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"Schulden sind Schulden"

Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Otto Fricke, hat die Kritik am Umgang der Bundesregierung mit den Altschulden der DDR erneuert. Die Schulden aus dem Erblastentilgungsfonds seien - anders als die Regierung das darstelle - nicht abgezahlt worden, sagte Fricke. Zwar existiere der Fonds nicht mehr, aber der Großteil der Schulden sei in den normalen Haushalt übernommen worden.

Otto Fricke im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Ob sie ihre Schulden abbezahlt, oder ob sie für diese Schulden einen neuen Kredit aufgenommen haben, ist das für sie genau das gleiche? Wohl eher nicht. Vereinfacht gesagt: Um diese Frage dreht sich auch seit gestern die Diskussion über den Erblastentilgungsfonds. Darin wurden die Schulden der DDR seinerzeit zusammengefasst. Angewachsen war der Fonds auf stattliche 171 Milliarden Euro. Wie gut die Tilgung funktioniert hat, darauf hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung in diesem Monat hingewiesen.

    Angela Merkel: "Wer Schulden aufnimmt, muss sie zuverlässig tilgen. Wir haben das im Übrigen beim Erblastentilgungsfonds bewiesen. Der wurde 1995 eingerichtet. Er hatte einen Schuldenstand von 171 Milliarden Euro umgerechnet und er ist jetzt getilgt, meine Damen und Herren."

    Klein: Der Fonds ist getilgt, eine eindeutige Aussage also von Angela Merkel. Die FDP protestiert. Von Tilgung könne keine Rede sein. Mehr als die Hälfte des Betrages sei vielmehr umgeschuldet. Sie, die Freien Demokraten, bezichtigen die Kanzlerin, nicht die Wahrheit gesagt zu haben, und haben dazu gestern den Bundesfinanzminister befragt. Die Stellungnahme von Peer Steinbrück:

    Peer Steinbrück: "Beides ist richtig. Der Hinweis darauf, dass ein großer Teil von meinem Vorgänger auf den Bundeshaushalt transferiert worden ist, ist richtig und der Hinweis von Herrn Steinmeier und der Bundeskanzlerin ist ebenfalls richtig, indem über die Tilgungsregelung und der Inanspruchnahme des Bundesbankgewinnes nach meiner Wahrnehmung ungefähr 35 Milliarden Euro getilgt worden sind."

    Klein: Beides ist richtig. Sind damit die Vorwürfe aus der Welt? Das wollen wir jetzt hören von Otto Fricke. Er ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und gehört der FDP an. Guten Morgen, Herr Fricke!

    Otto Fricke: Einen wunderschönen guten Morgen aus Berlin.

    Klein: Hat der Bundesfinanzminister für Sie den entscheidenden Punkt aufklären können mit seiner Feststellung, beides ist richtig?

    Fricke: Na ja, es ist schon ganz interessant, wie ein durchaus der Sprache sehr mächtiger Finanzminister versucht, seinem Vizekanzler und seiner Kanzlerin zu helfen. Aber es bleibt dabei - und das muss ich dann wieder sagen, dafür ist das für mich als Haushaltsausschussvorsitzender noch lange nicht erledigt -, die Schulden sind noch da und das hätte eigentlich der Finanzminister sagen müssen.

    Klein: Er hat es auch gesagt. Er hat gesagt, 35 Milliarden. Dazu kommt noch eine weitere Summe, so dass wir insgesamt bei 80 Milliarden getilgter Schulden sind. Weshalb sind Sie damit nicht einverstanden?

