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Scholz: Sicherheitsrisiken sind lange bekannt

Ein Moratorium könne nur ein erster Schritt zu einer wirklichen Wende in der Atompolitik sein. Die Laufzeitverlängerungen müssten rückgängig gemacht und Atomkraftwerke vom Netz genommen werden, meint Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg.

Olaf Scholz im Gespräch mit Peter Kapern | 15.03.2011
    Peter Kapern: Alles kommt auf den Prüfstand, und zwar ohne Tabu. So machte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern dem staunenden Publikum ihre Kehrtwende in Sachen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke schmackhaft. Und trotzdem reagierte die Opposition umgehend mit Ablehnung. Warum? Das wollen wir jetzt von einem Regierungschef erfahren, dessen Stadtstaat von Atomkraftwerken förmlich umzingelt ist. Es ist Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg. Guten Morgen, Herr Scholz!

    Olaf Scholz: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Scholz, wie bewerten Sie das Moratorium der Bundesregierung?

    Scholz: Zunächst mal ist das ein Schritt, denn wir sind ja alle noch sehr betroffen über das fürchterliche Unglück in Japan. Wir wissen immer noch nicht, wie es ausgehen wird, und viele Menschen sind bedroht durch den Tsunami und das Erdbeben, aber natürlich auch durch die sich entwickelnden Gefahren bei den Atomkraftwerken in Japan. Es ist richtig, jetzt zu sagen, das war ein Fehler, die Laufzeit zu verlängern. Das Moratorium ist ein erster Schritt, aber es muss am Ende auf eine Rücknahme der Laufzeitverlängerung hinauslaufen. Ich bin sehr bedrückt darüber, dass ein schon erreichter Konsens in Deutschland über das Ende der Atomkraft wieder aufgekündigt worden ist. Jetzt wird es sehr schwer, das wieder rückgängig zu machen.

    Kapern: Sie sagen, es sei richtig zu sagen, dass die Laufzeitverlängerung ein Fehler gewesen sei. Aber das hat die Bundesregierung ja gar nicht gesagt.

    Scholz: Aber es ist – das will ich mal hoffen – der erste Schritt. Ich glaube, dass mehr kommen muss. Es kann nicht bei einem Moratorium bleiben und es wäre ganz, ganz falsch, jetzt zu sagen, wir setzen das mal drei Monate aus und dann bleibt alles wie vorher, sondern in Wahrheit ist das nur dann akzeptabel, wenn es der erste Schritt zu einer richtigen Wende ist, in dem die Laufzeitverlängerung rückgängig gemacht wird und in dem Atomkraftwerke vom Netz gehen.

    Kapern: Ihr Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel, hat das ganze gestern als Wahlkampfmanöver abgetan, als Trickserei. Stimmen Sie ihm da zu?

    Scholz: Man kann schwer in andere reingucken, auch in die Bundeskanzlerin kann ich nicht hineingucken. Ich kann nur das nehmen, was sie gesagt hat, und das bedeutet, dass sie gesagt hat, es muss eine Korrektur erfolgen. Da hat sie recht. Wahr ist aber auch, dass das eigentliche Problem selbst erzeugt war. Deutschland hatte nach einer jahrelangen Debatte vor langer Zeit einen sehr vernünftigen Ausstiegsweg beschlossen. Das ist ja immerhin schon über zehn Jahre her, dass der entsprechende Beschluss gefasst wurde. Stück für Stück sollten die Kraftwerke vom Netz gehen. Und jetzt ist eine Laufzeitverlängerung geschaffen worden, die natürlich auch neue Ansprüche bei den Betreibern erzeugt hat. Das wird schwer, das rückgängig zu machen, aber das muss sein, und wenn die Bundeskanzlerin nicht bei einer bloßen kurzzeitigen Ankündigung nachzudenken bleibt, sondern sagt, sie nimmt die Laufzeitverlängerung wieder zurück, wird ihr die Opposition sicher dabei helfen.

    Kapern: Den Vorwurf einer reinen Wahlkampfaktion wollen Sie also nicht erheben?

    Scholz: Ich will es nicht hoffen, und deshalb ist das Wichtige, dass es jetzt nicht bloß bei einer kurzen Reaktion bleibt, sondern dass tatsächlich der Schritt gegangen wird, dass wir aus der Atomkraft aussteigen und dass Kraftwerke vom Netz gehen, wie es ja auch geplant war.

    Kapern: Das Land Nordrhein-Westfalen, Herr Scholz, will im Bundesrat nun eine Initiative starten mit dem Ziel der sofortigen Stilllegung der ältesten Reaktoren. Wird sich Ihr Bundesland da anschließen?

