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Schulz lobt deutsch-russische Konsultationen

Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, hat ein positives Fazit der deutsch-russischen Regierungskonsultationen in St. Petersburg gezogen. Besondere Bedeutung haben aus seiner Sicht die Beziehungen im Rahmen der Finanzmarktkrise.

Martin Schulz im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Das war das zehnte Treffen im Rahmen der deutsch-russischen Konsultationen in Sankt Petersburg, was es in dieser Woche gegeben hat. Die Beobachter waren sich in ihrem Urteil nicht ganz einig, ob es nur eine Annäherung war zwischen Deutschland und Russland oder ob die Konflikte zum Beispiel um Georgien weiter das Tischtusch zerschneiden zwischen den beiden Ländern. Wir wollen uns jetzt um die deutsch-russischen Beziehungen kümmern und wollen darüber reden mit Martin Schulz, dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Schulz!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Schulz, Sie waren auch in Moskau. Jetzt zum Beispiel waren Sie bei Wladimir Putin. Wenn Sie sagen würden, wie ist denn die Temperatur im Moment in Moskau, niedrig?

    Schulz: Nein, das, glaube ich, kann man nicht sagen. Die deutsch-russischen Konsultationen, die ja parallel zu meiner Reise nach Russland stattgefunden haben in Sankt Petersburg, waren, glaube ich, schon atmosphärischer, eine deutliche Verbesserung. Und man muss ja einfach auch sehen, dass die deutsch-russischen Beziehungen, die europäisch-russischen Beziehungen im Rahmen der internationalen Finanzkrise auch in eine neue Rolle kommen. Beide, die EU wie Russland, sind von dieser Krise gemeinschaftlich betroffen. Ich hatte schon den Eindruck, dass insgesamt sich die Atmosphäre, übrigens auch durch die Aktivitäten der EU und von Präsident Sarkozy, in den letzten Wochen doch sehr verbessert haben.

    Zurheide: Über die Finanzkrise wollen wir gleich noch reden. Ich würde gerne noch mal bei der politischen Lage bleiben, auch bei Ihrem Eindruck von Wladimir Putin, den Sie getroffen haben. Wie offen kann man ihn denn kritisieren, wie offen haben Sie ihn kritisiert, und wie geht er damit um?

    Schulz: Wladimir Putin ist ein Mann, der klare Worte spricht und liebt. Man kann ihn kritisieren, man kann ihn offen auf Konflikte, auf Widersprüche, auf unterschiedlicher Auffassung ansprechen. Sie erleben ihn ja auch in den Medien dann auch als jemand, der mit der gleichen Konsequenz und Klarheit reagiert. Aber der ist schon kritikfähig. Was mir aufgefallen ist in meinen Gespräch, ist, dass er ja in einer ganz besonderer Art und Weise enttäuscht ist von den Vereinigten Staaten und ihrer jetzigen Regierung. Die Bush-Cheney-Regierung hat schon in Russland zu einem gewissen Maß an tiefer Enttäuschung, so würde ich das nennen, geführt. Und man fühlt sich von denen auch zum Teil hintergangen.

    Zurheide: Kommen wir noch mal auf die aktuellen Probleme Richtung Kaukasus. Steht das noch im Vordergrund oder ist die Geschichte darüber hinweggegangen? Sie haben gerade schon die Finanzkrise angesprochen, ich würde aber gerne noch mal bei diesem politischen Thema bleiben. Sehen Sie da irgendeine Bewegung, dass sich das zum Positiven wendet?

    Schulz: Es wird die Gespräche in Genf geben. Das ist ja schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Die EU hat ja in den letzten Wochen sehr aktiv, die französische Präsidentschaft, daran gearbeitet, dass die im sogenannten Sechs-Punkte-Plan vorgesehenen Elemente, vor allen Dingen des Rückzugs der Truppen auf die Linie vor dem 7. August, dass das umgesetzt wird, dass die Beobachter der Europäischen Union in die Regionen in Georgien reisen können, dass sie dort aktiv werden können, dass sie auch in die Pufferzone können. Es gibt schon Bewegungen in die richtige Richtung. Ich glaube, man wird nicht davon ausgehen können, dass das, was wir territoriale Integrität Georgiens nennen, dass der vollständige Rückzug russischer Soldaten aus Südossetien und Abchasien, dass das kurzfristig erfolgen wird, das halte ich für nicht realistisch.

