Elke Durak: In einer für Tschechiens Politik und Politiker ganz heißen Phase besuchen derzeit hochrangige Vertreter des Europaparlaments die Tschechische Republik. Das Land steht vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft der EU im Januar und könnte vielleicht Hilfe gebrauchen. Präsident Vaclav Klaus ist erklärter EU-Gegner, hat am Ende wohl auch das letzte Wort zum noch nicht unterschriebenen Lissabon-Vertrag. Sein politischer Gegner in Sachen EU ist Regierungschef Topolanek, der sich noch dazu an diesem Wochenende innerparteilich durchsetzen muss. Er stellt sich in seiner Partei, der ODS, der Abstimmung für den Parteivorsitz. Sein Gegenspieler dort ist EU-Gegner. Was für eine Ausgangslage für die Gespräche der Europaparlamentarier? Martin Schulz gehört zu ihnen. Er ist Vorsitzender der SPE-Fraktion im Europaparlament. Wir erreichen ihn in Prag. Guten Morgen, Herr Schulz.
Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Sind Sie in eine Art Wespennest geraten?
Schulz: Ja, zumindest sind wir in einer ganz, ganz schwierige Situation hier hergekommen. Wir haben ja gestern Abend die komplette Regierung getroffen und die von Ihnen beschriebenen Spannungen, die es hier im Lande intern gibt, haben die Debatte gestern sehr geprägt. Herr Topolanek ist ein, wie er sich selbst bezeichnet hat, liberal-konservativer Europa-Realist. Wenn das die Bezeichnung für fortschrittliche Europäer ist, dann bin ich gespannt, was Herr Klaus ist, den wir heute Morgen ja treffen werden. Dessen Haltung gegen die Europäische Union und die seiner Unterstützer innerhalb der Regierungspartei ODS überlagert eigentlich alles, was wir gestern hier angesprochen haben.
Durak: Was hat Ihnen denn Herr Topolanek und haben seine Regierungsmitglieder Ihnen, der Delegation geschildert oder erzählt, wie man sich auf diesen Vorsitz vorbereitet, angesichts der inneren Zustände in Tschechien?
Schulz: Der Versuch der amtierenden Regierung, der Ratspräsidentschaft einen programmatischen Stempel aufzudrücken, wenn ich das so formulieren darf, der war schon spürbar. Sie wollen über drei E's reden, die Entwicklung im ökonomischen Bereich, die Energiepolitik und die External Relations, also Außenbeziehungen der Europäischen Union, dort insbesondere mit Blick auf östliche Nachbarn - ausgeschlossen Russland -, also nur Ukraine, Georgien, Moldawien, Aserbaidschan ähnliche Staaten sollen mit einem neuen Partnerschaftsprogramm versehen werden. Die Raketenstationierung, die mit den Vereinigten Staaten von Amerika vereinbart worden ist, soll durchgeführt werden. Das Klimapaket soll möglichst nicht in der tschechischen Ratspräsidentschaft zum Abschluss gebracht werden, sondern in der französischen, und was die Ökonomie angeht, da war ich sehr erstaunt: keinerlei neue Regulierungen, man brauche auch angesichts der Finanzkrise keine zusätzlichen Regulierungen. Das ist ein Programm, das ich als rechtskonservativ bezeichnen würde und von dem ich glaube, dass Nicolas Sarkozy im Verhältnis zu Herrn Topolanek geradezu ein Linker ist. Das wird schon eine ganz, ganz schwierige Situation. Von diesem programmatischen Ansatz in Verbindung mit der innenpolitischen Situation im Lande fürchte ich, dass wir eine sehr, sehr schwierige Präsidentschaft bekommen.
Durak: Kann denn ein Land so sehr dieses halbe Jahr EU-Ratspräsidentschaft prägen, wie Sie es jetzt wahrscheinlich befürchten?
