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Schweden
Atempause oder Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik?

Seit Anfang des Jahres kontrolliert Schweden wieder seine Grenzen. Ein starkes Symbol. Denn das Land verfolgte jahrzehntelang eine äußerst liberale Flüchtlingspolitik. Auf die Zahl der Einwohner gerechnet nahm kaum ein anderes EU-Mitglied so viele Asylbewerber auf. Doch jetzt hat die rot-grüne Regierung die Notbremse gezogen.

Von Johannes Kulms | 27.02.2016
    Ein schwedischer Polizist mit Flüchtlingen am Bahnhof Hyllie in der Nähe von Malmoe.
    Trotz der Gesetzesverschärfungen erwartet Schweden in diesem Jahr zwischen 70.000 und 140.000 Flüchtlinge. (picture alliance / dpa / Johan Nilsson)
    "Wir haben auch frische Eier. Die Henne hier brütet, da muss man immer etwas aufpassen, dass sie einen nicht angreift."
    Ein typischer Bauernhof nahe Urshult, im südschwedischen Småland. Ein rotes Holzhaus, ein roter Schuppen und natürlich eine rote Scheune. In deren Untergeschoss steht Mustafa, umgeben von ein paar dutzend Hühnern und Wachteln. Mustafa ist 25 Jahre alt und stammt aus dem syrischen Aleppo. Nach wochenlanger Flucht ist er Mitte September in Schweden angekommen.
    Nun lebt er bei seinem Bruder, der bereits seit mehreren Jahren im Land ist und auf dem Hof mit seiner holländischen Freundin zusammenwohnt. Mustafa hatte Glück: Jahrzehntelang war Schwedens Flüchtlingspolitik ausgesprochen liberal gewesen. Kein anderes EU-Mitglied hatte bis dahin pro Kopf gerechnet so vielen Menschen Asyl gegeben wie das 10-Millionen-Einwohner-Land Schweden. Doch rund zwei Monate nach Mustafas Ankunft zog die rot-grüne Regierung in Stockholm die Notbremse und erklärte, das Land könne nicht länger so viele Flüchtlinge aufnehmen. Mustafa kann die Entscheidung nur in Teilen nachvollziehen:
    "In Schweden haben doch die Menschen ähnlich wie in Deutschland gesagt, kommt her, wir können viele aufnehmen. Und dann sagt man plötzlich, es geht nicht mehr. Aber die wussten doch, dass viele kommen, wieso sagen sie dann plötzlich, dass Schluss ist?"
    Behörden brauchen im Schnitt zwei Jahre für die Prüfung von Asylanträgen
    Andererseits sagt Mustafa aber auch: Vielleicht ist es gut, wenn keine weiteren Flüchtlinge mehr nach Schweden kommen, wo es doch so große Probleme gibt bei der Unterbringung und beim Thema Beschäftigung. Der junge, großgewachsene Mann träumt von einem Neuanfang in Schweden. Gerne würde Mustafa sein Wirtschaftsstudium fortsetzen, das er in Syrien wegen des Krieges abbrechen musste:
    "Es gibt Leute, die glauben, wir sind zum Urlaubmachen hier oder wollen uns nur etwas entspannen. Aber wir sind nach Schweden gekommen, weil wir alles verloren haben: Das Haus, die Arbeit, alles, was wir davor gehabt haben. Ich habe fast 20 Jahre gelernt und das war alles umsonst. Es ist nicht gerade witzig, wenn man alles zurücklassen muss, um hierher zu kommen."

    Die Überlastung der schwedischen Behörden bekommt auch Mustafa zu spüren. Einen Sprachkurs konnte er noch nicht beginnen, weil es dazu zunächst einer Personennummer bedarf. Und ohne die geht in Schweden nun mal nichts. Zwei Jahre brauchen die Behörden derzeit im Schnitt, um einen Antrag auf Asyl zu prüfen. Mustafa hat in den vergangenen Monaten trotzdem schon viel Schwedisch durch Radio, Fernsehen und Youtube gelernt.
    Der Syrer Mustafa aus Aleppo steht in der Tür eines roten Holzhauses nahe Urshult im südschwedischen Småland
    Der Syrer Mustafa aus Aleppo lebt nun nahe Urshult im südschwedischen Småland. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Und er sagt, er habe Glück gehabt, denn wäre er in einer Flüchtlingsunterkunft, würde er wohl nur schlafen und essen. Aber hier auf dem Bauernhof habe er eine Beschäftigung:
    "Morgens müssen wir uns erstmal um die Tiere kümmern. Wir haben Hühner, Enten, Kaninchen, Schafe, Pferde und Hunde. Und wir haben einen Garten. In etwa einem Monat wollen wir auch anfangen, da zu säen, Salat, Früchte. Es gibt also immer was zu tun hier."
    Übergriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte haben zugenommen
    Jeden Tag ist Mustafa auch mit seinem Rennrad unterwegs, fährt viele Kilometer durch die tiefen Wälder oder in die nächste Kleinstadt 15 Kilometer entfernt. Doch seit einigen Wochen hat er vermehrt Angst, wenn er im Dunkeln unterwegs ist. Diese Angst hängt vor allem mit den jagdähnlichen Szenen zusammen, die sich Ende Januar ereigneten - mitten in der Stockholmer Innenstadt.
    Rund 100 Hooligans und Mitglieder der rechtsextremen Szene gingen unweit des Stockholmer Hauptbahnhofs auf Flüchtlinge los, wegen angeblichen Diebstählen und sexuellen Übergriffen auf schwedische Frauen. Dafür sollten die Asylbewerber ihre "gerechte Strafe" bekommen, war die Begründung. Diese Angriffe haben nicht nur Mustafa, sondern viele in Schweden aufgeschreckt. Dennoch haben in den letzten Monaten im ganzen Land die Übergriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte weiter zugenommen.
    Ein paar Tage später sitzt Thomas Hammarberg in einem Café des Kulturhuset - eines riesigen mehrstöckigen Kulturzentrums aus den 70er-Jahren in der Stockholm Innenstadt. Bis vor vier Jahren war Hammarberg Menschenrechtskommissar des Europarates in Straßburg. Nun verfolgt der 74-Jährige aufmerksam die politische Entwicklung in seinem Heimatland:
    "Viele sind jetzt unruhig und denken, die vielen Einwanderer schaffen Probleme. Und fast jeden Tag wird in den Medien oder den sozialen Netzwerken vor kulturellen Konflikten gewarnt."
    Natürlich seien die Zahlen der 163.000 Asylsuchenden, die vergangenes Jahr nach Schweden kamen, sehr viele für so ein kleines Land, sagt Hammarberg. Ohne Zweifel habe dies zu großen Probleme geführt für die Behörden, die sich vor allem im knappen Wohnraum und dem Bedarf von zahlreichen neuen Schulen ausdrücke, für die rund 35.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die vergangenes Jahr nach Schweden kamen.
    "Wir mussten diese Entscheidung treffen"
    Dass die rot-grüne Regierung im November eine Atempause verlangte, war für Hammarberg - der selber Mitglied der Sozialdemokraten ist - keine Überraschung:
    "Und doch war der Beschluss dramatisch. Meiner Meinung nach waren Teile dieses Gesetzespakets, das die Regierung geschnürt hat, kontraproduktiv. Weil es in der Praxis das klassische Asylrecht untergräbt."

    Auch Morgan Johansson ist über die Entscheidung nicht glücklich. Doch der schwedische Migrations- und Justizminister verweist darauf, dass im vergangenen Herbst die Zahl der ins Land kommenden Flüchtlinge auf bis zu 10.000 pro Woche gestiegen sei - und seine Regierung keine Wahl gehabt hätte:
    Man sieht den schwedischen Menschenrechtler Thomas Hammarberg in einem Café.
    Der schwedische Menschenrechtler Thomas Hammarberg. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    "Wir mussten diese Entscheidungen treffen, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Und jetzt müssen wir uns auf die Leute konzentrieren, die letztes Jahr gekommen sind. Das können wir schaffen. Aber nicht, wenn weiterhin so viele Leute kommen."
    Die Kehrtwende in der schwedischen Flüchtlingspolitik hat es in sich: Der Familiennachzug wird nun sehr streng gehandhabt. Unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen gibt es fast gar nicht mehr. Auch bei den Sozialleistungen wurde stark gekürzt. Alles Entscheidungen, die ausgerechnet von einer linken, nämlich rot-grünen Regierung beschlossen wurden. Migrationsminister Johansson macht dafür vor allem mangelnde europäische Solidarität verantwortlich:
    "Wir haben uns über Jahre der Verantwortung gestellt wie kein anderes Land und darauf bin ich stolz. Aber das Problem ist: Wenn es so weiter geht, wenn keiner Verantwortung übernimmt, werden wir immer größere Probleme bekommen. Und genau das ist im Herbst passiert. Und da mussten wir sagen: Auch wenn Schweden ein fantastisches Land mit der vielleicht besten Aufnahmekapazität für Flüchtlinge ist - auch für uns gibt es Grenzen."
