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Schwarz-Grün wäre "180-Grad-Kehre"

Der baden-württembergische Grünen-Politiker Boris Palmer kritisiert die eindeutige Festlegung seiner Partei auf ein rot-grünes Bündnis. Damit käme eine Koalition mit der Union jetzt einer 180-Grad-Wende gleich. "Die Menschen im Land wollen eine Große Koalition", glaubt Palmer.

Boris Palmer im Gespräch mit Silvia Engels | 24.09.2013
    Silvia Engels: Absturz nach Höhenflug, das müssen sich die Grünen ins Stammbuch schreiben lassen. Zwar haben sie mit 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2009 nur knapp zwei Prozentpunkte an Stimmen verloren, aber gemessen daran, dass sie 2011 in einigen Umfragen bis zu 20 Prozent Zustimmung einfuhren, ist das Wahlergebnis eine Enttäuschung.

    Harte Kritik am Wahlkampf kommt nun besonders aus Baden-Württemberg, dem einzigen grün geführten Bundesland. Einer derjenigen, die schon deutlich Kritik am Kurs des grünen Bundestagswahlkampfes geübt haben, ist der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer von den Grünen. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Palmer.

    Boris Palmer: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Seit wann war Ihnen denn schon klar, dass die Grünen mit ihrem Wahlkampf falsch liegen?

    Palmer: Recht haben nützt einem ja nichts, aber ich habe auf dem Bundesparteitag, der die Beschlüsse gefasst hat, deutlich vor diesem steuerpolitischen Kurswechsel gewarnt, und leider haben die Gespräche, die ich in Tübingen und in Baden-Württemberg im letzten halben Jahr geführt habe, meine Sorge bestätigt. Denn viele haben nachgerechnet und haben gemerkt, das trifft mich, ich bin nicht reich, ich bin Mittelschicht und soll bezahlen, da habe ich Schwierigkeiten, das kostet mich vielleicht den Jahresurlaub.

    Und vor allem haben die Beschlüsse die Wirtschaft ziemlich vergrätzt. Da habe ich niemand gefunden, der gesagt hat, na das finde ich jetzt aber mal ein gutes Angebot, dass in Zukunft die Steuern für mittelständische Unternehmen maximal 35 Prozent eines Jahresgewinns zusätzlich kosten sollen. Das ist kein Angebot an den Mittelstand und die Mittelschicht, mit dem man punkten kann.

    Engels: Die grünen Spitzenkandidaten hatten aber immer erklärt, dieses neue Steuermodell würde nur die oberen zehn Prozent der Verdiener treffen. Haben die Grünen hier den Wählern die Unwahrheit gesagt?

    Palmer: Nein, das haben sie nicht. Für das Steuermodell stimmt das. Aber wir haben auf dem Bundesparteitag eine Vielzahl von Belastungen - ich könnte Ihnen fast zehn nennen, bis hin zur Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung oder der faktischen Abschaffung der Minijobs - beschlossen. Wenn man das alles zusammenrechnet, und Leute tun das ja für sich, für ihre eigene Situation, das Ehegattensplitting, dann würde ich sagen, dass eher ein Drittel der Bevölkerung deutlich mehr hätte zahlen müssen, und das ist schon ein Wort.

    Was ich aber dramatischer finde, ist, dass es in einer Situation, in der man die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten hat, in der Tübingen zum Beispiel den besten Haushalt seiner Geschichte vorlegen kann, den Leuten auch nicht erklärbar ist, warum ich jetzt mehr zahlen soll.

    Engels: Der gesamte Parteivorstand der Grünen bietet nun auf Bundesebene nach dieser, nun wirklich unter den Erwartungen zurückbleibenden Bundestagswahl seinen Rückzug an. Claudia Roth hat auch angekündigt, anschließend nicht mehr antreten zu wollen. Eine gute Entscheidung?

    Palmer: Ich will jetzt nicht einzelne Personalentscheidungen bewerten, aber ich glaube, dass es insgesamt nach so einer Niederlage – und da sind wir uns wohl alle einig in der Partei, auch wenn die Gründe noch kontrovers diskutiert werden – sicher notwendig ist, einen Neuanfang zu machen. Und bei einem Neuanfang setze ich erst mal voraus, dass Leute nicht an ihren Posten kleben.

    Deswegen war dieser geschlossene Rücktritt von Bundesvorstand und Parteirat sicher eine kluge Entscheidung. Jetzt muss man erst mal den Kurs neu festlegen, und dann müssen sich auch wieder Personen finden, die den verkörpern.

    Engels: Als wesentlicher Kopf hinter den Steuerplänen der Grünen galt ja nun auch Fraktionschef Jürgen Trittin. Muss er auch abtreten?

    Palmer: Niemand muss abtreten. Freie Entscheidungen wie die von Claudia Roth finde ich wirklich sehr respektabel. Und die Frage, wer künftig die Fraktion führt, kann nur die Fraktion allein entscheiden. Das ist jetzt nun mal ausnahmsweise nichts, bei dem die Partei wesentlich mitredet. Eine Fraktion wählt ihre Vorsitzenden selbst.

    Engels: Das klingt aber nicht nach einer glühenden Verteidigung von Jürgen Trittin?

