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Schwarz-Grün in Hessen
"Es ist natürlich schon eine interessante und wichtige Botschaft"

Bei aller Bedeutung einer möglichen schwarz-grüne Koalition in Hessen: Man könne die Situation nicht gleich auf den Bund übertragen, sagt Anja Hajduk, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. Das alte Lagerdenken zwischen den Parteien müsse man aber auch überwinden können.

Anja Hajduk im Gespräch mit Jürgen Liminski | 23.11.2013
    Jürgen Liminski: Die CDU in Hessen galt lange Zeit als einer der konservativsten Landesverbände der Union. Namen wie Dregger, Wallmann, Kanther und in gewissem Sinne auch Koch bürgten für deutliche Worte und klare Kanten. Das Land war politisch stets polarisiert, dazu gehörte das entsprechende Lagerdenken. Die CDU und die Liberalen im einen, die SPD und die Grünen im anderen, links daneben dann noch seit einigen Jahren die Linke, die auch immer wieder manche Sozialdemokraten verzauberte oder je nach Standpunkt auch verwirrte. Und nun das: Die CDU bietet den Grünen eine Koalition an, darüber soll offiziell verhandelt werden! Was bedeutet das für den Bund? Zu dieser Frage begrüße ich die parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Anja Hajduk, guten Morgen, Frau Hajduk!
    Anja Hajduk: Guten Morgen, Herr Liminski!
    Liminski: Frau Hajduk, ist das eine strategische Weichenstellung, ein Signal auch für den Bund?
    Hajduk: Ich denke, es ist natürlich erst mal schon eine - wenn es dazu kommt, die Grünen werden sich ja heute damit beschäftigen -, es ist natürlich schon eine interessante und wichtige Botschaft, wenn es in einem Flächenland zu einer schwarz-grünen Koalition kommen kann. Ich denke, das ist immer auch eine Entscheidung, die jetzt erst mal von den dortigen Akteuren, vor den Inhalten, die dort eine Rolle spielen, getroffen werden. Deswegen denke ich, bei aller Bedeutung und Interesse, die das jetzt erst mal weckt, kann man das jetzt nicht sofort gleich auf den Bund beziehen. Da sieht ja die Situation bekanntermaßen mit den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU doch ein bisschen anders aus.
    "Eine große Herausforderung"
    Liminski: Wie beurteilen Sie denn die Entwicklung in Hessen auf dem Hintergrund Ihrer Erfahrung in Hamburg?
    Hajduk: Wir haben ja in Hamburg auch eine Sondierungsphase gehabt und immer wieder danach auch mit der eigenen Mitgliedschaft diese inhaltlich dann eingeschätzt. Und wir haben in Hamburg die ersten zweieinhalb Jahre insbesondere mit Ole von Beust zusammen eine gute Zusammenarbeit gehabt. Ich denke, es wird in Hessen jetzt auch darauf ankommen, dass es ein richtig gutes inhaltliches Fundament gibt. Und dann wäre es natürlich auch wichtig, dass Vertrauen wachsen kann. All das wird sich jetzt noch zeigen müssen, wie unsere Grünen heute entscheiden und wie dann auch die Koalitionsverhandlungen verlaufen. Das ist bei zwei Parteien, die erst mal so auseinanderliegen und keine gemeinsame Geschichte miteinander haben, natürlich eine große Herausforderung.
    Liminski: Ich höre da auch eine gewisse Skepsis heraus. In Hamburg gab es ja nun mal ein schwarz-grünes Bündnis, im Saarland eine Jamaika-Koalition, auf Kommunalebene arbeiten häufig Grüne und Christdemokraten schon zusammen. Wie lange kann es noch dauern, bis man im Bund so weit ist?
