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Schönes neues Essen

Forudastan: Die schöne bunte Welt der Nahrungsmittel ist derzeit auf der Anuga in Köln zu bestaunen. Seit gestern und noch bis Mittwoch präsentieren rund 800 Aussteller ihre Produkte rund ums Essen. Die Schwerpunkte der Messe liegen dieses Mal auf dem Boom, den Bioprodukte seit einiger Zeit erfahren, auf sogenanntem Fingerfood und auf Zusatzstoffen in funktionellen Lebensmitteln. Hans-Ulrich Grimm beschäftigt sich als Publizist sehr kritisch mit unseren Ernährungsgewohnheiten, genauer gesagt, mit industriell erzeugten Lebensmitteln. Außerdem hat er gerade ein neues Buch mit dem Titel "Die Ernährungslüge" veröffentlicht. Ich habe Hans-Ulrich Grimm gefragt, ob die rasant wachsende Beliebtheit von biologisch angebauten Lebensmitteln nicht ein außerordentlich ermutigendes Zeichen für jemanden wie ihn ist, der seit Jahren gegen ungesundes Essen streitet.

    Grimm: Also ich streite im Prinzip vor allem für das Essen, das gut schmeckt. Natürlich freue ich mich, wenn es mehr Biolebensmittel gibt, weil sie in aller Regel besser schmecken. Der Boom hat aber eben auch zur Folge, dass es immer mehr Öko-Tütensuppen und dergleichen gibt und dass praktisch wie im traditionellen Lebensmittelhandel die Ecke mit den frischen Sachen immer kleiner wird. Insgesamt ist es eine sehr zweischneidige Sache mit diesem Boom, den es da gerade gibt.

    Forudastan: Was ist denn gegen Öko-Tütensuppen einzuwenden?

    Grimm: Sie schmecken ganz grauslich. Bei Öko ist ja die normale Chemiehexenküche verboten, also viele Zusatzstoffe und so, und es schmeckt eben nicht so, wie wenn praktisch der richtige Ingenieur von Knorr rangeht und versucht, ein Suppenimitat zu konstruieren. Also dem Öko sind die Hände gebunden. Er muss praktisch mit zweitrangigen industriellen Mitteln arbeiten, das heißt, dieses Industrieerzeugnis schmeckt dann hinterher auch irgendwie zweitrangig im Vergleich zur klassischen Chemiesuppe von Knorr.

    Forudastan: Ja, aber scheinbar gibt es trotzdem Abnehmer dafür, auch wenn es so grausig schmeckt.

    Grimm: Ja, sie wissen nicht mehr, was richtig schmeckt. Ich habe mal mit dem Hersteller von einer Öko-Gemüsebrühe gesprochen. Die tun ja immer Hefeextrakt rein, und Hefeextrakt enthält auch Glutamat, kann also auch Allergien hervorrufen, und ich finde, es schmeckt alles grässlich mit dem Hefeextrakt, es schmeckt irgendwie wie ein Öko-Tütensuppenimitat. Da fragte ich, warum tut man eigentlich Hefeextrakt rein, und da sagte der Hersteller, die Menschen meinen, da hätten sie irgendwie den Geschmack von Fleischbrühe, dann sagte ich, aber die Fleischbrühe schmeckt doch völlig anders, und da sagte er, aber die Menschen wissen heute nicht mehr, wie eine Fleischbrühe schmeckt. Wenn man ihnen praktisch das gibt, was sie irgendwie an Knorr-Tütensuppe, dann denken sie, das ist der Geschmack von Fleischbrühe, und das kaufen sie dann. Das finde ich besonders problematisch, wenn man quasi den Neuökozugängen irgendwie nach dem Mund kocht und denen, die an Tütensuppen gewöhnt sind, diesen Tütensuppenjunkies nach dem Mund kocht.

    Forudastan: Was ist es denn noch außer der Öko- und Biosuppe? Was gibt es denn noch für Produkte, wo man aufpassen muss?

