Kapern: Die Absicht war gut: Eine Sozialversicherungspflicht für 630-Mark-Jobs sollte verhindert werden, so dass immer mehr reguläre Arbeitsplätze in Jobs für Geringverdiener aufgesplittet werden. Doch von Anfang an gab es heftige Kritik an diesem Gesetz: Es produziere Schwarzarbeit und bürokratischen Aufwand, sagten die Gegner. Vor der Sendung habe ich Jürgen Schupp, den Arbeitsmarktexperten beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gefragt, wie er das Gesetz drei Jahre nach seiner Verabschiedung beurteilt.
Schupp: Ich glaube, es ist zu früh um eine abschließende quantitative Bewertung abliefern zu können, denn mit der Einführung dieses Gesetzes hat es auch erstmals eine jetzt verlässliche, solide Datenbasis gegeben, eine Meldung sämtlicher Beschäftigungsverhältnisse, also eine Meldepflicht. Und die Auswertung dieser Register zeigt, dass für das Jahr 2000 über vier Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse jetzt ordentlich registriert und dadurch natürlich auch quantitativ auswertbar sind. Über die Vergangenheit liegen letztlich nur Schätzungen auf Basis von Stichproben vor. Die Verlässlichkeit dieser Stichproben war lange Zeit auch umstritten: Der Umfang der Schätzungen bewegte sich zwischen zwei bis sechs Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse. Wenn es jetzt gelungen ist, vier Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse auszuweisen und Beiträge zu entrichten, dann muss man sicherlich auch von einem Erfolg sprechen: Es ist gelungen, das Ziel des Gesetzgebers, jetzt hier ordentlich Beschäftigungsverhältnisse am Arbeitsmarkt zu schaffen, zu erreichen.
Kapern: Immerhin aber Herr Schupp, merken doch die Kritiker dieser gesetzlichen Regelung an, dass diese gesetzliche Regelung auch zur Flucht in die Schwarzarbeit beigetragen hat.
Schupp: Es ist richtig, dass für bestimmte Gruppen die Belastungen jetzt überproportional angestiegen sind, insbesondere - nach unseren Analysen - für Beschäftigte, die in der Vergangenheit eine geringfügige Beschäftigung in Nebentätigkeit ausgeübt hatten. Durch die jetzt stärkeren Belastungen, die Abgaben, die zu entrichten sind, war es allerdings nicht mehr so attraktiv, solche Formen von Beschäftigung, Zweittätigkeiten, auszuüben.
Kapern: Also, dieser Vorwurf ist demzufolge nicht wirklich aus der Luft gegriffen?
Schupp: Es ist richtig, dass es Verschiebungen gab. Aber diese waren zum Teil auch erwünscht, denn es war nicht mehr ganz vernünftig zu argumentieren, dass Überstunden, Mehrarbeit, mit erheblichen auch zusätzlichen Abgaben an die Sozialversicherung plus Steuern zu entrichten waren, während der Ausweg, statt Überstunden zu tätigen, eine Zweittätigkeit aufzunehmen und diese beitrags- und sozialversicherungsfrei zu stellen, nicht mehr zeitgemäß war. Letztendlich musste dann auch gehandelt werden.
Kapern: Ein weiterer Vorwurf, den Arbeitgeber, aber auch andere Kritiker dieser gesetzlichen Regelung erheben, ist der, dass die soziale Absicherung, die das Gesetz bietet und auch der Zufluss in die Sozialversicherungskassen, den das Gesetz sicherstellen soll, eigentlich der Rede gar nicht Wert sind.
Schupp: Nun, das glaube ich wiederum nicht, denn man muss ja auch sehen, dass genau diese über 4,2 Millionen jetzt auch durch Beiträge individuell abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse ja durchaus auch ein Erfolg für die Einnahmenseite der Sozialversicherungskassen darstellt.
Kapern: 250 Millionen pro Jahr - ist das eine so relevante Größenordnung?
Schupp: Sie müssen natürlich bei der ganzen Betrachtung auch berücksichtigen, was die Alternative der Finanzierung wäre. Und ein Punkt ist sicherlich, dass es nicht gelungen ist, mit dem Gesetz der geringfügigen Beschäftigung zusätzliche Arbeitslose beispielsweise in Lot und Brot zu bringen. Dass für diese Beschäftigungsgruppe diese neuen Möglichkeiten keine Alternative darstellen, ist sicherlich richtig und dass es kein Instrument ist, um sozusagen effizient Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, im Sinne der Arbeitsförderung. Gegenwärtig laufen ja beide Diskussionen ein bisschen ineinander - hier wäre es sicherlich vernünftig, diese Diskussionen zu trennen.
