Archiv


Schüssel dringt auf Unabhängigkeit des Kosovos

Der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat Russland vor einer Blockadehaltung in der Kosovo-Frage gewarnt. Die Europäische Union müsse alles tun, um eine Lösung für das Kosovo zu erreichen, die von allen Seiten getragen werde. Das Ziel müsse die überwachte Unabhängigkeit der südserbischen Provinz sein.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Kosovo-Frage, also eine Zerreißprobe für die Europäische Union - Fragezeichen? Eine Zerreißprobe, die die ohnehin fragile Außen- und Sicherheitspolitik im Fundament erschüttern kann? Die EU spaltet sich jedenfalls auf in mehr oder weniger zwei Lager, jedes fährt gewichtige Argumente auf. Doch was steht am Ende, wenn die Europäische Union eingeklemmt bleibt zwischen diesen beiden Positionen und damit, wie Diplomaten befürchten, handlungsunfähig wird? Am Telefon begrüße ich den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Guten Morgen, Herr Schüssel!

    Wolfgang Schüssel: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Zunächst mal zu den Gesprächen gestern: Eine Troika soll es nun bringen, tatsächlich für Sie schon ein Neuanfang oder eben der allerkleinste gemeinsame Nenner, der im Moment zu haben ist?

    Schüssel: Na, das Wort Neuanfang ist ein bisschen gefährlich, denn das könnte ja den Eindruck erwecken, als würden wir gemeinsam mit den Amerikanern und mit der UNO und mit anderen Verhandlungspartnern, auch in der Kontaktgruppe, weggehen von dem Vorschlag, der ja in unserem gemeinsamen Auftrag im Namen der UNO von Martti Ahtisaari und Albert Rohan ausgearbeitet wurde, der eine überwachte Unabhängigkeit für den Kosovo vorsieht. Das ist, glaube ich, schon sehr wichtig, dass wir jetzt nicht mit dem Wort Neuanfang suggerieren, dass es neue Vorschläge dazu gibt. Was übrigens auf Initiative der Europäische Union und wesentlich ja von Deutschland mit beeinflusst jetzt gemacht wird, ist, dass eine verkleinerte Gruppe, eine Troika, bestehend aus den Europäern, den Amerikanern und den Russen, eine letzte Verhandlungsanstrengung noch einmal machen soll, um zu einer solchen überwachten Unabhängigkeit für den Kosovo zu kommen. Das ist, glaube ich, interessant. Und da ist die ganze Union eigentlich geeint.

    Klein: Gut, das wollen wir gleich noch schauen, also, zunächst mal zu den divergierenden Positionen: Russland stützt Serbien, blockiert eine Entscheidung des UNO-Sicherheitsrates, ist im Prinzip gegen die Unabhängigkeit des Kosovo. Washington setzt Serbien eine Frist von vier Monaten und würde dann ein unabhängiges Kosovo völkerrechtlich anerkennen, eben ohne Serbien und ohne UNO. Welche Position soll die EU in dieser Troika einnehmen?

