DLF: Bundeskanzler Schröder beginnt heute seine Lateinamerika-Reise. Er ist in Mexiko angekommen. Dort wird er Gespräche führen. Weitere Stationen dieser Reise sind Brasilien und Argentinien. Es ist die erste Lateinamerika-Reise eines deutschen Bundeskanzlers seit sechs Jahren. Am Telefon ist jetzt Wolf Grabendorf. Er ist Lateinamerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Grabendorf, wird diese Region von den Deutschen, vielleicht von den Europäern generell unterschätzt?
Grabendorf: Darüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Von den Europäern sicherlich nicht, denn die Spanier haben sich in den letzten Jahren sehr engagiert, sowohl finanziell als auch politisch. Die Deutschen hatten früher eine größere Rolle in der Region. Die sogenannte traditionelle Freundschaft ist gerade in Mexiko, Brasilien oder Argentinien sicherlich Ausdruck dieser Beziehung. Aber aufgrund der Vereinigung und der osteuropäischen verschiedenen Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft ist die deutsche Wirtschaft heute nicht mehr so prominent dort vertreten.
DLF: Ist das auch vielleicht Konsequenz der Erkenntnis, dass es gegen die Dominanz der USA dort für die deutsche Wirtschaft einfach nichts zu gewinnen gibt?
Grabendorf: Das ist sicherlich richtig für das Land Mexiko, wo der Bundeskanzler seine Reise begonnen hat. Es ist nicht richtig für Brasilien und Argentinien, vor allen Dingen nicht für Brasilien, weil Sao Paulo immer noch die größte deutsche Wirtschaftsstadt ist, mit einer Konzentration von deutschen Unternehmen, wie sie sonst in der Welt nirgendwo vertreten ist.
DLF: Mexiko, Brasilien, Argentinien. Halten Sie die Auswahl der Stationen für klug?
Grabendorf: Ob es klug ist , weiß man nicht, aber es sind die drei Länder, die den Ton angeben. Was nicht klug war von Seiten des Kanzlers – aber dafür kann er natürlich nichts, Sie wissen, dass die Reise vom letzten Herbst auf dieses Frühjahr verschoben wurde, weil damals die Mazedonien-Debatte seine Anwesenheit in Berlin erforderte – ist der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt ist relativ schlecht, weil alle drei Länder vor unterschiedlichen Problemen stehen, besonders Argentinien. Und man weiß nicht so recht, was dort noch vermittelbar ist.
DLF: Ich habe nicht ganz verstanden, warum das Timing dann schlecht sein soll, denn wenn Probleme da sind, dann kann es doch helfen, wenn jemand kommt, der möglicherweise bei der Lösung helfen kann.
Grabendorf: Das ist sicherlich richtig. Aber ob Bundeskanzler Schröder in der Lage sein wird, bei diesen Problemen zu helfen, ist insofern sehr fragwürdig, als es sich bei vielen dieser Probleme natürlich auch um finanzielle Probleme handelt, und da wird er sicherlich keine offene Hand haben.
DLF: Dann haben Sie gesagt, jedes Land hat seine eigenen, spezifischen Schwierigkeiten. Über Argentinien haben wir aufgrund der wirtschaftlichen Dauerkrise in den letzten Monaten viel gehört. Was erscheint Ihnen mit Blick auf die ersten beiden Stationen wichtig?
Grabendorf: In Mexiko ist es in der Tat so, dass das Gewicht der USA so stark geworden ist, dass die dort bestehenden deutschen Investitionen und der dort bestehende deutsche Handel gestärkt werden müssen. Hinzu kommt, dass Mexiko wirtschaftlich von der Konjunkturschwäche der US-Amerikaner sehr betroffen ist. Wenn man 80 Prozent seines Exports in das Nachbarland bringt, dann ist es klar, dass wenn das Nachbarland sich erkältet, der Husten sehr stark geworden ist. Hunderttausende haben in Mexiko ihre Arbeit im letzten Jahr verloren.
DLF: Stichwort Brasilien?