    Scholz: Wir müssen zwei Dinge erreichen: Einmal die Laufzeitverlängerung wieder rückgängig machen – ich habe es schon gesagt -, und natürlich muss sehr sorgfältig geprüft werden, welche Reaktoren ganz schnell vom Netz müssen. Ich bin sehr besorgt, gerade was einige, die um Hamburg herum stehen, betrifft. Krümmel und Brunsbüttel sind diejenigen, die am ähnlichsten funktionieren wie die Kraftwerke in Japan, und da sind sehr viele und ich auch sehr skeptisch, was die weitere Tätigkeit dieser Kraftwerke betrifft. Ich glaube, dass die besser nicht mehr am Netz bleiben.

    Kapern: Wie bewerten Sie es, dass nun urplötzlich Sicherheitsrisiken entdeckt werden, die so lange Zeit eigentlich ausgeschlossen worden sind für deutsche Atomkraftwerke, obwohl immer hinzugefügt wird, dass so etwas wie ein Tsunami oder ein Erdbeben ja hier eigentlich in diesem Maße gar nicht passieren könne?

    Scholz: Die Sicherheitsrisiken werden nicht neu entdeckt, sie sind schon lange da und ja auch öffentlich bekannt. Das ist ja der Grund gewesen, warum ich damals noch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages wirklich sehr froh war, mitentscheiden zu können, dass wir die Laufzeit der Atomkraftwerke begrenzen, dass wir Stück für Stück die Meiler vom Netz nehmen und auf andere Energieerzeugungsformen setzen, denn die Atomkraft ist eine nicht beherrschbare Technologie, die, wie wir jetzt sehen, gewaltige Gefahren mit sich bringt, und zwar Gefahren, die wir nicht aushalten können.

    Kapern: Wie beurteilen Sie, Herr Scholz, die rechtliche Situation um dieses Moratorium? Kann man eigentlich ein geltendes Gesetz überhaupt mit einem Moratorium quasi vorläufig außer Kraft setzen?

    Scholz: Die Frage muss die Bundeskanzlerin beantworten, aber sicherzustellen, dass wir den weg wieder rückwärts gehen, der von der CDU/FDP-Regierung nun gegangen worden ist, das ist schon wichtig und da würden wir gerne bei helfen. Aber es ist ein großes Problem, das sich die Bundesregierung mit ihrer völlig irritierenden Strategie des letzten Jahres selbst eingebrockt hat.

    Kapern: Wie würde denn die SPD da gerne bei helfen?

    Scholz: Leider hat sie es uns selbst mit eingebrockt, also allen Bürgern dieses Landes, denn wir müssen ja sehen, dass wir doch wieder weg kommen von der Verlängerung der Laufzeiten.

    Kapern: Wie würde denn die SPD der Bundesregierung jetzt gerne helfen?

    Scholz: Wenn es Gesetze gibt, die beschlossen werden können, in denen Atomkraftwerke stillgelegt werden können, in denen es möglich ist, den Ausstiegsbeschluss, den Beschluss über die Verlängerung der Laufzeit wieder rückgängig zu machen, dann werden wir sicherlich mit beschließen.

    Kapern: Das heißt, das Kooperationsangebot gilt nur, solange die Maximalforderung der SPD nach einem Zurück zum Ausstiegsbeschluss eingehalten wird?

    Scholz: Alles hilft irgendwie, aber auf alle Fälle, glaube ich, wird kaum einer verstehen, wenn jetzt das, was wir gegenwärtig erleben, nur zu einer kurzen Pause im falschen Vorgehen führt. Es muss der Weg zurück gegangen werden.

    Kapern: Glauben Sie, dass der Ausstieg sogar beschleunigt werden müsste?

    Scholz: Dafür spricht manches. Das muss aber natürlich die jetzt durchzuführende Sicherheitsüberprüfung ergeben. Wir erinnern uns noch ganz genau, dass die ursprünglichen Pläne der Bundesregierung hier eine sorgfältige Sicherheitsüberprüfung aller Atomkraftwerke und die Nachrüstung auf den neuesten Stand vorsahen und dass es der Atomlobby gelungen ist, bei der Bundesregierung das zu verhindern. Also auch das ist etwas, was jetzt richtigerweise neu verlangt wird, aber was nun gerade vor kurzem abgelehnt wurde von denselben, die jetzt sagen, das müsste man machen. Deshalb kann man jeden verstehen, der skeptisch ist, was die Motivation betrifft, aber im Sinne der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes muss man einfach darauf setzen, dass das jetzt ein Anlass ist, einen Fehler zu korrigieren. Das muss aber passieren.

    Kapern: Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scholz: Auf Wiederhören!