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Scholz zum EU-Rettungspaket
"Europäische Integration muss einen Schritt nach vorne machen"

Beim geplanten Wiederaufbaufonds müsse geklärt werden, wie viel Geld wirklich gebraucht werde, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit Blick auf das EU-Rettungspaket. Die beschlossenen 500 Milliarden Euro Soforthilfe seien ein erster Schritt, auf den aufgebaut werden könne, sagte Scholz im Dlf.

Olaf Scholz im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 24.04.2020
Olaf Scholz, (SPD) und Bundesminister der Finanzen, kommt zur Plenarsitzung des Deutschen Bundestages
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) (dpa / Michael Kappeler)
Gestern billigte die EU-Staats- und Regierungschefs eine 500 Milliarden Hilfspaket, das zuvor EU-Kommission und EU-Finanzminister vorbereitet hatten. Wenn alle drei darin enthaltenen Instrumente so funktionieren wie geplant, dürften Kurzarbeiter, mittlere und kleine Unternehmen sowie Staaten zur Finanzierung ihrer durch Corona herausgeforderten Gesundheitssysteme gut 500 Milliarden Euro erhalten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Bundesfinanzminister Olaf Scholz zeigte sich im Dlf zufrieden angesichts der schnellen Hilfe. Mit Blick auf die Finanzkrise sagte er: "Wir haben schnell gehandelt, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa." Die 500 Milliarden Euro Soforthilfe in der Coronakrise seien ein erster Schritt. Scholz sprach von einer sehr entscheidenden Phase. Beim geplanten Wiederaufbaufonds müsse zunächst geklärt werden, wie viel Geld wirklich gebraucht werde. Er warnte davor, jetzt nicht mit "großen Hausnummern zu jonglieren, sondern konkret zu definieren, wie viel Geld gebraucht wird, was gemacht werden soll und wie man das tun kann". Das sei vor allem für die Zeit nach dem Lockdown wichtig.
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EU muss weiter zusammenrücken
"Was jetzt stattfindet, geht ohne weitere europäische Integration nicht voran", sagte Scholz weiter. Nur gemeinsam Aufgaben schultern, ohne gemeinsame Einkünfte oder Finanzierungsformen zu entwickeln, und dass man auch gegen Steuerdumping in der EU vorgeht, werde nicht gehen. Um die aktuelle Krise angesichts des Coronavirus in Europa zu meistern, müsse die europäische Integration einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Solidarität bedeute auch, dass dies jetzt geschieht

Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Herr Scholz, gestern wurde ein weiterer Arbeitsauftrag erteilt, wie ein solcher Wiederaufbaufonds aussehen könnte. Dauert das nicht doch viel zu lange angesichts der ja doch sehr schwierigen Lage, zum Beispiel in Italien, zum Beispiel in Spanien?
Olaf Scholz: Nein, wir haben ja schnell gehandelt, und wenn Sie sich einmal zurückerinnern an die Schuldenkrise vor etwa zehn Jahren, an die Folgen der Weltfinanzkrise nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers 2008/2009, dann sehen Sie, wie schnell jetzt gehandelt wird – nicht nur in den einzelnen Ländern, in unserem Land zum Beispiel, sondern auch in Europa. Das, was ich mit meinen Finanzministerkollegen entwickelt habe an 500-Milliarden-Programmen, das Sie eben dargestellt haben in Ihrer Sendung, das ist ja ein ziemlich schneller Schritt, auf den wir jetzt erst mal für die nächste Zeit aufbauen können. Wir haben jetzt die notwendige Zeit, das zu entwickeln, was notwendig ist, wenn der Lockdown zu Ende geht, es mit dem Wiederaufbau beginnt. Da ist natürlich die richtige Aufgabe, zuallererst zu beschreiben, was wird eigentlich gebraucht.
"Genau überlegen, was wirklich nötig ist"
Münchenberg: Trotzdem waren ja die Wortmeldungen aus Italien zum Beispiel ganz andere, da wurde ja immer wieder fehlende Solidarität beklagt, auch die Dringlichkeit eingemahnt, dass Europa schnell liefern müsste. Da ist der Eindruck offenbar ein ganz anderer.
Scholz: Mein Eindruck ist, dass sich das allmählich dreht, weil ja niemand damit gerechnet hat, dass es so schnell geht wie mit diesem ersten Schritt von 500 Milliarden Euro. Wenn man die europäische Debatte insgesamt verfolgt, dann gibt es natürlich viele engagierte Ansichten, das gehört dazu, aber dann doch ein sehr breites Bekenntnis zur Solidarität. Ich nehme das eher konstruktiv wahr, was da diskutiert wird. Und klar ist, man muss jetzt natürlich genau überlegen, was wirklich nötig ist, was dann gemacht werden soll und wie man das tun kann. Da sind die Aufgaben richtig beschrieben. Wir haben das Glück und die Aufgabe, dass jetzt der mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union festgelegt werden soll, da geht es um die Haushalte der nächsten sieben Jahre. Weil diese Periode gerade beginnt, ist das fast der geeignetste Moment, um dann auch zu bestimmen, wie man etwas hinkriegen kann, das darin besteht, dass wir praktisch die Mittel, die wir die nächsten Jahre ausgeben, ein bisschen am Anfang stauen können, damit wir ganz besonders viel machen können. Das, glaube ich, ist schon mal ein großer Fortschritt, dass darüber fast schon ein wenig Einigkeit besteht. Es gibt noch ziemlich viele schwierige Aufgaben, die nachbleiben, aber das ist ja schon mal eine gute Erkenntnis.
