Wir kennen sie alle, die Gedichte, Romane, Erzählungen von deutschen Schriftstellern, die "öfter als die Schuhe die Länder wechselnd", wie es bei Brecht heißt, gezwungen waren, ins Exil zu gehen. Berichte aus vergangenen Jahrhunderten von den Gefahren und Strapazen einer unbestimmten Reise, vom Hoffen, Bangen, von Heimatverlust und vom Fremdsein. Wie aber geht es schreibenden Emigranten heute – Schriftstellern, Bloggern, Publizisten, die nicht aus, sondern nach Deutschland geflohen sind, weil sie andernorts verfolgt werden, ihren Beruf nicht ausüben dürfen oder gar um ihr Leben fürchten müssen?
Die zurückgelassene Gefahr wird am sicheren Ort nur noch deutlicher
Wie zum Beispiel die 1974 in Grosny geborene Journalistin Maynat Kurbanova, die für ihre mutige Berichterstattung über den Tschetschenienkrieg Morddrohungen erhielt und 2004 mit ihrer Tochter nach Deutschland floh. Als ihre "kleine Geborgenheit" bezeichnet sie ihre Münchner Stipendiatenwohnung, in der sie allerdings auch alte Ängste heimsuchen.
"Nun liege ich hier. Immer noch ist die Todesangst da, die es bis nach Deutschland mit mir geschafft hat, die mich nicht loslassen will, nicht einmal hier, wo keiner mich nachts holen wird. Sie hat sich schon in mir eingenistet, diese Angst, auch wenn ich sie für mich behielt, damit sie die anderen nicht vergiftet. Die Stimmen der Männer, die meinen Kleiderschrank durchwühlen, die Gestalten in khakifarbenen Uniformen, die ohrenbetäubenden Geräusche der niederfallenden Bomben. Sie werden nur noch lebendiger hier in meiner kleinen Geborgenheit."
Maynat Kurbanova ist eine von zwanzig verfolgten Autorinnen und Autoren, deren Texte Josef Haslinger und Franziska Sperr in der Anthologie "Zuflucht in Deutschland" gesammelt haben. Sie kommen aus China, Syrien, Vietnam, Kuba oder Georgien, aus Staaten also, in denen Presse- und Meinungsfreiheit nicht zu den Grundrechten zählen. Alle haben sie Repressionen erlitten, sich und ihre Familien durch ihre Texte in Gefahr gebracht. Und alle hatten Sie das Glück, in das Writers-in-Exile-Programm des deutschen PEN-Zentrums aufgenommen zu werden, mit dem den Geflüchteten für maximal drei Jahre eine Wohnung, ein Stipendium und eine Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden.
Neue Heimat - neuer Schaffensort
Zudem sollen sie Publikationsmöglichkeiten erhalten, es sollen Lesungen organisiert, Kontakte zu Verlegern und Redakteuren hergestellt werden. Wichtig sind die menschlichen Begegnungen, erklären die Herausgeber in ihrem Vorwort.
"Oft haben wir neue Freunde gewonnen, mit denen wir gemeinsam essen, die uns mit ihren Witzen amüsieren, die uns kritisieren, hin und wieder auch ärgern, weil sie stur sind und manches nicht so machen, wie wir uns das für einen Flüchtling mit Zukunft in Deutschland vorgestellt hatten. Sie bringen uns die Welt ins Haus, lassen uns teilhaben an dem, was uns anfänglich fremd, manchmal unerklärlich ist, sie diskutieren mit uns und erzählen uns, wie sich das Leben hier in Deutschland für sie darbietet. Dafür sind wir ihnen dankbar, denn es lässt uns selbst klarer sehen. Das ist das Besondere am Writers-in-Exile-Programm des PEN: menschliche Nähe auf der Grundlage unseres Berufs. Wir sind Autoren. Wir arbeiten mit dem Wort, wir alle brauchen die Freiheit des Wortes für unsere Arbeit."