    Fricke: Na ja, weil auch das wieder nur die Hälfte der Wahrheit ist. Es wird - und das hat mich sehr geärgert, als die Erklärung kam, sowohl vom Vizekanzler als auch von der Kanzlerin - gegenüber dem Bürger durch eine sehr geschickte Wortwahl der Eindruck erweckt, als hätte die Politik wirklich in den letzten Jahren hier Schulden getilgt. Und selbst die von Ihnen gerade ja genannten 80 Milliarden sind ja nicht wirklich getilgt worden in ihrer Gesamtheit, sondern sind sozusagen aus der linken Tasche getilgt worden. Dafür hatte man aber kein Geld für die rechte Tasche, für den eigentlichen Haushalt. - Wir machen weiterhin jedes Jahr neue Schulden und sie wachsen jedes Jahr. Da ist nichts in dem Sinne abgebaut worden, und das ist das, was so ärgerlich ist, weil man gegenüber dem Bürger so tut an der Stelle, als hätte man genug Geld.

    Klein: Welche Erklärung haben Sie denn dafür, dass die Bundeskanzlerin sagt, die Schulden sind getilgt?

    Fricke: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, nach der Erfahrung, die ich mit der Bundeskanzlerin und dem Vizekanzler an der Stelle habe, habe ich dafür eigentlich keine Erklärung, denn ich halte beide für sehr intelligente, fleißige Menschen, denen eigentlich so etwas nicht passieren darf. Deswegen ist das für mich etwas, wo - und das muss ich dann auch zubilligen - nicht jeder sofort einzeln noch mal alles nachrechnet als Kanzler und Vizekanzler, aber wo die Regierung in ihrem System versucht - inzwischen aufgrund der Nervosität, die herrscht -, irgendwo nach draußen eine Erklärung zu geben, dass man doch alles gut im Griff habe und alles ordentlich mache und dass deswegen eben neue Schulden auch in Ordnung sind, was sie eben so nicht sind.

    Klein: Aber für den Bürger ist das verwirrend, Herr Fricke. Da scheint Aussage gegen Aussage zu stehen und wer soll das nachprüfen.

    Fricke: Na ja. Eigentlich, wenn wir Herrn Steinbrück jetzt wörtlich nehmen - ich versuche das jetzt mal runterzubrechen auf den Bürger. Stellen Sie sich vor als Bürger, Sie haben einen großen Kredit laufen, der leider jedes Jahr mehr wird, und dann nehmen sie einen weiteren Kredit auf, der ist kleiner, und dann gehen Sie hin und sagen, jetzt pass mal auf, den kleinen Kredit, den habe ich jetzt zum Teil auf den großen Kredit rübergeschuldet und im Übrigen habe ich einen Teil von den Einnahmen, der aber immer noch weniger ist als die Ausgaben, benutzt, um diesen kleinen Kredit auf null zu fahren. Und dann würden Sie als Bürger hingehen und sagen so, jetzt habe ich aber Schulden getilgt, jetzt bin ich aber jemand, der sparsam ist. Genau das ist das, was passiert ist, denn das große dicke fette Schuldenkonto ist immer noch da.

    Klein: Ist es für Sie eine Falschaussage, oder ist es für Sie nur eine andere Art der Interpretation der Wirklichkeit?

    Fricke: Nein. Falschaussage ist so ein auch dann juristischer Begriff, der in Richtung Straftat geht. Das würde ich nicht tun. Das halte ich im Politischen für eine unfaire Aussage. Nein, für mich ist es typischerweise Wahlkampf und - und das fand ich auch dann noch so schlimm - am Ende sowohl von Herrn Steinmeiers Rede als auch von Frau Merkels Rede war, deswegen können die Bürger auf uns vertrauen, dass wir das auch machen. Dieses Vertrauen darf man nicht zerstören, das darf man nicht benutzen, um einen kurzen, billigen, "preiswerten" politischen Effekt zu erzeugen. Das ist für mich der eigentliche Vorwurf, gerade als Haushaltsausschussvorsitzender, der merkt, wie viel Belastungen wir den Kindern im Moment gerade auf die Schultern häufen. Wir werden uns mit der Bundesschuld dieses Jahr in Richtung einer Billion bewegen. Das darf man nicht vergessen.