Schulz: Schauen Sie sich Nicolas Sarkozy an und die französische Ratspräsidentschaft. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im Klaren, dass die französische Präsidentschaft in den letzten sechs Monaten, seit sie angetreten ist, schon einen entscheidenden Einfluss auf die Politik der Europäischen Union genommen hat. Von daher glaube ich schon, dass man Ihre Frage mit Ja beantworten muss. Es kommt nicht auf die Größe des Landes an. Auch kleine Länder wie Luxemburg zum Beispiel, wo uns bestimmt ja auch Leute zuhören, die haben in ihrer Ratspräsidentschaft auch eine Menge an Einfluss. Jean-Claude Juncker ist der Regierungschef des zweitkleinsten Landes, aber einer der einflussreichsten Europapolitiker. Also die haben auch viel ausgeübt an Einfluss und große Länder wie Frankreich auch. Die Tschechische Republik kann, wenn sie die Ratspräsidentschaft hat, schon enormen Einfluss in der EU ausüben.
Durak: Das hört sich aber, finde ich, Herr Schulz, nicht so besonders gut an, sondern eher so, dass dann jedes Land mal für ein halbes Jahr EU-Präsident spielen kann und der ganzen EU den eigenen Willen aufdrückt. Ist das wohl so gedacht gewesen?
Schulz: Das, glaube ich, ist eigentlich nicht so gedacht gewesen. Wir haben bei dem rotierenden Vorsitz ja nicht eine Richtlinienkompetenz des jeweiligen Ratsvorsitzenden, sondern im Prinzip die "primus inter pares"-Rolle eines koordinierenden Vorsitzenden im Europäischen Rat und in den Ministerräten. Erfahrungsgemäß ist es aber schon so, dass derjenige oder diejenige, die die Position inne hat - denken Sie mal an Angela Merkel als Ratspräsidentin -, die EU schon nach außen repräsentiert. Nein, es ist durchaus möglich, da enorme Einflüsse auszuüben. Es kommt dann darauf an, dass die anderen Institutionen, hier insbesondere das Europäische Parlament, als Korrektiv auftreten, und da werde ich mir als sozialdemokratischer Fraktionschef schon die Freiheit herausnehmen, Herrn Topolanek die Grenzen politischer Art aufzuzeigen, die aus unserer Sicht notwendigerweise aufgezeigt werden müssen. Das haben wir mit großem Erfolg bisher bei Ratspräsidentschaften getan, die ein bisschen über das Ziel hinausgingen. Wir sind mit Herrn Berlusconi fertig geworden, wir haben auch vor Herrn Klaus oder Herrn Topolanek wenig Angst.
Durak: Angst nicht, aber vielleicht könnten Sie Herrn Topolanek und seine Regierung doch als engeren Partner gewinnen. Der hat es ja ohnehin schwer genug gegen seinen eigenen Präsidenten. Wenn Sie an das Treffen nachher mit Vaclav Klaus, dem Präsidenten Tschechiens, denken, was geht Ihnen da so durch den Kopf oder vielleicht sogar eher noch durch den Bauch?
Schulz: Herr Topolanek ist sicher ein als Ratsvorsitzender einflussreicher und mächtiger Mann, weil er unmittelbar operativ handeln kann. Bei Herrn Klaus ist es so, dass der nicht im direkten politischen Geschäft ist, aber schon der Spiritus Rektor der Anti-Europäer in der Europäischen Union ist. Man muss einfach sehen, dass seine Politik darauf angelegt ist, die Europäische Union in ihrer heutigen Form nicht nur nicht zu akzeptieren, sondern sie eigentlich zurückzuentwickeln. Der Herr Klaus hat eigentlich viel mehr Freiheiten als Herr Topolanek, weil er auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Nicht mal hier im eigenen Land nimmt er auf irgendjemand Rücksicht, auch nicht auf seinen eigenen Regierungschef. Den schwächt er mitten in der beginnenden Ratspräsidentschaft innenpolitisch. Es wird ja gerade hier darüber diskutiert, ob die Klaus-Anhänger innerhalb der Regierungspartei ODS nicht eine eigene Partei aufmachen sollen. Das heißt, der Staatspräsident betreibt eine richtige Spaltungspolitik gegenüber seinem eigenen Regierungschef. Ich glaube, das ist ein Mann, der für die Europäische Union in der jetzigen Situation nicht ungefährlich ist. Auf der anderen Seite ist seine Politik derartig erratisch. Der erzählt jeden Tag irgendetwas anderes. Und er ist gleichzeitig so isoliert innerhalb der EU, dass ich glaube, dass langfristig die Politik der EU über ihn hinweggehen wird.