    Für 2016 werden bis zu 140.000 Flüchtlinge erwartet
    Für den Sozialdemokraten ist klar: Nicht noch einmal will die schwedische Regierung in die Situation kommen wie im vergangenen Herbst. Das sollen auch die Grenzkontrollen verhindern, die Schweden seit Beginn des Jahres durchführt. Mittlerweile kämen nur noch 700 Asylsuchende pro Woche ins Land, sagt Johansson. Doch trotz der Gesetzesverschärfungen werden für 2016 zwischen 70.000 und 140.000 Flüchtlinge erwartet:
    "Uns ist es im Moment gelungen, das zu tun, was im Großen und Ganzen alle anderen EU-Länder auch machen, nämlich den Ball an ein anderes EU-Land weiterzuspielen, sodass sich ein anderes Land um das Problem kümmern muss."
    Sagt Joakim Ruist, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Göteborg. Schon lange forscht Ruist zu den wirtschaftlichen Folgen der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Doch wie kommt es überhaupt, dass Schweden über einen so langen Zeitraum eine derart liberale Politik führte und so vielen Menschen Asyl gewährte?
    "Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist: Schweden ist ein Land, das sich um die Schwachen kümmert. Und das gilt für die Schwachen innerhalb aber auch außerhalb Schwedens. Dafür steht einerseits der schwedische Wohlfahrtsstaat. Dies zeigt sich aber auch darin, dass wir überdurchschnittlich viel Geld pro Einwohner für die internationale Entwicklungshilfe ausgeben. Und es spiegelt sich auch in der großzügigen Flüchtlingspolitik. Das alles ist ein Teil der schwedischen Auffassung von Solidarität."
    Schwedens Wirtschaft sei stark genug, um auch über mehrere Jahre hinweg rund 100.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen, sagt Ruist. Und doch sei eine derart hohe Zahl problematisch - weniger aus wirtschaftlichen als aus politischen Gründen:
    "Der entscheidende Faktor bei dieser Frage ist, was die Menschen akzeptieren. Diesbezüglich gibt es mehrere Teilfragen. Da ist der mangelnde Wohnraum, da sind die Gesamtkosten für die öffentlichen Kassen. Und da ist der wachsende Fremdenhass. Langfristig wäre aus meiner Sicht wohl eine Zahl von 40.000 bis 50.000 Flüchtlingen pro Jahr für Schweden ein Niveau, das machbar wäre."
    Flüchtlingskrise stellt die schwedische Politik auf Jahre hinaus auf die Probe
    Wenn die Politik sich stärker um das Thema Wohnraum kümmere, könne dies die Akzeptanz in der Bevölkerung für Flüchtlinge erhöhen, sagt Ruist. Vor allem müsse die Regierung mehr für die Integration der Flüchtlinge auf dem schwedischen Arbeitsmarkt tun. Denn hier hätte es in der Vergangenheit viele Versäumnisse gegeben, so der Ökonom:
    "Es war bisher schwer für Flüchtlinge, in den schwedischen Arbeitsmarkt reinzukommen. Der hiesige Arbeitsmarkt ist insgesamt nicht gerade offen. Es ist sehr schwer, wenn man keine gute Ausbildung hat oder man die Sprache nicht kann, da es wenige Jobs für Geringqualifizierte gibt. Die Integration der Flüchtlinge hat da bisher also nicht gut geklappt."
    Auch Migrationsminister Johansson sagt: Wir müssen dafür sorgen, dass die schwedische Bevölkerung uns vertraut, dass wir die richtigen Dinge tun, um die Flüchtlinge schnell zu integrieren:
    "Da geht es um Bildung. Aber auch darum, Wohnraum zu schaffen. Wenn wir das nicht tun, werden wir noch mehr Probleme bekommen. All diese Investitionen in Bildung und neue Schulgebäude sind gleichzeitig aber auch ein Wachstumsschub für die schwedische Wirtschaft."
    Johansson glaubt nicht, dass sich zentrale Werte der schwedischen Gesellschaft wie Solidarität oder Gleichheit durch die derzeitige Flüchtlingssituation verändern werden. Unser Vertrauen in den Wohlfahrtstaat ist sehr stark, sagt Johansson. Und doch stellt das Thema die schwedische Politik auf Jahre hinaus auf die Probe:
    "Jede Woche müssen wir um menschliche Werte kämpfen. Wir müssen die 164.000 Flüchtlinge integrieren und dafür sorgen, dass sie arbeiten können und damit für sich selber, aber auch für ihre Familien und Schweden sorgen können. Wenn wir dabei versagen und die Arbeitslosigkeit in ein paar Jahren deutlich angestiegen sein sollte, es zu größeren Probleme kommt bei der Unterbringung und in den Schulen … dann werden die schwedischen Bürger anfangen, unsere Grundwerte in Frage zu stellen. Und davor müssen wir uns wirklich hüten."