Kapern: Bleiben wir noch mal beim 630-Mark-Gesetz. Wenn Sie nun eine Änderung dieses Gesetzes, eine Reform verfügen könnten und sie auf Ihrem Schreibtisch verfassen könnten - wie würde diese Reform aussehen? Was würden Sie ändern?
Schupp: Was im Gesetz stand, war ja eine Einfrierung dieser gesetzlichen Grenze von 630 DM. In Der Vergangenheit, als ich mich erstmals mit diesem Phänomen von geringfügigen Beschäftigung im Jahre 1985 beschäftigte, waren das sogenannte 390-Mark-Jobs. Die Freigrenze lag bei 390 DM. In den vergangen Jahren war stets ein Inflationsausgleich, ein Teuerungsaufschlag erfolgt, also eine Anhebung dieser Grenzen in maßvollen Schritten. Dies führte sicherlich auch zu einer weiteren Expansion dieser Beschäftigungsverhältnisse. Jetzt, durch die Euro-Umstellung werden ab Januar die 630-Mark-Jobs zu 325-Euro-Jobs werden - dies entspricht bereits einer Erhöhung dieser Freigrenze von einem knappen Prozentpunkt.
Kapern: Es gibt aber auch Politiker, die eine 1200-Mark-Grenze fordern.
Schupp: Ich denke, dies würde dazu führen, dass es zu erheblichen Mitnahmen am Arbeitsmarkt käme. Hier wäre der Gesetzgeber zu fragen, ob es sein Ziel ist, diese Beschäftigung in dieser Form zu fördern, oder ob knappe Mittel nicht effizienter eingesetzt wären, auch zielgruppenspezifische Subventionen, meinethalben eines Niedriglohnsektors, in die Hand zu nehmen, um sozusagen das Problem der Arbeitslosigkeit gegenwärtig effizienter bekämpfen zu können.
Kapern: Sie würden das 325-Euro-Gesetz dann mit einer Inflationsausgleichsklausel versehen?
Schupp: Ich denke, es würde nicht schaden, wenn aus den 325 auch vielleicht eine andere Zahl, die sich ungefähr in dieser Größenordnung bewegt, am Ende herauskommt und dass diese im Gesetz festgeschriebene Einfrierung dieser Grenze, sich künftig in einer dynamischen Weise nach oben bewegen wird.
Kapern: Jürgen Schupp war das, der Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören.
Schupp: Auf Wiederhören.
Schupp: Ich glaube, es ist zu früh um eine abschließende quantitative Bewertung abliefern zu können, denn mit der Einführung dieses Gesetzes hat es auch erstmals eine jetzt verlässliche, solide Datenbasis gegeben, eine Meldung sämtlicher Beschäftigungsverhältnisse, also eine Meldepflicht. Und die Auswertung dieser Register zeigt, dass für das Jahr 2000 über vier Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse jetzt ordentlich registriert und dadurch natürlich auch quantitativ auswertbar sind. Über die Vergangenheit liegen letztlich nur Schätzungen auf Basis von Stichproben vor. Die Verlässlichkeit dieser Stichproben war lange Zeit auch umstritten: Der Umfang der Schätzungen bewegte sich zwischen zwei bis sechs Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse. Wenn es jetzt gelungen ist, vier Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse auszuweisen und Beiträge zu entrichten, dann muss man sicherlich auch von einem Erfolg sprechen: Es ist gelungen, das Ziel des Gesetzgebers, jetzt hier ordentlich Beschäftigungsverhältnisse am Arbeitsmarkt zu schaffen, zu erreichen.
Kapern: Immerhin aber Herr Schupp, merken doch die Kritiker dieser gesetzlichen Regelung an, dass diese gesetzliche Regelung auch zur Flucht in die Schwarzarbeit beigetragen hat.
Schupp: Es ist richtig, dass für bestimmte Gruppen die Belastungen jetzt überproportional angestiegen sind, insbesondere - nach unseren Analysen - für Beschäftigte, die in der Vergangenheit eine geringfügige Beschäftigung in Nebentätigkeit ausgeübt hatten. Durch die jetzt stärkeren Belastungen, die Abgaben, die zu entrichten sind, war es allerdings nicht mehr so attraktiv, solche Formen von Beschäftigung, Zweittätigkeiten, auszuüben.
Kapern: Also, dieser Vorwurf ist demzufolge nicht wirklich aus der Luft gegriffen?
