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Schulte: Zukunft der privaten Krankenversicherung ist gesichert

Die privaten Krankenkassen sehen ihr Geschäftsmodell durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Gesundheitsreform nicht gefährdet. Bislang hätten nur rund 8000 Menschen den Basistarif beantragt, sagte Reinhold Schulte, der Vorsitzende des Spitzenverbandes PKV.

Reinhold Schulte im Gespräch mit Jochen Spengler | 11.06.2009
    Jochen Spengler: Niederlage also in Karlsruhe für die private Krankenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern entschieden: Es bleibt bei der schwarz-roten Gesundheitsreform, die Privatversicherungen dürfen niemandem mehr kündigen, sie müssen einen bezahlbaren Basistarif anbieten, und sie müssen einem Versicherten, der wechseln will, die Altersrückstellungen teilweise mitgeben.

    Am Telefon ist der Vorsitzende des Verbandes der privaten Krankenversicherungen und Vorstandvorsitzende der Signal-Krankenversicherung, Reinhold Schulte. Guten Morgen, Herr Schulte.

    Reinhold Schulte: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Schulte, Sie haben vor dem Verfassungsgericht dann argumentiert, dass die Gesundheitsreform das Geschäftsmodell der Privatkassen zerstöre. Jetzt bleibt es bei der Reform. Wann müssen Sie denn Insolvenz anmelden?

    Schulte: Ja, die Situation hat sich insofern auch ein wenig geändert. Als wir vor einem Jahr die Klage in Karlsruhe eingereicht haben, gingen wir davon aus – wie von Frau Schmidt, unserer Gesundheitsministerin, auch immer dargestellt –, dass irgendwo zwischen 300.000 und 500.000 Nichtversicherte in Deutschland nach Versicherungsschutz nachsuchen.

    Und daraufhin haben wir geklagt, um zu sagen: Das werden wir nicht aushalten, wenn wir diesen Personenkreis ohne jegliche Prüfung aufnehmen. Zwischenzeitlich – wir haben Juni 2009 – haben wir erfahren müssen, dass bisher ganze 8000 Menschen einen Versicherungsschutz nachgesucht haben bei den Privaten, …

    Jochen Spengler: Und das freut Sie, dass es nur so wenig sind?

    Schulte: … und insofern hat sich die Situation geändert, und das hat auch Herr Papier natürlich gesehen und das Verfassungsgericht. Die wissen das, dass diese 8000 natürlich die übrigen Kunden nicht, ich sage mal, über Gebühr belasten werden.

    Spengler: Wir müssen sagen: Es gibt insgesamt acht Millionen Privatversicherte.

    Schulte: 8,6 - ja.

    Spengler: Und Sie freuen sich, dass es nur 8000 sind, die da in diesen Basistarif wollen?

    Schulte: Ja, natürlich, denn ansonsten hätten wir schon eine andere Situation gehabt, denn dieser Basistarif ist nicht auskömmlich kalkuliert, das durften wir nicht. Er ist auf der Höhe der Leistungen und auch des Beitrages der gesetzlichen Krankenversicherung, und insofern haben wir Sorge einfach gehabt, dass, wenn viele Menschen in diesen Basistarif hineinwollen, dieser eben nicht auskömmlich ist und die übrigen Versicherten dieses dann mit übernehmen müssen.

    Spengler: Wenn ich das Gericht gestern richtig verstanden habe, dann hat Ihnen das aber die Möglichkeit eingeräumt, diesen Tarif anders zu kalkulieren. Sie müssen ja nicht genau dasselbe anbieten, was die gesetzlichen Krankenkassen anbieten.

    Schulte: Ja, das hat das Verfassungsgericht ganz deutlich gestern gesagt. Da werden wir auch sicherlich noch mal herangehen. Wir werden da nachjustieren, wobei das Gericht sicherlich recht hatte, dass, wie gesagt, diese 8000 keinen nachhaltigen Einfluss auf die jetzt Versicherten hat. Aber …

    Spengler: Herr Schulte, ganz kurz: Wenn Sie sagen, wir werden da nachkorrigieren – das heißt, Sie werden den Tarif noch unattraktiver machen, oder was heißt das?

    Schulte: Was heißt unattraktiv? Wir haben diesen Tarif von der Leistung her auf Basis der gesetzlichen Krankenversicherung darzustellen und anzubieten. Und das werden wir tun. Das ist Gesetzesauftrag, und dem werden wir nachkommen und werden insofern hier noch mal aus der Leistung gewisse Teile rausnehmen. Aber …

    Spengler: Aber wir können es so sagen, … Ja, bitte?

    Schulte: … lassen Sie mich vielleicht noch vollenden, …

    Spengler: Bitteschön.

