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Schulz-Rückzug aus K-Rennen
"Verständigen sich Kandidaten, ist das gute demokratische Praxis"

Offiziell bleibt die SPD dabei, die K-Frage werde im Januar beantwortet. Doch der "Spiegel" berichtet, dass Martin Schulz nicht als Kanzlerkandidat antreten werde. Sollte das stimmen, geht der Politologe Everhard Holtmann von einer einvernehmlichen Entscheidung mit Parteichef Sigmar Gabriel aus. Andernfalls drohe der SPD Unruhe, sagte Holtmann im DLF.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.12.2016
    Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg.
    "Es wäre für die SPD sicherlich schwierig, wenn sich eine Art bisher nicht offiziell erklärte Konkurrenz zwischen zwei möglichen Kandidaten herausschälen oder auch verstetigen würde", sagte der Politologe Everhard Holtmann im DLF. (imago / Steffen Schellhorn)
    Sollte die Meldung zutreffen, habe Schulz die Entscheidung wohl selbst gefällt, vermutet der Politikwissenschaftler von der Uni Halle-Wittenberg. Konkurrenz belebe zwar das Geschäft, "aber wenn sich mehrere Kandidaten im Vorhinein auf einen oder eine verständigen, dann ist das ja auch eine gute demokratische Praxis".
    Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hat der als mögliche Kanzlerkandidat gehandelte Schulz gegenüber anderen Parteimitgliedern zu erkennen gegeben, dass er nicht mehr damit rechne, SPD-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2017 zu werden. Ihrem stellvertretenden Vorsitzenden Ralf Stegner zufolge hält die Partei an dem verabredeten Zeitplan zur Benennung ihres Kanzlerkandidaten im Januar fest.
    Der scheidende EU-Parlamentspräsident habe sich aus Sicht Holtmanns "bisher aufgrund seiner Fokussierung auf die europäische Ebene" nicht so sehr mit innenpolitischen Agenden beschäftigt. Sollte Schulz also wirklich von seiner Bewerbung um die Kanzlerkandidatur Abstand nehmen, könne er für die verbleibenden Monate der Großen Koalition Frank-Walter Steinmeier in das Amt des Außenministers folgen, sollte dieser im Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden. Wenn die SPD in der Regierung bliebe, "würde sich das eine oder andere durchaus exponierte Amt" für Schulz eröffnen, so Holtmann.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer wird Kanzlerkandidat der SPD und damit Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sigmar Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sind die einzigen heißen Kandidaten. Sigmar Gabriel hat als Parteichef ja den ersten Zugriff, aber Martin Schulz wäre der beliebtere Kandidat. Eigentlich wollten sich die Sozialdemokraten im Januar entscheiden, doch mittlerweile scheint sich eine Entscheidung abzuzeichnen – jedenfalls wenn man dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" folgt.
    Und am Telefon ist Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler am Zentrum für Sozialforschung Halle. Schönen guten Tag, Herr Holtmann!
    Everhard Holtmann: Schönen guten Tag, Herr Heckmann!
    "Schulz hat diese Entscheidung sicherlich auch im Benehmen mit Gabriel getroffen"
    Heckmann: Martin Schulz rechnet also laut "Spiegel" nicht mehr damit, Kanzlerkandidat zu werden. Wenn er sich wirklich so geäußert hat, ist das dann womöglich nur Fishing for Compliments oder hat er tatsächlich aufgegeben? Wie ist da Ihre Einschätzung?
    Holtmann: Also, wenn diese Meldungen stimmen, dann, denke ich, hat er auch tatsächlich eine solche Entscheidung gefällt. Denn er ist sich ja auch im Klaren darüber, dass, wenn einmal eine solche Meldung in den Medienkanälen transportiert wird, dass man eigentlich nicht mehr hinter diese zurückgehen kann und, sagen wir mal, eine Attitüde oder einen Gestus der Selbstverliebtheit sich damit dann einhandelt.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass Martin Schulz diese Entscheidung sicherlich auch im Benehmen mit Sigmar Gabriel getroffen hat. Denn es wäre für die SPD sicherlich schwierig, wenn sich eine Art bisher ja nicht offiziell erklärte Konkurrenz zwischen zwei möglichen Kandidaten herausschälen oder auch verstetigen würde, das würde auch Unruhe in die Partei bringen, und nicht zuletzt im Hinblick auf die für die SPD ja eminent wichtigen Landtagswahlen im Mai nächsten Jahres in Nordrhein-Westfalen würde das die Gelegenheitsstrukturen für die Partei sicherlich eher beeinträchtigen.
