Im Jahr 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 20.500 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren bei Verkehrsunfällen verletzt. Nur ein Fünftel von ihnen war dabei allerdings zu Fuß unterwegs. Die meisten Kinder verunglückten auf dem Fahrrad oder im Auto. „Am sichersten oder besten kommen Kinder ganzheitlich zur Schule, indem sie zu Fuß gehen“, sagt der Verkehrsexperte Simon Höhner, Geschäftsführer der Verkehrswacht Düsseldorf.
Dennoch bringt etwa ein Viertel der Eltern seine Kinder mit dem Auto zur Schule. Die Rede ist bereits von einer „Generation Rücksitz“. Doch das hat verschiedene negative Begleiteffekte: Es kommt zum erhöhten Verkehrsaufkommen vor Schulen und Staus, aber es erhöht auch die Gefahr für Kinder, vor ein Auto zu laufen – und gerade die Gefahr im Straßenverkehr ist es, die Eltern als Grund dafür anführen, die Kinder mit dem Auto zu bringen. Welche Lösungsansätze gibt es?
Warum bringen Eltern ihre Kinder per Auto zur Schule?
Einer Forsa-Umfrage zufolge bringen 23 Prozent der Eltern ihr Kind per Auto zur Schule. 25 Prozent kommen mit dem Fahrrad, 32 Prozent gehen zu Fuß und 48 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bei der Umfrage waren Mehrfachnennungen möglich. 86 Prozent lehnen demnach den Schulweg mit dem Auto für Grundschüler ab. So steht es im Verkehrssicherheitsreport 2019 von DEKRA. Laut einer Umfrage des ADAC von 2023 liegt der Elterntaxi-Anteil auf dem Schulweg bei 17 bis 22 Prozent.
Nach den Gründen gefragt, sagen die meisten (43 Prozent) laut Forsa: „Weil die Schule auf dem Arbeitsweg liegt.“ Weit dahinter liegen die Antworten, weil der Schulweg sonst zu viel Zeit benötige und weil es keine gute Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln gebe. Nur 19 Prozent finden, dass der Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu gefährlich sei.
Zeitnot nennt auch Verkehrsexperte Simon Höhner als Grund. „Es hat natürlich damit zu tun, dass die Gesellschaft sich verändert hat. Also die Erwerbstätigkeit beider Elternteile hat sich geändert. Das heißt, jeder muss morgens früh aus dem Haus.“
Warum gibt es Kritik am Elterntaxi?
Mehr Autos bedeuten mehr Verkehr, mehr Staus, mehr Parkplatzsuche – und höhere Gefahren für Fußgänger, vor allem Kinder ohne unmittelbares Gefahrenbewusstsein. Der Auto-Club Europa (ACE) hat deshalb in vergangenen Jahren einen Aktionstag „Goodbye Elterntaxi“ gestartet. „Denn das Gefühl, das Auto sei sicherer, ist trügerisch. Vor den Schultoren sind Elterntaxis sogar eine Gefahr, da Kinder zwischen den parkenden Autos nur sehr schlecht gesehen werden.“ Wichtig sei es, praktische Erfahrungen im Straßenverkehr zu sammeln. „Das geht am besten durch Übung und die aktive Teilnahme am Verkehrsgeschehen“, sagt Stefan Heimlich, Vorsitzender des ACE.
Simon Höhner von der Verkehrswacht Düsseldorf bestätigt das: „Wenn ich hinten rechts sitze, da nehme ich nämlich nicht aktiv am Verkehr teil und da lerne ich nichts. Und dann erwartet man irgendwann in Klasse fünf oder sechs: Dann nimm hier bitte mal den Bus oder die U-Bahn und versteh doch bitte mal, wie das Ganze funktioniert. Das kann nicht klappen. Das ist ein Lernprozess, der in der Grundschule, im besten Fall schon in der Kita anfängt.“
Die Verkehrswacht Düsseldorf unterstützt schon Kindergärten mit entsprechenden Angeboten, in Zusammenarbeit mit der Polizei. So machen Kita-Kinder zum Beispiel einen Fußgängerführerschein. Verkehrserziehung ist in NRW und vielen anderen Bundesländern fester Bestandteil des Grundschul-Lehrplans.