Grabendorf: Bei Brasilien ist es so, dass der Präsident Cardoso ein guter Bekannter von Herrn Schröder ist. Und Herr Schröder ist auch der letzte Besucher, denn der Wahlkampf hat bereits begonnen. In diesem Jahr gibt es in Brasilien Wahlen, und deswegen ist der Zeitpunkt vielleicht nicht so gut gewählt, weil man mit dem Neuen noch nicht reden kann und der Alte auf jeden Fall abtreten wird.
DLF: Innerhalb der Krisenchronologie in Argentinien ist ja der heutige Tag womöglich ein wichtiges Datum. Der Peso wird heute endgültig vom Dollar abgekoppelt. Die Wirtschaft Argentiniens wird damit erstmals seit zehn Jahren wieder vollständig auf die Landeswährung umgestellt. Ist das Ihrer Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung?
Grabendorf: Es ist sicherlich ein notwendiger Schritt, der zu spät gekommen ist. Es ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Man hätte das vor fünf Jahren machen können, als die Wirtschaft damals noch stärker da stand. Aber wir haben in Argentinien nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sehr starke politische Krise, und es ist noch nicht mal sicher, ob der erste Besucher bei Präsident Dualde, nämlich Schröder, nicht auch sein letzter sein könnte, denn es ist keineswegs sicher, dass diese Regierung im Sattel bleibt.
DLF: Sie haben gerade den Schritt von den wirtschaftlichen Problemen bis hin zu den politischen. Wir haben ja – auch mit Blick auf Mexiko und Brasilien – vornehmlich die wirtschaftlichen Beziehungen angesprochen. Sind diese Beziehungen von Deutschland zu dieser Region vorrangig unter wirtschaftlichen Vorzeichen zu sehen oder ist das nicht doch auch mehr? Denn die Delegation ist nicht nur aus Wirtschaftsbossen zusammengestellt.
Grabendorf: Das ist richtig. Das Schwergewicht der Delegation, zumindest was die Anzahl angeht, sind natürlich die Wirtschaftsleute. Aber es ist sicherlich so, dass z.B. Brasilien immer eine spezielle Beziehung zu der Bundesrepublik gehabt hat. Das hängt nicht nur von der Wirtschaft ab. Das hängt auch an den engen wissenschaftlichen Kontakten und ähnlichen Dingen ab. Hinzu kommt, dass Brasilien sich immer als eine Zentralmacht der Integration verstanden hat. Brasilien wollte innerhalb Südamerikas der Hoffnungsträger für einen integrierten Kontinent sein. Und es gibt deswegen auch viele politische Verbindungen, gerade zwischen Brasilien und der Bundesrepublik.
DLF: Menschenrechtsorganisationen mahnen an, auch diese Thematik auf die Tagesordnung zu setzen. Gilt das für alle drei Stationen?
Grabendorf: Das gilt sicherlich für alle drei Stationen, aber im unterschiedlichen Maße. Besonders angemahnt wird es immer noch in Mexiko, obwohl gerade Mexiko auch in der politischen Reform große Fortschritte gemacht hat. Präsident Fox ist ja der erste nach 70 Jahren Einparteienherrschaft, der aus der Opposition gekommen ist. In Brasilien sind die Menschenrechtsfragen auch damit im Zusammenhang zu sehen, dass die Regierung gar nicht in allen Indianergebieten, in allen entlegenen Gebieten wirklich den Durchgriff und den Überblick zu haben scheint. Hier muss noch sehr viel in Sachen Justizwesen und Polizeireform gearbeitet werden.
DLF: Besteht eigentlich die Gefahr, dass sich die Krise in Argentinien, über die wir so viel gehört haben, auf andere Länder in der Region ausweitet - wir hören so viel über Vernetzungen, Globalisierung, Verbindungen, die kaum mehr gekappt werden können - oder ist das in der Tat ein isoliertes Problem?
