Donnerstag, 28. März 2024

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"Schule muss Sozialkompetenz erweitern"

NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hat die Einführung so genannter Kopfnoten verteidigt. Das Sozial- und Arbeitsverhalten von Schülern sei wichtig für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Deshalb sei es auch Aufgabe der Schule, diesen Bereich mehr in Augenschein zu nehmen. Mit der Aufnahme eines Schülers trage die Schule außerdem die Verantwortung, das Kind ausreichend zu fördern, betonte Sommer.

Moderation: Friedbert Meurer | 09.08.2006
    Friedbert Meurer: In Baden-Württemberg haben erst jetzt am Wochenende an den Schulen die Sommerferien begonnen. Im einwohnerreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen dagegen gehen sie heute zu Ende. Fast drei Millionen Schülerinnen und Schüler müssen damit heute dort wieder Ranzen oder Tasche packen. 750.000 Erstklässler werden das zum allerersten mal tun. Für sie alle gilt ein neues Schulgesetz, dass gestern in letzter Sekunde in Kraft getreten ist. Und darüber möchte ich mich nun unterhalten mit der Schulministerin Nordrhein-Westfalens, mit Barbara Sommer von der CDU. Guten Morgen, Frau Sommer.

    Barbara Sommer: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Um einen Punkt heraus zu greifen: Auf den Zeugnissen in Nordrhein-Westfalen wird es künftig wieder Kopfnoten geben. Ist das ein Rückgriff auf die 50er Jahre, wie manche sagen?

    Sommer: Das glaube ich nun gar nicht. Ich denke, eine Persönlichkeit, und ein Schüler, so jung er auch sein mag, ist eine kleine Persönlichkeit, drückt sich nicht nur aus in Zensuren, die es in einem Fach bekommt, sondern ein kleiner Mensch ist eben auch einer, der pünktlich ist, der gerne in die Schule kommt, der ausdauernd arbeiten kann. Und all diese Dinge tragen letztlich auch dazu bei, so ein umfassenderes Bild von diesem Menschen zu gestalten. Und darum sind wir sehr für Kopfnoten.

    Meurer: Aber kann man eine Persönlichkeit mit Noten bewerten?

    Sommer: Gut, dass sind ja auch keine Noten. Kopfnoten haben Sie jetzt als Begriff gesagt. Also erstens kann man kommentieren, das ist den Schulen überlassen, dass sie das Sozial- und Arbeitsverhalten kommentieren können in Text. Und zum anderen haben wir ja auch nur vier Gestaltungsmöglichkeiten. Wir sagen sehr gut, gut, befriedigend und nicht mehr befriedigend.

    Meurer: Aber diese vier Noten werden auf jeden Fall auf dem Zeugnis stehen plus eventuell Kommentare dazu.

    Sommer: So ist es.

    Meurer: Warum gleich sechs von diesen Kopfnoten?

    Sommer: Ich glaube, dass es nicht ausreicht zu sagen, du hast ein gutes Arbeitsverhalten und du hast ein gutes Sozialverhalten, sondern dass muss man schon noch staffeln. Man muss schon überlegen, an welchen Stellen drückt sich dieses Arbeitsverhalten aus. Oder eben auch das Sozialverhalten, das ist uns ja auch besonders wichtig. Denn ich glaube, Schule muss sich auch darauf besinnen, und das tut sie auch, dass wir eben die Sozialkompetenz auch erweitern und entwickeln. Und da scheint mir gerade dieser Bereich auch wichtig in den Fokus zu nehmen.

    Meurer: Was sagen Sie zu dem Einwand, dass diese Noten zum Verhalten, dass das frustrierend sein könnte während bei den Beschreibungen, wie sie es bisher gibt, dann doch eher die Fortschritte erläutert werden und man damit Mut macht, dass ein Kind ja doch auf einem guten Weg sei.

    Sommer: Natürlich wird ein Lehrer, und das tun die allermeisten Lehrerinnen und Lehrer unseres Landes, werden ermutigen und werden positive Dinge schreiben. Aber ich glaube man muss auch Grenzen aufzeigen. Es ist ja nicht darum getan, nur zu sagen du bist gut und ich differenziere dass nicht weiter. Sondern in welchen Bereichen bist du besonders gut, wo kannst du dich noch verbessern. Und ich glaube, dass es für Eltern auch sehr wichtig ist zu wissen, wie wird mein Kind in der Schule gesehen. Denn ich als Mutter kann ihnen sagen, dass ich zum Teil eine ganz andere Einstellungen zu meinen Kindern zu Hause hatte, als sie in der Schule waren. Und auch das ist ja mal interessant, mit Lehrern zu diskutieren, warum sind sie in der Schule so und warum sind sie zu Hause so.

