
Jörg Biesler: 2.500, nein, 3.500 Privatschulen sogar gibt es derzeit. Es sind eben genau 1.000 mehr als 2.500, so viel gab es nämlich vor zehn Jahren. Privatschulen also boomen in Deutschland, offenbar weil sie mehr zu bieten haben als die staatlichen. Aber was eigentlich?
Privatschulen liegen im Trend, wir haben vorhin im Beitrag einige Gründe gehört, die Eltern für ihre Schulwahl anführen. Das klang so, als ob viele staatliche Schulen als defizitär wahrgenommen würden: Gewalt, Stress, mangelnde Ausstattung. Petra Witt ist die Vorsitzende des Verbandes der Privatschulverbände, guten Tag, Frau Witt!
Petra Witt: Guten Tag!
Biesler: Die Zahl der Privatschulen, wie gesagt, nimmt zu, und die Zahl der Eltern, die sich für eine Privatschule für ihr Kind entscheiden, auch. Gibt es bei Ihnen keine Gewalt, keinen Stress und keine Ausstattungsmängel?
Witt: In der Regel achten wir sehr bei unseren Schulen auf eine kleine und gemütliche Atmosphäre, auf sehr viel Individualität, auf Nachbarschaft, auf bürgerschaftliches Engagement, kurz gesagt: Eigentlich das, was in einer guten Familie sein sollte. Man kennt sich untereinander, man hilft sich, man sieht sich und man unterstützt sich gegenseitig.
Biesler: Der Wunsch vieler Eltern ist ja verständlich, offenbar bestimmte Konfliktlagen für ihre Kinder zu vermeiden. Es gibt ja möglicherweise auch einige pädagogische Konzepte, die an staatlichen Schulen weniger Berücksichtigung finden. Welche Gründe hören Sie, warum Eltern sich für ihre Kinder eine Privatschule wünschen?
Witt: Vor allen Dingen wollen die Eltern, dass man sich um ihre Kinder kümmert, wirklich persönlich kümmert, jedes einzelne Menschenwesen in seinen Stärken annimmt und fördert. Und da geben natürlich besondere pädagogische Konzepte auch die Möglichkeiten, dieses besonders zu unterstützen, wie die Waldorf-Pädagogik, aber auch ein sehr individuelles Eingehen auf Talente, also die Förderung von Talenten und nicht das Sehen von Defiziten. Das ist ein wichtiger Förderschwerpunkt. Und natürlich die individuellen Begabungen. Das kann sein, dass es auch eher im benachteiligten Bereich um besondere Förderung geht, aber genauso auch in der anderen Richtung da, wo es um besondere Begabung geht. Es ist jeder förderungsfähig in seinen Möglichkeiten und seinen Bedingungen.
Biesler: Wenn Sie da jetzt mal über den eigenen Schulhof hinausschauen: Warum, meinen Sie, können staatliche Schulen das nicht? Oder können sie das auch, es wird nur nicht so wahrgenommen?
Witt: Ich glaube, dass wir der staatlichen Schule unrecht tun, wenn wir immer nur sagen, die Staatlichen sind schlecht und die Freien sind die Besseren. Es geht einfach darum, dass wir kleine Gebinde haben, dass wir individuell fördern können. Und dazu brauchen alle, ob staatliche oder private Schulen, gut ausgebildete Lehrer, motivierte Lehrer, gute Rahmenbedingungen, nicht so große Klassen, auch ein Stück Freiheit. Daher ist ja auch die freie Schule, die sich entfalten kann. Und ich glaube, wir müssten dazu kommen, dass es einfach geht um gute Schule und dass dann eben die gute Schule auch zu 100 Prozent bezahlt wird, egal ob staatlich oder privat. Das ist eines unserer persönlichen Probleme im freien Bildungswesen, dass wir eben nicht 100 Prozent der Kosten bekommen, sondern nur 55 bis 75 der echten Kosten.