Welche Alternativen gibt es zum Elterntaxi?
Der ACE appelliert an Eltern, den Schulweg mit Kindern rechtzeitig und gut einzuüben. Sollte sich das Auto nicht vermeiden lassen, rät der ACE, „Kiss & Ride“-Halteplätze zu nutzen, die lediglich zum schnellen Holen und Bringen vorgesehen sind. Sollten solche nicht vorhanden sein, sollte man sich dafür einsetzen, Hol- und Bringzonen zu schaffen.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, für den Autoverkehr gesperrte Schulstraßen zu schaffen, doch die sind in Deutschland rechtlich nicht vorgesehen, während es sie in europäischen Städten wie Wien, Paris und London schon seit Jahren gibt.
Sind Schulstraßen eine Alternative?
In Deutschland bleibt das Recht in der Frage, ob eine Straße für eine Schule gesperrt werden darf, vage. So heißt es in einem Gutachten, das das Aktionsbündnis Kidical Mass zusammen mit dem Verkehrsclub Deutschland und dem Deutschen Kinderhilfswerk in Auftrag gegeben hat:
„Die Bezeichnung Schulstraße ist bisher in Deutschland kein Rechtsbegriff, anders als etwa ‚Schulstraße‘ in Österreich, wo […] eine entsprechende Anordnungsmöglichkeit mit einem eigenen Verkehrszeichen geschaffen wurde. Eine ähnliche Möglichkeit wurde in Frankreich mit den ‚Rues aux écoles‘ etabliert, von denen in Paris bis November 2023 über 200 geschaffen wurden und bis 2026 weitere 100 eingerichtet werden sollen.“
Wenn Kommunen im Rahmen der Straßenverkehrsordnung (StVO) Einschränkungen, wie das zeitweise Sperren von Straßen für den Kraftverkehr, durchsetzen möchten, müssen sie eine Gefahr begründen und die muss überdurchschnittlich hoch sein. Es müssen zunächst also Unfälle passieren, um sie künftig verhindern zu können - und Kraftfahrzeuge werden als Verkehrsteilnehmer privilegiert. Eine Novelle der StVO sollte das ändern, der Bundestag hat sie im vergangenen Jahr angenommen, doch sie scheiterte am Widerstand des Bundesrats.
Teileinziehungen und Verkehrsversuche
Das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium rät den Kommunen, Schulstraßen über die straßenrechtliche Teileinziehung einzurichten, also eine Sperrung der Straße zu bestimmten Uhrzeiten. Laut Staatssekretär im Landesministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, Viktor Haase, werde man überrannt mit Nachfragen. Doch nicht alle Straßen dürfen gesperrt werden, etwa Bundes-, Landes- und Kreisstraßen sowie Haupterschließungsstraßen.
Die bisherigen Schulstraßen wurden allerdings größtenteils im Rahmen von sogenannten Verkehrsversuchen eingerichtet, die die Straßenverkehrsordnung des Bundes vorsieht. Sie sind zwar einfacher einzurichten, als etwa eine Teileinziehung, aber als Versuch nur zeitlich begrenzt.
An vier Schulen in Köln wird das Projekt Schulstraße bis zu den Osterferien ausprobiert. Die Straßen werden für die Zeit vor und nach dem Unterricht gesperrt. Eltern mit Auto dürfen nicht parken, können ihre Kinder in Haltebereichen bringen, die aber nicht direkt vor der Schule liegen. Weitere Stadtbezirke wollen nachziehen.
Auch in Städten wie Bonn, Essen, Gladbeck sowie in Berlin und Frankfurt am Main gibt es Versuche mit Schulstraßen. In Frankfurt zeigte man sich mit einem Pilotprojekt im Stadtteil Eckenheim zufrieden: „Die Anzahl der Elterntaxen im Bereich der Pilotschule ist gesunken und es werden wesentlich weniger Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht“, teilt die Stadt mit. Daher gibt es seit Februar ein zweites Pilotprojekt in Frankfurt-Sachsenhausen.
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