Schulz: Schönen guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Wenn die Demonstranten heute "Wir sind ein Volk" rufen und sich in die Tradition der Montagsdemonstrationen stellen, ist das für Sie in Ordnung?
Schulz: Man muss zunächst einmal sagen, dass der Protest verständlich ist, auch angebracht ist bei einer so fragwürdigen und zum Teil miserabel gemachten Arbeitsmarktreform. Das Gros der viereinhalb Millionen Arbeitslosen würde ja gerne arbeiten, die würden ja gerne die Ärmel hochkrempeln, wenn sie nicht eher im Moment das Gefühl hätten, dass die Regierung ihnen vorher das letzte Hemd auszieht. Ob die Montagsdemonstration das geeignete Mittel dazu ist, kann man bezweifeln. Ich meine, der Protest ist berechtigt, auch Montags, auch Fürbitteandachten, ich befürchte nur, dass dieses ständige Revival den historischen Begriff abnutzt und auch die ursprüngliche Erfolgsaussicht nicht hat. Man muss ja sehen, damals ging es um eine friedliche Revolution gegen eine Diktatur. Heute geht es um eine sinnvolle Reform in einer bestehenden Demokratie, das ist der große Unterschied: damals der Sturz eines Systems und heute der Umbau des Sozialstaates. Da sind Ideen gefragt, da sind Konzepte gefragt und daran mangelt es im Moment.
Meurer: Fühlen Sie sich persönlich beleidigt, wenn heute Demonstranten davon sprechen, ich gehe zur Montagsdemonstration und Sie haben damals einiges riskiert?
Schulz: Das finde ich überzogen, es ist natürlich eine Protestdemonstration an einem Montag, mit einem anderen Inhalt, aber wie gesagt, sie wird längst nicht den Kraftstrom erzeugen, den man damals hatte. Es war auch einfacher mit den Füßen in der DDR gegen eine Diktatur abzustimmen, derjenigen die dort bleiben wollten. Heute gibt es andere Möglichkeiten, um den Protest sinnvoller anzubringen. Man kann wählen gehen, damals war eine Forderung, dass es überhaupt Wahlen gibt. Es wird demnächst etliche Wahlen geben und da kann man Denkzettel ausfüllen an die, die regieren, dass sie sich die Sache noch mal gut überlegen und ich muss sagen, wie gesagt, es fehlt an der Alternative. Man muss heutzutage Ideen formulieren, das sage ich selbstkritisch auch an die eigene Partei, weil wir den Leuten eine soziale Grundsicherung anbieten müssen. Es fehlt an einem Leitbild, wie die Sache weitergeht. Wir müssen von dieser Lebenslüge Abschied nehmen, sage ich noch an Minister Clement, dass wir schon bald wieder Vollbeschäftigung bekommen werden. Das gibt es wahrscheinlich nicht und wir müssen denen, die kein Erwerbseinkommen haben, die keine Kapitaleinkünfte haben, die kein üppiges Vermögen haben, denen müssen wir eine Existenzsicherung zusichern und auf der anderen Seite natürlich hat die Gesellschaft ein Recht auf Gegenleistung. Dieses Bild muss in die Bevölkerung transportiert werden. Niemand fällt ins Bodenlose, wir sorgen in einer reichen Gesellschaft dafür, dass die, die nicht zurecht kommen von der Gemeinschaft Hilfestellung erhalten, das ist bei Hartz alles relativ schief.
Meurer: Haben Sie Verständnis für, Herr Schulz, können Sie nachvollziehen, dass es jemanden wie Wirtschaftsminister Clement und auch andere einfach auf die Palme bringt, wenn sie in die Nähe der SED-Diktatur gestellt werden?
Schulz: Das, glaube ich, tut ja niemand. Das muss man ja sagen. Ich glaube nicht, die, die das tun, die instrumentalisieren die Sache zu Unrecht, das hat ja nichts mit Diktatur zu tun. Ich glaube, er ärgert sich darüber, dass es Proteste gibt. Er ist davon überzeugt, dass die Hartzreformen von I, III, IV Erfolg bringen auf dem Arbeitsmarkt, ich bezweifle das sehr. Ich glaube, das der in dem Maße nicht eintritt, man hat ja auch von diesen ganzen Erfolgsmeldungen, "Halbierung der Arbeitslosigkeit" und so weiter schon längst wieder Abschied genommen.
Meurer: Denken Sie, dass dieser Ruf, "Wir sind ein Volk", dass das nur von wenigen kommt?
Schulz: Ich glaube, dass der Ruf, "Wir sind ein Volk" natürlich berechtigt ist. Schauen Sie, die Hartzreform müsste für das ganze Land Wirksamkeit entwickeln und wenn führende Politiker sagen, dass das in Ostdeutschland bei hoher Arbeitslosigkeit so gut wie keine Wirkung hat, dann entzieht man sich natürlich der Verantwortung. Das müssen sich auch diejenigen gefallen lassen, die diese Reform verantworten. Wenn Reformen in Gebieten mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit keine Wirkung zeigen, was sind sie dann wert?