Durak: Na dann viel Erfolg, Herr Schulz. - Martin Schulz, Vorsitzender der SPE-Fraktion im Europaparlament. Er ist mit anderen Europaparlamentariern zu Gast in Prag, hat gestern die Regierung Tschechiens getroffen und bereitet sich gerade eben auf das Gespräch mit Präsident Vaclav Klaus vor. Herr Schulz, danke für das Gespräch.
Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Sind Sie in eine Art Wespennest geraten?
Schulz: Ja, zumindest sind wir in einer ganz, ganz schwierige Situation hier hergekommen. Wir haben ja gestern Abend die komplette Regierung getroffen und die von Ihnen beschriebenen Spannungen, die es hier im Lande intern gibt, haben die Debatte gestern sehr geprägt. Herr Topolanek ist ein, wie er sich selbst bezeichnet hat, liberal-konservativer Europa-Realist. Wenn das die Bezeichnung für fortschrittliche Europäer ist, dann bin ich gespannt, was Herr Klaus ist, den wir heute Morgen ja treffen werden. Dessen Haltung gegen die Europäische Union und die seiner Unterstützer innerhalb der Regierungspartei ODS überlagert eigentlich alles, was wir gestern hier angesprochen haben.
Durak: Was hat Ihnen denn Herr Topolanek und haben seine Regierungsmitglieder Ihnen, der Delegation geschildert oder erzählt, wie man sich auf diesen Vorsitz vorbereitet, angesichts der inneren Zustände in Tschechien?
Schulz: Der Versuch der amtierenden Regierung, der Ratspräsidentschaft einen programmatischen Stempel aufzudrücken, wenn ich das so formulieren darf, der war schon spürbar. Sie wollen über drei E's reden, die Entwicklung im ökonomischen Bereich, die Energiepolitik und die External Relations, also Außenbeziehungen der Europäischen Union, dort insbesondere mit Blick auf östliche Nachbarn - ausgeschlossen Russland -, also nur Ukraine, Georgien, Moldawien, Aserbaidschan ähnliche Staaten sollen mit einem neuen Partnerschaftsprogramm versehen werden. Die Raketenstationierung, die mit den Vereinigten Staaten von Amerika vereinbart worden ist, soll durchgeführt werden. Das Klimapaket soll möglichst nicht in der tschechischen Ratspräsidentschaft zum Abschluss gebracht werden, sondern in der französischen, und was die Ökonomie angeht, da war ich sehr erstaunt: keinerlei neue Regulierungen, man brauche auch angesichts der Finanzkrise keine zusätzlichen Regulierungen. Das ist ein Programm, das ich als rechtskonservativ bezeichnen würde und von dem ich glaube, dass Nicolas Sarkozy im Verhältnis zu Herrn Topolanek geradezu ein Linker ist. Das wird schon eine ganz, ganz schwierige Situation. Von diesem programmatischen Ansatz in Verbindung mit der innenpolitischen Situation im Lande fürchte ich, dass wir eine sehr, sehr schwierige Präsidentschaft bekommen.
Durak: Kann denn ein Land so sehr dieses halbe Jahr EU-Ratspräsidentschaft prägen, wie Sie es jetzt wahrscheinlich befürchten?
Schulz: Schauen Sie sich Nicolas Sarkozy an und die französische Ratspräsidentschaft. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im Klaren, dass die französische Präsidentschaft in den letzten sechs Monaten, seit sie angetreten ist, schon einen entscheidenden Einfluss auf die Politik der Europäischen Union genommen hat. Von daher glaube ich schon, dass man Ihre Frage mit Ja beantworten muss. Es kommt nicht auf die Größe des Landes an. Auch kleine Länder wie Luxemburg zum Beispiel, wo uns bestimmt ja auch Leute zuhören, die haben in ihrer Ratspräsidentschaft auch eine Menge an Einfluss. Jean-Claude Juncker ist der Regierungschef des zweitkleinsten Landes, aber einer der einflussreichsten Europapolitiker. Also die haben auch viel ausgeübt an Einfluss und große Länder wie Frankreich auch. Die Tschechische Republik kann, wenn sie die Ratspräsidentschaft hat, schon enormen Einfluss in der EU ausüben.
