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Schweden
Die Erben von Astrid Lindgren

Schwedische Kinderbücher rufen bei Erwachsenen sentimentale Erinnerungen an Bullerbü, Lönneberga oder die Villa Kunterbunt hervor. Der Einfluss der Klassiker ist auch heute noch in vielen schwedischen Büchern zu spüren, die dennoch weit mehr als ein einfacher Abklatsch sind. Und Übersetzer immer wieder vor schwierige Aufgaben stellen.

    Eine schwedische Flagge an einer Tasche
    Immer ein schwedisches Buch in der Tasche: Diesen Winter buhlen einige Neuerscheinungen um die Gunst junge Leser. (dpa / Romain Fellens)
    Die Vorweihnachtszeit ist besonders gefährlich. Ob wir wollen oder nicht: Regen sich bestimmte Erinnerungen, werden Erwachsene leicht sentimental. In unserem Fall geht es um schwedische Kinderbücher und Bildergeschichten aus den 1950er und 1960er Jahren. Astrid Lindgrens deutscher Hausverlag, Oetinger, hat gerade wieder ein paar wunderschön nostalgische Weihnachtsbücher in Wiederauflage oder sogar Neuerscheinung auf den Markt gebracht. Astrid Lindgrens kurze Erzählung "Tomte Tummetott" wurde von der belgischen Bilderbuchkünstlerin und Astrid-Lindgren-Preisträgerin Kitty Crowther neu illustriert – nicht ganz so detailverliebt magisch-realistisch wie die Bilder von Harald Wiberg, Anfang der 1960er Jahre, aber trotzdem gut geeignet zum sentimentalen Eintauchen in eine verschwundene Welt. - Natürlich gibt es auch die Hörbuch-CDs mit zum Teil schon historischen Aufnahmen, zum Beispiel mit der von Ursula Illert 1960 eingelesenen Tomte Tummetott-Erzählung.
    "Nun ist es Nacht. Der alte Bauernhof schläft. Es schlafen alle, die dort wohnen. Der Bauernhof liegt tief im Walde ..."
    Bilder einer winterlichen schwedischen Landschaft erscheinen vor unseren Augen. Wir glauben sie zu kennen, als seien wir selbst Kinder dieser Zeit und dieser Welt gewesen.
    "Auf Zehenspitzen huscht Tummetott zum Bett der Kinder. Er sieht sie lange an und denkt: Alle Kinder wünschen mich einmal zu sehn. / Doch nachts, wenn ich komme, schlafen sie fest. / Immer werden sie träumen von mir, / doch wenn sie erwachen, / bin ich schon fort."
    "Das Land hab ich mir als Kind erschlossen", erzählt Angelika Kutsch, eine der bedeutendsten Übersetzerinnen von Kinderliteratur aus Skandinavien, vornehmlich aus Schweden, die für ihr Gesamtwerk in diesem Jahr mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis geehrt wurde.
    "Das heißt, ich bin aufgewacht, aus einem Traum. Das war an einem 13. April, 1954. Ich hatte ein Bild wie ein Foto von einem glitzernden See mit wehenden Birkenzweigen davor. Und ich wusste im Aufwachen: 'Das ist Schweden!' Und ich hab beschlossen: 'Ich will nach Schweden. Ich muss schwedisch lernen, ich will nen Schweden heiraten.' Und da war ich 13 und ich hab angefangen, Schwedisch zu lernen, statt Englisch."
    Angelika Kutschs schwedischer Traum war zwar nicht – wie der, vieler Kinder aus den deutschen Nachkriegsgenerationen – von den Welten Astrid Lindgrens geprägt, sondern vom schwedischen Kinowelterfolg "Sie tanzte nur einen Sommer" aus dem Jahr 1951, aber die Wirkung dieses filmischen Meisterwerks auf die junge Angelika war so enorm, dass davon berichtet werden muss, ohne dass wir uns vom Thema entfernen. Das Thema lässt sich in der Frage zusammenfassen: Existiert heute noch eine schwedische Kinderliteratur, die die Seele der Bücher Astrid Lindgrens in sich trägt – die Sprache, die Atmosphäre, die Landschaften, die Freuden und Nöte der Kinder -, ohne eine mehr oder weniger gelungene Kopie der alten Geschichten zu sein oder gar ein sentimentaler Abklatsch?