    Palmer: Das dürfen Sie von mir jetzt auch nicht erwarten, dass ich ein glühender Verteidiger von Jürgen Trittin werde. Er steht für den linken Parteiflügel, mit dem bin ich eher doch im Clinch. Deswegen entscheidet allerdings auch der linke Parteiflügel in der Bundestagsfraktion, wer ihn künftig vertritt.

    Engels: Es wäre ja auch eine Chance für Verjüngung der Fraktion, auch der Parteispitze. Haben Sie schon eine Idee in welche Richtung?

    Palmer: Möglicherweise habe ich eine Idee, aber Namen am zweiten Tag nach der Wahl in die Luft zu wirbeln, ist nun nicht gerade sehr hilfreich. Es ist auch nicht das, was mich interessiert. Mich interessiert, ob meine Partei sich künftig wieder auf einen wirtschaftsfreundlichen Kurs einlässt, ob sie die Mittelschichten anspricht, ob sie für Arbeitsplätze auch was im Wahlkampf zu bieten hat, ob sie die Energiewende nach vorne stellt und ob sie die richtigen Schlüsse aus dem Wahlergebnis zieht, und da will ich mit meinen Überlegungen helfen. Die Personaldebatten werden sicher ohne mich gelöst.

    Engels: Wirtschaftspolitik ist ein Stichwort. Da ist natürlich auch sofort das Stichwort schwarz-grüne Bündnisse genannt. Müssen sich die Grünen hier öffnen?

    Palmer: Grundsätzlich ja. Ich sage das seit vielen Jahren. Ich glaube auch, wir hätten ein viel besseres Wahlergebnis erzielt, wenn wir eine Machtperspektive gehabt hätten, wenn wir gesagt hätten, das hier sind unsere Kernpunkte und wer bereit ist, auf die einzugehen, der kann mit uns koalieren, völlig egal, welche Farbe da jetzt die Partei in der Öffentlichkeit hat. Damit könnte man erfolgreich sein.

    Das haben wir aber nicht gemacht. Wir haben uns inhaltlich, programmatisch, auch in der Form des Wahlkampfes so eindeutig festgelegt auf Rot-Grün, dass es eine 180-Grad-Kehre wäre, jetzt Schwarz-Grün zu machen. Ich halte das für falsch und ich glaube auch, dass es die Bevölkerung nicht will. Die Menschen im Land wollen eine Große Koalition. Im Bundesrat gibt es null Stimmen für Schwarz-Grün.

    Angela Merkel wird ganz von selbst auf den Gedanken kommen, dass es in so schwierigen Zeiten wie denen, in denen Europa sich jetzt befindet, eine stabile Regierung braucht, eine, die Durchsetzungskraft hat, und das spricht alles für die Große Koalition.

    Engels: Schließen Sie denn Schwarz-Grün auf Bundesebene für die gesamte Legislaturperiode aus?

    Palmer: Ich bin gar nicht in der Position, da was auszuschließen. Ich versuche nur, die Argumente zu benennen, die dagegen sprechen. Dazu zählt übrigens leider auch, dass wir Wahlverlierer sind wie die FDP und dass wir so geschwächt gar nicht die Kraft hätten, das, wofür wir unseren Wählerinnen und Wählern ja auch Rechenschaft ablegen müssen, was sie uns aufgetragen haben, in einer Bundesregierung durchzusetzen. Dann müsste Angela Merkel uns schon freiwillig sehr weit entgegenkommen, und so was ist in der Politik nicht üblich.

    Engels: Einer der erfolgreichsten Grünen in dieser Bundestagswahl war Hans-Christian Ströbele. Er hat zumindest sein Direktmandat in Kreuzberg wiedergewonnen und er wirbt für rot-rot-grüne Bündnisse. Was jetzt?

    Palmer: Ein rot-rot-grünes Bündnis scheitert in erster Linie an der SPD. Das hat sie glasklar ausgeschlossen, da kann die SPD nicht davon weg.

    Engels: Da sind Sie aber froh.

    Palmer: Ehrlich gesagt: Wenn meine Partei sich dahin gehend emanzipieren würde, dass sie vor der Wahl sich auf die Inhalte festlegt und nach der Wahl sagt, wer die Inhalte mitmacht, ist koalitionsfähig, hätte ich auch kein Problem mit der Linken. Nur ich glaube, dass die Linke noch weniger in der Lage wäre, die inhaltlichen Zugeständnisse an die Realität zu machen, die erforderlich sind, um eine Bundesregierung zu bilden, als jede andere Partei im Bundestag, sodass es deswegen schlicht an der Wirklichkeit scheitert.

    Aber ideologische Scheuklappen sind meiner Meinung nach wirklich eine Sache, die ins letzte Jahrhundert gehört. Das können wir nicht mehr gebrauchen bei den oft schwierigen Mehrheitsverhältnissen, die die Wählerinnen und Wähler uns bescheren.

    Engels: Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen. Er gehört dem Realoflügel der Grünen an. Vielen Dank für das Gespräch heute Früh.

    Palmer: Ich danke Ihnen! Schönen Tag!

    Engels: Ebenso.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.