    Zurheide: Nicht realistisch oder nicht wünschenswert? Denn man kann ja schon fragen, wie kommt Russland dazu, die territoriale Integrität eines Landes, was definiert ist und was Grenzen hatte, so anzugreifen.

    Schulz: Die Frage habe ich in Moskau genauso aufgeworfen. Und interessant ist natürlich auch, die immer wiederkehrende Antwort. Das waren nicht wir, die diesen Konflikt begonnen haben, sondern Präsident Saakaschwili hat seine Artillerie eingesetzt und diesen Konflikt begonnen, militärisch lösen zu wollen. Das waren nicht wir. Das ist die Antwort, die man in aller Klarheit auch von Ministerpräsident Putin bekommt. Wir wissen zwischenzeitlich ja, dass selbst Condolezza Rice versucht hat, Herrn Saakaschwili davon abzuhalten. Deshalb muss man mit den Fakten umgehen, die jetzt geschaffen worden sind. Da hat Herr Saakaschwili ja einen für meine Begriffe schwerwiegenden Fehler begangen, der die langfristige Konsequenz hat, dass Russland jetzt seinerseits erst einmal diese beiden Regionen, Südossetien und Abchasien, als selbstständige Staaten anerkannt hat. Nachdem sie das getan haben, wird man schwerlich davon ausgehen können, dass sie sich jetzt doch zurückziehen.

    Zurheide: Soll die Europäische Gemeinschaft das weiter versuchen oder blockiert man damit jede weiteren Gespräche auf anderen Gebieten mit Moskau?

    Schulz: Ja, ich glaube, das ist ein Thema unter vielen, vielen anderen Themen. Es ist einfach nicht möglich, hinzugehen und zu sagen, ja, die sind jetzt, das kann man schlecht finden, das kann man verurteilen. In Südossetien und in Abchasien, und das machen wir jetzt zum Gegenstand des Abbruchs aller Beziehungen auf allen Ebenen, das ist ja völlig unrealistisch, ich muss noch mal auf die Finanzkrise kommen, die betrifft uns alle. Die betrifft auch Russland, die betrifft auch die EU-Russland-Beziehungen. Ich muss auf die Energiesicherheit zu sprechen kommen.

    Wir brauchen langfristige, sichere Verträge. Wenn Sie mal sehen, wie Angela Merkel in Sankt Petersburg aufgetreten ist, sie hat ja den deutschen Medien mitgeteilt, sie würde wegen der angespannten Situation nur mit einer kleinen Delegation reisen, hat weniger Minister mitgenommen, dafür mehr große Vorstandsvorsitzende von Energiekonzernen und hat Gasverträge unterschrieben. Das heißt, auch bei Frau Merkel ist, glaube ich, ein Stück Realismus da eingekehrt.

    Zurheide: Jetzt könnte man natürlich sagen, Realismus, das ist die Macht des Faktischen, weil die Russen mächtig sind, muss man ihnen alles durchgehen lassen. Ist das die Realität?

    Schulz: Nein, das glaube ich nicht. Wer in den Konflikt da einsteigt, Herr Zurheide, der wird ja sehen, dass das ein sehr, sehr vielschichtiges Problem ist. Die Grenzziehungen, die dort vorgenommen worden sind, waren Grenzziehungen zweier Post-Sowjetunion-Staaten, also der Russischen Föderation und Georgiens, die sich bei dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion darauf geeinigt hatten, die Grenzen so zu ziehen, wie wir sie heute kennen. Das waren aber nicht immer die Grenzen dieser Region.

    Die Grenzen sind von Josef Stalin zum Beispiel, als der noch Kommissar für Nationalitätenfragen in der ehemaligen Sowjetunion waren, teilweise gezogen worden. Stalin war Georgier, der hat den Georgiern was dazugeschlagen, was eigentlich nicht zu Georgien historisch gehörte. Das ist sehr, sehr fetischistisch, wenn man da einsteigt. Insofern wird man diesen Konflikt, der ja schon ein sehr alter Konflikt ist, nicht unmittelbar kurzfristig lösen. Dass man dran arbeiten muss, vor allen Dingen, dass die Waffen da schweigen, das ist, glaube ich, die absolute Priorität, das ist klar. Aber man wird wegen dieses Konfliktes nicht mit Russland insgesamt zu einer Stagnation kommen können und übrigens auch nicht dürfen.

    Zurheide: Dankeschön! Das war Martin Schulz, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament im Deutschlandfunk.