll mit Hilfe von CRISPR-Cas neue Heilverfahren entwickeln.
Das M.I.T. fördert CRISPR-Cas
"Deine eigene Forschung ist fast so etwas wie dein Baby. Und du möchtest seine Entwicklung verfolgen und begleiten. Deshalb habe ich mit anderen zusammen das Unternehmen gegründet. Aber ich werde nicht zum 'Entwickler'. Ich bleibe bei meiner Grundlagenforschung."
Nur drei Jahre nach der Geburt ist das Baby flügge. Als CRISPR-Cas-Zentrum gilt mittlerweile das Labor von Feng Zhang am Broad-Institute, das zu den Bostoner Eliteuniversitäten Harvard und M.I.T. gehört.
"Ich will wissen, wie das Gehirn arbeitet, um es reparieren zu können und Krankheiten zu behandeln."
Feng Zhang ist eine Art Wunderkind. Geboren in China, kam er im Alter von zwölf Jahren nach Iowa und befasste sich schon an der High School mit Gentechnik. Irgendwie war Feng Zhang immer dabei, wenn neue Methoden die Molekularbiologie voranbrachten. Als Doktorand an der Universität Stanford gehörte er zu den Pionieren der Optogenetik. Später am M.I.T. befasste er sich zunächst mit TALEN, und dann 2012 am Broad-Institute mit CRISPR-Cas. Er übertrug die Technik von Bakterien auf Säugetierzellen und damit auch auf den Menschen.
"Wir mussten herausfinden, wie man das Bakterien-Protein verändert, so dass es von selbst in den Zellkern der Säugetiere gelangt. Einfach die RNA und das Protein aus Bakterien auf die Säugerzellen zu geben, hätte nicht funktioniert. Wir mussten das Bakterien-System umkonstruieren, so dass der Säuger-Zellkern es aufnimmt, wie ein eigenes Protein. Um die Technik verändern zu können, mussten wir die verantwortlichen Prozesse verstehen."
Nachdem Feng Zhang im Januar 2013 seine Ergebnisse veröffentlichte, war CRISPR-Cas nicht mehr aufzuhalten. Der Boom begann. Vergleichbar allenfalls mit der PCR – einer Methode, mit der sich Erbmaterial schnell und einfach vermehren lässt. Sie entstand in den 1980er Jahren.
Aber CRISPR-Cas ist vielseitiger. Der Zahl der Patente stieg von 2012 bis 2014 auf das Zehnfache. Das Broad-Institute, das M.I.T. und die Arbeitsgruppe Feng Zhang sicherten sich innerhalb kurzer Zeit über ein sogenanntes Fast-Track-Verfahren alle wichtigen US-amerikanischen Patente - sehr zum Ärger der beiden Pionierinnen und einiger neu gegründeter Unternehmen.
Aber Feng Zhang will die CRISPR-Cas-Welle nicht bremsen, betont er. Wichtig sei ihm der freie und preiswerte Zugang für alle.
"Wir geben alle unsere Konstrukte, die wir im Labor erzeugt haben, weiter an Addgene. Bis Mitte 2015 erhielt die Firma 21.000 Anfragen aus aller Welt und verschickte die Reagenzien, die unser Labor hergestellt hat."
Bisher haben das Broad-Institute und das M.I.T. ihre Macht nicht ausgenutzt. Die Firma Addgene sorgt tatsächlich dafür, dass tausende Labore schnell, preiswert und unbürokratisch mit den CRISPR-Zutaten aus Zhangs Labor versorgt werden - ohne Beschränkungen für die Forschung.
Das könnte sich ändern, wenn in einigen Jahren mit neuen Heilmethoden großes Geld verdient wird. Dann könnten Patente den Zugang beschränken. Die Anwälte bringen sich in Position.
Neuer Optimismus in der Gentherapie
Es ist genau 25 Jahren her – da versuchten Mediziner erstmals durch die Manipulation von Erbanlagen in Körperzellen Krankheiten zu heilen: Erbkrankheiten, Krebs, Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten. Die Möglichkeiten schienen unbegrenzt. Aber der anfänglichen Euphorie folgten zahlreiche Rückschläge. Mangelnder Erfolg, Nebenwirkungen und Todesfälle ruinierten den Ruf der Gentherapie. Erst in den letzten Jahren vermelden Gentherapeuten vereinzelt Erfolge. Durch CRISPR-Cas entsteht nun neuer Optimismus.
In Zellkulturen im Labor konnten die Forscher bereits Huntington und Mukoviszidose besiegen. Biotechnologiefirmen widmen sich mit neuem Schwung der Sichelzellanämie und der Bluter-Krankheit, und Forscher träumen bereits von einer Impfung gegen den Herzinfarkt. Die größte Herausforderung jedoch ist die Bekämpfung der Immunschwäche AIDS.
