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Schuldenschnitt für Griechenland
"Ein absolutes Fehlsignal"

Forderungen der linksgerichteten Syriza-Partei nach einem neuen Schuldenschnitt für Griechenland seien nicht einleuchtend, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, im DLF. Angesichts einer sich stabilisierenden Wirtschaft gebe es dafür keine Notwendigkeit.

Michael Hüther im Gespräch mit Christine Heuer | 12.01.2015
    Porträt von Michael Hüther
    Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    In Griechenland wird in zwei Wochen ein neues Parlament gewählt. Sollte die linksgerichtete Syriza-Partei an die Regierung kommen, will sie mit den internationalen Kreditgebern über einen Schuldenerlass verhandeln und den Sparkurs lockern.
    Es gebe keine Notwendigkeit für einen weiteren Schuldenschnitt, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, im Deutschlandfunk. Syriza müsse sich außerdem im Klaren sein, dass bei einer Lockerung des Sparkurses die Währungsunion "durchaus flexibel reagieren" könne. Seiner Ansicht nach handele es sich zum momentanen Zeit um "Wahlkampfgeklingel". Sollte Griechenland wirklich aus der Union austreten wollen, müsste das Land "einen sehr hohen Preis dafür zahlen".
    Hüther räumte ein, dass Griechenland einen langen Atem brauche. Die Überlegungen der neuen Kommission in Richtung neuem Schuldenschnitt seien zum jetzigen Zeitpunkt deshalb "ein absolutes Fehlsignal".
    Das Land müsse derzeit - bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt - etwa vier Prozent Zinsen zahlen, sagte Hüther im Deutschlandfunk. Das sei angesichts einer sich stabilisierenden Wirtschaft und der langfristigen Bedingungen machbar. Ein Schuldenschnitt wäre aus Hüthers Sicht zudem ein falsches Signal an frühere Krisenländer wie Spanien, Portugal, Irland und Zypern. Ihre Anstrengungen dürften nicht entwertet werden.
    Mögliche Reparationsforderungen aus Athen nannte Hüther "keine besonders faire Maßnahme" und fragwürdig. Der Athener Sonntagszeitung "To Vima" zufolge könnte Griechenland elf Milliarden Euro von Deutschland für einen Zwangskredit, den Athen Berlin 1942 gewähren musste, zurückhaben wollen,

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: In knapp zwei Wochen wählen die Griechen eine neue Regierung und alle Umfragen sehen die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras dabei ganz vorn. Tsipras verspricht seinen Landsleuten, den von ihren Gläubigern verordneten Sparkurs zu beenden. Außerdem fordert er einen neuerlichen Schuldenerlass. Und wenn es stimmt, was an diesem Samstag in der „Welt“ zu lesen war, dann findet die Idee vom Schuldenschnitt in der Europäischen Kommission immer mehr Sympathisanten. Interessante Zeiten also, in denen Tsipras Chefökonom Giannis Milios an diesem Wochenende für eine Stippvisite nach Berlin gekommen ist.
    Am Telefon begrüße ich Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Guten Morgen!
    Michael Hüther: Guten Morgen.
    Heuer: Fangen wir ausnahmsweise mal mit dem kleineren Betrag an. Griechenland möchte elf Milliarden Euro von Deutschland für einen Zwangskredit, den Athen Berlin 1942 gewähren musste. Mal abgesehen von den juristischen Fakten, dazu kann ich den Ökonom schlecht fragen. Finden Sie die Reparationsforderung aus Athen angemessen?
    Hüther: Nein, denn Deutschland hat sich wie alle anderen europäischen Länder, aber Deutschland auch in allererster Linie für die Stabilisierung Griechenlands in den letzten vier Jahren eingesetzt, hat an dem ersten Griechenland-Paket mit eigenen Mitteln, am zweiten mit den Mitteln des Europäischen Fonds teilgenommen. Da ist sehr viel Solidarität organisiert worden und es ist keine besonders faire Maßnahme, jetzt mit fragwürdigen historischen Konstrukten neue Forderungen aufzustellen.
    "Forderungen nach neuem Schuldenschnitt nicht einleuchtend"
    Heuer: Dann kommen wir zu den großen Summen, Herr Hüther. Griechenland schuldet der EU Hunderte Milliarden Euro. Braucht das Land einen neuen, den dann dritten Schuldenschnitt?
