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"Schulen müssen zu Orten der Integration werden"

Erstmals misst die Bundesregierung den Grad der Integration in Deutschland: Dieser zeige, dass die Regierung vorangekommen sei, die "vielen Versäumnisse der vergangenen Jahre zu überwinden", sagt CDU-Politkerin und Migrationsbeauftrage der Bundesregierung, Maria Böhmer. Sie hält vor allem Anstrengungen im Bildungsbereich für richtig - und spricht sich gegen eine Abschaffung der Hauptschule aus.

Maria Böhmer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.06.2009
    Friedbert Meurer: Ausländer in Deutschland schicken ihre Kinder in die Hauptschulen, können nur schlecht deutsch, leben in einer Parallelwelt - das gibt es alles, aber es gibt auch erfolgreiche Migranten in Deutschland. Deren Kinder besuchen die Hochschule, sprechen fließend deutsch und sind im Berufsleben sehr erfolgreich. Aber der Mehrheit scheint es nicht gut zu gehen, heute wird der neue Integrationsbericht der Bundesregierung vorgestellt, und erste Meldungen lassen darauf schließen, viel gebessert scheint sich nichts zu haben. Am Telefon begrüße ich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer von der CDU. Guten Morgen, Frau Böhmer!

    Maria Böhmer: Ja, guten Morgen!

    Meurer: Wie ziehen Sie denn Bilanz in Sachen Integration?

    Böhmer: Wir sind vorangekommen, die vielen Versäumnisse, auf die wir gestoßen sind, der vergangenen Jahre zu überwinden. Integration hat in der Tat einen hohen Stellenwert für uns, denn es geht darum, die Weichen zu stellen für die Zukunft, für die wirtschaftliche Entwicklung, für den sozialen Zusammenhalt. Und mit diesem Integrationsbericht messen wir erstmals die Integration.

    Meurer: Wo sind Sie vorangekommen, was ist besser?

    Böhmer: Ich will Ihnen einige Beispiele dafür geben. Wir sehen eine positive Entwicklung von der ersten Generation zur zweiten Generation. Wir sehen aber auch, dass wir einen erheblichen Bedarf noch haben etwa im Bereich Kindergartenbesuch bei den Drei- bis Sechsjährigen. So sind weniger Kinder aus Migrantenfamilien im Kindergarten als vergleichsweise bei deutschen Kindern. Wir haben auch noch einen Bildungsrückstand aufzuholen, was den Schulabschluss anbetrifft und auch was den Besuch höherer Schulen anbetrifft, also höhere Bildungsabschlüsse, sprich das Abitur. Ich will Ihnen hier einmal einen Unterschied sagen: Bei den Deutschen haben wir einen Anteil von 30 Prozent, die Abitur machen, und bei Kindern aus Zuwandererfamilien zehn Prozent. Und hier müssen wir ansetzen, damit wir mehr Kinder, mehr Jugendliche zu höherwertigen Bildungsabschlüssen führen. Aber was mich ausgesprochen gefreut hat, ist, dass die Zahl der Schulabbrecher zurückgegangen ist in den letzten Jahren. Das zeigt, die Anstrengungen im Bildungsbereich, die lohnen sich.

    Meurer: Um mal ganz unten anzufangen bei den Kindergärten: Wenn so wenige Migranten immer noch ihre Kinder in die Kitas schicken, schlagen Sie vor, die Gebühren abzuschaffen?

    Böhmer: Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Wir konnten jetzt bei dem Indikatorenbericht dieses nicht überprüfen, aber die Berichte aus den Bundesländern, allen voran das Saarland, zeigen ja, dass dort, wo der Besuch des Kindergartens keine Beiträge von den Eltern erfordert, also kostenfrei ist, schicken fast alle Eltern, auch diejenigen, die zugewandert sind, ihre Kinder in den Kindergarten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

    Meurer: Bei den Schülern, bei denjenigen, die Abitur machen oder eben nicht Abitur machen, sozusagen in dieser Altersklasse Jugendliche, kommt da die Hilfe zu spät?

