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Schulisches Happyend
Abi mit 29

Jonas Katz ist mit 900 von 900 möglichen Punkten einer der besten Abiturienten des Landes. Das Besondere: Er ist 29 und hat seinen Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg erlangt. Zu Schulzeiten hätte er sich nicht vorstellen können, Abitur zu machen, sagte er im DLF. Ein Grund dafür: Die Art, wie in der Schule Lerninhalte vermittelt werden.

Jonas Katz im Gespräch mit Markus Dichmann | 28.06.2016
    Formeln stehen auf einer schlecht gewischten Tafel am 29.10.2012 in Berlin in einer Vorlesung "Mathematik für Chemiker" im Walter-Nernst-Haus auf dem Campus Adlershof der Humboldt-Universität.
    Der Mix aus Abendschule und eigenständigem Lernen macht für Jonas Katz den besonderen Reiz am zweiten Bildungsweg aus. (picture-allicance / dpa / Jens Kalaene)
    Markus Dichmann: Das Abitur nachzuholen viele Jahre nach der Schule auf dem zweiten Bildungsweg, das kann mühsam sein, gerade für die, die vielleicht sowieso schon eine gute Ausbildung gemacht haben, auch einen guten Job gefunden haben, dann noch neben der Arbeit zu pauken für das Abitur. Das mag vielleicht nicht nur mühsam, sondern sogar überflüssig erscheinen
    Aber es gibt gute Gründe dafür, und die besprechen wir mit einem, der es gemacht hat, und der es richtig beeindruckend gemacht hat: Jonas Katz hat sein Abitur nachgeholt am Weiterbildungskolleg in Bonn und hat in jeder notenrelevanten Prüfung eine 1+ hingelegt, und mit 900 von 900 möglichen Punkten ist er einer der besten Abiturienten des Landes. Schön, dass Sie da ist und Glückwunsch erst mal, Herr Katz!
    Jonas Katz: Ja, vielen Dank erst mal, dass ich hier sein darf!
    Dichmann: Gerne! 29 Jahre alt sind Sie. Da kann man sagen besser spät als nie. Das Abitur mit 29 zu machen ist aber natürlich im Verhältnis schon recht spät. Hatten Sie das zwischendurch schon mal komplett abgehakt das Thema Abitur?
    Katz: Als ich unmittelbar aus der Schule raus war mit dem Nuller-Kurs in Spanisch und dann Abitur bye bye, da war ich erst mal so frustriert, und da war die Ablehnung gegen die Institution Schule einfach so groß, dass ich gesagt habe, okay, das war's, die Sache ist vergessen.
    "Man hat die Lehrmeinung anzunehmen, die einem präsentiert wird"
    Dichmann: Okay, dann schauen wir doch aber da mal zurück, denn Ihre schulische Karriere hatte so ein bisschen Aufs und Abs, könnte man sagen. Eine Klasse mussten Sie wiederholen, Schule haben Sie dann öfter gewechselt, mit dem Abitur hat es im ersten Anlauf nicht geklappt Woran, würden Sie heute sagen, hat es gelegen, was war der Grund dafür?
    Katz: Also ich würde das Verhältnis zwischen mir und der weiterführenden Schule eigentlich von Tag eins als gestörtes Verhältnis beschreiben. Ich komme aus einer Familie, wo es eigentlich immer wichtig war, Sachen durchzudiskutieren. Schon als kleines Kind, da wurde dann nicht gesagt, du darfst das und das nicht, weil wir was gesagt haben oder wegen darum, sondern dann hieß es immer, okay, das sind die Gründe, und wir diskutieren da jetzt drüber.
    In den weiterführenden Schulen habe ich eine komplett andere Kultur kennengelernt, da war es nämlich so, da wird nix diskutiert, also zumindest für mich war das so. Da hat man einfach die Meinung und die Lehrmeinung anzunehmen, die einem präsentiert wird, und wenn man dann irgendwie unbequem wird, dann ist ab dem Punkt Ende. Meine Eltern haben mir von Elternabenden erzählt, wo dann die Klassenlehrerin damals sich beschwert hat, ich würde diskutieren wie ein Erwachsener, und ich soll das doch bitte unterlassen. Na ja, bei mir ist das so, wenn man mir sagt, wenn man mir vermittelt, wir wollen deine Meinung nicht hören, dann sage ich halt, okay, dann kriegst du sie auch nicht mehr, und ab dem Punkt mache ich zu.
    "Eine gegenseitige Frustration, die sich da aufbaut"
    Dichmann: Das war also das Problem damals in der Schule?
    Katz: Also das war der Auslöser würde ich sagen. Ich will jetzt nicht komplett alles auf die Schule abwälzen, das wäre auch unfair, ich habe meinen Teil dazu beigetragen, das ist klar. Das ist natürlich eine gegenseitige Frustration, die sich da aufbaut. Dann macht man halt eben zu.
    Dichman: Irgendwann haben Sie sich dann aber doch entschieden, der Schule wieder eine Chance zu geben. Da muss es irgendeinen Hallo-wach-Moment gegeben haben, dann an das Weiterbildungskolleg in Bonn zu gehen, um das Abitur nachzuholen. Übrigens dann ja, wie gesagt, mit Bestnote. Was hat Sie denn da dann auf einmal hingetrieben?
