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Schwarz-Grün
Vom Erzfeind zum Bündnispartner

Wie aus politischen Erzfeinden Bündnispartner wurden, schildert der Bonner Parteienforscher Christoph Weckenbrock in "Schwarz-Grün für Deutschland?" Seine Analyse der Annährung von CDU und Bündnis 90/Die Grünen liest sich spannend wie ein Polit-Triller, ist aber kein Plädoyer für Schwarz-Grün im Bund.

Von Peter Carstens | 18.09.2017
    Die Spitzenpolitiker der Grünen und CDU, Guido Wolf (l-r), Thomas Strobl (beide CDU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Edith Sitzmann (beide Bündnis 90/Die Grünen), stellen am 02.05.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) den grün-schwarzen Koaltionsvertrag vor, während vor ihnen ein Obstkorb mit Trauben und Kiwis auf einem Tisch steht (Aufnahme mit FishEye-Objektiv).
    Spitzenpolitiker Guido Wolf und Thomas Strobl, (beide CDU), sowie Winfried Kretschmann und Edith Sitzmann (beide B90/Die Grünen) stellen am 2. Mai 2016 den grün-schwarzen Koalitionsvertrag vor. (dpa/Marijan Murat)
    Die Grünen, das seien geistige Verwandte der Roten-Armee-Fraktion, sie trügen Elemente eines neuen Faschismus, betrieben "öko-marxistische Radikalopposition" und wollen sich der Sowjetunion unterwerfen - so beschrieben CDU-Politiker Mitte der achtziger Jahre die junge Partei. Umgekehrt stand die Union aus Sicht der Grünen stellvertretend für Umweltzerstörung und Kriegsgefahr. Es war Abneigung bis zum Hass. So begann das erste Kapitel einer komplizierten Beziehungsgeschichte zwischen den Parteien.
    Neulinge mit Latzhose und Strickzeug
    Christoph Weckenbrock, der an der Bonner Universität als Dozent arbeitet, erzählt in seinem Buch "Schwarz-Grün für Deutschland?", wie aus einem bundesdeutschen Stellvertreter-Konflikt der grünen 68er mit den schwarzen Repräsentanten der älteren Generation fast schon ein Gemeinschaftsprojekt werden konnte.
    An die Anfänge erinnert er mit leisem Schaudern: Als die Grünen entstanden, regierte Helmut Kohl, und die Neulinge mit ihrem Strickzeug, Latzhosen und Anti-Attitüde provozierten die Konservativen im Parlament bis aufs Blut. Strategisch erkannte die Union in der neuen sozialen Bewegung eine Konkurrenz auf dem Parteienmarkt, die ihr frisches Bündnis mit der Wende-FDP künftig gefährden könnte. Die Grünen zu attackieren, hieß also zugleich, die SPD zu schwächen. So schreibt Weckenbrock:
    "Der grundlegende Baustein in dieser von Generalsekretär Heiner Geißler entworfenen Strategie bildeten Versuche von Unionspolitikern, den Grünen wahlweise kommunistisches oder faschistisches Gedankengut, in jedem Fall aber grundsätzlich antidemokratische Einstellungen zu unterstellen. Das Chaotentum der Grünen erinnere ihn, so Geißler, an die Zerstörung der Demokratie im Jahr 1933 durch totalitäre Abenteurer und Kommunisten."
    CDU und CSU seien "Waldvernichter"
    Während Geißler damals von "faschistoid-mystischen Ritualen" fabulierte, forderte ein prominenter CDU-Staatsrechtler vom Verfassungsgericht, die Grünen zu verbieten. Umgekehrt, so schildert es der Autor, porträtierten Grüne die damalige Union als eine Art politisches Schreckensgebiet, in dem eine Gemeinschaft von Kriegstreibern, Nuklearindustriellen und - das schlimmste - Waldvernichtern die deutsche Menschheit in den Abgrund führte.
    Um diese Frontstellung zu verstehen, zeichnet der Parteienforscher zu Anfang seines Buches knapp und verständlich die Parteiengeschichten von Union und Grünen nach. Dann schildert er in fünf Kapiteln die Entwicklung des schwarz-grünen Verhältnisses als:
    "Die Versöhnung des Bürgertums mit sich selbst, die Heilung der Wunde von 1968, die Heimkehr der in den siebziger Jahren verlorenen Kinder."
    Am Anfang aber standen Kampf und Krampf. Erst mit der Wiedervereinigung, so beschreibt es Weckenbrock, kam mehr Vernunft ins Spiel. Nicht zuletzt durch die Fusion der oft auf linksextremem Humus gewachsenen West-Grünen mit dem DDR-Bündnis90. Das und auch der Einfluss von konservativen DDR-Oppositionellen auf die Union änderte den Ton. Eines der ersten Bundesländer, in denen schwarz-grüne Gespräche geführt wurden, war Sachsen, wo auf beiden Seiten des Tisches ehemalige DDR-Bürgerrechtler wie Arnold Vaatz oder Werner Schulz saßen.
