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Schulpolitik
Hauptschulen sterben aus

Nur noch in vier Bundesländern gibt es Hauptschulen und es werden immer weniger. Doch die Schulform bietet ein Angebot für Schüler, die ihre Zukunft nicht unbedingt im akademischen Bereich sehen. Hauptschulen bereiten mit praxisorientiertem Unterricht insbesondere auf Ausbildungen im Handwerk vor.

Von Moritz Börner | 11.07.2019
Schüler lernen im Geschichtsunterricht an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
In Bayern wurde aus der Hauptschule die sogenannte Mittelschule (dpa / picture alliance / Fabian Stratenschulte)
"Wer würde einmal eben die Aufgabenstellung vorlesen? Dann nehme ich Alik dran." "Aufgabe eins, ‚les dir den vorliegenden Lebenslauf durch.‘ Aufgabe zwei"
Deutschunterricht in Klasse 9a der Hauptschule Carl–Fuhlrott-Schule in Erkrath bei Düsseldorf. Lehrerin Luisa Schmaus schreibt gemeinsam mit den Schülern einen Lebenslauf. In der kommenden Woche geht es auf eine Ausbildungsmesse ins benachbarte Düsseldorf, die Hoffnung ist, dass die Schüler schon mal Kontakte knüpfen können, um einen Praktikumsplatz und später vielleicht sogar eine Ausbildung zu finden:
"Ich möchte, dass jeder von euch den Lebenslauf dabei hat, ich gebe euch auch eine Klarsichthülle später. Wir haben ja im Oktober einen Lebenslauf geschrieben."
Berufsvorbereitung, Bewerbungsgespräche üben, Schulpraktika, der Unterricht an den Hauptschulen ist sehr praxisorientiert. Genau das ist der große Vorteil der Schulform, glaubt Schulleiter Andreas Lösche. Dazu kommt: Im Gegensatz zu Gymnasien und Gesamtschulen kann die Hauptschule gezielt auf den Förderbedarf einzelner Schüler eingehen:
"Wir haben die Möglichkeit, ein sehr, sehr langsames Lerntempo einzuschlagen, je nachdem, welcher Schüler welches Lerntempo braucht. Wichtig ist auch, die Hauptschule ist ein relativ kleines System, mit kleinen Klassen! Kleine Klassen sind natürlich für Schüler mit partiellen Lernschwierigkeiten oder auch Sprachschwierigkeiten von großem Vorteil, das heißt man kann viel individueller auf die einzelnen Personen eingehen."
Imageproblem der Hauptschulen
Trotzdem sind die Hauptschulen unbeliebt. Im gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf beispielsweise ist ihre Zahl innerhalb weniger Jahre um zwei Drittel gesunken, in der Stadt Essen gibt es nur noch vier von ursprünglich 13 Schulen, das gleiche Bild zeigt sich in allen Bundesländern, in denen es noch Hauptschulen gibt, das sind außer NRW noch Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wer eine Hauptschule besucht, hat in der heutigen Bildungsgesellschaft schlechte Karrierechancen, so die landläufige Meinung. Robin Frey, der die neunte Klasse der Carl-Fuhlrott-Schule besucht, glaubt, die Hauptschule hat ein Imageproblem:
"Ich denke schon, dass es bestimmte Vorurteile der Hauptschule gegenüber gibt, aber das muss ja nicht unbedingt stimmen. Es müssen die Hauptschüler nicht asozial sein oder dumm, es gibt einfach Leute, die anders gefördert werden müssen. Ich begegne schon solchen Vorurteilen, aber es stimmt halt nicht unbedingt."
Den Trend weg von der Hauptschule hält die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kurz GEW, für richtig. Ilka Hoffmann von der GEW ist dafür, dass Schüler mit unterschiedlicher Leistungsstärken in Zukunft an Schulen wie der Gesamtschule so lange wie möglich gemeinsam lernen. Das soll Schülern aus bildungsfernen Haushalten erfolgreichere Schulkarrieren ermöglichen:
"Die Hauptschule hat sich mehr und mehr zu einer sogenannten Restschule entwickelt, das heißt, sie war eine Schule für die sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler und die Arbeitswelt ist sehr viel komplexer geworden, und außerdem waren die Kinder und Jugendlichen, die nicht so bildungsaffin waren, unter sich."
Praxisorientierter Unterricht
Tatsächlich versuchen die meisten Hauptschulabsolventen nach der zehnten Klasse einen weiteren Schulabschluss zu machen, besuchen etwa ein Berufskolleg. Bleibt die Frage, was kommt, wenn die Hauptschulen auslaufen? Ein Drittel der Hauptschüler beginnt eine Ausbildung, besonders oft im Handwerk. Die Handwerkskammer Düsseldorf fordert darum, den praxisorientierten Unterricht, den es derzeit an den Hauptschulen gibt, deutlich mehr als bisher auf andere Schulformen wie die Gesamtschule zu übertragen – sonst gebe es irgendwann kaum noch geeignete Schulabgänger für Ausbildungen im Handwerk. Alexander Konrad von der Handwerkskammer Düsseldorf:
"Wir müssen keine Schulpolitik machen, die an den Hauptschulen festhält, aber wir brauchen ein Angebot für Schüler, die ihre berufliche Zukunft nicht nur akademisch definieren, das vielleicht auch gar nicht können, eine solche Schulform brauchen wir, und wir haben die noch nicht."
Der Deutsche Lehrerverband schlägt als Lösung eine Weiterentwicklung der Hauptschule vor. Das ist zum Beispiel in Bayern geschehen, dort ist die Mittelschule entstanden. Hans-Peter Meidinger vom Lehreverband:
"Es gibt ja auch erfolgreiche Beispiele! Also wenn man sich jetzt anschaut Bayern, die also die Hauptschule jetzt nicht vereinigt haben mit einer anderen Schulart, wie der Realschule, sondern weiter profiliert haben, stärker noch in Zweige ausdifferenziert, stärker noch die Möglichkeit der mittleren Reife integriert haben, den Namen noch verändert haben in Mittelschule."
Manche Bildungsexperten befürchten bei dieser Schulform allerdings, dass die Hauptschulen einfach nur umbenannt werden, die Probleme aber bleiben.