Grabendorf: Es ist kein isoliertes Problem aus zwei Gründen: Der eine Grund ist, dass natürlich vor allen Dingen die etwas kleineren Nachbarstaaten, also Chile, Uruguay und Paraguay, augrund ihrer Handelsstruktur sehr stark unter der Wirtschaftskrise zu leiden haben. Andrerseits ist aber das, was man früher die Ansteckungsgefahr der Märkte genannt hat, inzwischen nicht mehr so stark, weil natürlich die wirtschaftlichen Voraussetzungen in Brasilien oder in Mexiko völlig anders sind, und auch die verschiedenen Analysten der internationalen Banken heute nicht mehr alle von den Entwicklungsländern in einen Topf schmeißen. Aber der zweite Punkt scheint mir sehr wichtig zu sein, dass nämlich aufgrund der enormen Enttäuschung der Globalisierungserfahrung Argentiniens heute in Lateinamerika generell sehr stark gefragt wird: Was bringt mir die Globalisierung? Bringt sie Verlust der Arbeitsplätze? Bringt sie eine Einkommenskonzentration bei wenigen oder bringt die Öffnung der Märkte wirklich einen Fortschritt für alle?
DLF: Welche Gefahren sehen Sie da?
Grabendorf: Dass wir vor allen Dingen im politischen Bereich ähnliche Entwicklungen wie in Venezuela haben werden, dass nämlich der Ruf nach dem starken Mann wieder zunehmen wird, nicht militärische Regime oder irgendeine Art von direkten autoritären Regimes, aber doch das, was man in Lateinamerika Populismus nimmt, d.h. ein Führer, der der Meinung ist, er kann als Heilsbringer wirklich der Bevölkerung etwas bringen, was die Demokratie in ihrer jetzigen Form ihr nicht gebracht hat.
DLF: Dualde setzt große Hoffnungen in den Besuch des Kanzlers, so berichten Agenturen über den argentinischen Präsidenten. Sie haben das eben schon angesprochen, die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Sind das also eher Floskeln?
Grabendorf: Nein, es sind nicht Floskeln. Es ist – glaube ich – gerade in Argentinien sehr wichtig, vielleicht noch wichtiger als in den anderen großen Staaten, weil Argentinien sich von der Unterstützung der USA enttäuscht gezeigt hat, die zehn Jahre lang das argentinische Modell unterstützt hat. Argentinien ist im Moment auf der Suche nach einem politischen Halt, und es müssen auch sehr viele politische Reformen durchgeführt werden, und da ist vielleicht manches von dem – nicht alles – selbstverständlich, was man auch in Deutschland in Bezug auf Finanzausgleich, generelle Reformen des Bankwesens und ähnliche Dinge durchgeführt hat, etwas, worüber Schröder mit Dualde sprechen könnte.
Link: Interview als RealAudio
Grabendorf: Darüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Von den Europäern sicherlich nicht, denn die Spanier haben sich in den letzten Jahren sehr engagiert, sowohl finanziell als auch politisch. Die Deutschen hatten früher eine größere Rolle in der Region. Die sogenannte traditionelle Freundschaft ist gerade in Mexiko, Brasilien oder Argentinien sicherlich Ausdruck dieser Beziehung. Aber aufgrund der Vereinigung und der osteuropäischen verschiedenen Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft ist die deutsche Wirtschaft heute nicht mehr so prominent dort vertreten.
DLF: Ist das auch vielleicht Konsequenz der Erkenntnis, dass es gegen die Dominanz der USA dort für die deutsche Wirtschaft einfach nichts zu gewinnen gibt?
Grabendorf: Das ist sicherlich richtig für das Land Mexiko, wo der Bundeskanzler seine Reise begonnen hat. Es ist nicht richtig für Brasilien und Argentinien, vor allen Dingen nicht für Brasilien, weil Sao Paulo immer noch die größte deutsche Wirtschaftsstadt ist, mit einer Konzentration von deutschen Unternehmen, wie sie sonst in der Welt nirgendwo vertreten ist.
DLF: Mexiko, Brasilien, Argentinien. Halten Sie die Auswahl der Stationen für klug?
Grabendorf: Ob es klug ist , weiß man nicht, aber es sind die drei Länder, die den Ton angeben. Was nicht klug war von Seiten des Kanzlers – aber dafür kann er natürlich nichts, Sie wissen, dass die Reise vom letzten Herbst auf dieses Frühjahr verschoben wurde, weil damals die Mazedonien-Debatte seine Anwesenheit in Berlin erforderte – ist der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt ist relativ schlecht, weil alle drei Länder vor unterschiedlichen Problemen stehen, besonders Argentinien. Und man weiß nicht so recht, was dort noch vermittelbar ist.