"Ohne weitere europäische Integration geht es nicht voran"
Münchenberg: Könnte denn die europäische Solidarität ein bisschen genauer fassen, derzeit liegt ja der Nettoanteil Deutschlands am EU-Haushalt bei 13,4 Milliarden Euro, das war es 2018. Also wie viel ist denn Deutschland jetzt bereit, mehr nach Brüssel zu überweisen?
Scholz: Das wären jetzt sehr konkrete Gespräche, die zu führen sind und die natürlich mit denen zu führen sind, um die es geht – das ist, glaube ich, nicht unsere Sendung hier. Aber wir haben ja gesagt, dass wir bereit sind, auch mehr zu zahlen als in der Vergangenheit, Gott sei Dank sogar schon am Anfang dieser Legislaturperiode. Das wird natürlich jetzt erst recht sinnvoll so zu agieren, wie wir es uns vorgenommen haben.
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Münchenberg: Aus der EU-Kommission sind ja Zahlen auf dem Markt, heißt es, mindestens 2 Prozent der Wirtschaftsleistung statt nur 1,2 Prozent. Ist das eine Hausnummer, mit der Sie auch leben könnten?
Scholz: Ich glaube, dass wir uns sehr klar sein müssen, dass wir gegenwärtig an einer sehr entscheidenden Phase sind. Da geht es nicht darum, dass wir jetzt mit großen Hausnummern operieren, sondern dass wir erst mal definieren, was konkret notwendig ist. Wie gesagt, es geht ja nicht darum, jetzt nur die Frage zu definieren, was ist die nächsten sieben Jahre, sondern konkret, wie kriegt man eigentlich möglichst viel Geld an den Anfang. Das ist eine völlig andere Aufgabe, und da muss dann auch definiert sein, wie viel wird konkret gebraucht und auf welche Art und Weise wird das gemacht. Eins ist für mich völlig klar: Das, was da jetzt stattfindet, geht ohne weitere europäische Integration nicht voran. Nur gemeinsam Aufgaben schultern, ohne dass man gemeinsame Einkünfte und Finanzierungsformen entwickelt, dass man gegen Steuerdumping in der EU vorgeht, dass wir sicherstellen, dass es auch gemeinsame Aufgaben gibt, die man schultern muss, wird nicht gehen. Wir müssen schon so ein bisschen den Unionsprozess, den Einigungsprozess in Europa vorantreiben. Solidarität bedeutet auch, dass das jetzt geschieht, sonst funktioniert das nicht, das ist noch nirgendwo auf der Welt in der Geschichte gelungen. Wer jetzt nicht versteht, dass das praktisch der Moment ist, in dem die europäische Integration einen ganz entscheidenden Schritt nach vorne machen muss, der wird auch nicht ein einziges der aktuellen Probleme lösen.
"Das wird die Staatsschulden überall in die Höhe gehen lassen"
Münchenberg: Aber Herr Scholz, wenn Sie sagen, mehr Integration ist notwendig, heißt das auch, mehr Kontrolle zum Beispiel, was mit dem Geld passiert, was die EU dann eben jetzt im Zuge von Corona bereitstellen wird?
Scholz: Ja, deshalb macht es auch gar keinen Sinn, dass jetzt überall große Summen in den Raum geworfen werden, ohne dass definiert wird, wofür sie konkret verwendet werden. Es geht ja nicht um Budgetfinanzierung, sondern zum Beispiel um so was wie das, was wir gerade schon gemacht haben. Wir haben ja der EU-Kommission die Möglichkeit gegeben, etwa bis zu 100 Milliarden Euro Kredite aufzunehmen, um zum Beispiel so etwas wie das Kurzarbeiterprogramm, das wir in Deutschland haben, auch in anderen Ländern zu finanzieren, die das aus eigener Kraft gegenwärtig nicht stemmen könnten. Und so konkret und so genau und so präzise müssen wir auch sein, und dann kommen wahrscheinlich Summen zustande, die viel größer sind als das, was man in der Vergangenheit diskutiert hat, aber vielleicht auch nicht so hoch wie das, was einige jetzt erst mal ganz unspezifisch, aber beeindruckend hoch in den Raum werfen.
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Münchenberg: Ein Diskussionspunkt ist ja auch, sind das jetzt Zuschüsse, sind das Kredite – wie ist da die Position der Bundesregierung?