    Katz: Zum einen ist es natürlich so, wenn man erst mal genügend Abstand gesammelt hat, so zehn Jahre oder wie viel das waren, dann zur Schule, dann sieht man das mit anderen Augen, dann ist man auch ein bisschen reflektierter, was das angeht. Da ist natürlich noch immer so diese Stelle, die da so juckt. Da war was, das hätte man eigentlich fertig machen sollen, hat man dann aber doch nicht.
    Da muss ich meiner Mutter ganz viel danken, weil die hat nämlich dieses Abitur-online-Angebot von WBK Bonn entdeckt, und sie kennt mich ja und weiß, je mehr Autonomie man mir gibt und je mehr Eigenverantwortung, desto besser bin ich. Dann hat sie mir das gezeigt, das wäre das Richtige für dich. Ich bin zum WBK gefahren, habe mich dafür beworben, ja, und ...
    Dichmann: So hat es dann geklappt.
    Katz: Genau.
    Dichmann: Mit Erfolg. Jetzt haben Sie schon einen ganz wichtigen Punkt angesprochen: Das Weiterbildungskolleg in Bonn bietet ja ein ganz interessantes Modell an, das Abitur nachzuholen, nämlich einmal Unterricht in der Abendschule nach der Arbeit – hat Sie ja auch betroffen, Sie arbeiten ja auch nebenher als Krankenpfleger – und dann noch Onlinekurse, die man zu Hause belegen kann. Das kam Ihnen also entgegen dieses Modell?
    Katz: Genau. Also dieses Modell funktioniert im Wesentlichen so, dass man zwei Tage abends normal in der Schule ist, und die restliche Zeit, die einem sozusagen dann fehlt in der Schule, wird online aufgearbeitet über Aufgaben, Materialien und so weiter und so fort.
    Mit der Arbeit war der Vorteil für mich, dass ich das mit dem Krankenpfleger nur nebenbei gemacht habe auf 450-Euro-Basis. Es war jetzt nicht so, dass ich jeden Tag gearbeitet und für die Schule was gemacht habe. Es war ein-, zweimal die Woche, aber gerade diese Freiheit, die man dann zu Hause hat, sich Sachen selber beizubringen, sich mit Sachen einfach selber auseinanderzusetzen und verschiedene Sachen zu beleuchten, das ist ja nicht so wie in der Schule, wo dann quasi nach 90 Minuten Schluss ist nach einem Block – sind ja immer so Doppelstundenblöcke –, und dann ist Sache beendet, und dann geht man nach Hause, sondern da ist es so, man beschäftigt sich so lange mit dem Thema wie man das selber will.
    Dichmann: In eigener Zeiteinteilung sozusagen.
    Katz: Eigener Zeiteinteilung und auch eigener Informationsbeschaffung. Das ganze Internet, die ganze Welt quasi, um sich Informationen zu beschaffen.
    Dichmann: Nicht nur den Lehrer vorne.
    Katz: Genau.
    "Ich kann mir jetzt nicht erlauben, da so rumzudümpeln und fünfmal meinen Studiengang zu wechseln"
    Dichmann: Dann müssen Sie uns auch noch die Frage beantworten, Herr Katz, was Sie denn jetzt anfangen wollen mit diesem Abitur. Ein Stern der Abitur mit so vielen Punkten, wie man nur haben kann. Es gibt ja noch mehr Bildungsabschlüsse, die man sammeln kann. Vorhin haben Sie aber schon mal angedeutet im Gespräch, dass wir vor der Sendung geführt haben, zu studieren zum Beispiel, da hätten Sie leichte Bauchschmerzen. Warum?
    Katz: Ein bisschen, und zwar zum einen ist es ja so, dass ich mir jetzt in meinem Alter – ich bin 29 – nicht mehr erlauben kann, jetzt erst mal zum Aufwärmen zwölf Semester Philosophie zu studieren, was zwar interessant wäre ganz sicher, aber das wäre irgendwie self-defeating.
    Zum anderen ist es so, dass die Frage ist, wenn ich jetzt studieren gehe und das rein nach Interessen aus mache, dann – die Sachen, die mich interessieren, sind Geschichte, Politik, Philosophie, North American Studies zum Beispiel, Kulturwissenschaften, superinteressant, aber was macht man dann damit. Viele Leute, die ja in diese Richtung gehen, stellen ja irgendwann fest, dass eigentlich das sinnvollste ist, dann doch irgendwie an der Uni zu bleiben und da den Doktor zu machen oder auf Lehramt zu gehen, solche Sachen.
    Dichmann: Also Sie denken das ganz anwendungsbezogen, welchen Job kann ich später damit machen.
    Katz: Im Moment ja, weil das, wie ich gerade sagte, aufgrund des Alters schon jetzt eine Rolle spielt. Ich kann mir jetzt nicht erlauben, da so rumzudümpeln und fünfmal meinen Studiengang zu wechseln. Das wäre jetzt blöd.
    Dichmann: Aber ich meine, Sie haben spätestens mit diesem Hochglanzabitur bewiesen, dass Sie zu einer Menge imstande sind, insofern machen wir uns mal keine Sorgen über Ihre Zukunft, und vielleicht sehen und hören wir uns dann hier in "Campus und Karriere" noch mal wieder, um zu erfahren, wie es Ihnen so ergangen ist. Bis dahin auf jeden Fall danke für das Gespräch, Jonas Katz!
    Katz: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.