"Das Therapieziel ... muss es sein, dass man mit einer einzigen Spritze einen lebenslangen Therapieerfolg erzielen kann. Ich glaube: Da wollen wir hin in der Gentherapie."
Am Institut für Zell- und Gentherapie der Universität Freiburg sucht Toni Cathomen nach Methoden, die Blutzellen von HIV-Infizierten vor den HI-Viren schützen.
"Beim HI-Virus wissen wir genau, wie das Virus sich vermehrt im Patienten. Wir wissen auch, welche Moleküle auf den Zellen des Patienten das Virus nutzt, um in die Zellen des Patenten einzudringen. Und wenn es uns jetzt gelingt, diese Eintrittspforten auf der Ebene der Gene zu eliminieren, dann können wir ein Abwehrsystem im Patienten herstellen, das immun ist gegen eine HI-Virus-Infektion."
Die meisten HI-Viren benutzen ein Molekül namens CCR 5, um in bestimmte Immunzellen des Infizierten zu gelangen. Bei einem kleinen Teil der Menschheit – in Europa etwa bei einem Prozent – ist diese Eintrittspforte von Natur aus verschlossen. Diesen Menschen können die meisten HI-Viren nichts anhaben. Nun wollen Gentherapeuten nachhelfen, um Infizierte zu schützen.
"Wir können das erreichen, indem wir ganz gezielt das Gen, das für dieses Oberflächenprotein codiert, versuchen genetisch zu verändern. Dazu setzen wir molekulare Scheren ein. Das sind die sogenannten Designer-Nukleasen, mit denen wir ganz gezielt dieses Gen in diesen bestimmten Zellen im Patienten verändern können."
Zunächst müssen die patienteneigenen Blutstammzellen mit ihren Eintrittspforten für HIV zerstört werden. Dann sollen sie durch genetisch veränderte Zellen ersetzt werden. Dass dies funktionieren könnte, zeigt das Beispiel des so genannten Berliner Patienten. Ein HIV-Infizierter erkrankte an Leukämie und erhielt eine Blutstammzellen-Transplantation von einem Spender ohne CCR 5. Das HI-Virus konnte sich nicht mehr vermehren, und der Patient war geheilt.
In vielen Labors auf der ganzen Welt, wollen Forscher diesen Einzelerfolg nachahmen.
"And then you do this nineteen times, which are all the different modules..."
Im Labor des Instituts an der Freiburger Universität perfektioniert Claudio Mussolino die TALEN-Technik. Sie hat die ursprünglich eingesetzten Zink-Finger-Nukleasen ersetzt.
"Actually TALENS are proteins which can be engineered."
TALENs sind Proteine. Sie werden so maßgeschneidert, dass sie gezielt im Erbmolekül DNA schneiden können. Die Freiburger Forscher konnten zeigen, dass diese Technik nicht nur einfacher ist als der Vorgänger, sondern auch exakter.
Konzepte noch nicht praxisreif
CRISPR-Cas wäre noch einfacher und schneller. Aber auch besser? Noch ist unklar, wie häufig bei CRISPR-Cas fehlerhafte Schnitte auftreten, warnt Toni Cathomen. Das bedeutet: Auch CRISPR-Cas verursacht Schnitte, die die Forscher so nicht vorausgesehen haben. Und bei der Gentherapie bedeutet jeder falsche Schnitt ein Krebsrisiko.
"Gentherapie-Konzepte mit CRISPR-Cas sind noch nicht praxisreif. Das wird in den nächsten fünf Jahren sicherlich in die Klinik kommen. Im Moment müssen wir zeigen, dass diese Nukleasen auch sicher sind. Und da gibt es bisher wenige Studien, die zeigen, dass die CRISPR-Cas-Nuklease so sicher ist, dass man mit gutem Gewissen auch in die Klinik gehen kann."
Der Genetiker George Church ist bekannt für seine gewagten Zukunftsvisionen. Die einen loben sie als zukunftsweisend, andere kritisieren sie als naiv. Schon früh hat er sich für CRISPR-Cas begeistert. Nun wird es ihm langsam unheimlich.
"Ich sage heute: Es ist gar nicht so großartig, wie alle denken – dieses CRISPR-Cas. Die Begeisterung ist übertrieben. Das ist schon ein richtiger Hype – oder ein Kandidat dafür."
Aber dann beginnt George Church doch, die vielen neuen Möglichkeiten von CRISPR-Cas zu preisen. Denn dank der neuen Technik kann er nun viele Gene gleichzeitig verändern. Und so ist eines seiner Lieblingsprojekte durch CRISPR-Cas eine Spur realistischer geworden. Nur zu gerne würde George Church das vor über 10.000 Jahren ausgestorbene Wollhaar-Mammut wieder auferstehen lassen.