Biesler: Wo wir gerade beim Geld sind: Liegt es tatsächlich daran, dass die staatlichen Schulen, das öffentliche Bildungssystem nicht ausreichend Geld zur Verfügung hat und im Grunde, wenn jede Schule so ausgestattet wäre wie die meisten der Institute, die bei Ihnen zusammengeschlossen sind, dann hätten wir gar kein Problem und wir bräuchten auch gar keine Privatschulen?
Witt: Das kann man so nicht sagen. Wenn man dann mal zum Beispiel in die Niederlande guckt, wo der Großteil der Schule nämlich eigentlich in privater Trägerschaft ist, so müsste man sagen, wenn es wirklich danach ginge, dass alle gleich finanziert werden, dann würde sich das freie Schulwesen eher vergrößern. Denn schließlich wollen nicht elf Prozent der Eltern ihre Kinder auf Schulen schicken, was jetzt der Fall ist, sondern in Wirklichkeit 30 Prozent. Es liegt daran, dass wir eben nicht für 100 Prozent der Kosten dann auch das Geld bekommen, während die staatliche Schule ihre Kosten ja zu 100 Prozent bekommt. Aber sie hat andere Bedingungen. Natürlich, wie Sie sagen, man muss auch die entsprechenden Lehrer haben, man muss die Klassen kleiner machen. Wir müssen mit den Gegebenheiten, der Vielfalt der Kulturen und der Herausforderungen, eben auch mit neuen Antworten antworten und nicht mit der alten Pädagogik begegnen.
Biesler: Ja, das ist bei Ihnen wahrscheinlich auch anders als an der staatlichen Schule. Im Schnitt ist die soziale, kulturelle Vielfalt an den Privatschulen wahrscheinlich ein bisschen kleiner als an den staatlichen Schulen. Sie haben hauptsächlich Eltern, die dafür natürlich bezahlen müssen und sich das auch leisten können.
Witt: Das kann man so auch nicht pauschal sagen. Sicher gibt es eben bei der Vielfalt der pädagogischen Konzepte und Schulformen auch Schulen, die sich für ganz bestimmte Bereiche, also auch durchaus in Elitebereiche, als die Schule herausgestellt haben. Das gehört dann zu deren Konzept. Aber es gibt daneben – und das wird ganz häufig vergessen – ganz, ganz viele private Schulen, die genau für das andere Ende sich nämlich interessieren, die sehr, sehr bürgerschaftlich organisiert sind, die sehr sozial engagiert sind, die genau die Kinder auffangen, die aus anderen Schulen eben herausgefallen sind aus dem System, und sie wieder aufbauen und sie dann schulfähig machen und auch zu entsprechenden Schulabschlüssen führen, und wo sogar das Jugendamt dann die Kosten übernimmt, die eben jetzt nicht sonst vom Staat getragen werden.
Biesler: Vielleicht kann man sagen, dass es an privaten Schulen in der Regel ein besonders hohes Engagement aller Beteiligten gibt! Denn wenn ich ja schon eine staatliche Schule verlasse und eine private gründen will oder da mitarbeite, dann ist meine Motivation wahrscheinlich eine größere, wenn ich einen anderen Weg gehe. Aber sie haben auch zum Teil bessere Bedingungen, weil sie anders finanziert sind und weil sie einen bestimmten Ausschnitt der Gesellschaft dann doch in vielen Bereichen haben. Die Frage, die sich mir stellt, ist ja: Es gibt – das sind meine neusten Zahlen – 3500 Privatschulen mittlerweile, es werden immer mehr. Sind Sie auf dem Weg dahin, nicht mehr eine Nische anzubieten?
Witt: Nein, wir sind absolut immer noch eine Nische. Ich sage mal, wir könnten natürlich weiter wachsen, aber die Bedingungen des Staates sind nicht darauf ausgerichtet, unsere Pädagogik weiter zu unterstützen. Im Gegenteil, in einigen Bundesländern erleben wir auch aufgrund des demografischen Wandels und da sinkender Schülerzahlen, dass in den Bundesländern eher versucht wird, den freien Schulen wieder Schüler abzunehmen. Und das geschieht natürlich über die Finanzen.
Biesler: Petra Witt war das, die Präsidentin des Verbandes der Privatschulverbände. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgenommen.
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