Meurer: Der Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, hat gesagt, Zitat: "der zweite Teil der friedlichen Revolution steht noch aus." Sehen Sie das auch so?
Schulz: Das habe ich auch gelesen, das halte ich schon für eine Selbstüberschätzung, weil es geht hier, wie gesagt, nicht um Revolution. Die Revolution, die haben wir gehabt, das ist die Umstürzung der Verhältnisse, das ist der Sturz eines Systems. Hier geht es nicht um den Sturz eines Systems, hier geht es um Reformen, hier geht es echt um eine sinnvolle Reform in einer immerhin noch Wohlstandsgesellschaft und den Umbau des Sozialstaates. Der gelingt, so wie man sich das mit Hartz vorstellt nicht, weil dort dieses Prinzip "Fördern und fordern" nur an die Bedürftigen gestellt wird, an die Arbeitslosen, nicht an die Unternehmer. Dort ist das Prinzip überhaupt nicht da, da fördern wir seit Rot-Grün an der Regierung ist, da werden die Steuern gesenkt, da wird der Kündigungsschutz gelockert, da gibt es neue Möglichkeiten im Arbeitsrecht und der gleichen, aber es gibt überhaupt keine Gegenleistungen im Sinne von Arbeitsangeboten. Sehen Sie, an dieser Stelle hakt und stottert diese gesamte Reform. Worauf es ankommt, ist eine wirklich vernünftige, verständliche und auch zielführende Reform zu machen und das erreicht man nicht mit Protestdemonstrationen, obwohl der Protest wohlgemerkt Hilfsmittel sein kann, um die Politik auf Trab zu bringen, denn ich glaube, die fühlt sich immer noch sicher, dass das alles mit der Zeit schon kommen wird und das Wachstum wird die Dinge richten. Ich bin davon nicht überzeugt, wir werden in einem Jahr genauso dastehen wie heute und haben dieses Phänomen der Massenarbeitslosigkeit längst nicht in den Griff bekommen.
Meurer: Der wirtschaftspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und ehemalige Bürgerrechtler Werner Schulz. Schönen guten Tag, Herr Schulz und auf Wiederhören.
Schulz: Auf Wiederhören.
Meurer: Wenn die Demonstranten heute "Wir sind ein Volk" rufen und sich in die Tradition der Montagsdemonstrationen stellen, ist das für Sie in Ordnung?
Schulz: Man muss zunächst einmal sagen, dass der Protest verständlich ist, auch angebracht ist bei einer so fragwürdigen und zum Teil miserabel gemachten Arbeitsmarktreform. Das Gros der viereinhalb Millionen Arbeitslosen würde ja gerne arbeiten, die würden ja gerne die Ärmel hochkrempeln, wenn sie nicht eher im Moment das Gefühl hätten, dass die Regierung ihnen vorher das letzte Hemd auszieht. Ob die Montagsdemonstration das geeignete Mittel dazu ist, kann man bezweifeln. Ich meine, der Protest ist berechtigt, auch Montags, auch Fürbitteandachten, ich befürchte nur, dass dieses ständige Revival den historischen Begriff abnutzt und auch die ursprüngliche Erfolgsaussicht nicht hat. Man muss ja sehen, damals ging es um eine friedliche Revolution gegen eine Diktatur. Heute geht es um eine sinnvolle Reform in einer bestehenden Demokratie, das ist der große Unterschied: damals der Sturz eines Systems und heute der Umbau des Sozialstaates. Da sind Ideen gefragt, da sind Konzepte gefragt und daran mangelt es im Moment.
Meurer: Fühlen Sie sich persönlich beleidigt, wenn heute Demonstranten davon sprechen, ich gehe zur Montagsdemonstration und Sie haben damals einiges riskiert?