    Schüssel: Die Union soll darauf drängen, dass man wirklich noch einmal alles tut, um die beiden Partner, in Pristina die Kosovaren und in Belgrad die Serben, dazu zu bringen, eine solche Lösung gemeinsam zu tragen. Und das Ziel ist ja für die gesamte Union klar und eindeutig, da gibt es auch keine Unterschiede. Diese überwachte Unabhängigkeit als Ziel, eine gesamte europäische Perspektive für den ganzen Raum, die auch durchaus eine Mitgliedschaft zur Europäischen Union mit einschließen kann, und der Weg dorthin wird jetzt durch eine in etwa vier Monate Verhandlungsphase jetzt noch einmal eröffnet. Und am Ende dieser Verhandlung, die hoffentlich Russland mit einbinden kann - das ist nicht sicher aber das hoffen wir ,- wird noch einmal dem UNO-Sicherheitsrat berichtet werden. Was dann ist, ist natürlich eine Art choreografiefreier Raum, das wissen wir noch nicht, dazu muss man, glaube ich, schon jetzt die Chance dieser letzten Verhandlung schon benützen und muss auch klar machen, dass es sinnvoll ist, die UNO zu stärken und nicht zu blockieren. Die Russen etwa, die ja in vielen anderen Bereichen, denken Sie an andere Konfliktherde, immer sehr darauf gedrängt haben, wie auch wir Europäer, die UNO zu stärken, der UNO eine Rolle zu geben, müssen sich schon auch der Verantwortung bewusst sein, dass man nicht die UNO blockieren darf.
    Klein: Aber das klingt natürlich ein wenig nach Wunschmusik, mit Verlaub, Herr Schüssel, denn es scheint sich ja nichts zu bewegen an der Position Russlands und Serbiens. Und viele Diplomaten auf EU-Ebene sind eigentlich auch äußerst pessimistisch. Wo sehen Sie denn Ansatzpunkte, wie sich an der serbischen und auch an der russischen Position etwas ändern könnte?
    Schüssel: Ja, wenn Sie sich diesen Plan von Ahtisaari ansehen, dann ist das ja meiner Meinung nach ein einmaliges Dokument, wie es ja bisher in der Geschichte eigentlich noch nie entwickelt worden ist. 99 Prozent oder fast 99 Prozent der Vorschläge, die er in diesem Papier gemacht hat, beziehen sich ja auf den Schutz von serbischen Minderheiten im Kosovo, Kulturgüter, Klöster, der Schutz der Persönlichkeiten, der Dörfer, Autonomie für die Dörfer und so weiter. Das heißt, hier sind ja eine ganze Reihe von Rechten fixiert, die es auf der ganzen Welt sonst für Minderheiten in dieser Form gar nicht mehr gibt. Wenn hier noch etwas nachgelegt werden kann, wenn hier noch Präzisierungen gemacht werden können, dann sollte es selbstverständlich möglich sein. Aber am Ende sollte doch das möglich sein, was bei Montenegro übrigens klaglos funktioniert hat, das es eben eine Unabhängigkeit gibt, die zusätzlich noch durch die Staatengemeinschaft - und da wird die Europäische Union eine wichtige Rolle spielen müssen, denn das ist ja auch die Stunde der europäischen Außenpolitik, das kann man an niemanden anderen delegieren -, wo die Europäer eine große Rolle in der Überwachung dieser Unabhängigkeit spielen werden.
    Klein: Herr Schüssel, ich möchte noch mal nachfragen, "im Klartext etwas nachlegen", heißt das, wie etwa Erweiterungskommissar Olli Rehn jetzt andeutet, ich werde sehr deutlich sprechen und ein großes Zuckerbrot dabeihaben bezüglich des serbischen Wunsches, EU-Mitglied zu werden? Also, werden Zugeständnisse dieser Art nötig sein, um Serbien mit ins Boot zu holen?
    Schüssel: Ja, wir haben immer dafür gekämpft, wir Österreicher, gemeinsam mit den Deutschen und anderen in der regionalen Nachbarschaft, dass die gesamte Region, also nicht nur Serbien, aber auch Serbien und natürlich auch der Kosovo und Albanien, Mazedonien, dass es hier eine Perspektive für eine Mitgliedschaft gibt, das ist klar, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Das ist, kann man als Zuckerbrot empfinden, ich halte es für eine Selbstverständlichkeit und für eine Notwendigkeit, und ich hoffe sehr, dass dieses Angebot auch verstanden wird. Ein unmittelbares Junktim sehe ich nicht, denn das eine ist ja auch zeitlich deutlich abgekoppelt davon. Aber wenn die gesamte Region die Vision hat, einmal zur Europäischen Union dazuzugehören, dann verlieren ja auch scharfe Problemstellungen wie die Grenzziehungen, die Minderheitenrechte, das Recht, sich frei bewegen zu können, ja durchaus an Schärfe, denn das ist heute bei uns gelebter Alltag.
    Klein: Ich möchte noch mal auf die Position der Europäischen Union zu sprechen kommen, Sie haben gesagt, im Grunde genommen ist man sich einig, aber Tatsache ist doch: Es gibt in der EU ein Lager, das folgt eher der amerikanischen Linie, sprich, man darf sich nicht russischer Machtpolitik beugen, Kosovo hat das Recht, acht Jahre nach dem Krieg, zu wissen, wie die Zukunft aussieht, also, sprich, möglicherweise, wenn sich in vier Monaten nichts tut, dann doch eine einseitige, völkerrechtliche Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Auf der anderen Seite das andere Lager, das zwar nicht Russlands Blockade folgt, aber auch nicht den Amerikanern folgen möchte, und sagt, wir stehen vor einem Präzedenzfall. Mit welchem Argument sollen wir den Serben in Bosnien, den Abchasen in Georgien, den Türken in Nordzypern die Unabhängigkeit verweigern, wenn wir jetzt das Kosovo einfach anerkennen? Wo sieht sich denn Österreich in dieser Situation
    Schüssel: Das letzte Argument kann man leicht entkräften, denn natürlich ist der Kosovo und kann auch kein Präzedenzfall für andere Regionen sein, und selbstverständlich könnte etwa der UNO-Sicherheitsrat das auch explizit feststellen, das ist ganz klar. Also, das Argument, glaube ich, ist ausräumbar Ich halte nur wenig davon, dass man jetzt bei Beginn dieser letzten Verhandlungsrunde von etwa vier Monaten sozusagen jetzt schon diskutiert, und was wird sein, wenn das nicht klappen wird, weil das natürlich auch geradezu dieses Ergebnis dann hervorrufen würde. Ich habe insofern auch keine große Freude mit diesem Viermonat-Rhythmus, denn damit rutschen wir natürlich bedenklich nahe in die Nähe der russischen Wahl. Im Dezember sind die Dumawahlen und im März die Präsidentenwahlen in Russland, und wir sind dann gefährlich nahe an diesen beiden Terminen dran.

