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Schulkonsens in NRW
Studie: Sekundarschulen sind gescheitert

Mit dem Schulkonsens in Nordrhein-Westfalen zwischen SPD, CDU und Grünen wurde 2011 ein langjähriger Streit über die Schulpolitik beigelegt. Seitdem herrschte in grundsätzlichen Bildungsfragen weitgehend Ruhe. Nun hat die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie vorgestellt, die die Auswirkungen des Kompromisses untersucht. Ergebnis: Die neu eingeführte Sekundarschule ist gescheitert.

Von Kai Rüsberg | 29.08.2016
    Leerer Klassenraum
    Es gibt kaum noch Schulneugründungen, stellt die Studie fest. (dpa/picture-alliance/ Peter Endig)
    "Nach dem Schulkonsens" - so ist die Studie überschrieben. Der sah 2011 vor, die Sekundarschule als zusätzliche fünfte Schulform der Sekundarstufe I zu schaffen und sie zwischen Gesamtschulen und Hauptschulen zu positionieren. Durch einen Ganztagesunterricht und eine Verknüpfung mit Schulen mit Abitur sollte der Übergang in die Oberstufe auch für lernschwächere Schüler möglich sein.
    Die der Partei "Die Linke" nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung wollte überprüfen, ob die Reform funktioniert hat, erläutert Karl-Heinz Heinemann:
    "Nach diesem Schulkonsens ist es ruhig geworden um den Dauerbrenner Gesamtschule oder Hauptschule schließen und da könnte man denken, das hat was bewirkt, der Kompromiss. Und wir wollten das mal nachfragen, was hat sich geändert der in der Struktur in NRW. Hat es Fortschritte gegeben, mit mehr Bildung für Kinder und Jugendliche."
    Doch mit einem Budget von 20.000 Euro stand nur wenig Geld zur Verfügung. Ein Grund, warum tiefergehende Analysen mit differenzierten Fallstudien in der Studie fehlen. Innerhalb eines halben Jahres hatten die Autoren Peter Proff und Marc Mulia, beide in der Linken aktiv, Zahlen zusammengetragen und ausgewertet. Vor allem die neu geschaffenen Sekundarschulen kommen bei der Linken und Marc Mulia nicht gut weg:
    "Sekundarschulen scheinen den Zenit erreicht zu haben. Wir sehen kaum noch neue Sekundarschulgründungen. Dass es neuerdings Umwandlungen in Gesamtschulen gibt - das liegt daran, dass Eltern lieber eine Schule haben wollen, wo die Kinder das Abitur machen. Das geht eben an der Sekundarschule nicht."
    Gute Entwicklung des Berufskollegs
    Schon im vierten Jahr sei die Zahl der Neugründungen zum Stillstand gekommen. Oftmals meldeten sich nur deshalb Schüler an, weil sie an Schulen mit eigener Oberstufe abgewiesen wurden, so die Autoren. Es gibt 117 in NRW und einige stehen mangels Anmeldungen bereits vor der Schließung oder Umwandelung.
    Ein Ergebnis der Studie ist die wachsende Bedeutung der sogenannten beruflichen Gymnasien, die bislang nur wenig Beachtung finden. Sie haben in NRW stetig steigende Schülerzahlen, die aktuell bei 50.000 liegen, so Studienautor Mulia:
    "Die Entwicklung der Berufskollegs, die in NRW eine gute Rolle spielen, in der Form, dass 20 Prozent Abitur oder Fachhochschulreife an einem Berufskolleg machen, das ist bundesweit ein Spitzenwert, das ist positiv."
    Zu der Diskussion in der Bochumer Innenstadt waren sowohl Bildungsexperten, Parteimitglieder und Eltern gekommen. Antje Kassim hat mit sechs Kindern vielfältige Erfahrungen mit dem Schulsystem und würde sich bei der Schulwahl nicht mehr auf den Rat aus der Grundschule verlassen:
    "Wenn mehr Plätze für Gesamtschule da wären, als Eltern würde man schon die Gesamtschule wählen. Ich würde dann nicht sagen, ich gehe zur Realschule, sondern lieber Gesamtschule."
    Damit entscheidet sie sich, laut Studie, genau so wie die Mehrheit der Eltern in NRW, sagt Stiftungsvorstand Heinemann:
    "Es zeigt sich, der Elternwille geht dahin, sie wollen ihr Kind an eine Schule schicken, wo es ein Abitur machen kann. Und da gibt es nur zwei Schulen: Gesamtschule und Gymnasium. Unsere Prognose, die auch in der Studie belegt ist, dass das langfristig 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler diese Schulform besuchen werden.
    Bereits heute wählen 42 Prozent der Fünftklässler das Gymnasium und 26 Prozent die Gesamtschule. Beide sind damit ausgelastet und müssen jährlich einen großen Teil der Bewerber an die Haupt-, Real- und Sekundarschulen verweisen.
    DGB: Gesamtschule als Alternative zum Gymnasium
    DGB-Chef in NRW, Andreas Meyer-Lauber, selbst 25 Jahre lang Lehrer, mahnte in der Diskussion an, es wäre eine logische Konsequenz, auch in NRW den Schnitt in der Bildungspolitik zu machen, den andere Länder schon vollzogen haben:
    "Wir glauben, das die wirkliche Alternative zum Gymnasium die Gesamtschule sein muss. Weil sie alle Chancen eröffnet. Das steht im Zentrum der Gewerkschaften, das alle Kinder die Chance haben, eine gute Bildung zu bekommen."
    Der Gewerkschaftschef hält aber die jahrelange Diskussion um Schulstrukturen für die falsche Debatte und sieht sich in einer Linie mit den Arbeitgebern. Viel wichtiger seien inhaltliche Reformen:
    "Wir verlieren ein Jahrzehnt an Abstand, weil die neuen Technologien überhaupt nicht im Unterricht angekommen sind. Da geht es nicht darum, sie technisch zu beherrschen, sondern auch sozial. Die Schulen haben die Ausstattung dafür nicht, die Lehrer die Qualifikation dafür nicht aber die Schüler sind mit ihren Apparaten weiter als die Schule."
    In Nordrhein-Westfalen wird im Mai des kommenden Jahres gewählt. Die Linke, zur Zeit nicht im Parlament und nicht am Schulkonsens beteiligt, würde ein Scheitern der Sekundarschule gerne in den Fokus des kommenden Landtagswahlkampfs stellen. Doch zur Zeit gibt es in NRW wichtigere Themen, wie die Neugründung von Gesamtschulen und die Debatte um eine Revision von G8 an Gymnasien.