Schulz: Das finde ich überzogen, es ist natürlich eine Protestdemonstration an einem Montag, mit einem anderen Inhalt, aber wie gesagt, sie wird längst nicht den Kraftstrom erzeugen, den man damals hatte. Es war auch einfacher mit den Füßen in der DDR gegen eine Diktatur abzustimmen, derjenigen die dort bleiben wollten. Heute gibt es andere Möglichkeiten, um den Protest sinnvoller anzubringen. Man kann wählen gehen, damals war eine Forderung, dass es überhaupt Wahlen gibt. Es wird demnächst etliche Wahlen geben und da kann man Denkzettel ausfüllen an die, die regieren, dass sie sich die Sache noch mal gut überlegen und ich muss sagen, wie gesagt, es fehlt an der Alternative. Man muss heutzutage Ideen formulieren, das sage ich selbstkritisch auch an die eigene Partei, weil wir den Leuten eine soziale Grundsicherung anbieten müssen. Es fehlt an einem Leitbild, wie die Sache weitergeht. Wir müssen von dieser Lebenslüge Abschied nehmen, sage ich noch an Minister Clement, dass wir schon bald wieder Vollbeschäftigung bekommen werden. Das gibt es wahrscheinlich nicht und wir müssen denen, die kein Erwerbseinkommen haben, die keine Kapitaleinkünfte haben, die kein üppiges Vermögen haben, denen müssen wir eine Existenzsicherung zusichern und auf der anderen Seite natürlich hat die Gesellschaft ein Recht auf Gegenleistung. Dieses Bild muss in die Bevölkerung transportiert werden. Niemand fällt ins Bodenlose, wir sorgen in einer reichen Gesellschaft dafür, dass die, die nicht zurecht kommen von der Gemeinschaft Hilfestellung erhalten, das ist bei Hartz alles relativ schief.
Meurer: Haben Sie Verständnis für, Herr Schulz, können Sie nachvollziehen, dass es jemanden wie Wirtschaftsminister Clement und auch andere einfach auf die Palme bringt, wenn sie in die Nähe der SED-Diktatur gestellt werden?
Schulz: Das, glaube ich, tut ja niemand. Das muss man ja sagen. Ich glaube nicht, die, die das tun, die instrumentalisieren die Sache zu Unrecht, das hat ja nichts mit Diktatur zu tun. Ich glaube, er ärgert sich darüber, dass es Proteste gibt. Er ist davon überzeugt, dass die Hartzreformen von I, III, IV Erfolg bringen auf dem Arbeitsmarkt, ich bezweifle das sehr. Ich glaube, das der in dem Maße nicht eintritt, man hat ja auch von diesen ganzen Erfolgsmeldungen, "Halbierung der Arbeitslosigkeit" und so weiter schon längst wieder Abschied genommen.
Meurer: Denken Sie, dass dieser Ruf, "Wir sind ein Volk", dass das nur von wenigen kommt?
Schulz: Ich glaube, dass der Ruf, "Wir sind ein Volk" natürlich berechtigt ist. Schauen Sie, die Hartzreform müsste für das ganze Land Wirksamkeit entwickeln und wenn führende Politiker sagen, dass das in Ostdeutschland bei hoher Arbeitslosigkeit so gut wie keine Wirkung hat, dann entzieht man sich natürlich der Verantwortung. Das müssen sich auch diejenigen gefallen lassen, die diese Reform verantworten. Wenn Reformen in Gebieten mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit keine Wirkung zeigen, was sind sie dann wert?
Meurer: Der Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, hat gesagt, Zitat: "der zweite Teil der friedlichen Revolution steht noch aus." Sehen Sie das auch so?
Schulz: Das habe ich auch gelesen, das halte ich schon für eine Selbstüberschätzung, weil es geht hier, wie gesagt, nicht um Revolution. Die Revolution, die haben wir gehabt, das ist die Umstürzung der Verhältnisse, das ist der Sturz eines Systems. Hier geht es nicht um den Sturz eines Systems, hier geht es um Reformen, hier geht es echt um eine sinnvolle Reform in einer immerhin noch Wohlstandsgesellschaft und den Umbau des Sozialstaates. Der gelingt, so wie man sich das mit Hartz vorstellt nicht, weil dort dieses Prinzip "Fördern und fordern" nur an die Bedürftigen gestellt wird, an die Arbeitslosen, nicht an die Unternehmer. Dort ist das Prinzip überhaupt nicht da, da fördern wir seit Rot-Grün an der Regierung ist, da werden die Steuern gesenkt, da wird der Kündigungsschutz gelockert, da gibt es neue Möglichkeiten im Arbeitsrecht und der gleichen, aber es gibt überhaupt keine Gegenleistungen im Sinne von Arbeitsangeboten. Sehen Sie, an dieser Stelle hakt und stottert diese gesamte Reform. Worauf es ankommt, ist eine wirklich vernünftige, verständliche und auch zielführende Reform zu machen und das erreicht man nicht mit Protestdemonstrationen, obwohl der Protest wohlgemerkt Hilfsmittel sein kann, um die Politik auf Trab zu bringen, denn ich glaube, die fühlt sich immer noch sicher, dass das alles mit der Zeit schon kommen wird und das Wachstum wird die Dinge richten. Ich bin davon nicht überzeugt, wir werden in einem Jahr genauso dastehen wie heute und haben dieses Phänomen der Massenarbeitslosigkeit längst nicht in den Griff bekommen.
Meurer: Der wirtschaftspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und ehemalige Bürgerrechtler Werner Schulz. Schönen guten Tag, Herr Schulz und auf Wiederhören.
Schulz: Auf Wiederhören.