Für die Anthologie "Zuflucht in Deutschland" haben Haslinger und Sperr die Stipendiaten dazu ermuntert, über die Umstände und Geschehnisse zu schreiben, die zu ihrer Flucht geführt haben. So erzählt der kubanische Schriftsteller und Systemkritiker Amir Valle davon, wie er nach einer Lesereise durch Europa nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren durfte - eine Praxis, die an die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der mit Kuba befreundeten DDR erinnert.
Der Umgang mit Überwachungsmethoden
Verhör- und Überwachungsmethoden, von denen chinesische und vietnamesische Blogger berichten, lassen auch Erinnerungen an das Ministerium für Staatssicherheit aufkommen. Allerdings geraten auch die chinesischen Überwachungsorgane an ihre Grenzen, weil die systematische Bespitzelung nicht zuletzt durch marktwirtschaftliche Interessen immer wieder ausgehebelt wird, wie man in dem Text des Bloggers Liu Dejun lesen kann.
"Im Internetcafé muss man als Erstes seinen Personalausweis vorzeigen. Da mir die Polizisten den Ausweis abgenommen hatten, glaubten sie, ich wäre nun auch vom Internet ausgeschlossen. Tatsächlich jedoch ist das Profitstreben der chinesischen Internetcafé-Betreiber stärker als alle Vorschriften der Kommunistischen Partei. Weil viele Jugendliche, denen der Zutritt eigentlich untersagt ist, in die Internetcafés kommen, um Computerspiele zu spielen, halten die Betreiber für sie Zettel mit Namen und Ausweisnummern bereit, mit denen sie sich registrieren können. Als ich in das Internetcafé kam, erzählte ich also einfach, ich hätte meinen Ausweis verloren, und man versorgte mich mit einem entsprechenden Zettel. Nun konnte ich einigen Freunden in internationalen Menschenrechtsorganisationen schreiben, dass ich verhaftet und gefoltert worden war."
Das Leben im Exil
Auch das Leben im Exil, die Sehnsucht nach und die Entfremdung von denen, die daheim geblieben sind, wird in vielen Texten des Bandes thematisiert. Gedichte des Syrers Yamen Hussein über Gewalttaten, die anderswo geschehen, während hierzulande auf die U-Bahn gewartet oder ein Bier getrunken wird, stehen neben dem Erfahrungsbericht des russischen Journalisten Sergej Zolovkin über die Kritik aus der Heimat an seinen Texten, die dieser nun aus der Komfortzone der westlichen Welt schickt. Der Journalist Maxwell Sibanda aus Simbabwe bietet einen erfrischenden Blick auf deutsche Sitten und Kultur – zum Beispiel auf dem Oktoberfest.
"Ein in Deutschland ansässiger Kollege aus Simbabwe lud mich zusammen mit zwei Deutschen zu diesem Säuferspaß ein. [...] Etwa 6 Millionen Menschen nehmen jedes Jahr daran teil und trinken 4 Millionen Liter Bier, essen eine halbe Million gebratene Hühner und 200 000 Paar Schweinswürste. Aber was mich am meisten an diesem Bierfestival interessierte, waren die Sanitätszelte, in denen man sich um diejenigen kümmert, die nicht mehr bei Sinnen sind."
Abgesehen von einigen Beiträgen der Sammlung, die eher Danksagungs- oder Auftragscharakter haben, wird in "Zuflucht in Deutschland" oft auf sehr eindringliche Weise von Verfolgung, Flucht und Fremde oder von den Irritationen im Exil erzählt, und zwar von denen, die all das erlebt und durchlitten haben. Josef Haslinger und Franziska Sperr lösen damit das Versprechen des PEN-Zentrums ein, dafür Sorge zu tragen, dass diese Autoren nicht nur in Deutschland versorgt, sondern auch wahrgenommen werden. Und genau das sollten wir tun.
Josef Haslinger, Franziska Sperr (Hg.): "Zuflucht in Deutschland. Texte verfolgter Autoren"
S. Fischer Verlag, 288 Seiten, 9,99 Euro.
S. Fischer Verlag, 288 Seiten, 9,99 Euro.