    Klein: Was bedeutet diese Nähe, die Sie gefährlich nennen?

    Schüssel: Na ja, weil sie ja alle wissen, in Demokratien oder dort, wo gewählt wird, werden natürlich auch solche Themen dann sehr leicht zu einem innenpolitischen großen Thema, und das erleichtert nicht unbedingt die Entscheidungen. Aber jetzt ist die Entscheidung vor uns, es ist noch nicht endgültig, diese Troika mit Russland, Amerika und Europa, das halte ich für sinnvoll. Diese Chance sollte man jetzt nützen über den Sommer, auf diplomatischer Ebene zu einer Lösung zu kommen, die hoffentlich wirklich alle Partner mit einbindet, Belgrad und Pristina und die drei, und dann bin ich überzeugt, dass es auf europäischer Ebene auch keine Probleme gibt. Ich würde es für sehr gefährlich halten, wenn wir uns auseinanderdividieren lassen. Man darf sich von niemandem erpressen lassen oder von niemandem unter Druck setzen lassen. Europa muss sich in dieser Frage eigenständig zeigen.

    Klein: Wenn es spitz auf Knopf kommt, Herr Schüssel, wäre Österreich dann dafür, eine Unabhängigkeit des Kosovo einseitig anzuerkennen?

    Schüssel: Das ist das allerletzte Mittel, und noch mal, da haben Spekulationen jetzt vorweg keinen Sinn. Wir sind immer dafür eingetreten, dass der Kosovo genauso wie andere Balkanregionen, Balkanländer, Völkerschaften, auch wenn sie gemischt sind, das Recht auf Selbstständigkeit haben. Das muss eine kontrollierte und international überwachte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sein. Und auf dem Weg dorthin sind wir, wir sind schon relativ weit gekommen. Die Strukturen beginnen ja auch ein bisschen besser zu funktionieren als in der Vergangenheit. Und man muss hier gute Dienste anbieten und nicht mit Drohungen oder mit Ultimaten oder was immer operieren. Und ich hoffe auch, dass die Russen verstehen, dass wir den UNO-Sicherheitsrat hier nicht blockieren dürfen. Das ist auch sehr, sehr wichtig, das könnte ein gefährlicher Präzedenzfall sonst werden.

    Klein: Der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war das. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schüssel.

    Schüssel: Dankeschön, alles Gute.