Die Arbeit mit Zellkulturen hat bereits begonnen. Elefantenzellen werden in seinem Labor Schritt für Schritt zu Mammutzellen.
"Wir haben bereits 14 Positionen im Erbgut von Elefantenzellen verändert. Und dank CRISPR ist es möglich, auch hunderte Positionen parallel zu verändern, sodass die Zellen denen eines Mammuts immer ähnlicher werden. Wir arbeiten auch an Methoden, um aus diesen Zellen Embryonen zu entwickeln oder einzelne Organe. Dann können wir sehen, ob die Änderungen tatsächlich die gewünschten Folgen haben."
George Church und seine Mitarbeiter verwenden CRISPR-Cas in etlichen Projekten. Sie verändern damit die Zellen von Tierorganen, für die Transplantation in Menschen. Sie manipulieren auch Gehirngewebe in Zellkultur.
Die bedeutendste Entwicklung, die erst durch CRISPR-Cas möglich wurde, ist nach Ansicht von George Church jedoch der „Gene-Drive" auch genannt „mutagene Kettenreaktion". Damit werden nicht nur einzelne Individuen genetisch verändert, sondern ganze Populationen oder gar eine Tierart. George Church denkt da zum Beispiel an Mücken der Art Anopheles gambiae. Sie könnten so verändert werden, dass sie den Malaria-Erreger nicht mehr in sich tragen.
"Den Moskitos schaden die Malariaparasiten nicht. Anopheles-Mücken, die den Erreger nicht übertragen, haben also in der Natur keinen Überlebensvorteil. Deshalb ist es bislang so schwer, diese Gene in der Mücken-Population zu verbreiten."
In der Natur können sich Mutanten meist nicht durchsetzen. Denn bei der sexuellen Fortpflanzung treffen jedes Mal zwei Chromosomensätze unterschiedlicher Herkunft aufeinander: Männchen und Weibchen. Manipulierte Versionen eines Gens treffen dabei auf natürliche Varianten – und über mehrere Generationen setzt sich die natürliche Variante durch. Dafür sorgt die Evolution.
Der Gene-Drive mit CRISPR-Cas trickst die Natur aus. Die manipulierte Variante erhält zusätzlich ein CRISPR-Cas-System eingepflanzt. Die Zielvorrichtung ist dabei auf die natürliche Variante programmiert. Wenn bei der sexuellen Fortpflanzung manipulierte und natürliche Version aufeinandertreffen, tritt CRISPR-Cas in Aktion. Es attackiert die natürliche Variante. Und das manipulierte Gen bleibt allein übrig. Das Künstliche setzt sich durch.
"Es reicht, wenn Sie einen einzigen Moskito mit CRISPR-Cas ausrüsten. Der pflanzt sich fort, und zerstört unerwünschte Gene im gesamten Nachwuchs. Bei Mücken wären das schon in der ersten Generation hunderte von Nachkommen, die den Erreger nicht mehr übertragen. Und diese Veränderung verbreitet sich bei jeder sexuellen Fortpflanzung und erfasst extrem schnell die gesamte Population."
Züchtung eines Mammuts ist Zukunftsmusik
Bereits 2014 verfasste George Church gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern einen Artikel in Science. Darin verwiesen sie auf die Möglichkeiten des "Gene-Drive", aber auch auf die Gefahren. Sie forderten eine gesellschaftliche Debatte, die allerdings ausblieb. Nun hat das Labor von George Church mit ersten Arbeiten begonnen.
"Wir erforschen zunächst den Gene-Drive an Hefezellen. Parallel testen wir CRISPR-Cas an Anopheles-Mücken, um Sicherheitsfragen zu klären."
Die Veränderung ganzer Populationen oder die Züchtung eines Mammuts mit CRISPR-Cas, das ist Zukunftsmusik. Aber schon heute bevölkern zahlreiche Tiere die Forschungslabore, die es ohne CRISPR-Cas nicht gäbe. Sie dienen als Modelle, um Krankheiten des Menschen nachzuahmen.
Vor CRISPR-Cas konnten in Versuchstieren stets nur einzelne Erbanlagen verändert werden, jetzt entstehen zahlreiche Versuchstiere, deren Erbgut mehrere Veränderungen aufweist.
Das entspricht – besser als bisher – menschlichen Krankheiten, denn die werden meist durch das Wechselspiel mehrerer Gene verursacht. Besonders schwierig gestaltet sich die Erforschung von Hirnerkrankungen. Das ist das Arbeitsgebiet von Guoping Feng am McGovern-Institute für Hirnforschung, einem Institut der Elite-Universität M.I.T..