    Meurer: Überhaupt nicht nach den 50er Jahren, Frau Sommer, klingt, dass Sie das Sitzenbleiben abschaffen wollen. Oder, ich glaube, Sie wollen die Zahl der Sitzenbleiber zunächst einmal halbieren. Warum soll es kein Sitzenbleiben mehr geben?

    Sommer: Es ist wichtig, dass sich die Schule des einzelnen Kindes annimmt. Ich glaube man muss einfach sagen, wenn eine Schule ein Kind aufnimmt, dann ist sie verantwortlich für dieses Kind. Dann kann man nicht sagen, na ja, vielleicht ist das ein Wackelkandidat und vielleicht muss der ja nach zwei Jahren wieder auf eine andere Schulform gehen oder wir wollen mal sehen, wie er sich entwickelt. Sondern ich nehme als Schulleiter, als Schulleiterin dieses Kind auf und damit habe ich eine Verantwortung für dieses Kind und für seinen Lernfortschritt. Und wir haben deutlich auch Maßnahmen des Förderns eingeplant. Im Gymnasium beispielsweise, aber auch in anderen Schulformen, sind Förderstunden gerade für diesen Bereich des Weiterkommens, des Förderns etabliert. Und ich möchte, dass Schulen sich dieser Kinder wirklich annehmen.

    Meurer: Sie sind, Frau Sommer, wenn ich da richtig informiert bin, als Schülerin selbst einmal sitzen geblieben.

    Sommer: Ja, das ist wahr.

    Meurer: Stand das ein bisschen Pate jetzt für diese Idee?

    Sommer: Also mir hat es damals gut getan. Und insofern ist es auch richtig dass man sagt, wir senken nicht das Niveau in dem wir sagen, es bleibt überhaupt keiner mehr sitzen. Es gibt sicherlich Einzelfälle, die müssen mal eine Ehrenrunde drehen. Aber es ist richtig, dass wir das Sitzenbleiben deutlich reduzieren wollen. Im Gesetz steht: Versetzung ist der Regelfall. Wie gesagt, also ich würde vielleicht heute mit Ihnen nicht sprechen wenn ich nicht einmal sitzen geblieben wäre. Aber das ist lange her und ich möchte eigentlich vielen Schülern und Schülerinnen in unserem Lande dieses Elend ersparen. Denn es hat sich auch gezeigt, und das ist sehr ernsthaft gemeint, dass eine Wiederholung einer Klasse nicht immer etwas an Lernfortschritt gebracht hat.

    Meurer: Braucht es für diese zusätzliche Förderung statt Sitzenbleiben nicht zusätzliche Lehrer?

    Sommer: Die zusätzlichen Stunden sind im Plan der Schule vorhanden. Wir haben ja schon 2000 Lehrer mehr im System. Eigentlich gegen Unterrichtsausfall, aber die sind natürlich auch dazu da, den Unterrichtsausfall in Förderstunden zu minimieren. Und soweit ich das empfunden habe, macht sich das jetzt auch schon bemerkbar. Wir wollen ja noch mal so viele ins System hineinbringen und das wird sich auswirken. Da bin ich ganz zuversichtlich.

    Meurer: Noch ein Punkt im Schulgesetz, dass CDU und FDP in Düsseldorf beschlossen haben, sorgt für Furore. Sie wollen, Frau Sommer, stufenweise das Einschulungsalter absenken, so dass demnächst schon ab fünfeinhalb Jahren eingeschult wird. Ist das zu früh?

    Sommer: Ja, wir müssen natürlich sagen, die Ausgangsbasis des jetzigen Einschulungsalters ist 6,5. Das ist ja relativ hoch. Und wenn wir es jetzt absenken, dann werden sicherlich auch am Ende, wir senken ja nur sukzessive jetzt erst ab, werden am Ende sicherlich auch 5,5-Jährige dabei sein, aber auch der größte Teil der 6-Jährigen. Und ich glaube da muss man auch wirklich schon mit der Förderung anpacken. Wir wissen, dass wir so früh wie möglich mit Erziehung und mit Bildung anfangen sollten. Das sagen viele Experten. Und wir sind da, glaube ich, auf dem richtigen Weg. Wir müssen natürlich noch ein bisschen da im Bereich der Eltern kommunizieren, diesen Weg auch beschreiben. Weil ich glaube, dass gerade in dem Bereich, gar nicht so sehr im Bereich der Pädagogen, Ängste entstehen, gebe ich mein Kind zu früh ab. Aber ich habe Ihnen ja gerade gesagt, so schrecklich früh ist es für den einzelnen Schüler ja auch nicht.

    Meurer: Das war die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Barbara Sommer, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Frau Sommer, besten Dank und einen schönen ersten Schultag.

    Sommer: Ich danke Ihnen, vielen Dank.