    Schulte: … das Gericht, Herr Doktor Papier, hat auch ganz klar gesagt: Dieses Urteil muss auf Wiedervorlage gelegt werden. Sollte ein anderer Zulauf – aus welchen Gründen auch immer – in diesen Basistarif erfolgen, muss die Bundesregierung entsprechend reagieren. Das war ganz deutlich, dass das Gericht dargestellt hat: Sollte es doch Einfluss auf die übrigen Versicherten haben, muss von der Bundesregierung nachjustiert werden.

    Spengler: Aber - wir fassen zusammen - Ihr Geschäftsmodell steht nicht mehr in Frage?

    Schulte: Nein, das ist eindeutig, im Gegenteil sogar. Ich glaube, es ist gestern das erste Mal überhaupt in der Verfassung erwähnt worden, dass es zwei Säulen der Gesundheitsabsicherung, der Krankenversicherung also, in Deutschland gibt, zum einen die Gesetzlichen, zum einen die Privaten. Herr Doktor Papier hat mehrere Male von diesen zwei Säulen gesprochen, und insofern, denke ich, kann man davon ausgehen, ist die Private jetzt auch fest in unserem Gesundheitssystem verankert, also insofern waren das klare Aussagen, ich sage mal, pro private Krankenversicherung.

    Spengler: Von der Aussage zwei Säulen, da leiten Sie eine Bestandsgarantie für die private Krankenversicherung ab?

    Schulte: Ja, und ich leite weiter daraus ab, dass es damit keine Bürgerversicherung geben kann, denn wenn unser höchstes Gericht, das Bundesverfassungsgericht, klar von diesen zwei Säulen der Krankenversicherung spricht in Deutschland, dann ist eindeutig, dass es nicht möglich ist, hier eine Bürgerversicherung einzuführen.

    Spengler: Überinterpretieren Sie das Gericht nicht da? Ich hatte den Eindruck, dass doch das Gericht dem Gesetzgeber sehr viel Spielraum einräumt.
    Schulte: Ja, und zwar vor dem Hintergrund auch des Sozialstaatsgebotes. Aber ich denke, wir werden – gerade was die Krankenversicherung betrifft – in den nächsten Wochen und Monaten, und zwar sowohl vor der Wahl als auch nach der Wahl, noch in ganz andere Diskussionen kommen.

    Denn es ist so, dass der zum 1.1. eingeführte Gesundheitsfonds ja in diesem Jahr aller Voraussicht nach einen weiteren Zuschuss von drei bis vier Milliarden Euro braucht, und im Konjunkturpaket zwei waren ja insbesondere für die gesetzlichen Krankenkassen bereits Zuschüsse von 28,5 Milliarden enthalten. So, und wenn man sich die Situation, die Haushaltslage beim Bund ansieht, und man weiß, dass die Renten in Deutschland nur noch ausgezahlt werden können, weil der Bund 80 Milliarden pro Jahr zuschießt - dann, glaube ich, brauche ich keinem Ihrer Hörer darzulegen, wie kritisch der Druck auf die Sozialsysteme in Deutschland werden wird, wenn die Wirtschaftsentwicklung so wie prognostiziert in diesem und im nächsten Jahr eintritt.

    Spengler: Herr Schulte, das ist eigentlich ein kleiner Exkurs, den Sie da jetzt führen, hin zum Gesundheitsfonds, mit dem ja die privaten Krankenversicherungen nichts zu tun haben. Aber wenn Sie diesen Exkurs schon wagen, dann muss ich da nachfragen, dass Sie der Aussage der Ministerin Frau Schmidt – die heute zitiert wird damit, dass die gesetzlichen Krankenkassen Überschüsse von einer Milliarde im ersten Quartal haben und deswegen die Finanzierung des Fonds nicht in Frage steht –, dass Sie dieser Aussage nicht glauben?

    Schulte: Nein, denn wir wissen es ja auch aus der Presse, Herr Spengler, dass sich gesetzliche Kassen geäußert haben, dass sich ihr Verband geäußert hat und dass man zwischen drei und vier Milliarden Euro an Minus – allein in diesem Jahr – rechnet.

    Spengler: Darf ich noch mal zur Bürgerversicherung zurückkommen? Sie haben ja gesagt: Das Urteil ist das Aus der Bürgerversicherung. Nun sagen Ärzte, Zahnärzte was anderes, sie sagen, das Urteil ebnet den Weg gerade zu einer Einheitsversicherung.

    Schulte: Nein, insofern nicht, weil …

    Spengler: Doch, das sagen die schon.

    Schulte: Ja, sie sagen es, okay, aber es ist deutlich darauf hingewiesen worden eben auf diese zwei Säulen, und zwar nicht nur einmal, sondern in dem Vortrag von Herrn Doktor Papier, in der Urteilsbegründung kam es also mehrfach, und insofern, glaube ich, kann man das schon seriös auch daraus ableiten.

    Und die Ärzte – das ist natürlich klar, dass die Sorgen haben, dass eine solche Bürgerversicherung kommt. Denn wenn es die Privaten nicht mehr geben würde, dann würden viele Praxen schließen müssen, Zahnarztpraxen genauso, und ich glaube – und bin davon zutiefst überzeugt –, wir würden das hohe Niveau, was wir in der Gesundheitsversorgung zurzeit in Deutschland haben, auch in den Krankenhäusern, nicht mehr aufrecht erhalten können.