    Heckmann: Man könnte auch sagen, Herr Holtmann – und in Klammern gesprochen, die Meldung ist auch noch bisher nicht dementiert, das wäre sicherlich schon längst der Fall gewesen, wenn da nichts dran wäre, davon können wir mal ausgehen, denke ich –, aber Sie sagten gerade, das könnte Unruhe in die Partei bringen. Man könnte aber auch sagen: Konkurrenz belebt das Geschäft, wir sehen es ja gerade in Frankreich beispielsweise.
    Holtmann: Ja, nun ist in Frankreich auch die Situation sehr viel unüberschaubarer und hinter den Kandidaten, die sich derzeit in Frankreich etwa in der sozialistischen, aber auch in der republikanischen Partei warmlaufen, stehen ja auch ausgemachte, als solche mehr oder weniger klar identifizierbare inhaltliche, weltanschauliche Strömungen. Davon kann ja bei der Konstellation, wie sie mit Sigmar Gabriel und Martin Schulz sich abzeichnen könnte, hier nicht die Rede sein. Also, da sind Vergleiche ein wenig schwierig.
    "Schulz hat sich bisher nicht so sehr mit innenpolitischen Agenden beschäftigt"
    Heckmann: Das heißt, man unterscheidet sich da inhaltlich nur in Nuancen?
    Holtmann: Das sehe ich so. Zumal ja – und das kommt noch dazu – Martin Schulz, was die deutsche Innenpolitik betrifft, bisher aufgrund seiner Fokussierung auf die europäische Ebene, wo er ja seine unbestreitbaren Verdienste sich erworben hat, sich nicht sich so sehr mit innenpolitischen Agenden bisher beschäftigt hat. Jedenfalls nicht so, dass man ihm damit eine bestimmte Profilschärfe jetzt schon zubilligen würde.
    Und was die Frage der Konkurrenz betrifft: Sicher, demokratiepolitisch ist es völlig klar, Konkurrenz belebt das Geschäft, gehört auch mit dazu. Aber auf der anderen Seite, wenn sich mehrere Kandidaten auch im Vorhinein, und zwar in einer auch zumindest für die Partei nachvollziehbaren Art und Weise auf einen oder eine verständigen, dann ist das ja auch eine gute demokratische Praxis.
    Heckmann: Herr Holtmann, Sigmar Gabriel hat ja als Parteichef den ersten Zugriff.
    Holtmann: Ja.
    "Das eine oder andere exponierte Amt würde sich für ihn öffnen"
    Heckmann: Aber Sie sagten, Martin Schulz ist innenpolitisch nicht so profiliert, bisher jedenfalls, aber er ist deutlich beliebter, das sagen die Umfrageergebnisse auf jeden Fall. Dass er jetzt das Handtuch offenbar geworfen hat, wie ist das zu erklären? Hat er erkannt, dass er nicht genug eigene Truppen hinter sich hat? Denn immerhin entstammt er ja dem SPD-Landesverband NRW, was ein großer Landesverband ist in der SPD.
    Holtmann: Ja, aber gerade dieser Landesverband hat, wenn die Meldungen richtig sind, in der Person der Ministerpräsidentin und der Parteivorsitzenden Kraft sich ja doch eher auch inzwischen für Gabriel ausgesprochen. Und der nordrhein-westfälische Landesverband ist ein Schwergewicht innerhalb der Bundes-SPD. So gesehen ist das möglicherweise auch einer der Steine gewesen, die bei Martin Schulz … die Martin Schulz selbst auf seine Waagschale des Abwägungsprozesses gelegt hat.
    Und was man vielleicht auch noch miteinbeziehen darf: Ich könnte mir gut vorstellen, wenn denn jetzt im Laufe des Januars, so wie es aussieht, die Kanzlerkandidatenfrage für die SPD dann eindeutig geklärt ist, dann ist ja im Grunde genommen … wäre ja auch der Weg frei – immer natürlich vorausgesetzt, Frank-Walter Steinmeier würde zum Bundespräsidenten gewählt –, Martin Schulz das Amt des Außenministers zumindest für die Restzeit dieser Koalition anzutragen.
    Also, will damit sagen: Martin Schulz wäre ja, selbst wenn er von der Kanzlerkandidatur oder von der Bewerbung um die Kanzlerkandidatur Abstand nimmt, er wäre ja nicht völlig aus dem Geschäft, sondern das eine oder andere auch durchaus exponierte Amt würde sich mittelfristig oder auch langfristig für ihn zweifellos auch dann öffnen.
