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Schuldknechtschaft Griechenlands "mit Ethik nicht vereinbar"

"Bevor man weitere Schuldenschnitte vornimmt, noch dazu zulasten der öffentlichen Hand, muss man erstmal in Europa gegen die Steuerflucht von Unternehmen und reichen Privatpersonen vorgehen", fordert Grünen-Politiker Sven Giegold, Mitglied des Europaparlaments.

Sven Giegold im Gespräch mit Gerd Breker | 29.10.2012
    Gerd Breker: Und am Telefon sind wir nun verbunden mit Sven Giegold, Mitbegründer von Attac und für die Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Herr Giegold.

    Sven Giegold: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Griechenland ist über alle Maßen verschuldet, aber auf der anderen Seite gibt es auch jede Menge reicher Griechen.

    Giegold: Ja, das ist richtig. Und wenn man der Debatte eben so folgte, dann sieht es so aus, als kennt die Bundesregierung nur zwei Variablen. Das ist entweder weitere Kürzungen, weitere Austerität oder ein Schuldenerlass. Und baut jetzt eine neue Blockadehaltung gegen den Schuldenerlass auf. Dabei gibt es ja noch einen dritten Punkt. Und das ist nämlich, endlich die Einnahmeseite zu steigern und etwas gegen Steuerflucht, Kapitalflucht und Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Europa zu tun, was gerade auch Griechenland betrifft.

    Breker: Nur, Herr Giegold, wie soll das geschehen? Wir wissen, dass die Verwaltung in Griechenland, insbesondere die Steuerverwaltung, nicht so richtig funktioniert. Und das zu reformieren, das neu aufzubauen, da dauert's Jahre!

    Giegold: Das stimmt. Allerdings ist die Troika und insbesondere auch die Gruppe um Herrn Reichenbach sehr aktiv derzeit. In der griechischen Steuerverwaltung tun sich positive Elemente. Aber nach wie vor kann Griechenland im Moment gegen bestimmte Dinge auch nicht effektiv vorgehen. Wir haben alleine 80 Milliarden etwa in der Schweiz, Griechenland kann eine Substanzbesteuerung dieses verlagerten Vermögens nicht vornehmen, ohne dass Europa gemeinsam gegen Steueroasen vorgeht. Und was mich stört, ist, dass wir jetzt derzeit schon wieder darüber reden, wie das Geld der Steuerzahler zuerst in Marsch gesetzt wird, bevor einmal effektiv gegen Steuerflucht und Steueroasen vorgegangen wird. Wir haben den Vorschlag eines europäischen Steuerpaktes gemacht, der die Einnahmeseite in den Blick nimmt, wozu harte Verhandlungen mit den Steueroasen genauso wie Mindeststeuersätze in Europa gehören. Das würde allen Krisenländern und auch den Staatshaushalten bei uns helfen.

    Breker: Nur nicht kurzfristig, auch das würde Zeit brauchen.

    Giegold: Ja, das ist richtig. Es gibt keine Lösung für Griechenland umsonst. Deshalb bin ich auch überhaupt nicht dafür, jetzt zu sagen, keinen Cent mehr, sondern es ist schon richtig, dass man sich die Ergebnisse der Troika abwartet und genau anschaut. Aber eins ist richtig: Wenn ein Land mit seinen Schulden Probleme hat, dann muss man von ihm auch verlangen, gleichzeitig die eigenen Vermögen zu besteuern. Genauso, wie wir das in Deutschland tun sollten, sollte das auch in Griechenland geschehen. Und die Untätigkeit der Bundesregierung in dieser Frage, sich mit allen anzulegen, mit Herrn Hollande, mit Herrn Monti - Frau Merkel geht ja wirklich keinem Konflikt aus dem Wege. Aber für gerechte Steuern und die Einnahmeseite in der Krise habe ich von ihr noch nichts Relevantes gehört.

    Breker: Herr Giegold, Sie haben eben den Bericht der Troika angesprochen. Der verschiebt sich immer weiter nach hinten. Warum eigentlich? Ist das so schwierig, mit der griechischen Regierung zu einem Konsens zu kommen?

    Giegold: Ich glaube, es ist auf der einen Seite schwierig. In Griechenland sind ja durch die schwierige Politik die Mehrheitsverhältnisse extrem kompliziert. Das heißt, die Griechen haben sich mit Mehrheit für einen europäischen Kurs entschieden und gegen den Bruch, den Syriza vorgeschlagen hat. Umgekehrt ist die Mehrheit der jetzigen Koalition nicht so dick. Das ist das eine. Das andere ist, dass natürlich klar ist, der Troika-Bericht hätte eigentlich schon im Sommer vorgelegt werden sollen. Und er wird nicht vorgelegt, weil wir natürlich offensichtlich ein politisches Ziel verfolgen, nämlich Griechenland im Euro zu halten, was auch der Wunsch der Mehrheit der Wähler in Griechenland ist.