    Spengler: Herr Schulte, würden Sie trotzdem so weit gehen, zu sagen: Es war nicht gerecht, dass nur die gesetzliche Krankenversicherung für die Risiken zuständig sein sollte, so ist es gerechter, dass auch die Privaten da herangezogen werden?

    Schulte: Na ja. Die Frage ist: Was ist gerecht? Man muss auch das Geschäftsmodell sehen, und unsere Sorge war ja, dass unsere vorhandenen Versicherten über Gebühr zusätzlich belastet werden. Und ich meine, gerade wir verhalten uns ja solidarisch, denn unsere Kunden haben (…) eben für sie im Alter bezahlbar bleiben, und das ist eben der Unterschied zu Gesetzlichen, die im Umlageverfahren ja keinerlei Vorsorge treffen und diese Entwicklung, dieses Umlagerverfahren – wo wir immer weniger Erwerbstätige in Deutschland haben, immer mehr, die über 65 sind, die auch noch älter werden –, dass dieses System der Umlagefinanzierung keinerlei Zukunft mehr hat.

    Spengler: Aber für den einzelnen Kunden ist es doch nun großartig, dass er nicht mehr an eine bestimmte Privatkasse gefesselt ist, sondern dass er seine Altersrückstellung zumindest teilweise künftig mitnehmen kann, oder?

    Schulte: Herr Spengler, das war auch vorher schon so. Wir haben uns auch nie dagegen gewehrt, dass wir neue Tarife kalkulieren, wo diese Alterungsrückstellungsmitgabe mit enthalten war.

    Spengler: Die sind dann aber viel teurer, nicht?

    Schulte: Es geht bis maximal zehn Prozent. Wir haben uns nie dagegen gewehrt. Aber in der früheren Kalkulationsverordnung, die ja vom Bund erlassen wird für uns, war eindeutig geregelt, dass eben – wenn jemand dieses Unternehmen verlässt – die Alterungsrückstellungen dem Kollektiv zugute kommen. So, und ab 1. Januar bieten wir ja Tarife an, wo das eh schon geändert ist, und das Gericht hat bestätigt, dass, wenn jemand in diesen Basistarif wechselt, dass dann in Höhe dieses Basistarifes die Alterungsrückstellungen mitgegeben werden. Das Ganze ist also auch schon sehr entschärft gegenüber dem, was Frau Schmidt vorher vorhatte.

    Spengler: Wenn denn nun Ihr Geschäftsmodell nicht mehr in Frage steht, dann braucht es auch keine Beitragserhöhungen mehr für die Privatversicherten, oder?

    Schulte: Beitragserhöhungen, Herr Spengler, wird es sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Krankenversicherung auch in Zukunft geben. Ich habe eben gesagt, wir werden immer älter, wir werden immer gesünder älter, das hat etwas mit der Medizin zu tun, das hat was mit dem medizinischen Fortschritt zu tun. Und man darf die Augen nicht davor verschließen, dass für eine älterwerdende Bevölkerung die Beiträge zurückgehen, im Gegenteil, die Krankenversicherung wird sicherlich sowohl in der privaten als auch in der gesetzlichen auch auf Dauer teurer werden.

    Spengler: Wenn es nach der Bundestagswahl zu einer anderen Koalition als der großen käme, meinetwegen zu einer schwarz-gelben, welche Korrekturen erwarten Sie dann?

    Schulte: Na ja, man sieht ja, im Moment wird an den Wahlprogrammen gearbeitet. Die FDP hat das Wahlprogramm bereits vorgelegt, die Union will es, glaube ich, am Wochenende vorlegen, und insofern darf man gespannt sein, was gerade bei der Union drinsteht. Die FDP will einen radikalen Schritt machen in Richtung Privatisierung. Ob das so möglich ist, das wage ich allerdings auch zu bezweifeln.

    Spengler: Aber das fänden Sie gut?

    Schulte: Ja, man muss da schon genau hinsehen. Ich denke, bisher hat sich in Deutschland es schon bewährt, das Nebeneinander zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung, und ich glaube, man muss da schon genau hinsehen, wenn man das alles privatisieren will. Die Zeit ist einfach schon zu spät, dass man die gesamte Bevölkerung in dieses Kapitaldeckungsverfahren hineinbringt.

    Das wird so nicht mehr bezahlbar sein, das haben wir auch immer gesagt, sondern hier wird man vielleicht überlegen müssen, inwieweit man Teile aus der Leistung und aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausnimmt und sie privatisiert und damit in das Kapitaldeckungsverfahren überführt.

    Spengler: Das war der Wunschzettel des Vorsitzenden des Verbandes der privaten Krankenversicherung, Vorstandsvorsitzender der Signal Krankenversicherung Reinhold Schulte.