DLF: Ich habe nicht ganz verstanden, warum das Timing dann schlecht sein soll, denn wenn Probleme da sind, dann kann es doch helfen, wenn jemand kommt, der möglicherweise bei der Lösung helfen kann.
Grabendorf: Das ist sicherlich richtig. Aber ob Bundeskanzler Schröder in der Lage sein wird, bei diesen Problemen zu helfen, ist insofern sehr fragwürdig, als es sich bei vielen dieser Probleme natürlich auch um finanzielle Probleme handelt, und da wird er sicherlich keine offene Hand haben.
DLF: Dann haben Sie gesagt, jedes Land hat seine eigenen, spezifischen Schwierigkeiten. Über Argentinien haben wir aufgrund der wirtschaftlichen Dauerkrise in den letzten Monaten viel gehört. Was erscheint Ihnen mit Blick auf die ersten beiden Stationen wichtig?
Grabendorf: In Mexiko ist es in der Tat so, dass das Gewicht der USA so stark geworden ist, dass die dort bestehenden deutschen Investitionen und der dort bestehende deutsche Handel gestärkt werden müssen. Hinzu kommt, dass Mexiko wirtschaftlich von der Konjunkturschwäche der US-Amerikaner sehr betroffen ist. Wenn man 80 Prozent seines Exports in das Nachbarland bringt, dann ist es klar, dass wenn das Nachbarland sich erkältet, der Husten sehr stark geworden ist. Hunderttausende haben in Mexiko ihre Arbeit im letzten Jahr verloren.
DLF: Stichwort Brasilien?
Grabendorf: Bei Brasilien ist es so, dass der Präsident Cardoso ein guter Bekannter von Herrn Schröder ist. Und Herr Schröder ist auch der letzte Besucher, denn der Wahlkampf hat bereits begonnen. In diesem Jahr gibt es in Brasilien Wahlen, und deswegen ist der Zeitpunkt vielleicht nicht so gut gewählt, weil man mit dem Neuen noch nicht reden kann und der Alte auf jeden Fall abtreten wird.
DLF: Innerhalb der Krisenchronologie in Argentinien ist ja der heutige Tag womöglich ein wichtiges Datum. Der Peso wird heute endgültig vom Dollar abgekoppelt. Die Wirtschaft Argentiniens wird damit erstmals seit zehn Jahren wieder vollständig auf die Landeswährung umgestellt. Ist das Ihrer Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung?
Grabendorf: Es ist sicherlich ein notwendiger Schritt, der zu spät gekommen ist. Es ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Man hätte das vor fünf Jahren machen können, als die Wirtschaft damals noch stärker da stand. Aber wir haben in Argentinien nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sehr starke politische Krise, und es ist noch nicht mal sicher, ob der erste Besucher bei Präsident Dualde, nämlich Schröder, nicht auch sein letzter sein könnte, denn es ist keineswegs sicher, dass diese Regierung im Sattel bleibt.
DLF: Sie haben gerade den Schritt von den wirtschaftlichen Problemen bis hin zu den politischen. Wir haben ja – auch mit Blick auf Mexiko und Brasilien – vornehmlich die wirtschaftlichen Beziehungen angesprochen. Sind diese Beziehungen von Deutschland zu dieser Region vorrangig unter wirtschaftlichen Vorzeichen zu sehen oder ist das nicht doch auch mehr? Denn die Delegation ist nicht nur aus Wirtschaftsbossen zusammengestellt.
Grabendorf: Das ist richtig. Das Schwergewicht der Delegation, zumindest was die Anzahl angeht, sind natürlich die Wirtschaftsleute. Aber es ist sicherlich so, dass z.B. Brasilien immer eine spezielle Beziehung zu der Bundesrepublik gehabt hat. Das hängt nicht nur von der Wirtschaft ab. Das hängt auch an den engen wissenschaftlichen Kontakten und ähnlichen Dingen ab. Hinzu kommt, dass Brasilien sich immer als eine Zentralmacht der Integration verstanden hat. Brasilien wollte innerhalb Südamerikas der Hoffnungsträger für einen integrierten Kontinent sein. Und es gibt deswegen auch viele politische Verbindungen, gerade zwischen Brasilien und der Bundesrepublik.