    Grimm: Was ich aus feinschmeckerischer Seite ganz schrecklich finde, sind die Tütenkartoffelpürees. Es gibt einen Öko, der Bruno Fischer heißt, und ich habe da mal verglichen den Vitamingehalt von meinem selber hergestellten Kartoffelpüree mit Ökotütenpüree von Bruno Fischer und Pfanni, dem klassischen Pfanni-Tütenpüree, und da hat sich in einem Hamburger Labor, das es untersucht hat, rausgestellt, dass praktisch das Ökotütenpüree halb so viel Vitamin C hatte wie mein selbstgekochtes und auch nicht mehr Vitamin C hatte als das Pfanni-Kartoffelpüree. Dann habe ich bei Bruno Fischer angerufen und gesagt, Ihr Kartoffelpüree ist genauso vitaminreduziert wie Pfanni-Tütenpüree, woran liegt es, es muss ja eigentlich etwas Besseres sein, wenn es Öko ist. Da sagte die Sprecherin von Bruno Fischer, das wäre kein Wunder, weil sie hätten auch die gleichen Verarbeitungstechnologien wie Pfanni, deswegen wäre das genauso vitaminreduziert wie das Tütenpüree von Pfanni eben ist.

    Forudastan: Außer dass es nicht schmeckt, welche Nachteile hat denn das industriell erzeugte Essen noch?

    Grimm: Also es hat eine ganze Menge Nachteile. Zum einen, wenn man etwas getrocknetes kauft, zum Beispiel eine Tütensuppe oder ein Pfanni-Püree, dann fehlen da unglaublich viele Nährstoffe. Dann hat es keinen Geschmack. Man muss den Geschmack künstlich wieder zufügen, indem man Aromastoffe reintut oder Geschmacksverstärker wie Glutamat. In meinem neuen Buch "Die Ernährungslüge" habe ich jetzt geschrieben, wie Glutamat, dieser Geschmacksverstärker zu Hirnschäden führen kann wie Alzheimer, also wenn man zuviel davon nimmt, sagen Alzheimer-Experten, Wissenschaftler, dass es dann die Alzheimer-Krankheit befördern kann, und das zeigt, wie praktisch Manipulationen am Geschmack praktisch ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben können.

    Forudastan: Welche gesundheitlichen Konsequenzen hat das denn noch?

    Grimm: Also die verschiedenen Zusatzstoffe, die man nehmen, um eben Geschmacksdefizite auszubügeln oder/aber um Haltbarkeit zu verlängern, da haben alle möglichen Zusatzstoffe verschiedene Wirkungen. Zitronensäure zum Beispiel, was man nimmt, damit die Sachen frisch schmecken und auch länger halten, hat zur Folge, dass Zahnschäden entstehen. Immer mehr Kinder haben sogenannte neuartige Zahnschäden, Erosionsschäden. Ich habe da Fotos von Kindern gesehen, da war die obere Zahnreihe komplett abrasiert, wie wenn der Zahnarzt das abschleift. Da sahen Sie oben gar nichts mehr von den Zähnen; von der Zitronensäure. Es gibt auch Zusatzstoffe – gerade auch im Pfanni-Püree -, die sogenannten Sulfite, die dazu führen, dass im Darm Bakterien wachsen, die den Darm von innen her anfressen, dass er quasi gewissermaßen durchlöchert wird, und dann Krankheitserreger und Schadstoffe leichter ins Körperinnere kommen können. Also viele von diesen Zusatzstoffen, die natürlich völlig unbedenklich sind, solange man wenig beziehungsweise nichts davon isst, werden wirklich zum ernsthaften Risiko, wenn die Menschen mehr davon essen. Gerade diese Sulfite, die zum Beispiel im Pfanni-Püree drin sind, da hat die EU-Kommission in einem Bericht vor einem oder zwei Jahren festgestellt, dass die Kinder, also Kinder bis zu drei Jahren von diesen Zusatzstoffen bis zum zwölffachen dessen essen, was noch einigermaßen akzeptabel ist pro Tag.

    Forudastan: Sind denn diese Zusatzstoffe in den industriell erzeugten Biolebensmitteln genauso drin wie in den konventionellen industriell erzeugten Lebensmitteln?

    Grimm: Es sind auch in Bioindustrielebensmitteln Zusatzstoffe drin, allerdings sind da viel weniger zugelassen als in der normalen Chemieküche.

    Forudastan: Diese Folgeschäden, die Sie beschreiben, also zum Beispiel Alzheimer, ist das tatsächlich erforscht, oder sind das bisher nur Mutmaßungen?