Scholz: Ich gehe davon aus, dass es eine Mischung aus den verschiedenen Möglichkeiten sein wird, und ganz klar, was wir jetzt machen, ist, dafür zu sorgen, dass die Länder in der Lage sind, die Aufgaben, die sie für ihre Bürger und zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Unternehmen tun müssen und bewältigen müssen, zu finanzieren. Das wird die Staatsschulden überall in die Höhe gehen lassen, bei uns auch. Wir haben es nun geschafft, unsere Verschuldung zu senken auf unter 60 Prozent des Sozialprodukts, und deshalb können wir eine Steigerung auf 75 Prozent auch verkraften, mit der wir gegenwärtig kalkulieren – immerhin noch weniger als nach der letzten Finanzkrise, da waren wir schon über 80 Prozent. Andere Länder starten eben bei 100 oder noch mehr Prozent Verschuldung, und da ist das schon eine große Herausforderung, die da vor diesen Ländern steht. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Gesamtproblem angehen und das auch im Blick behalten.
"Jetzt klüger organisiert, als das vor zehn Jahren war"
Münchenberg: Herr Scholz, nun wird es noch ein bisschen dauern, bis dieser Wiederaufbaufonds steht, bis man die ganzen Details kennt. Kann die Politik sich nicht auch ein bisschen zurücklehnen, weil sie letztlich auf die Zentralbanken, konkret auf die Europäische Zentralbank, vertrauen kann, die ja auch wieder bis Ende des Jahres über eine Billion Euro in die Märkte pumpen wird.
Scholz: Die Europäische Zentralbank gehört zum Eurosystem dazu, und sie spielt eine ganz zentrale Rolle – wie übrigens die Zentralbanken aller Staaten gegenwärtig. Sie muss die notwendige Kraft haben. Mit den Entscheidungen, über die wir eingangs gesprochen haben, die die Finanzminister auf den Weg gebracht hatten, ist ja auch verbunden zum Beispiel, dass Länder die Möglichkeit haben, zusätzliche Mittel zu mobilisieren über den europäischen Stabilitätsmechanismus. Das heißt, dass das neben der Zentralbank die Staatsfinanzierung unterstützt und im Übrigen auch in geordneter Weise eine gute Kombination solcher Möglichkeiten mit Zentralbankaktivitäten eröffnet. Das ist, glaube ich, jetzt klüger organisiert, als das vor zehn Jahren war, weil wir sowohl mit fiskalischer Politik als auch mit den Möglichkeiten der Zentralbank dafür sorgen können, dass wir durch diese sehr schwierige Zeit besser kommen.
Münchenberg: Trotzdem kauft die EZB jetzt auch für eine gewisse Zeit Ramschanleihen, also Wertpapiere, die von den Ratingagenturen auf Ramschstatus heruntergestuft worden sind. Geht das nicht ein Stück zu weit?
Scholz: Das ist eine Meldung, die nicht so ganz dem entspricht, was die Europäische Zentralbank entschieden hat. Sie hat etwas getan, was, glaube ich, man gut verstehen kann, nämlich zu sagen, dass Anleihen, die eben noch gut waren und die jetzt, weil die Bewertung plötzlich schwierig wird durch die aktuelle Situation, nicht mehr als gleichermaßen betrachtet werden, noch so betrachtet werden wie vorher. Das ist ja etwas, was normale Geschäftstätigkeit auch jetzt überall umfasst. Wer eine gute Kundenbeziehung hat, wird ja, wenn er vernünftig ist, zu seinen Kunden halten als Unternehmen und mit ihm durch diese Krise marschieren, quasi so ähnlich kann man sich das hier auch vorstellen.
"Wir müssen Sorge dafür tragen, dass unsere Verschuldung wieder zurückgeht"
Münchenberg: Also Sie halten auch diesen Schritt für richtig?
Scholz: Das ist überlegt, und wie gesagt, es ist etwas anderes, als was so schnelle Überschriften manchmal damit verbinden.
Münchenberg: Sie haben es ja schon angesprochen, die Zentralbanken spielen weltweit jetzt eine wichtige Rolle, pumpen Billionen in den Markt. Die Fed hat zum Beispiel in den USA Schecks jetzt an die Bürger verteilen lassen, die englische Zentralbank ist aktiv am Markt, die EZB auch. Trotzdem sind das ja auch faktisch Schulden, die ja nicht einfach verschwinden werden.
Scholz: Wir werden – das, glaube ich, zeigt ja unsere Erfahrung, die wir hier in Deutschland nun gemacht haben – in den Zeiten, in denen es wirtschaftlich gut läuft, dafür Sorge tragen müssen, dass unsere Verschuldung wieder zurückgeht. Das ist ja nun der Rat, der gewissermaßen für jeden offensichtlich ist, denn dass wir hierzulande so massiv, so schnell handeln konnten, dass ich öffentlich ankündigen konnte, dass wir die Bazooka rausholen, um das Gesundheitssystem mit den ausreichenden Mitteln zu unterstützen, um dafür Sorge zu tragen, dass Arbeitsplätze und Unternehmen durch diese Krise kommen, ohne dass den Unternehmen die Puste ausgeht, das ist ja deshalb möglich, weil wir die Zeit genutzt haben, um uns auf einen solchen Fall vorzubereiten. Das, glaube ich, müsste auch überall so versucht werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.