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Schutz vor falscher Berichterstattung

Der Abhörskandal bei der britischen Boulevardzeitung "News of the World" hat die Medienbranche in Großbritannien erschüttert. Nun soll ein neuer Pressekodex Bürger vor falscher Berichterstattung schützen. Der stößt bei den Verlegern aber nicht gerade auf Begeisterung.

Von Silvia Engels |
    Im Frühjahr 2011 wurde bekannt, dass Reporter des Boulevard-Blattes "News of the World" illegal das Mobiltelefon des Entführungsopfers Milly Dowler abgehört hatten. Die heimliche Mailbox-Abfrage hatte bei ihrer Mutter Sally den Eindruck geweckt, das Mädchen würde noch leben.

    Doch Milly Dowler war zu diesem Zeitpunkt längst ermordet worden. Der Fall brachte den Skandal in Fahrt. Immer mehr illegale Abhör-Beispiele durch Journalisten wurden bekannt, mittlerweile sind mehr als 1000 Verdachtsfälle aktenkundig. Acht Monate lang hörte eine Untersuchungskommission unter Lordrichter Brian Laveson Verleger, Politiker und Abhör-Opfer an.

    Der neue Pressekodex ist nun die Antwort der britischen Politik. Sie beendet das bisherige System, in dem die Presse eigenständig eine Beschwerdestelle betrieb. Im Zentrum steht ein rechtlich etwas stärker verankerter Kontrollrat, der den Bürgern helfen soll, sich gegen eine falsche Berichterstattung von Zeitungen zu wehren. Er soll aus Journalisten, Verlegern und Laien bestehen und unabhängig handeln. Bei groben Falschmeldungen kann er Gegendarstellungen an prominenter Stelle verlangen und Geldstrafen in Höhe von bis zu umgerechnet 1,2 Millionen Euro anordnen. Die Verleger sollen dem Presserat zwar freiwillig beitreten, doch Premierminister David Cameron machte im Unterhaus Druck:

    "Den Verlegern, die diesem System nicht beitreten, drohen hohe Entschädigungszahlungen, wenn sie die Rechte einfacher Leute mit Füßen treten. Wir werden die Kosten für Verleger in Zivilklagen so verändern, dass es attraktiv für sie wird, den Kontrollrat und sein Schiedsverfahren zu nutzen."

    Im Klartext: Höhere Entschädigungssätze sollen Verleger dazu zu bringen, Streitfälle nicht mehr vor Gericht auszutragen, sondern vor der Schiedsstelle des neuen Presserats. Ian Hislop, Chefredakteur des Satiremagazins "Private Eye" hält das für extrem ungerecht:

    "Meine Wahrnehmung ist, dass die Regelungen derzeit so aussehen: Wenn ‚Private Eye‘ dieser Selbstregulierung nicht beitritt, und in einem Fall vor Gericht zieht, muss es mit höheren Entschädigungskosten rechnen. Selbst wenn wir den Fall gewinnen, müssen wir die Gerichtskosten tragen. Das erscheint mir merkwürdig zu sein, vor dem Hintergrund, dass ‚Private Eye‘ im Abschlussbericht der Laveson-Kommission noch nicht mal erwähnt wurde."

    Alle bekannt gewordenen Abhörfälle seien illegal gewesen, so der Journalist gegenüber der BBC. Man brauche keine neue Aufsicht, sondern müsse das bestehende Recht durchsetzen. Hislop bezweifelt zudem, ob der Presserat in der Praxis tatsächlich so unabhängig handelt wie vorgesehen. Ähnliche Sorgen plagen Trevor Kavanagh vom Boulevardblatt "The Sun":

    "Man weiß nicht, was in einem Jahr passiert oder in zehn oder zwanzig. Wir können diesen Schritt noch bitter bereuen, wenn es dazu führt, dass wir aufhören, Geschichten zu veröffentlichen, über die sich Politiker aufregen."

    Fünf große Verlage, von der Murdoch-Gruppe bis hin zum Herausgeber des seriösen "Telegraph" kritisieren in einem gemeinsamen Beschwerdebrief die Neuregelung. Sie halten sich offen, ob sie dem neuen Kontrollsystem beitreten. Das konservative Magazin "The Spectator" hat das bereits abgelehnt; das linksliberale Blatt "The Independent" zeigt vorsichtige Sympathie für die Neuregelung.

    Bedenken melden auch Internetaktivisten, Blogger und kleine Online-Verlage an. Die Regierung versucht zu entwarnen: Nur Zeitungen, deren Onlineseiten und zeitungsähnliche Internetseiten wie die "Huffington Post", sollten sich der Aufsicht unterwerfen. Doch die Grenze bleibt schwammig. Britische Verlage prüfen derzeit eine Klage gegen die neuen Regeln für die Presse.

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