    Klein: Das was Sie tun, Herr Fricke mit Verlaub, ist natürlich auch Wahlkampf, denn wir haben einen riesigen Schuldenberg. Eine Patentlösung hat niemand. Wir müssen damit leben und müssen den allerbesten Weg, damit umzugehen, sicherlich finden, auch wenn der in Umschuldung bestehen sollte. Was ist denn Ihr Rezept, wie jetzt weiter verfahren werden soll mit diesem Erblastentilgungsfonds?

    Fricke: Erstens: jeder Politiker ist mit allen Aussagen, die er macht - und seien sie inhaltlich nur eine nüchterne Analyse -, natürlich immer irgendwo im Wahlkampf, gerade acht Monate vor der Wahl. Aber man muss dann eben doch aufpassen, dass man nahe bei den Fakten bleibt, und zwar so nahe, dass der Bürger nicht in die falsche Richtung geführt wird und dann sagt, der Politiker oder der Politiker hat Recht. Und was nun den Fonds angeht, den alten, der ist wirklich jetzt bis auf ein paar 50 Millionen so umgeschuldet, dass er demnächst als Fonds nicht mehr existiert. Die Schulden existieren weiter. Es geht aber doch gerade darum, dass wir dabei sind, einen neuen Fonds aufzubauen. Gerade sagt die Regierung, für die vielen, vielen Schulden, die wir jetzt aufnehmen werden, von denen man wirklich einen Teil aufnehmen muss in dieser Zeit, einen Teil, die kriegen wir auch ohne weiteres in den Griff, die werden wir wieder - und zwar in begrenzter Zeit - abbezahlen. Das ist ja gerade das, was man klar machen muss, dass wir dafür nicht die Voraussetzungen haben, weil wir einen großen Fehler machen: Wir machen neue Schulden, große neue Schulden, und ändern dabei nicht die Struktur. Wir tun nichts, um unseren Staat, unser Gemeinwohl so zu verändern, dass es in der nächsten Zeit, wenn es hoffentlich wieder aufwärts geht, dann auch dafür die Voraussetzungen hat, sondern wir pumpen nur Geld rein.

    Klein: Herr Fricke, abschließend gefragt: Was folgt für Sie jetzt konkret aus diesem Fall? Was fordern Sie für Konsequenzen?

    Fricke: Für uns als FDP folgt aus diesem Fall, dass wir im Rahmen der jetzt ja sehr zügig - und das ist auch in Ordnung im Sinne dessen, dass man sagt, wenn man reagieren muss, dann auch schnell -, dass wir sehr genau darauf achten, dass die Regierung nicht wieder versucht, durch einen neuen Tilgungsfonds so zu tun, als hätte sie das im Griff, dass sie nicht versucht - ich sage jetzt bewusst tricksen, nicht täuschen -, durch einen Trick dann nach außen so tut, guckt mal, das mit der Verschuldung ist doch alles gar nicht so schlimm, deswegen können wir es uns auch weiterhin leisten, dem Bürger neue Versprechungen zu machen, obwohl der Bürger, der angeblich diese Geschenke bekommt, sie nachher selber bezahlt. Da ist im Moment unsere Aufgabe und eben solche Aussagen jedes Mal, wenn sie in die Irre führen, dann auch klar darzustellen, dass sie nicht zutreffen.

    Klein: Sie fordern eigentlich nur Klartext zu sagen, wir machen Schulden und nennen das ganze nicht Fonds?

    Fricke: Nein. Wir müssen dem Bürger genau sagen, welche Schulden wir machen, und nicht sagen, pass mal auf, das eine sind Schulden so und so, das andere sind Schulden so und so, die einen sind die üblichen, die anderen sind die, die wir voll im Griff haben. Nein! Schulden sind Schulden, bleiben Schulden, egal ob sie auf dem Girokonto sind, beim Kredit sind, oder ob man das einen Tilgungsfonds nennt, oder ob man eigentlich wirklich ehrlich sagt, das sind Staatsschulden. Der Bürger muss wissen, wie hoch sie sind, wie viel Zinsen sie kosten und wie viel sie von unserer Zukunft uns wegnehmen.

    Klein: Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Fricke.