Schupp: Es ist richtig, dass es Verschiebungen gab. Aber diese waren zum Teil auch erwünscht, denn es war nicht mehr ganz vernünftig zu argumentieren, dass Überstunden, Mehrarbeit, mit erheblichen auch zusätzlichen Abgaben an die Sozialversicherung plus Steuern zu entrichten waren, während der Ausweg, statt Überstunden zu tätigen, eine Zweittätigkeit aufzunehmen und diese beitrags- und sozialversicherungsfrei zu stellen, nicht mehr zeitgemäß war. Letztendlich musste dann auch gehandelt werden.
Kapern: Ein weiterer Vorwurf, den Arbeitgeber, aber auch andere Kritiker dieser gesetzlichen Regelung erheben, ist der, dass die soziale Absicherung, die das Gesetz bietet und auch der Zufluss in die Sozialversicherungskassen, den das Gesetz sicherstellen soll, eigentlich der Rede gar nicht Wert sind.
Schupp: Nun, das glaube ich wiederum nicht, denn man muss ja auch sehen, dass genau diese über 4,2 Millionen jetzt auch durch Beiträge individuell abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse ja durchaus auch ein Erfolg für die Einnahmenseite der Sozialversicherungskassen darstellt.
Kapern: 250 Millionen pro Jahr - ist das eine so relevante Größenordnung?
Schupp: Sie müssen natürlich bei der ganzen Betrachtung auch berücksichtigen, was die Alternative der Finanzierung wäre. Und ein Punkt ist sicherlich, dass es nicht gelungen ist, mit dem Gesetz der geringfügigen Beschäftigung zusätzliche Arbeitslose beispielsweise in Lot und Brot zu bringen. Dass für diese Beschäftigungsgruppe diese neuen Möglichkeiten keine Alternative darstellen, ist sicherlich richtig und dass es kein Instrument ist, um sozusagen effizient Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, im Sinne der Arbeitsförderung. Gegenwärtig laufen ja beide Diskussionen ein bisschen ineinander - hier wäre es sicherlich vernünftig, diese Diskussionen zu trennen.
Kapern: Bleiben wir noch mal beim 630-Mark-Gesetz. Wenn Sie nun eine Änderung dieses Gesetzes, eine Reform verfügen könnten und sie auf Ihrem Schreibtisch verfassen könnten - wie würde diese Reform aussehen? Was würden Sie ändern?
Schupp: Was im Gesetz stand, war ja eine Einfrierung dieser gesetzlichen Grenze von 630 DM. In Der Vergangenheit, als ich mich erstmals mit diesem Phänomen von geringfügigen Beschäftigung im Jahre 1985 beschäftigte, waren das sogenannte 390-Mark-Jobs. Die Freigrenze lag bei 390 DM. In den vergangen Jahren war stets ein Inflationsausgleich, ein Teuerungsaufschlag erfolgt, also eine Anhebung dieser Grenzen in maßvollen Schritten. Dies führte sicherlich auch zu einer weiteren Expansion dieser Beschäftigungsverhältnisse. Jetzt, durch die Euro-Umstellung werden ab Januar die 630-Mark-Jobs zu 325-Euro-Jobs werden - dies entspricht bereits einer Erhöhung dieser Freigrenze von einem knappen Prozentpunkt.
Kapern: Es gibt aber auch Politiker, die eine 1200-Mark-Grenze fordern.
Schupp: Ich denke, dies würde dazu führen, dass es zu erheblichen Mitnahmen am Arbeitsmarkt käme. Hier wäre der Gesetzgeber zu fragen, ob es sein Ziel ist, diese Beschäftigung in dieser Form zu fördern, oder ob knappe Mittel nicht effizienter eingesetzt wären, auch zielgruppenspezifische Subventionen, meinethalben eines Niedriglohnsektors, in die Hand zu nehmen, um sozusagen das Problem der Arbeitslosigkeit gegenwärtig effizienter bekämpfen zu können.
Kapern: Sie würden das 325-Euro-Gesetz dann mit einer Inflationsausgleichsklausel versehen?
Schupp: Ich denke, es würde nicht schaden, wenn aus den 325 auch vielleicht eine andere Zahl, die sich ungefähr in dieser Größenordnung bewegt, am Ende herauskommt und dass diese im Gesetz festgeschriebene Einfrierung dieser Grenze, sich künftig in einer dynamischen Weise nach oben bewegen wird.
Kapern: Jürgen Schupp war das, der Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören.
Schupp: Auf Wiederhören.