    Böhmer: Ich glaube, die Hilfe kann nie zu spät kommen, denn gerade im schulischen Bereich müssen wir sehen, die Schulsituation hat sich völlig verändert in vielen Regionen unseres Landes. Ich habe zuletzt eine Schule besucht, in der mir ein Klassenlehrer einer neunten Klasse in der Hauptschule sagte, ich bin der einzige Deutsche in dieser Klasse. Das heißt, wir müssen Lehrerinnen und Lehrer besser auf diese Aufgabe vorbereiten, denn sie konnten in ihrer Ausbildung dieses oft nicht erfahren. Zum Zweiten brauchen wir die Eltern. Der Bericht analysiert Gründe, weshalb wir einen solchen Bildungsrückstand haben. Und dabei geht es auch um die Bildungserwartung der Eltern. Viele haben ein niedriges Bildungsniveau, viele haben eine geringe Bildungsorientierung, und wir wissen, desto höher die Bildungserwartung der Eltern ist - das ist auch in deutschen Familien so -, desto besser kommen die Kinder voran. Und ein zweiter Punkt ist mir wichtig: der Sprachgebrauch im Elternhaus. Seit der PISA-Studie wissen wir, wenn im Elternhaus deutsch gesprochen wird, häufiger deutsch gesprochen wird, dann sind die Bildungsergebnisse der Kinder besser. Und deshalb werden wir alle Anstrengungen unternehmen, dass Eltern besser deutsch sprechen können, damit sie ihre Kinder besser voranbringen können.

    Meurer: Wenn, Frau Böhmer, Hauptschulen zu einem Getto von ausländischen Schülern werden, sollte man sie abschaffen?

    Böhmer: Nein, ich glaube nicht, dass es an der Schulstruktur liegt, sondern es liegt an der Schulsituation als solcher. Das heißt, Schulen müssen zu Orten der Integration werden.

    Meurer: Aber das ist ja nicht der Fall an der Hauptschule, wenn da nur noch Ausländer sind, gibt's keine Integration.

    Böhmer: Sie können auch in Hauptschulen - dafür gibt es viele gute Beispiele - so arbeiten, dass die Kinder zum Schulerfolg kommen, dass sie anschließend in eine Ausbildung einmünden, dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Und deshalb haben auch die Länder uns im nationalen Integrationsplan zugesagt, dort wo wir einen sehr hohen Anteil von Kindern aus Zuwanderungsfamilien haben, wollen sie diese Schulen besser ausstatten. Wir brauchen dort mehr Lehrer, mehr Schulsozialarbeiter, mehr Zeit - das heißt Ganztagsschulen -, und natürlich bedeutet das auch einen höheren finanziellen Aufwand.

    Meurer: Ihr Bericht, Frau Böhmer, untersucht ja viele Aspekte der Integration, auch zum Beispiel die Wohnsituation oder die Gesundheitssituation von Ausländern in Deutschland. Um wie viel schlechter ist die als von Inländern?

    Böhmer: Also wenn wir bei der Gesundheitssituation hinschauen, so hat der Bericht uns klar gesagt, dass es hier keinen Unterschied zwischen Migranten und Deutschen gibt, was deren Gesundheitsstand anbetrifft, sondern hier kommt es auf das Alter wesentlich an. Aber im präventiven Bereich müssen wir feststellen, dass Kinder aus Zuwandererfamilien seltener zu Früherkennungsuntersuchungen gebracht werden. Das heißt, auch hier müssen wir ansetzen, dass Mütter, dass Eltern wissen, es ist wichtig, dass die Kinder an den entsprechenden Untersuchungen teilnehmen.

    Meurer: Liegt das an der Sprachbarriere?