    Hajduk: Ich denke, es ist wichtig, dass man intensiv, gut verhandelt. Ich wollte gar nicht nur meine Skepsis zum Ausdruck bringen, sondern da muss was erarbeitet werden. Und auf der Bundesebene, da haben wir jetzt einfach eine Wahl gehabt, die jetzt zu einer anderen Regierungsbildung führt, deswegen, denke ich, steht es aktuell jetzt im Bund erst mal nicht an. Aber richtig ist, dass die alten Lager oder die Vorstellungen, nur in einem bestimmten Lager sich an Regierungen beteiligen zu können, die, finde ich, die muss man auch überwinden können. Wir haben das in Hamburg damals getan auf Basis von inhaltlichen Verabredungen, und vom Grundsatz her, denke ich, ist das auch wichtig, dass wir Grünen im Bund diese Haltung eher einnehmen und uns nicht nur - auch wenn es vielleicht einen Lieblingspartner gibt -, aber uns nicht nur eine Möglichkeit vorstellen können vom Grundsatz her.
    Anja Hajduk vor einem Logo der Grünen
    Hajduk: Lagerdenken bei Koalitionen überwinden (AP Archiv)
    Liminski: Der SPD-Politiker Friedrich, Europa- und Bundesratsminister in Baden-Württemberg, hat hier in diesem Sender vor anderthalb Stunden gesagt, die Grünen entwickelten sich zu einer Funktionspartei, also mal mit Rot, mal mit Schwarz, je nach Gefechtslage. Muss nicht jede Partei bis zu einem gewissen Grad funktionsfähig im Sinne von koalitionsfähig sein?
    Hajduk: Ja, für uns ist das ja offenkundig erst mal eine Entwicklung, die wir nicht so ausgeprägt gehalten haben wie andere Parteien. die SPD und die FDP haben, glaube ich, am allermeisten Erfahrung mit sehr unterschiedlichen Koalitionspartnern, die Grünen nur sehr begrenzt. Und ich glaube, dass wir Grünen schon eine Partei sind mit einem ganz spezifischen inhaltlichen Profil, und deswegen wird es auch immer darauf ankommen, dass andere Parteien dieses inhaltliche Profil oder diese inhaltlichen Punkte, die da wichtig sind, auch als wichtig anerkennen. Also, der ganze Bereich der Energiewende und einer wichtigen ökologischen gesellschaftlichen Entwicklung spielt ja da eine ganz wesentliche Rolle für uns, aber auch für die Gesellschaft.
    "Heute ganz andere Schnittmengen, als man vor einigen Jahren gedacht hat"
    Liminski: Also, Inhalte entscheiden. Wenn man an die Anfänge der Grünen zurückdenkt, dann findet man Wurzeln bei der CDU, Stichwort Herbert Gruhl, Schöpfung bewahren. Kann ein Back-to-the-Roots, ein Zurück-zu-den-Ursprüngen hier gemeinsamkeiten mit der Union neu offenbaren?
    Hajduk: Ich sehe ja mit Interesse, dass die CDU sich auch in bestimmten Themen weiterentwickelt hat, sicherlich auch in der Vorstellung, wie gehen wir mit der Umwelt um, aber auch in anderen Fragen, in gesellschaftlichen Fragen. Und von daher ermöglicht das vielleicht heute ganz andere Schnittmengen, als man vor einigen Jahren gedacht hat.
    Liminski: Noch mal Hessen, Frau Hajduk: Gibt es bei den Grünen nicht die Befürchtung, dies könnte nur ein taktisches Spiel sein? Also um die SPD in Berlin unter Druck zu setzen, also die Grünen sozusagen als Instrument?
    Hajduk: Das kann ich mir nicht vorstellen, auch aus der Rolle der Hessen-CDU nicht. Die haben jetzt in allen Richtungen, auch vor allen Dingen wir, dort wurde ja in alle Richtungen sehr ernsthaft sondiert und im Übrigen auch intensiv. Das ist ja eher häufig, wenn man sich jeweils zu vier Treffen dann auch verabredet. Und die haben ja auch eine Zeit vor sich, ihr Land fünf Jahre stabil regieren zu wollen. das wird jetzt für uns Grüne ja auch in Hessen der Maßstab sein müssen. Ich glaube - so ist meine Erfahrung aus Hamburg -, man ist dann schon sehr stark orientiert an den politischen Aufgaben im eigenen Land.
    Liminski: Die Grünen und die Union, das war Anja Hajduk, parlamentarische Geschäftsführerin vom Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Frau Hajduk!
    Hajduk: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.