"Mit der neuen Technologie können wir Krankheitsmodelle bei nahezu jeder Tierart herstellen. Bisher mussten wir uns meist auf Mäuse und Ratten beschränken. Statt zunächst Stammzellen der Tiere zu züchten, nehmen wir jetzt direkt die befruchtete Eizelle und verändern sie."
Guoping Feng sucht nach den Ursachen des Autismus. Deshalb braucht er ein Tiermodell, das dem Menschen möglichst ähnlich ist – nicht nur genetisch, auch in seinem Verhalten.
"Marmosets - das sind kleine Seidenaffen. Sie sind zwar nicht so eng mit uns verwandt wie die großen Menschenaffen, aber ihre Gehirnstruktur ist der unsrigen sehr ähnlich - ganz anders als bei Mäusen oder Ratten. Ihre Familienstruktur ähnelt ebenfalls dem Menschen. Sie leben monogam, bekommen stets Zwillinge und Papa trägt die Kleinen auf dem Rücken."
Was für Feng entscheidend ist: Die kleinen Affen entwickeln ähnliche Krankheiten wie der Mensch. Um ein Autismus-Modell zu schaffen, verwendet die Arbeitsgruppe befruchtete Eizellen, um sie dann mit CRISPR-Cas zu manipulieren.
Kontroverse über Experimente chinesische Forscher
Auf dem gleichen Wege könnten auch befruchtete Eizellen des Menschen verändert werden. Wissenschaftler in China haben dies bereits versucht. Sie erzeugten 86 nicht überlebensfähige Embryonen - und versuchten deren Gene mit CRISPR-Cas gezielt zu verändern. Nur vier Mal gelang die gewünschte Manipulation.
Im April 2015 veröffentlichten die Forscher ihre Ergebnisse in einer Fachzeitschrift und sorgten für einen Aufschrei – in der Öffentlichkeit, aber auch unter Kollegen wie Guoping Feng.
"Das war keine gute Idee. Wer Forschung betreibt, sollte die Wissenschaft voranbringen, irgendein Problem lösen oder eine Fragestellung beantworten. Diese Forschung hat nichts davon geleistet. Hier entsteht vielmehr der Eindruck einer verantwortungslosen Wissenschaft."
"Politisch unklug", "wissenschaftlich nutzlos" und "ethisch nicht verantwortbar" – so lauteten die Kommentare in den Fachzeitschriften. Dennoch gibt es keinen Zweifel: Was bei Mücken, Würmern, Mäusen, Ratten und kleinen Affen funktioniert, das kann und wird auch bei Menschen gelingen. Die ethische Frage lautet: Gibt es Argumente, die den Eingriff in die menschliche Keimbahn und damit in die Evolution des Menschen rechtfertigen? Guoping Feng meint "Ja!".
"Wenn die Technik so weiter entwickelt wird, dass keine falschen Schnitte in das Erbgut mehr vorkommen, und wenn eine solche Gen-Reparatur Menschenleben rettet und Leiden mindert, warum nicht?"
In den USA forderten führende Wissenschaftler Anfang 2015 ein Moratorium. Die Anwendung von CRISPR-Cas bei menschlichen Keimzellen solle so lange unterbleiben, bis klar ist, wo die Gefahren liegen. Denn eine genetische Veränderung in der Keimbahn lässt sich nicht rückgängig machen.
Wissenschaftler in China beteiligten sich nicht an der Diskussion. Angeblich gibt es dort vier Arbeitsgruppen, die CRISPR in diesem umstrittenen Bereich ausprobieren. Der M.I.T.-Professor Guoping Feng hält die ethische Debatte für notwendig. Er stammt aus China und hat dort studiert. Jetzt hat er mit chinesischen Kollegen Kontakt aufgenommen. Er will sie in die internationale Diskussion einbinden. Er spricht sich aber gegen ein absolutes Verbot von CRISPR-Cas bei Keimzellen aus.
"Meiner persönlichen Meinung nach sollte es in begrenztem Umfang zugelassen werden. Aber nur bei schweren Krankheiten, die sich anders nicht heilen lassen."
Andere Wissenschaftler halten ein allgemeines Verbot der Keimbahntherapie für wünschenswert, wie die CRISPR-Cas-Pionierin Emmanuelle Charpentier.
"Ich persönlich finde, dass menschliche Keimzellen nicht manipuliert werden sollten. Und ich bin froh, dass es viele Länder gibt, die sich darauf verständigt haben, dass Zellen der menschlichen Keimbahn nicht manipuliert und dass genetisches Material nicht verändert werden sollte."
Aufhalten lässt sich die CRISPR-Cas Revolution nicht mehr. Sie verändert gerade die Wissenschaft und dann die Welt. Wie jede Revolution wird sie Neues hervorbringen. Harmlos ist das nicht.
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2015