DLF: Menschenrechtsorganisationen mahnen an, auch diese Thematik auf die Tagesordnung zu setzen. Gilt das für alle drei Stationen?
Grabendorf: Das gilt sicherlich für alle drei Stationen, aber im unterschiedlichen Maße. Besonders angemahnt wird es immer noch in Mexiko, obwohl gerade Mexiko auch in der politischen Reform große Fortschritte gemacht hat. Präsident Fox ist ja der erste nach 70 Jahren Einparteienherrschaft, der aus der Opposition gekommen ist. In Brasilien sind die Menschenrechtsfragen auch damit im Zusammenhang zu sehen, dass die Regierung gar nicht in allen Indianergebieten, in allen entlegenen Gebieten wirklich den Durchgriff und den Überblick zu haben scheint. Hier muss noch sehr viel in Sachen Justizwesen und Polizeireform gearbeitet werden.
DLF: Besteht eigentlich die Gefahr, dass sich die Krise in Argentinien, über die wir so viel gehört haben, auf andere Länder in der Region ausweitet - wir hören so viel über Vernetzungen, Globalisierung, Verbindungen, die kaum mehr gekappt werden können - oder ist das in der Tat ein isoliertes Problem?
Grabendorf: Es ist kein isoliertes Problem aus zwei Gründen: Der eine Grund ist, dass natürlich vor allen Dingen die etwas kleineren Nachbarstaaten, also Chile, Uruguay und Paraguay, augrund ihrer Handelsstruktur sehr stark unter der Wirtschaftskrise zu leiden haben. Andrerseits ist aber das, was man früher die Ansteckungsgefahr der Märkte genannt hat, inzwischen nicht mehr so stark, weil natürlich die wirtschaftlichen Voraussetzungen in Brasilien oder in Mexiko völlig anders sind, und auch die verschiedenen Analysten der internationalen Banken heute nicht mehr alle von den Entwicklungsländern in einen Topf schmeißen. Aber der zweite Punkt scheint mir sehr wichtig zu sein, dass nämlich aufgrund der enormen Enttäuschung der Globalisierungserfahrung Argentiniens heute in Lateinamerika generell sehr stark gefragt wird: Was bringt mir die Globalisierung? Bringt sie Verlust der Arbeitsplätze? Bringt sie eine Einkommenskonzentration bei wenigen oder bringt die Öffnung der Märkte wirklich einen Fortschritt für alle?
DLF: Welche Gefahren sehen Sie da?
Grabendorf: Dass wir vor allen Dingen im politischen Bereich ähnliche Entwicklungen wie in Venezuela haben werden, dass nämlich der Ruf nach dem starken Mann wieder zunehmen wird, nicht militärische Regime oder irgendeine Art von direkten autoritären Regimes, aber doch das, was man in Lateinamerika Populismus nimmt, d.h. ein Führer, der der Meinung ist, er kann als Heilsbringer wirklich der Bevölkerung etwas bringen, was die Demokratie in ihrer jetzigen Form ihr nicht gebracht hat.
DLF: Dualde setzt große Hoffnungen in den Besuch des Kanzlers, so berichten Agenturen über den argentinischen Präsidenten. Sie haben das eben schon angesprochen, die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Sind das also eher Floskeln?
Grabendorf: Nein, es sind nicht Floskeln. Es ist – glaube ich – gerade in Argentinien sehr wichtig, vielleicht noch wichtiger als in den anderen großen Staaten, weil Argentinien sich von der Unterstützung der USA enttäuscht gezeigt hat, die zehn Jahre lang das argentinische Modell unterstützt hat. Argentinien ist im Moment auf der Suche nach einem politischen Halt, und es müssen auch sehr viele politische Reformen durchgeführt werden, und da ist vielleicht manches von dem – nicht alles – selbstverständlich, was man auch in Deutschland in Bezug auf Finanzausgleich, generelle Reformen des Bankwesens und ähnliche Dinge durchgeführt hat, etwas, worüber Schröder mit Dualde sprechen könnte.
Link: Interview als RealAudio