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Schröders Spielermentalität

Manuel Fröhlich vermutet hinter Gerhard Schröders Forderung, das EU- Waffenembargo gegenüber China aufzuheben, politisches Kalkül. Es könnte sich um eine "Good-Will-Aktion" handeln, für die der Bundeskanzler im Gegenzug Chinas Unterstützung bei der Reform des UNO-Sicherheitsrates gewinnen will. Fröhlich warnte allerdings davor durch diese Politik eine erneute Verstimmung der transatlantischen Beziehungen zu riskieren.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gestern haben die Grünen noch einmal an den Bundeskanzler appelliert, sich nicht weiter für die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China einzusetzen. Auch große Teile der SPD, der Union und der FDP sind gegen ein Ende des Embargos, bedroht China doch seinen Nachbarn Taiwan ganz offen. Und, so meldet Amnesty International heute, nirgendwo auf der Welt werden so viele Menschen hingerichtet wie in der Volksrepublik. Doch Gerhard Schröder hat ja erst letzte Woche bekräftigt, sich notfalls auch über ein Votum des Bundestags hinwegsetzen zu wollen. Was ist für den Kanzler so wichtig, den ohnehin brüchigen Koalitionsfrieden zu riskieren? Um deutsche Waffenverkäufe nach China kann es nicht gehen, denn die blieben auch bei einem Ende des EU-Embargos verboten. Es gibt aber Spekulation, dass es dem Kanzler bei seiner Chinapolitik in Wahrheit um einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehe, deren Strukturen derzeit reformiert werden. Am Telefon begrüße ich den UN-Experten und Politikwissenschaftler Dr. Manuel Fröhlich von der Uni Jena. Herr Fröhlich, ehe wir auf die Chinapolitik und mögliche Zusammenhänge kommen, müssen Sie uns zunächst kurz die Ausgangslage erklären. Wie soll der UNO-Sicherheitsrat reformiert werden?

    Manuel Fröhlich: Ja, die Ausgangslage sieht eigentlich immer noch die zwei Modelle vor, die in dem Bericht des sogenannten "High-Level-Panel" von Kofi Annan vorgestellt wurden und die er jetzt vor kurzem in der Generalversammlung nochmals bekräftigt hat. Modell A würde heißen, dass der Rat um sechs neue ständige Mitglieder erweitert wird, wobei nicht ständige auf zwei Jahre gewählt würden. Modell B sieht acht Mitglieder vor, reifere Mitglieder, die in einer Periode von vier Jahren, eventuell wiederwählbar, dazu kämen, und ein nicht ständiges Mitglied. Wir haben also in beiden Fällen eine Erweiterung auf 24 Mitglieder. Damit sollen die Weltregionen eben besser repräsentiert werden. Modell A ist das, was der deutschen Bundesregierung am ehesten entgegenkäme, weil hier eben der Status eines ständigen Mitgliedes vorgesehen ist und nicht nur eine Erhöhung der Amtszeit.

    Spengler: Warum will denn die Bundesregierung unbedingt einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben?

    Fröhlich: Da gibt es eine Reihe von Gründen. Der erste ist, dass Deutschland sich finanziell und personell an den Aktivitäten der Vereinten Nationen in herausragender Art und Weise beteiligt. Deutschland liegt an dritter Stelle, was die offiziellen Beitragszahlungen an das System der Vereinten Nationen betrifft. Zum Zweiten sagt man, dass der Sicherheitsrat in seiner jetzigen Verfassung eigentlich die politische Realität von 1945 widerspiegelt und hier sich eben Dinge ändern müssen. Deutschland ist ja großer Advokat eben auch einer größeren Beteiligung der bislang vernachlässigten Regionen, etwa Afrika oder Asien. Man sagt, wenn es hier zu einer Erweiterung in diesem Sinne kommt, dann ist Deutschland auf jeden Fall ein Anwärter, ein Kandidat.

    Spengler: Wer sorgt denn dafür, dass Deutschland einen solchen Sitz bekommt? Welche Mehrheiten sind da nötig?

