Samstag, 20. April 2024

Archiv

Schuldenstreit mit Griechenland
Ökonom: Grexit "muss gar nicht so katastrophal sein"

Ein Austritt Griechenlands könne einigermaßen glimpflich ablaufen, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Hanno Beck im DLF - wenn die Regierung richtig damit umgehe. Der sogenannte Grexit sei sogar umkehrbar. Doch auch bei einem Austritt werde Griechenland weitere Hilfe der EU benötigen.

Hanno Beck im Gespräch mit Birgid Becker | 21.06.2015
    Demonstranten lassen vor dem Parlament Flaggen der EU und Griechenlands wehen.
    Griechen demonstrieren vor dem Parlament in Athen für den Verbleib in der Eurozone. (picture alliance / dpa / Yannis Kolesidis)
    Ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gläubigern ist laut Beck durchaus vorstellbar. Nicht unbedingt wegen der Tatsache, dass man bei den Einsparungszielen noch um zwei bis drei Milliarden auseinanderliegt, sondern wegen eines grundsätzlich fehlenden Einverständnisses zwischen Griechenland und der Eurozone: "Die EU hat den Eindruck, von Griechenland ausgenutzt zu werden und Griechenland hat den Eindruck, Europa schuldet ihnen etwas." Klar sei lediglich: "Das wird nicht die letzte Runde sein, in der es um Griechenland geht." Schließlich habe Griechenlands Premier Alexis Tsipras seinen Wählern versprochen, keine neuen Einschnitte hinzunehmen. Nun müsse er sich entscheiden, ob er die europäischen Partner oder die eigenen Wähler vor den Kopf stoße - und wisse dabei noch gar nicht, ob er für einen Sparkurs überhaupt die nötigen Stimmen in der eigenen Partei bekäme.
    Sollten sich beide Seiten nicht einigen und Griechenland das Geld ausgehen, würde die Regierung zunächst eine Art Notgeld ausgeben: Schuldscheine, mit denen im Inland bezahlt werden könne. "Das muss gar nicht so katastrophal sein", sagt Becker. "Es kommt darauf an, wie die Regierung damit umgeht." Klar sei allerdings, dass Griechenland dennoch Nothilfe von der EU brauchen würde, weil dringend benötigte Importe von Lebensmitteln und Medikamenten sonst nicht mehr bezahlbar wären. Sollte es dann innerhalb kurzer Zeit doch noch zu einer Einigung kommen, wäre dieser Prozess dem Ökonomen zufolge schnell wieder umkehrbar: "Es wird nur eine Parallelwährung in Umlauf gesetzt und damit eine Weile bezahlt", erklärt er. "Und wenn Griechenland wieder liquide ist, wird der Euro wieder in Umlauf gesetzt."
    Becker: EU darf keine Schulden der anderen Gläubiger übernehmen
    Wenig hält Becker von dem Vorschlag, die Schulden Griechenlands vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank auf die EU zu übertragen, um jenseits strenger Vorschriften politischen Spielraum zu gewinnen. "Auch das wäre eine Art Bankrotterklärung", meint er - zumal gar nicht sicher sei, ob die EU die Schulden überhaupt übernehmen dürfe: Denn angesichts dreistelliger Milliardenbeträgen in den Rettungsschirmen werde immer wieder vergessen, dass die EU offiziell keine Schulden von ihren Mitgliedsstaaten übernehmen dürfe. "Das ist zwar de facto längst außer Kraft gesetzt, aber offiziell steht es immer noch in den Verträgen der Währungsunion", so Becker. Sollte die EU Schulden der anderen Gläubiger übernehmen, drohten sofot die nächsten Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. "Und für die Juristen wird es dann immer schwieriger, diese Umgehung des Maastrichter Vertrags zu begründen, ohne das Gesicht zu verlieren."
    Dass ein Austritt Griechenlands das Ende des europäischen Projekts bedeute, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler nicht: "Wir haben schon vor dem Euro einen gemeinsamen Binnenmarkt und eine Zollunion gehabt, das wird auch fantastisch weiter funktionieren", sagt er. "Man kann auch Griechenland ohne Euro weiter in der EU halten, das ist politisch, technisch, juristisch überhaupt kein Problem." Das gemeinsame Europa sei nur in Gefahr, "wenn unsere Politiker versagen".