    Breker: In Athen geht man zudem, Herr Giegold, davon aus, man bekäme mehr Zeit für die Sparreformen. Macht das Sinn?

    Giegold: Ich glaube, die Frage ist ja nicht so sehr die der Sparreformen, sondern die Frage ist mehr Zeit für den Haushaltsausgleich. Und das ist, glaube ich, kurzfristig notwendig. Wenn Griechenland jetzt einfach weiter hart spart, dann zieht man die Krise noch mehr in die Länge. Das sieht man auch in Portugal, wo wir eine ganz ähnliche Situation haben. Und auf der Ausgabenseite ist nicht mehr sehr viel zu tun. Ich gebe auch den Kollegen Recht, die sagen, Strukturreformen, da gibt es in Griechenland nach wie vor Einiges zu tun, aber die größte Lücke ist und bleibt die Einnahmeseite. Diese 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu etwa 150 Prozent Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt, diese 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die alleine Nettofinanzvermögen von Privathaushalten in Griechenland sind, die sind bisher völlig ungeschoren davon gekommen. Und das könnte man ändern, wenn wir gemeinsam gegen die Steuerflucht vorgehen würden.

    Breker: In der Diskussion statt ein gemeinsames Vorgehen gegen die Steuerflucht ist derzeit ein Schuldenschnitt. Dieser Schuldenschnitt würde sozusagen die öffentlichen Haushalte betreffen. Macht das aus Ihrer Sicht Sinn, Herr Giegold?

    Giegold: Meine Haltung dazu ist völlig klar. Ein Land, das Schulden nicht zurückzahlen kann, es praktisch in eine Art Schuldknechtschaft zu zwingen, ist mit der Demokratie und auch mit Ethik nicht vereinbar. Das wusste schon das Alte Testament. Allerdings sind wir heute in einer anderen Situation. In Griechenland gibt es sehr viel privaten Reichtum, wie überall in Europa. Und bevor man weitere Schuldenschnitte vornimmt, noch dazu zulasten der öffentlichen Hand, muss man erstmal in Europa gegen die Steuerflucht von Unternehmen und reichen Privatpersonen vorgehen. Das ist die richtige Reihenfolge. Nicht wieder das Geld der Steuerzahler zuerst riskieren, sondern zum Wohle, sage ich mal, der öffentlichen Finanzen überall ein echtes Aktionsprogramm zur Schließung dieses Unwesens. Diese Maßnahmen sind zunächst mal prioritär und sollten auch im Bundestag viel lauter eingefordert werden.

    Breker: Nun ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble genau wie Sie, Herr Giegold, erst einmal gegen einen solchen Schuldenschnitt. Er schlägt stattdessen vor, dass die Griechen in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Schulden zurückzukaufen. Ist das eine Alternative, mit der Sie leben könnten?

    Giegold: Das ist eine Maßnahme, die man in Erwägung ziehen kann. Das Dilemma damit ist halt nur, dass der Rückkaufswert natürlich steigt, sobald man solche Aktionen ankündigt. Und erst recht, wenn man sie anfängt. Man muss das sehr gut organisieren, damit man überhaupt einen effektiven Schuldenerlass erreichen kann über diesen Weg. Ob das ausreichen kann, das hängt sehr davon ab, wie schnell sich die griechische Wirtschaft erholt. Und das kann nur gelingen, wenn der Spardruck nicht weiter steigt. Aber grundsätzlich kann ein Rückkaufsprogramm ein Element zur Lösung der Probleme in Griechenland sein.

    Breker: Sie haben es angedeutet: Die Sparmaßnahmen würgen die griechische Konjunktur ab, die Wirtschaft schrumpft, sie wächst nicht, sondern sie schrumpft. Fehlt es da an Investitionsmaßnahmen, die die Wirtschaft wieder aufleben lassen?

    Giegold: Ja, daran fehlt es auf jeden Fall. Man muss eigentlich schon erst mal sagen, dass Griechenland auch Erfolge hatte. Es wird ja immer wieder so unqualifiziert gelästert, die würden nur Olivenöl produzieren und das nicht mal selbst vermarkten. Das stimmt so einfach nicht. Die Exporte von Industriegütern und anderen Gütern sind von Anfang 2011 bis Anfang 2012 immerhin von im Quartal drei Milliarden auf fünf Milliarden gestiegen, also ein ganz erheblicher Anstieg. Und die Leistungsbilanz ist fast ausgeglichen wieder, also nähert sich dem Ausgleich. Das heißt, es ist nicht so, dass das alles nichts bringen würde. Gleichzeitig ist trotzdem richtig, dass man Investitionen braucht. Und gerade Griechenland könnte enorm profitieren von einer Wende hin zu erneuerbaren Energien und weg von teuren Ölimporten, worunter das Land sehr leidet. Und dass wir bis heute kein effektives Investitionsprogramm auf die Beine gebracht haben, ist ein weiteres wichtiges Versäumnis.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung des Grünen-Europapolitikers Sven Giegold. Herr Giegold, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Giegold: Vielen Dank, Herr Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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