    Die SPD domestiziert die Grünen
    Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, so berichtet der Autor:
    "zeigte sich überzeugt, dass die CDU in absehbarer Zeit Koalitionen mit der Öko-Partei eingehen werde. Mit Blick auf deren 1998 anstehende Regierungsbeteiligung stellte er fest: Die SPD tut uns da erst mal den Gefallen und domestiziert die Grünen. In vier Jahren ist das eine ökologisch-liberale, bürgerliche Partei. Warten Sie mal ab."
    Biedenkopf sollte Recht behalten, aber es würde noch sehr lange dauern. Was nun folgte, nennt der Parteienforscher Weckenbrock zwar die "Realisierungsphase" schwarz-grüner Annäherung. Allerdings beschränkten sich Bündnisse zunächst auf kleinere Kommunen. Aber dann kamen Großstädte wie Köln und Frankfurt, es folgten die ersten Bundesländer Hamburg und Hessen. Und schließlich die Koalition im grün-schwarzen Musterländle Baden-Württemberg.
    Von dort gingen von Anfang an wechselseitige Annäherungen aus, an denen seit bald zwanzig Jahren so prominente Politiker wie Cem Özdemir auf der einen und Wolfgang Schäuble auf der anderen Seite beteiligt waren.
    Aber auch Angela Merkel entdeckte früh den grünen Charme und eine Möglichkeit, dem Erpressungspotential der FDP zu entkommen. Sie traf noch als Oppositionspolitikerin Katrin Göring-Eckardt zum Kaffee - die heutige Grünen-Spitzenkandidatin. Einige Jung-Politiker begegneten sich beim Italiener, die inzwischen legendäre Bonner "Pizza-Connection" entstand. Nur die CSU-Führung verbot ihren Leuten die Teilnahme. Aber da war es schon zu spät, so Weckenbrock. Die Keimzelle späterer Zusammenarbeit war gelegt.
    Hartnäckige Koalitionsgegner
    Heute kann man in beiden Parteien von einem gemeinsamen Wertefundament und persönlichem Respekt sprechen. Weckenbrocks Wanderung entlang der Jahre ihrer Annäherung berichtet aber auch von Kräften in beiden Lagern, denen die ganze Richtung nicht passt. Mal hießen sie Stoiber oder Seehofer, mal Vollmer oder Trittin.
    Wie eventuelle Koalitionen torpediert wurden, schildert der Autor am Beispiel der ersten grün-schwarzen Sondierungsgespräche in Baden-Württemberg. Damals, 1992, funkte die grüne Parteispitze mit fiesen Pressemitteilungen dazwischen und verkündete:
    "Die CDU in Baden-Württemberg steht für menschenfeindliche Asylpolitik. Sie hat mit dieser Politik den Hass auf Flüchtlinge geschürt und den ideologischen Hintergrund für die Pogrome der letzten Zeit geschaffen. Sie steht ebenso für eine ökologisch und sozial desaströse Infrastrukturpolitik."
    In vertraulichen Brandbriefen an die Stuttgarter Parteifreunde beklagten die Bonner Obergrünen einen schwarz-grünen Sündenfall und forderten das Ende der Sondierung:
    "Wir befürchten, dass es vielleicht nicht gelingt, durch den Aufbau hoher Forderungshürden die CDU zum Abbruch der Gespräche zu bringen" und weiter "Wir hoffen, ihr beendet politisch gekonnt die Verhandlungen."
    Schwarz-Grün im Bund?
    Was auch geschah. Erst Jahre später kam es dann doch zur Koalition, sogar mit einem grünen Ministerpräsidenten. Dass es irgendwann in Berlin so weit kommen könnte, daran zweifelt Weckenbrock nach seinem analytischen Blick in die Vergangenheit nicht. Letztlich entscheiden die Wähler. Und denen scheint im Augenblick nicht der Sinn nach einem Bündnis der ehemaligen Erzfeinde zu stehen. Rechnerisch möglich scheint derzeit höchstens eine Dreierkoalition mit Union und FDP, also Jamaika.
    Den Wert seines Buches, das die parteipolitisch vielleicht spannendste Wandlungsgeschichte der Republik beschreibt, tut das aber keinen Abbruch. Es überzeugt durch sachlichen Überblick und Sinn für anekdotische Details.
    Christoph Weckenbrock: "Schwarz-Grün für Deutschland? Wie aus politischen Erzfeinden Bündnispartner wurden"
    Transcript-Verlag, 254 Seiten, 22,99 Euro.