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Schwarz-Schilling: EUFOR-Mission auf Jahrzehnte angelegt

Der künftige Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling (CDU), fordert ein langfristiges militärisches Engagement der Europäischen Union in der Region. Bei der EUFOR-Mission müsse in Jahrzehnten gerechnet werden, sagte der ehemalige Bundespostminister. Die so genannte Exit-Strategie, die jahrelang die Politik in Bosnien bestimmt habe, sei "Gift" für die positive Entwicklung des Landes, betonte der 75-Jährige, der das Amt Anfang 2006 vom Briten Paddy Ashdown übernimmt.

Moderation: Christian Schwarz-Schilling |
    Burkhard Birke: Der einstige Postminister und langjährige Vermittler in Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, ist zum neuen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina ernannt worden. Er tritt zum 1. Februar die Nachfolge des einstigen liberalen Chefs in Großbritannien, des Briten Paddy Ashdown an, guten Morgen Herr Schwarz-Schilling.

    Christian Schwarz-Schilling: Guten Morgen Herr Birke.

    Birke: Herr Schwarz-Schilling, Sie werden der 5. Hohe Repräsentant, denn Bosnien, wir befinden uns im 11. Jahr nach Dayton, also nach jenem Abkommen in den USA, dass Bosnien zweigeteilt und mit einer Zentralregierung ausgestattet hat. Werden Sie auch der letzte Hohe Repräsentant sein?

    Schwarz-Schilling: So ist es wohl vorgesehen. Man soll ja keine großen Ankündigungen machen, aber das ist wohl doch die Zielsetzung auch der Internationalen Gemeinschaft, dass die Ära, dass sozusagen fast ein Protektorat über Bosnien herrscht nach diesem Krieg, dass diese Ära dann zu Ende gehen soll. Das ist natürlich eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, denn Bosnien soll ein ganz normaler Staat werden, und das ist wohl auch meine wichtigste Aufgabe.

    Birke: Eine anspruchsvolle Aufgabe: Was ist denn die größte Herausforderung? Etwa das Ergreifen der als Kriegsverbrecher gesuchten Karadzic und Mladic?

    Schwarz-Schilling: Nun, das ist natürlich eine sehr große Herausforderung. Aber das, so fürchte ich, ist nicht die Hauptaufgabe, denn die beiden werden kaum im Lande Bosnien-Herzegowina sein, und das Ergreifen dürfte also eher aus internationaler Konstellation heraus möglich werden, als aus den entsprechenden Bemühungen der Regierung von Bosnien-Herzegowina. Ich glaube, da müssen wir auch gerecht sein: Wenn man die Willensentscheidung gehabt hätte, nach Dayton, dass man diese Menschen unbedingt ergreifen muss, dann wäre das damals ja viel leichter gewesen, denn damals waren sie in Bosnien-Herzegowina in den Jahren '95, '96, wohl auch noch bis '97. Und da hatten wir über 70.000 Soldaten, IFOR und dann SFOR, der Internationalen Gemeinschaft auf bosnischem Boden stehen. Und ich glaube, da müssen wir uns auch selbst etwas an die Brust fassen: Warum haben wir damals nicht mit aller Energie dieses betrieben? Und dieses nun jetzt den Bosniern anzulasten, dass sie das zu machen haben, ist zumindest aus der im Moment absehbaren Konstellation, dass sie gar nicht auf bosnischem Boden sind, etwas blauäugig.

    Birke: Die Fehler der Vergangenheit, die müssen Sie jetzt als Hoher Repräsentant, mal salopp ausgedrückt, auch mit wettmachen. Mehr als 180 Reisen in die Region haben Sie ja in Ihrer Funktion als internationaler Streitschlichter in den letzten zehn Jahren unternommen. Mit welchen Problemen sind denn die Menschen im Alltag konfrontiert? Kann der kriegsauslösende Hass überwunden werden?

    Schwarz-Schilling: Ja nun, das ist natürlich der - in erster Linie - der Nationalismus der verschiedenen Völker, der Bosniaken, das ist also der muslimische Teil, der Kroaten, der auch dann religionsmäßig vorwiegend katholisch ist und der Serben, der religionsmäßig vorwiegend orthodox ist. Dass das natürlich Wunden geschlagen hat und große Schwierigkeiten im Zusammenleben gebracht hat, dass ist ja unbezweifelbar. Trotzdem ist es fast ein Wunder, dass die Menschen durchaus wieder friedlich miteinander und zusammen leben, dass der Nachbar, der jetzt der anderen Volksgruppe angehört, sich wieder einfügt, dass die Menschen sich gegenseitig besuchen, dass sie zusammen im Café sitzen. Das sind alles große Fortschritte, und es war ja auch nicht auslösender Punkt, dass die Menschen, die dort als Nachbarn schon teilweise ja Jahrhunderte auch friedlich zusammen gelebt haben, dass die nun plötzlich wie von der Tarantel gestochen sich gegenseitig umgebracht haben. Sondern es war ja ein Krieg, der von außen hereingetragen worden ist, indem die serbische Armee gegen die Bevölkerung der anderen Volksgruppen einmarschiert ist, und dort also schreckliche Dinge angerichtet hat. Die kroatische Armee in die Mehrheitsgebiete von entsprechenden bosniakischen Bewohnern eingetreten ist, und das hat es ausgelöst. Und dann kam natürlich die große Angst jeder Volksgruppe dazu, "um Gottes Willen!", und "vielleicht ermordet mich jetzt auch gleich der Nachbar hier!", und dann gab es entsprechende fürchterliche Reaktionen.