    "Keine freiwillige Vorleistung auf eine mögliche Kanzlerkandidatur"
    Heckmann: Allerdings auch nur dann, wenn die Bundestagswahl so ausgeht, wie der eine oder andere das möglicherweise erwartet.
    Holtmann: Richtig, richtig, so ist das.
    Heckmann: Ansonsten hätte er mit Zitronen gehandelt sozusagen, dass er seinen Posten als EU-Parlamentspräsident abgegeben hat.
    Holtmann: Ja, den musste er allerdings auch abgeben, weil es ja einen Deal gegeben hat, dass die sozialistische Fraktion im Europaparlament nur bis zur Hälfte der Wahlperiode die führenden Fraktionsvorsitzenden stellen kann. Also, so gesehen ist das Ausscheiden von Martin Schulz aus seiner europäischen Spitzenfunktion ja nicht, sagen wir mal, eine Art freiwillige Vorleistung auf die mögliche Übernahme einer Kanzlerkandidatur in der Bundesrepublik.
    Heckmann: Herr Holtmann, jetzt haben wir viel über Martin Schulz gesprochen, jetzt blicken wir auf Sigmar Gabriel. Wenn wir jetzt davon ausgehen, gemeinsam, dass es auf Sigmar Gabriel hinausläuft, das wäre eine gute Nachricht für Angela Merkel, oder?
    Holtmann: Angela Merkel hat derzeit den Vorteil, dass sie, was die Beliebtheitswerte betrifft, eine vorübergehende Schwächephase offensichtlich demoskopisch gesprochen wieder überwunden hat. Und ich denke, dass die Frage, wer die größeren Beliebtheitsraten in den Umfragen hat, nur ein Baustein für die künftige Wahlentscheidung im Herbst nächsten Jahres sein wird.
    Natürlich ist das unter Bedingungen der Kanzlerdemokratie, die wir ja unser politisches System nennen, wo also Kanzlerin oder Kanzler eine vergleichsweise große Gestaltungsmacht und auch Autorität hat, ein durchaus wichtiger Punkt. Aber auf der anderen Seite, die kommende Wahlentscheidung wird ja auch – glücklicherweise, kann man sagen – themenbasiert sein, themenorientiert sein und sein müssen.
    "Die SPD muss sich auf ihre traditionelle Kernkompetenz besinnen"
    Heckmann: Und welches Thema wird da im Zentrum stehen? Anders gefragt: Wie soll die SPD aus ihrem 20-Prozent-Loch herauskommen?
    Holtmann: Ich denke, dass die SPD sich auf der einen Seite auf ihre traditionelle Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit, Sozialpolitik auch wird besinnen müssen, nicht zuletzt auch, um ihre zum Teil ja in den letzten Wahlen abstinent gebliebenen Stammwähler- oder Kernwählerschichten wieder zu aktivieren.
    Und auf der anderen Seite, man kann ja nicht so tun, als ob das Thema Flüchtlinge, Asyl, Migration, innere Sicherheit nicht da wäre, auch da werden alle demokratischen Parteien sich sicherlich mit unterschiedlichen Akzentuierungen aufstellen müssen. Also, es wird eine Kombination von Themen der inneren Sicherheit, sicherlich auch der damit einhergehenden innenpolitischen Integrationsaufgaben einerseits, und Kernkompetenzen der SPD andererseits, Stichwort Sozialpolitik, Unternehmenspolitik auf der anderen Seite sein müssen.
    Heckmann: Wobei die innere Sicherheit, um das Feld mal zu nehmen, jetzt nach dem Anschlag in Berlin nicht gerade zu den Kernkompetenzen der SPD gezählt wird, derzeit jedenfalls nicht. Das war ja vielleicht auch mal früher anders. Bekommt die SPD da möglicherweise ein Problem?
    Holtmann: Nun, sie wird sicherlich da eine größere Konkurrenz in den Unionsparteien haben, jetzt eine größere inhaltliche Konkurrenz, auch um die Kompetenzen, die in den Parteien traditionell zugewiesen werden. Aber auf der anderen Seite, noch mal: Die SPD – übrigens beispielsweise auch die Grünen oder auch die Linke – können das Thema gar nicht ausklammern, denn die Umfragen zeigen ja eben auch, dass nennenswerte Teile der Anhänger der Oppositionsparteien dieses Thema umtreibt. Und wenn man das vernachlässigt, dann läuft man Gefahr, dass man eben auch entsprechende Mobilisierungsschwächen für die nächste Bundestagswahlkampagne projiziert.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann live hier im Deutschlandfunk, Herr Holtmann, danke Ihnen für dieses Gespräch!
    Holtmann: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.