    Grimm: Nein, das ist schon erforscht. Bei Alzheimer hat man bisher gedacht, das ist einfach eine Alterskrankheit und das ist der Preis dafür, dass wir länger leben, dass wir einfach im Kopf ein wenig schwach werden. Es gibt aber eine Studie, wo schwarze Testpersonen aus Amerika verglichen wurden mit Schwarzafrikanern aus Nigeria, glaube ich, und man hat in der gleichen Altersgruppe festgestellt, dass die Amerikaner fast doppelt so häufig Alzheimer bekommen haben wie die, die in Afrika waren, und die Wissenschaftler haben das eben zurückgeführt auf die unterschiedlichen Lebensumstände, auf den unterschiedlichen Lebensstil und vor allem eben auch auf Ernährung. Und dass gerade Glutamat zum Beispiel zu Hirnschäden führen kann, weiß man schon lange, seit 1969.

    Forudastan: Hängt das Ausmaß der Schädlichkeit denn nicht damit zusammen, wie viel von diesen Zusatzstoffen man zu sich nimmt? Mit anderen Worten: Wenn man seinen Kindern jeden Tag frisches Obst und Gemüse gibt und Jogurt ohne irgendwelche Farbstoffe usw., ihnen aber schon erlaubt, ab und zu mal ein Gummibärchen oder ein Bonbon zu essen.

    Grimm: Es hängt natürlich immer von der Dosis ab. Nur: Die bisherigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen, gerade was Glutamat angeht, gingen von Verzehrgewohnheiten von früheren Zeiträumen aus, und ich habe jetzt recherchiert, der Glutamatweltverbrauch ist seit 1976 und das fünffache gestiegen und liegt mittlerweile bei 1,5 Millionen Tonnen. Die, die bisher quasi professoral gesagt haben, alles halb so wild, die Menschen essen ja nichts oder ganz wenig davon, waren einfach nicht auf der Höhe der Zeit und haben völlig außer acht gelassen, dass sich die Verzehrgewohnheiten mittlerweile komplett geändert haben und dass es praktisch nur noch am Rand irgendwelche Menschen gibt, die das Essen frisch kochen, und die Mehrheit aber dieses zusatzstoffbelastete Essen isst und damit natürlich das Gefährdungspotential ein ganz anderes ist als im Jahre 1969, als man zum ersten Mal festgestellt hat, dass es zu Hirnschäden führen kann.

    Forudastan: Was müsste denn mit diesen industriell gefertigten Lebensmitteln geschehen? Müssten sie verboten werden, müssten die Zusatzstoffe verboten werden?

    Grimm: Es wird schwierig werden, so etwas einfach zu verbieten. Vieles ist ja außerdem verboten, nämlich Verbrauchertäuschung. Also eigentlich ist es verboten, den Verbraucher zu täuschen über die Zusammensetzung von einem Lebensmittel. Ich finde, wenn Aroma irgendwo draufsteht, wenn man also quasi einen Geschmack vortäuscht, der eigentlich nicht da ist, sondern der mit den Mitteln der Chemie zugesetzt worden ist, dann ist es Verbrauchertäuschung. Also müsste praktisch mit den bestehenden Gesetzen meiner Ansicht nach alles vom Markt gefegt werden, wo Aroma draufsteht. Die offizielle Meinung ist hingegen, sobald man Aroma draufschreibt, gibt es keine Verbrauchertäuschung, weil der Verbraucher gewissermaßen weiß, dass er da beschissen wird.

    Forudastan: Aber die Lebensmittel selber müssten nicht verboten werden?

    Grimm: Wir haben ja eine freie Gesellschaft, in der man Sachen verkaufen kann.

    Forudastan: Aber wenn Sie jetzt zum Beispiel sagen, diese Sachen führen zu schweren Krankheiten, dann wäre das doch eine Überlegung wert, ob man sie nicht einfach vom Markt nimmt.

    Grimm: Man muss natürlich relativ frühzeitig immer untersuchen, wann ist praktisch eine Verzehrsmenge überschritten, die gefährlich ist, und da hat man bisher einfach gar nichts gemacht.

    Forudastan: Vielen Dank für das Gespräch.