    Fröhlich: Das würde eine Chartaänderung voraussetzen, ein ganz schwieriges Verfahren in den UNO-Prozeduren. Wir brauchen dazu eigentlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Generalversammlung. Das wären also 127 Stimmen, die Deutschland dort sammeln müsste, wobei es sich hier um die Stimmen der Staaten handelt. In einem zweiten Schritt, wenn also sozusagen die diplomatische Mehrheit zusammen ist und dieser Beschluss der Generalversammlung zu Stande gekommen ist, dann müssen eben genauso viele Mitglieder der Vereinten Nationen diese Lösung ratifizieren, und hier sieht die Charta insbesondere für die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat vor, dass die auf jeden Fall bei der Ratifizierung dabei sein müssen. Also gegen ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates keine Reform der Charta.

    Spengler: Wir haben derzeit fünf ständige Mitglieder, also die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Das heißt, ich sage mal, Wackelkandidaten sind da China und die USA noch, Frankreich und Großbritannien hat man doch sicher auf seiner Seite?

    Fröhlich: Das ist so. Das ist seit langem, sagen wir, indirekte Politik, dass man aus Paris und London durchaus Unterstützungserklärungen für diesen deutschen Wunsch abgibt, wobei sich eben Frankreich und Großbritannien keine Einschränkung ihrer jetzigen Rechte als Sicherheitsratsmitglieder vorstellen könnten. Russland wird auch eher als unterstützend angesehen. Die USA haben sich nicht eindeutig geäußert, China dagegen beim Besuch des Kanzlers vor kurzem, klar etwas diplomatisch verwoben, aber durchaus unterstützend.

    Spengler: Ist das dann Schröders Kalkül, also China auf die Seite zu bekommen eindeutig?

    Fröhlich: Also das würde mich eigentlich wundern, wenn das jetzt die Ratio dahinter wäre. Man sieht ja, dass sich der Kanzler eine Reihe von Schwierigkeiten mit dieser Positionierung einhandelt, innenpolitisch, aber auch außenpolitisch.

    Spengler: Also er verärgert doch die USA damit, und die braucht man auch für den UN-Sicherheitsrat.

    Fröhlich: Ganz genau. Insofern wäre es eigentlich gegenüber der chinesischen generellen Unterstützung nur ein relativer Zugewinn, wenn ich auf der anderen Seite gleichzeitig die USA, die sich noch nicht so geäußert haben wie die Chinesen, wieder verärgere und hier insbesondere nicht nur eine kurzzeitige Verärgerung, sondern gerade in dieser Phase der gegenseitigen Annäherung eine deutliche Verstimmung der transatlantischen Beziehungen wage, da die Amerikaner insbesondere argumentieren, hier könnte es dann in Zukunft dazu kommen, dass Waffen aus der EU potentiell gegen die in der Straße von Taiwan eingesetzten amerikanischen Soldaten eingesetzt werden.

    Spengler: Es könnte natürlich so sein, dass das EU-Embargo gar nicht aufgehoben wird, dass es also beim Alten bleibt, aber der Kanzler gegenüber China sagt, na gut, ich habe mich aber für euch eingesetzt.

    Fröhlich: Ja, das ist eigentlich ein bisschen, wenn Sie so wollen, eine gewisse Spielermentalität, die man dahinter vermuten könnte. Die jetzige Lage sieht so aus, dass eigentlich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der EU für die Ratsitzung im Juni eher eine Vertagung der Aufhebung vorsehen. Großbritannien hat diesen Kompromissvorschlag angesehen. Das heißt, eigentlich kämpft man, terminlich gesehen, vielleicht schon auf verlorenem Posten, und es geht um diese Good-Will-Aktion. Grundsätzlich sagt ja die Bundesregierung, es sei nur ein symbolischer Akt, es ginge gar nicht darum, unmittelbar Waffen zu liefern. Andrerseits ist eben ein Waffenembargo eine sehr konkrete Sache, und da ist eben die nur symbolische Ebene sicherlich ein bisschen wenig.

    Spengler: Vielen Dank für das Gespräch.