Durak: Das hört sich aber, finde ich, Herr Schulz, nicht so besonders gut an, sondern eher so, dass dann jedes Land mal für ein halbes Jahr EU-Präsident spielen kann und der ganzen EU den eigenen Willen aufdrückt. Ist das wohl so gedacht gewesen?
Schulz: Das, glaube ich, ist eigentlich nicht so gedacht gewesen. Wir haben bei dem rotierenden Vorsitz ja nicht eine Richtlinienkompetenz des jeweiligen Ratsvorsitzenden, sondern im Prinzip die "primus inter pares"-Rolle eines koordinierenden Vorsitzenden im Europäischen Rat und in den Ministerräten. Erfahrungsgemäß ist es aber schon so, dass derjenige oder diejenige, die die Position inne hat - denken Sie mal an Angela Merkel als Ratspräsidentin -, die EU schon nach außen repräsentiert. Nein, es ist durchaus möglich, da enorme Einflüsse auszuüben. Es kommt dann darauf an, dass die anderen Institutionen, hier insbesondere das Europäische Parlament, als Korrektiv auftreten, und da werde ich mir als sozialdemokratischer Fraktionschef schon die Freiheit herausnehmen, Herrn Topolanek die Grenzen politischer Art aufzuzeigen, die aus unserer Sicht notwendigerweise aufgezeigt werden müssen. Das haben wir mit großem Erfolg bisher bei Ratspräsidentschaften getan, die ein bisschen über das Ziel hinausgingen. Wir sind mit Herrn Berlusconi fertig geworden, wir haben auch vor Herrn Klaus oder Herrn Topolanek wenig Angst.
Durak: Angst nicht, aber vielleicht könnten Sie Herrn Topolanek und seine Regierung doch als engeren Partner gewinnen. Der hat es ja ohnehin schwer genug gegen seinen eigenen Präsidenten. Wenn Sie an das Treffen nachher mit Vaclav Klaus, dem Präsidenten Tschechiens, denken, was geht Ihnen da so durch den Kopf oder vielleicht sogar eher noch durch den Bauch?
Schulz: Herr Topolanek ist sicher ein als Ratsvorsitzender einflussreicher und mächtiger Mann, weil er unmittelbar operativ handeln kann. Bei Herrn Klaus ist es so, dass der nicht im direkten politischen Geschäft ist, aber schon der Spiritus Rektor der Anti-Europäer in der Europäischen Union ist. Man muss einfach sehen, dass seine Politik darauf angelegt ist, die Europäische Union in ihrer heutigen Form nicht nur nicht zu akzeptieren, sondern sie eigentlich zurückzuentwickeln. Der Herr Klaus hat eigentlich viel mehr Freiheiten als Herr Topolanek, weil er auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Nicht mal hier im eigenen Land nimmt er auf irgendjemand Rücksicht, auch nicht auf seinen eigenen Regierungschef. Den schwächt er mitten in der beginnenden Ratspräsidentschaft innenpolitisch. Es wird ja gerade hier darüber diskutiert, ob die Klaus-Anhänger innerhalb der Regierungspartei ODS nicht eine eigene Partei aufmachen sollen. Das heißt, der Staatspräsident betreibt eine richtige Spaltungspolitik gegenüber seinem eigenen Regierungschef. Ich glaube, das ist ein Mann, der für die Europäische Union in der jetzigen Situation nicht ungefährlich ist. Auf der anderen Seite ist seine Politik derartig erratisch. Der erzählt jeden Tag irgendetwas anderes. Und er ist gleichzeitig so isoliert innerhalb der EU, dass ich glaube, dass langfristig die Politik der EU über ihn hinweggehen wird.
Durak: Na dann viel Erfolg, Herr Schulz. - Martin Schulz, Vorsitzender der SPE-Fraktion im Europaparlament. Er ist mit anderen Europaparlamentariern zu Gast in Prag, hat gestern die Regierung Tschechiens getroffen und bereitet sich gerade eben auf das Gespräch mit Präsident Vaclav Klaus vor. Herr Schulz, danke für das Gespräch.