    Birke: Schutz gewähren ja im Moment die 6000 Soldaten der EUFOR. Wie lange werden die denn da noch bleiben müssen?

    Schwarz-Schilling: Ich glaube, dass sollten wir ein bisschen lockerer sehen. Wie lange sind die Amerikaner in Europa geblieben? Und als sie nach dem 1. Weltkrieg sehr schnell wieder weg gegangen sind, haben sich ja entsetzliche Entwicklungen angebahnt. Ich weiß nicht, ob der Nationalsozialismus sich hätte entwickeln können, wenn man damals schon eine langfristigere Politik gemacht hätte. Die Amerikaner waren 50 Jahre in Deutschland. Ich glaube, da muss man schon in etwa in Jahrzehnten rechnen. Dass eine Präsenz, eine militärische Präsenz, durchaus angebracht ist, gerade auch, um die positiven Bemühungen durch das Engagement der Internationalen Gemeinschaft zu unterstützen und denjenigen, die Böses im Schilde führen, nicht die Gelegenheit zu gegeben zu sagen: "Na wartet mal, wenn die erst mal abgezogen sind, dann werden wir uns wieder treffen!" Also diese so genannte Exit-Strategie, die auch jahrelang die internationale Politik in Bosnien beherrscht hat, ist Gift für die positive Entwicklung.
    Birke: Die bosnischen Serben haben sich sehr erfreut über Ihre Wahl geäußert. Ist das deshalb, weil sie erwarten, dass Sie nicht wie Paddy Ashdown, der noch amtierende Hohe Repräsentant, von den umfassenden Machtbefugnissen Gebrauch machen werden und wohlmöglich auch gewählte politische Vertreter einfach absetzen?

    Schwarz-Schilling: Nun, es wird schon eine Wende im Stil geben. Ich werde mit Sicherheit nicht dort auftreten als ein Kommissar, der ein Protektorat wie ein Besatzungsregime dort aufrechterhält, sondern meine Aufgabe ist es, dieses Land in ganz normale Verhältnisse zurückzuführen oder hinzuführen.

    Birke: Höre ich da ein bisschen Kritik an Ihrem Vorgänger?

    Schwarz-Schilling: Nun, die Zeiten ändern sich. Man kann ja nicht immer sagen: "Also, Ihr müsst reif werden für die Integration nach Europa", und dann Methoden anwenden, die dem entgegenstehen. Denn nur ein Land, was die Verantwortung für seine Bevölkerung selber übernimmt, kann die Möglichkeit ergreifen, sich durch die europäischen Standards, die man miterstrebt, auch dann integrationsfähig zu machen.

    Und von daher gesehen, das kann nicht eine sozusagen, eine Besatzungsmacht machen, sondern das können die Menschen nur selber machen, und das wird eine der schwierigsten Aufgaben meinerseits sein: Die Menschen davon zu überzeugen, dass sie selber ihr Schicksal in die Hand nehmen müssen. Dass wir Ihnen dabei helfen können, dass wir Expertisen machen, dass wir Fachleute dort mit am Werke haben, um ihnen dabei zu helfen. Aber überlegen Sie mal, was die alles zu machen haben: Die haben also einen Frieden der Religionen herzustellen. Dafür haben wir Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gebraucht - denken Sie an den 30-jährigen Krieg. Sie haben das kommunistische Planwirtschaftssystem in ein System der freien Marktwirtschaft umzusetzen, das Staatseigentum in Privateigentum umzuändern. Sie haben dafür zu sorgen, dass Rechtsstaat entsteht, dass die Institutionen, Gerichtswesen, Parlamente funktionieren, Verwaltungen rechtmäßig herrschen. Das haben sie alles in ganz wenigen Jahren zu machen.

    Also das ist schon eine wahnsinnige Aufgabe, die Europa niemals in so kurzer Zeit selbst erledigt hat. Insofern müssen wir auch etwas Geduld haben. Und diese Geduld habe ich in zehn Jahren dort auch bewiesen, indem ich von Stadt zu Stadt gezogen bin und über 120 bis - ja ich glaube es waren genau 128 Verträge geschlossen habe, um die Rückkehr von Flüchtlingen in der einzelnen Stadt zu ermöglichen, um die Besitznahme des ursprünglichen Eigentümers von seinem Eigentum zu ermöglichen, um die Polizei an ihre Aufgaben, den Bürger zu schützen, und nicht Angst und Schrecken für die Bürger zu sein - all das habe ich gemacht und deswegen glaube ich, dass ich auch eine so gute Aufnahme von allen drei Volksgruppen habe, weil sie wissen: Der Mann hat sich zehn Jahre wirklich für uns eingesetzt und ist hier nicht als Besatzer angekommen.

    Birke: Christian Schwarz-Schilling war das zu seiner neuen Aufgabe als der Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Schwarz-Schilling: Bitte schön Herr Birke.