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Schottischer Musiker Fish
Abschied mit "Weltschmerz"

Als die Band Marillion Mitte der 1980er-Jahre weltberühmt war, stieg ihr Sänger Fish prompt aus. Seither veröffentlichte er ein Dutzend Soloalben. Nun erscheint das 13. und vermutlich letzte Werk des 62-Jährigen: "Weltschmerz" heißt es - nicht bloß, weil der Schotte das Wort so mag.

Von Andreas Zimmer | 04.10.2020
    Ein Mann mit schwarzer Jacke und kurzem grauen Bart blickt in die Kamera.
    Will nun neue Wege gehen: der schottische Musiker Derek William Dick alias Fish. (Wojtek Kutyla)
    Musik: "C-Song (Trondheim-Waltz)"
    Fish war schon immer nicht ganz alltäglich. Zu Beginn seiner Musikerkarriere Mitte der 1980er-Jahre ist er so schüchtern, dass er nur komplett verkleidet auftreten kann und schreibt irre lange Songs. Dann verlässt er seine Band Marillion auf dem Höhepunkt des Erfolgs. Und nun das Abschiedsalbum mit deutschem Titel, "Weltschmerz". Ist der Schotte noch ganz dicht, fragt man sich?
    "Ich liebe den Klang der deutschen Sprache. Als Schotte ist es sehr einfach, sich deutsch zu erschließen und zu sprechen. Allein der Klang des Wortes Schmerz, und das Wort Weltschmerz kenne ich schon sehr lange."
    Das titelgebende deutsche Wort war in England vor allem in den 1950-70er-Jahren gebräuchlich. Derek Dick, so der Geburtsname von Fish, weiß also, wie er den Begriff zu benutzen hat. Warum aber einen so melancholischen Schlusspunkt setzen? Ganz einfach: Der derzeit schlimme Zustand der Erde und das einhergehende Gefühl der Hilflosigkeit entsprechen genau der Definition von Weltschmerz. Fish stellt den Höhepunkt seiner eigenen Schaffenskraft dagegen.
    "Dieses Album beinhaltet alle meine Erfahrungen und mein Knowhow. Und es ist mein finales Album. Ich konnte also machen, was immer ich wollte. Und genau das ab ich getan. Es ist exakt so, wie ich es haben wollte. Darum hat es so lang gedauert. Es ist so nah an der Perfektion wie nur irgend möglich."
    Musik: "Man with a stick"
    Rund fünf Jahre hat der schottische Poet an der Fertigstellung von "Weltschmerz" gearbeitet. Nur unterbrochen durch den Tod seines Vaters und zahlreiche gesundheitliche Probleme des Sängers. Zu jedem der zehn neuen Songs auf dem Album hat Fish eine eigene Figur entwickelt, mit der er sich intensiv auseinandergesetzt und Hintergrundinfos dazu recherchiert hat. Reflektiert, wie der Künstler nun mal ist, hat er dabei Interessantes über sich selbst herausgefunden.
    "Ich hab viel recherchiert für das Album. In zwei oder drei Songs geht es um mentale Probleme, manische Depressionen und Suizid. Weil ich so viel dazu gelesen habe, habe ich etwas über mich erfahren, was ich vorher nicht wusste: Ich bin definitiv gefährdet."
    Emotionen im Studio
    Eine Art Aha-Effekt, sogar für Fish selbst. Seine Art der Problembewältigung sei sehr mit Worten verknüpft, er verarbeite alle bewegenden Dinge in seinen Songs. Allerdings nur intellektuell. Die emotionale Aufarbeitung fehlte in seinem Leben. Bisher. Denn bei den Aufnahmen zu "Garden of Rememberance" brachen die Emotionen im Studio offenbar aus ihm heraus und er musste laut eigener Auskunft einige Dutzend Mal ansetzen, bis der Song im Kasten war.