    "Ich denke, dass Schweden auch schon früher Probleme hatte. Es war nicht das Paradies", sagt der frühere Europarats-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg. Es habe in Schweden immer einen gewissen Stolz über eine progressive Politik gegeben wie zum Beispiel bei der Gleichstellung von Frauen und Männern oder den Kinderrechten, sagt der ehemalige Diplomat:
    Man sieht den schwedischen Reichstag in Stockholm, vorne rechts ein Rettungsring.
    Bisher lehnen die sieben anderen Parteien im schwedischen Reichstag eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ab. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    "Aber dieses Selbstbild, dass wir ein Land sind, das einiges erreicht hat, gerät gerade etwas ins Wanken. Viele hoffen, dass die anderen Länder in Europa verstehen, dass ein Land wie Schweden einfach eine Pause braucht, nachdem wir knapp 160.000 Flüchtlinge innerhalb von nur einem Jahr aufgenommen haben. Versteht uns einfach, wir würden doch so gerne dieses Prestige bewahren, sagen viele, nämlich dass wir progressiv sind und die Heimat von Dag Hammarskjöld oder Olof Palme. Es gibt also die Sorge, dass wir diese moralische Stellung in Europa verlieren."
    Doch die Sorge über das Prestige Schwedens im Ausland ist das eine. Viel größer dürfte bei vielen die Sorge über die derzeitige komplizierte politische Lage im Land selber sein. Auch bei Thomas Hammarberg:
    "Ich persönlich finde, dass die Politik viel zu wenig über die positiven Seiten der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik spricht und den kulturellen Gewinn, den wir dadurch bekommen. Stattdessen überwiegen in den Diskussionen defensive Positionen, was negative Folgen haben kann. Die politische Situation im Parlament ist ein Problem, denn keiner der beiden großen Blöcke kann eine offensive Politik betreiben. Dabei bräuchten wir doch genau die jetzt. Aber das Parlament ist gelähmt."
    Schweden-Demokraten setzen sich für Abschottung ein
    Die schwierigen Verhältnisse im Schwedischen Reichstag haben auch mit einer Partei zu tun, die dort erst seit 2010 sitzt und in den Umfragen der letzten Monaten immer wieder an der 20-Prozent-Schwelle kratzt: die Schweden-Demokraten. Sie seien die wichtigste Partei in der aktuellen Debatte, sagt Markus Wiechel. Wiechel ist 27 Jahre alt und migrationspolitischer Sprecher der Schwedendemokraten:
    "Wir sehen, dass die anderen Parteien - sogar die an der Regierung - vor allem aber die konservative Partei der Moderaten, unsere Ideen übernehmen. Die anderen Parteien richten sich also nach unserer Politik. Und das ist doch eine gute Sache: Sie öffnen endlich ihre Augen."
    Bisher lehnen die sieben anderen Parteien im schwedischen Reichstag eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ab. Eine Partei, die sich für Abschottung einsetzt und landesweit als rassistisch gilt. Wiechel, der an einem langen Tisch des Reichstagsgebäudes in der dämmrigen Vormittagssonne sitzt, weist solche Vorwürfe zurück. Und denkt schon an ganz anderes:
    "Wir könnten eine konservative Regierung unterstützen mit den Moderaten und vielleicht den Christdemokraten. Wir würden eine rechte Regierung unterstützen, wenn sie eine Migrationspolitik nach unseren Vorstellungen macht."
    "Nach unseren Vorstellungen" - das bedeutet aus Sicht der Schwedendemokraten einen vollkommenen Bruch mit der bisherigen schwedischen Flüchtlingspolitik. Zwar sollten Flüchtlinge weiterhin ins Land kommen dürfen. Aber nur noch im Rahmen des UN-Resettlement-Programms. Und nicht mehr als 4.000 pro Jahr. Also nur ein Bruchteil der knapp 160.000, die 2015 in das skandinavische Land kamen.

    Er könne ja nachvollziehen, dass Flüchtlinge ins Land wollten, sagt Schwedendemokrat Wiechel. Aber sie müssten nun mal verstehen, dass es in Schweden kein Geld gebe, um sie zu versorgen. Und auch keinen Wohnraum:
    Der Schwedendemokrat Markus Wiechel
    In Schweden gebe es kein Geld, um die Flüchtlinge zu versorgen, sagt der Schwedendemokrat Markus Wiechel. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    "Es ist schlichtweg dumm, Menschen zu unterstützen, die das Geld haben, um nach Nordeuropa zu kommen – weit weg vom Konfliktgebiet."