    Syriza-Vorsitzender Alexis Tsirpas bei einer Pressekonferenz am 14. September 2014.
    Alexis Tsirpas ist ein entschiedener Gegner der Sparauflagen der internationalen Geldgeber Griechenlands. (dpa / picture-alliance / Sotiris Barbarousis)
    Hüther: Mir leuchtet die Forderung nach einem Schuldenschnitt deshalb nicht ein, weil ja mit den Beschlüssen beispielsweise im Jahr 2012 mit dem einen Schuldenschnitt, den 107 Milliarden, auf die damals von Seiten privater Gläubiger verzichtet wurde, und zum anderen im November mit der Streckung der ausstehenden Kredite auf 30 Jahre, mit der Vergünstigung bei den Zinsen, auch mit der Stundung der Zinszahlungen die Frage ist, wo eigentlich noch eine Erleichterung notwendig ist. Die Zinszahlungen Griechenlands, bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt, liegen bei etwa vier Prozent. Das ist auch im langfristigen Vergleich nicht viel. Das ist etwas, was eine sich stabilisierende griechische Wirtschaft ermöglichen kann durch ihre Steuerkraft, und insofern ist jetzt die Forderung nach einem Schuldenschnitt so eine gewisse Erinnerung an das, was Ende 2013 auch diskutiert wurde, man müsse das schon 2014 machen, oder mindestens ein drittes Rettungspaket, weil es nicht reichen würde. Hat sich auch nicht als richtig erwiesen. Also jetzt einmal bei den Dingen bleiben und die langfristigen Bedingungen auch ernst nehmen. Die sind sehr, sehr günstig für Griechenland.
    "Anstrengungen der anderen Krisenländer nicht entwerten"
    Heuer: Nun hat man aber offenbar in der Europäischen Kommission den Eindruck, dass Griechenland es ohne neuen Schuldenerlass nicht schaffen wird. Die Kommission denkt nach Medienberichten darüber nach, Athen bis zu 50 Prozent seiner Schulden zu erlassen, und zwar genau wie Sie sagen, recht bald. Ist das ein Fehler?
    Hüther: Es ist vor allen Dingen deshalb ein Fehler, das jetzt zu diskutieren und deutlich zu machen, wo über politische Veränderungen in Griechenland nachzudenken ist. Die Wahlen Ende Januar werden möglicherweise eine grundlegende Veränderung bringen. Und jetzt schon Antworten auf die dann zu erwartenden Forderungen zu geben, kann nicht sehr klug sein, denn vor allen Dingen muss es ja auch darum gehen, die Krisenpolitik insgesamt zum Erfolg zu führen, und dieses "insgesamt" bedeutet, dass man allen anderen Ländern in Europa, die sich angestrengt haben, Portugal, Spanien, Irland, aber auch Zypern, dass man denen sagt, es war richtig. Und man kann nicht dieses sozusagen negativ machen oder entwerten, indem man Griechenland einen schlanken Fuß machen lässt, nur weil es politisch etwas unliebsamer wird.
    Heuer: Aber die EU möchte die Griechen vielleicht vom Druck entlasten, damit sie eben nicht mehrheitlich für Syriza und damit gegen den Spar- und Reformkurs stimmen. Kann denn diese politische Rechnung gar nicht aufgehen, Herr Hüther?
    Hüther: Da, glaube ich, ist es eine ziemlich dünne Rechenbasis, die zugrunde liegt, denn die Griechen-Diskussion und die politische Diskussion dort ist ja getragen von der Einschätzung, man müsse sich nicht mehr möglicherweise so anstrengen. Das muss man auch dann, denn die wirtschaftliche Lage ist schwierig, weil es hat gerade erst eine Perspektive nach oben sich wieder eröffnet. Das bleibt lange mühsam und man sollte aus griechischer Sicht darauf achten, dass man in Europa dabei bleibt, damit es einigermaßen abgefedert werden kann. Jetzt aber über solche Dinge nachzudenken, die auch von der Sache her nicht zwingend sind, scheint mir wirklich ein absolutes Fehlsignal zu sein.
    Heuer: Es liegt doch aber dann in der Hand trotzdem der neuen Regierung, die am 25. Januar gewählt wird, was sie tut. Und wenn Syriza gewinnt, dann wird der Sparkurs angekündigt beendet. Können wir die griechischen Schulden dann nicht sowieso gleich abschreiben?