    Musik: "Garden of Rememberance"
    Musikalisch hatte sich Fish bereits auf den Vorgängeralben deutlich vom hit-orientierten Pop verabschiedet und sich zunehmend wieder dem Prog-Rock zugewandt. "Weltschmerz" ist da zwiegespalten. Einerseits ist es teilweise schwierig alle Spielereien sofort zu erfassen. Beispielsweise im 16-Minuten Epos "Rose of Damascus", in dem die Musik innerhalb von nur wenigen Augenblicken aus einem kurzen Walzer direkt in einen 7/8-Takt springt, während sich die Harmonik halbtonschrittweise weiterentwickelt. Das alles mit orientalischer Orchestrierung unter Fishs freie Reime gelegt. Puh! Natürlich gibt es auch profanere "Four-to-the floor"-Stücke, die ihre Popherkunft nicht verleugnen und so den Ohren Zeit zum Durchatmen geben. Fish ist sich sicher: Bei einem großen Label wäre das Projekt bereits vor zwei bis drei Jahren gestoppt worden, unter dem Verweis auf die ausufernden Kosten.
    "Die hätten mich gefragt: Streicher? Brauchen wir nicht, die sind zu teuer. Bläser? Weg damit! Wozu brauchst du einen Oud-Spieler? Außerdem hätten sie wohl gesagt: OK, jetzt haben wir 60 Minuten Musik, bring das Album raus. Und ich hätte geantwortet: Nein! Es ist noch lange nicht fertig, wir müssen noch weitermachen. Also mache ich es auf meine Kosten, und ich habe dabei nicht ans Verkaufen gedacht. Ich wollte erst mal nur den ersten Berg bezwingen: ein großartiges Album zu machen."
    Reise durch viele Leben
    Und trotz aller musikalischen Kopfgeburten und vordergründig unverdaulicher Zehn-Minuten-und-mehr Kunstwerke wird Fish seinem eigenen Anspruch an einen guten Abgang gerecht. In Fishiger-Manier eben. Er füllt ein Doppelalbum mit Inhalt, der keine Sekunde langweilig ist. Die Songfolge ist nachvollziehbar, am besten auf Vinyl. Das Album-Artwork gewohnt mystisch mit altbekannten Figuren. Kurzum: Weltschmerz nimmt den Hörer mit auf eine Reise durch viele Leben. Leben, die allesamt nur Aspekte einer einzigen Person sind: Fish auf dem selbsterklärten Höhepunkt seiner Schaffenskraft als Sänger und Geschichtenerzähler. Er sieht Gemeinsamkeiten zu einem anderen Teil seiner Karriere.
    "Ich glaube, es gibt eine Parallele zwischen meinen letzten Marillion-Album "Clutching at Straws" und "Weltschmerz". Beide markieren das Ende eines Abschnitts. Diese Aussage halte ich für sehr kraftvoll. Ich wollte meine Solokarriere mit dem besten Album beenden, das ich je gemacht habe. Schon immer. Ich wollte keinen schlechten Abgang hinlegen."
    Musik: "This party's over"
    Kein Gedanken an Rente
    Auch wenn es vermutlich keine neuen Fish-Alben mehr geben wird, der 62-Jährige denkt noch nicht an die Rente. Es soll mindestens noch zwei Tourneen geben; eine zum Album, eine weitere als Abschiedstour. Auch hier möchte er sich Zeit nehmen und mindestens zwei Shows pro Stadt spielen. Frühestens ab Herbst 2021. In Klubs, die er liebt, um Menschen zu treffen, die er mag. Und danach? Da bleibt Fish etwas nebulös.
    "Die Leute fragen, wie kannst du nur aufhören und auf Rente gehen? Ich antworte dann immer: Ich ziehe mich nicht aus der Kreativität zurück. Ich entwickle mich weiter. In eine Richtung, für die ich bisher keine Zeit hatte. Ich möchte Bücher schreiben, ich möchte Drehbücher schreiben. Ich bin ein Schreiber, der singen kann. Ich bin kein Sänger, der schreibt. Da gibts einen großen Unterschied."