    Weil seine Partei sich dafür stark mache, die Unterstützung für Flüchtlinge nahe der Konfliktgebiete zu erhöhen, seien die Schwedendemokraten in Wirklichkeit die einzige Partei, die sich um Flüchtlinge kümmere, sagt Wiechel.
    Die Zeiten sind vorbei, in denen bis auf die Schwedendemokraten alle Parteien im Reichstag beim Thema Flüchtlingspolitik zu fast 100 Prozent eine liberale Linie befürworteten, meint Wirtschaftswissenschaftler Joakim Ruist. Trotzdem glaubt er, dass es weiterhin einen relativ breiten Konsens zwischen den Parteien gibt. Aber insgesamt stehe die Politik vor einer großen Herausforderung:
    "Das Umfeld hat sich verändert. Ich denke nicht, dass man sagen kann, Schwedens bisherige Flüchtlingspolitik sei naiv gewesen, denn sie hat bisher eigentlich gut funktioniert. Und dies ist glaube ich ein sehr wichtiger Punkt: Wenn Schweden nun seine Politik ändert, bedeutet das nicht, dass der Ansatz in den letzten 30 Jahren falsch war. Sondern diese Politik hat in dieser Zeit funktioniert. Dann haben sich die Umstände geändert. Und dann müssen wir auch die Politik verändern."
    Schwedens Kehrtwende soll Druck auf EU-Ebene erhöhen
    Dass Schweden nun dauerhaft zu einem ähnlichen restriktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik umschwenkt wie das Nachbarland Dänemark auf der anderen Seite des Öresunds, glaubt Ruist nicht. Der frühere Diplomat Thomas Hammarberg ist sich da nicht so sicher. Schließlich fahre Dänemark zum Beispiel einen harten Kurs beim Thema Familienvereinigung. Und genau dies habe auch die Regierung in Stockholm gerade beschlossen.
    In einem sind sich beide Flüchtlingsexperten aber einig: Die im November eingeleitete Wende der Regierung von Stefan Löfven soll vor allem den Druck auf EU-Ebene erhöhen, zu einer europaweiten Einigung zu kommen.
    Zurück in der småländischen Provinz, die zur neuen Heimat für den syrischen Flüchtling Mustafa geworden ist. Knapp fünf Autostunden entfernt von der schwedischen Hauptstadt liegt der Bauernhof in der Gemeinde Tingsryd. Rund 12.000 Menschen zählt die Kommune, die sich über mehr als 1.000 Quadratkilometer verteilen:
    "Es gibt diese Unruhe, die einen umtreibt. Aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich deswegen nicht mehr schlafen kann."

    Mikael Jeansson, Anfang 50, ist ein Mann mit freundlichem Gesicht. Bis vor Kurzem war er Sozialarbeiter. Seit einem Jahr ist er Vorsitzender des Gemeinderates von Tingsryd:
    Mikael Jeansson, Vorsitzender des Gemeinderates im schwedischen Tingsryd
    Gemeinderatsvorsitzender Mikael Jeansson sieht in den Flüchtlingen eine Chance für seine Kommune. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    "Aber wenn etwas passieren sollte, müssen wir natürlich dafür bereit sein. Wir müssen aktiv daran arbeiten, solchen Tendenzen und gewaltbereiten Extremisten vorzubeugen. Man merkt, dass eine Polarisierung stattfindet und man in unterschiedliche Richtungen geht. Das ist beunruhigend. Vertrauen und Sicherheit sind ja die Grundlage der Demokratie. Und wenn wir diese Sicherheit verlieren und nicht mehr länger an uns glauben und uns gegenseitig vertrauen, dann geht auch die Demokratie in die Brüche."
    Doch Jeansson ist und bleibt Optimist. Er sieht in den Flüchtlingen eine Chance für seine Kommune, die über lange Zeit Einwohner verloren hat. Natürlich kämpft auch seine Verwaltung mit Personalnot, knappem Wohnraum und hat Probleme, genügend Betreuer für minderjährige Flüchtlinge zu finden. Von einer Überforderung seiner Gemeinde will Sozialdemokrat Jeansson aber nicht sprechen:
    "Nein, überlastet sind wir hier nicht. Natürlich ist die Situation für uns alle anstrengend. Aber wir kriegen das hin."