    Hüther: Ja, das mag am Ende eines solchen Prozesses so sein. Aber erst ist ja mal die Frage, was kommt genau raus für eine Regierung, welcher Koalitionspartner ist nötig, und dann wird ja Syriza sehen, dass er die Finanzierung seiner Wahlversprechen gar nicht ohne Europa hinbekommt. Denn nehmen wir mal an, er wollte den Schuldenschnitt erzwingen, dann würde das bedeuten, Griechenland wäre auf lange Sicht vom Kapitalmarkt, vom internationalen Kapitalmarkt abgebunden. Woher will er dann das Geld bekommen? Er kann es nur durch Umverteilung im Land organisieren, das ist sicherlich nicht sein Versprechen. Das heißt: Das was er will, das was er ankündigt, lebt davon, dass die Europäer mitmachen. Die Europäer haben aber gar nicht die Not, hier mitzumachen, denn die Kollateralwirkungen, die Dominoeffekte, die man vor drei Jahren noch als sehr bedeutsam bewerten musste, die wird es so nicht mehr geben. Die anderen Länder sind stabil, Europa hat neue Institutionen und die Kapitalmärkte sehen das ja auch, wenn man sich die Risikoprämien für die Staatsanleihen der anderen ehemaligen Krisenländer anschaut.
    "Währungsunion kann flexibel sein, wenn ein Partner nicht mehr will"
    Heuer: Syriza sieht das alles aber offenbar anders. Wenn der Sparkurs beendet wird, wären Sie in diesem Fall für einen Austritt des Landes aus der Euro-Zone?
    Hüther: Es ist dann kein einfacher Schritt zum Austritt. Aber es ist wichtig zu sagen, dass eine Währungsunion auch in dieser Hinsicht durchaus einmal flexibel sein kann, wenn ein Partner nicht mehr mitmachen will. Und die entscheidende Frage ist: Bindet er sich an die gemeinsam getroffenen Vereinbarungen? Diese Vereinbarungen sind außerordentlich günstig, wie eingangs erwähnt, das was im November 2012 beschlossen wurde. Die Frage ist, was will er eigentlich zusätzlich und welchen Preis muss er dafür zahlen. Der Preis, den er zahlen muss, ist am Ende sehr hoch, nämlich von den Kapitalmärkten abgeschlossen zu sein und alles auf sich selbst verlassen tun zu müssen. Deswegen muss man unterscheiden, und das kennen wir ja auch ein bisschen, zwischen dem, was da jetzt im Wahlkampfgeklingel gemacht wird - das ist immer sehr komfortabel für Oppositionsparteien -, und dem, was am Ende geliefert werden kann. Auch eine Oppositionspartei - man sieht es ja auch an den wolkigen Worten, die da kommen - muss sich an der Realität orientieren. Der Preis eines Konfrontationskurses, der ist außerordentlich hoch und Europa sitzt heute am längeren Hebel.
    Heuer: Ich höre da heraus, Sie setzen auf die Vernunft von Syriza. Setzen Sie, Herr Hüther, auch auf die Vernunft von EZB-Chef Draghi? Der möchte ja Staatsanleihen aus Krisenstaaten aufkaufen. Brauchen wir das, um die Deflation, also den schleichenden Niedergang unserer Volkswirtschaften zu bremsen, oder erst gar nicht entstehen zu lassen?
    Hüther: Wir müssen sehr genau wirklich auf die Deflationserwartungen schauen, und es ist nicht mehr so, wie gelegentlich in Deutschland gesagt wird, dass sie beim Inflationsziel der Europäischen Zentralbank fest verankert sind. Ganz im Gegenteil: Wir haben seit Herbst eine deutliche Entfernung davon, und das muss uns schon Sorge machen, denn hier kann es trotz der Erklärung durch den niedrigen Ölpreis und durch Effekte bei den Preisen für Nahrungsmittel schon zu Durchwirkungen kommen, und dann stehen wir da mit großen Problemen, die wir, wenn sie eingetreten sind, nicht mehr in gleicher Weise lösen können. Deswegen ist der Hinweis von Draghi, wie ich finde, durchaus richtig. Man muss das Deflationsrisiko ernst nehmen. Man muss auch über unkonventionelle Instrumente nachdenken. Das wird in Deutschland manchmal etwas ideologisch verhärtet diskutiert.
    Heuer: Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Herr Hüther, danke fürs Interview.
    Hüther: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.