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Schulz: Ein Beitrag zur Verständigung

Der evangelischen Pfarrer Johannes Lepsius versucht im osmanischen Reich die Deportation von Armeniern zu verhindern - ohne Erfolg. Er dokumentierte, was damals geschah und organisierte Hilfsaktionen. Nun wird sein Wohnhaus in Potsdam zu einer Begegnungsstätte. Ein Gespräch mit dem Vorsitzende des Lepsius-Hauses Hans-Ulrich Schulz.

Hans-Ulrich Schulz im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: In Potsdam ist heute das ehemalige Wohnhaus von Johannes Lepsius als Forschungs- und Begegnungsstätte eröffnet worden. Frage an Hans-Ulrich Schulz, den Vorsitzenden des Lepsius-Hauses: Herr Schulz, zwölf Jahre hat es gedauert von den ersten Plänen bis heute. Warum denn so lange?

    Hans-Ulrich Schulz: Das Haus war in einem schrecklichen Zustand, nachdem es lange Zeit durch die Rote Armee genutzt worden ist, und es war ja auch kein leichtes Thema, weder für Potsdam, noch für die große Weltgeschichte.

    Schäfer-Noske: Die Türkei als Nachfolger des osmanischen Reiches hat ja den Völkermord an den Armeniern lange Zeit bestritten und tut es bis heute zum Teil. Daher gab es auch lange Widerstand gegen das Lepsius-Haus und Befürchtungen und Drohungen von türkischer Seite. Wie ist denn da der derzeitige Stand? Hat sich die Situation entspannt?

    Schulz: Sie hat sich verändert, in der Tat. Der Verein hat im vorigen Jahr auf den Spuren von Johannes Lepsius eine Reise nach Istanbul unternommen, um sozusagen an authentischen Orten nachzuzeichnen, wie Lepsius interveniert hat, und während dieser Reise gab es auch sehr offene und sehr spannende Gespräche mit türkischen Intellektuellen. Also in der türkischen Zivilgesellschaft gibt es Ansätze einer Besinnung, wenngleich nicht zu leugnen ist, dass die offizielle Türkei diesem Vorhaben, das Lepsius-Haus wieder aufzubauen, mit äußerster Skepsis gegenübersteht.

    Sinn und Ziel der Erinnerung an Lepsius ist es ja, im Sinne der Bundestagsresolution von 2005, am authentischen Ort und mit dem authentischen Quellenmaterial einen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem armenischen und dem türkischen Volk herzustellen. Das ist und bleibt ein Ziel und daran werden wir wohl noch ein bisschen arbeiten müssen.

    Schäfer-Noske: Das Lepsius-Haus ist eine Forschungs- und Begegnungsstätte. Was ist denn in den Räumen zu sehen und was wird dort stattfinden?

    Schulz: Sie betreten das Haus und finden als erstes ein wunderschönes Zitat von Hans-Dietrich Genscher, der während einer Armenien-Konferenz von Lepsius gesagt hatte, er wäre eines Friedensnobelpreises würdig gewesen. Nach dieser Ouvertüre gibt es eine ständige Ausstellung im Haus, die die Lebensgeschichte und das Lebenswerk von Lepsius über seine frühe Zeugentätigkeit während der Abdul Hamidischen Massaker Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu seiner Tätigkeit als Zeuge des Völkermords und als Leiter eines bis dahin nie gekannten humanitären Hilfswerks. Das wird alles dargestellt mit Schautafeln und Bildern und kleinen Filmsequenzen. Und dann gibt es im Obergeschoss des Hauses einen Gedenkraum. Hier hat er gesessen und geschrieben und gearbeitet und gegen die Militärzensur konspirierend Zeugnis gegeben von dem Völkermord. Und wichtigste Bestandteile ist dann eine Bibliothek von unserem Inspirator und Motor des ganzen Unternehmens, Herrn Hermann Goltz in Halle, der leider viel zu früh verstorben ist. Der hat uns eine wunderbare Bibliothek hinterlassen, die in diesem Hause nutzbar ist. Und es gibt das sogenannte Johannes-Lepsius-Archiv, ebenfalls eine von Hermann Goltz zusammengetragene Quellensammlung zu den Ereignissen. Das steht der Forschung zur Verfügung, aber das Haus hat durchaus auch einen Charakter eines öffentlichen Hauses für die Bildungsarbeit.

    Schäfer-Noske: Noch vor knapp zwei Jahren erklärte Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, der Ausbau des Lepsius-Hauses werde die Völkerverständigung zwischen Armeniern und Türken erschweren. Wie kann denn nun das Lepsius-Haus zur Aussöhnung beitragen?

    Schulz: Es gibt eine Grundfrage, die auch wir nicht lösen können, nämlich die der Anerkennung der Tatsache des Völkermordes durch die Türkei. Aber dass diese Frage im Augenblick jedenfalls nicht lösbar erscheint, kann uns nicht dazu veranlassen, nichts zu tun. Es gibt tatsächlich Gesprächsmöglichkeiten, auch wenn diese Grundfrage noch ungelöst ist.

    Schäfer-Noske: Das heißt, dass man zum Beispiel zu Konferenzen Türken und Armenier einlädt und da moderierend tätig wird?

    Schulz: Das hat schon stattgefunden und wird weiter stattfinden, allerdings nicht unbedingt um die Frage, ob es einen Völkermord gegeben hat. Das ist für uns als Lepsius-Haus-Verein nicht die Frage, sondern wie können wir das Gespräch führen mit denen, die sozusagen nicht berufen sind, diese Frage zu lösen, sondern das Gespräch in der Zivilgesellschaft darüber anzustoßen.

    Schäfer-Noske: Hans-Ulrich Schulz war das, der Vorsitzende des Lepsius-Hauses in Potsdam, das heute als Forschungs- und Begegnungsstätte eröffnet worden ist.