    Böhmer: Es liegt zum Teil an der Sprachbarriere, es liegt zum Teil auch an der mangelnden Kenntnis unseres Gesundheitswesens. Und deshalb glaube ich, ist es auch so wichtig, was aus Migrantenkreisen selbst unternommen worden ist. Es gibt zum Beispiel ein großes bundesweites Projekt von Migranten für Migranten im Bereich der Gesundheitsfürsorge, sodass man in Migrantenfamilien Aufklärungsarbeit leistet von Migranten selbst. Und das heißt, wir müssen mehr Anstrengungen hier unternehmen. Es ist nicht der Gesundheitszustand als solcher, sondern die Prävention. Und ich möchte beim nächsten Bericht auch Daten erhoben wissen, was die Prävention bei Erwachsenen anbetrifft.

    Meurer: Vor Kurzem hat eine Statistik aufgeschreckt, nämlich die Zahl der Einbürgerungen ist 2008 gegenüber 2007 noch einmal deutlich zurückgegangen, wohl so um etwa 15 Prozent. Was sagt Ihr Integrationsbericht darüber aus, was die Gründe dafür sind, dass sich immer weniger Migranten einbürgern lassen?

    Böhmer: Also wir haben bei den Zahlen 2008, das muss ich dazusagen, noch keine endgültigen Zahlen, aber der Trend ist so, dass die Zahlen zurückgehen. Und deshalb unternehmen wir große Anstrengungen für die Integration, für die Einbürgerung zu werben. Denn wer Ja sagt zu Deutschland, hat auch insgesamt bessere Chancen in unserem Land, das belegt dieser Bericht. Und an dieser Stelle muss ich Ihnen sagen, müssen wir noch einmal gründlich analysieren, auch über diesen Bericht hinaus, denn wir müssen fragen, welche Motive sind maßgeblich, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Bei den einen spielt es eine Rolle, dass man sagt, man hat einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland, bei den anderen spielt einfach eine Rolle, dass man sagt, wir gehören dazu, wir wollen jetzt Deutsche werden mit allen Rechten und Pflichten, die dieses Land dann für uns bereithält. Und die Botschaft ist auch, die wir aus anderen Untersuchungen kennen: Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, kommt besser im Beruf voran, integriert sich besser auch in gesellschaftlichen Bereichen, nimmt mehr teil an bürgerschaftlichem Engagement. Und das sind gute Gründe, Ja zu sagen zu Deutschland und die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben.

    Meurer: Umso mehr wundert man sich, warum die Zahlen zurückgehen. Liegt's daran, dass Migranten gezwungen werden, ihre alte Staatsbürgerschaft aufzugeben?

    Böhmer: Das wäre ein vorschneller Schluss, glaube ich, denn Daten, die mir vorliegen, nach Herkunftsländern unterschieden, sagen, es gibt Migranten aus bestimmten Herkunftsländern, bei denen wir einen Anstieg haben. Es gibt bei der türkischen Bevölkerungsgruppe die Situation, dass dort die Zahlen zurückgegangen sind. Und da dieses die größte Gruppe in unserem Land ist, schlägt das natürlich durch.

    Meurer: Da liegt's offenbar an dem Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft?

    Böhmer: Also ich glaube, Sie können das nicht ganz werten mit der Frage doppelte Staatsbürgerschaft, denn bei der doppelten Staatsbürgerschaft haben wir trotzdem das Problem, dass man sagen muss, wo gehöre ich eigentlich hin. Und das ist, glaube ich, die Grundfrage. Und die Grundfrage scheint mir auch damit zusammenzuhängen, wie ist die Bereitschaft der Eltern, wenn ihre Kinder erwachsen sind und sagen, wir wollen jetzt Deutsche werden: Unterstützen sie dieses oder sind sie zurückhaltend? Und von daher, glaube ich, ist es ganz wichtig, im Integrationsbereich voranzukommen, damit dieses Ja zu Deutschland wirklich mit vollem Herzen gesagt wird.

    Meurer: Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), zum heutigen Integrationsbericht, den sie vorliegen wird. Danke schön, Frau Böhmer, und auf Wiederhören!

    Böhmer: Danke Ihnen auch!