    "Irgendwie muss ich ja mal an den Schweden rankommen"
    "Und so hab ich mich dann Stück für Stück dem Land genähert. Wollte einen Briefträger heiraten in Schweden. Ich hab beschlossen, irgendwie muss ich ja mal an den Schweden, den ich heiraten will, rankommen. Wie macht man das? Ich wusste, in Stockholm ist die Hauptstraße Kungsgatan. Dann hab ich an einen Briefträger, Postamt Kungsgatan, Stockholm, geschrieben. Damals konnte ich die Wörter nur so aus dem Wörterbuch zusammenstellen, also meine Substantive waren alle ohne Adjektiv, alle Verben im Infinitiv. Aber der Junge hat's verstanden. Ich hab ihn gefragt: 'Hast du in deinem Bezirk jemanden, einen Jungen, der mir schreiben möchte?' Und genau eine Woche später hab ich einen Brief bekommen von einem 17-jährigen Briefträger. Und ich fand, das war ein tolles Omen. Den wollt ich heiraten! - Aber dann hab ich meinen Mann kennengelernt."
    Mit dem lebt sie heute noch zusammen, obwohl er kein schwedischer Briefträger ist. - Soweit zur Wirkungsmacht schwedischer Kunst und Literatur. Bei Angelika Kutsch hat sie dazu geführt, dass sie – unter anderem - zahllose schwedische Kinderbücher übersetzt hat, die unser Schwedenbild bis heute prägen: zum Beispiel die Pettersson- und Findus-Geschichten von Sven Nordqvist, die Tsatsiki-Geschichten von Moni Brännström, die Mimi und Eddi-Geschichten von Vivica Sundvall, Bücher von Ulf Nilsson, Henning Mankell, Annika Thor und besonders von Rose Lagercrantz, deren drittes Büchlein vom glücklichen Leben des Mädchens Dunne, das in die erste Klasse geht. Im Februar wird es bei uns erscheinen. Wieder illustriert von Eva Eriksson. - Auch einige Bücher und Geschichten von Astrid Lindgren hat Angelika Kutsch übersetzt.
    "Sie beschreibt ja eine Zeit, die es heute nicht mehr - das ist eine versunkene Welt. Aber man kann sie immer noch wiederfinden, in Schweden auf dem Lande. Eine scheinbar heile Welt. Und außerdem beschreibt sie ja etwas, was jedes Kind im Aufwachsen in sich hat und sich wiederholt. Das Kind muss die Welt immer wieder neu entdecken – das kann man ja nicht vererben. Und diese Gefühle, die sind geblieben."
    "Ein neues Bullerbü"
    Könnte man also sagen, dass sich die Gefühle junger Menschen und die zeitlos schönen schwedischen Landschaften jenseits der urbanen Zivilisation, von denen Astrid Lindgren erzählt, in den neuen Geschichten, zum Beispiel in den Kinderbüchern der jungen Autorin Frida Nilsson, widerspiegeln?
    Nilsson: "Als ich ein Kind war, hab ich sie alle gelesen. Und die Filme gesehen. Deshalb haben mich die Bücher Astrid Lindgrens wirklich inspiriert. Vor allem die heiteren Geschichten aus dem Alltag, wie "Wir Kinder aus Bullerbü" und "Madita", also Alltagsgeschichten, die so heiter sind, wie es kleine, sehr dramatische Alltagsgeschichten eben sein können."
    Und wie sieht der – nicht mit Frida verwandte – Altmeister der schwedischen Kinderliteratur, Ulf Nilsson, die Geschichten Astrid Lindgrens im Hier und Jetzt?
    "Ich hab Bullerbü geliebt, ich liebe es immer noch! Aber irgendwie muss man heute ein neues Bullerbü entdecken, eine Stadt Bullerbü, die einem diese Art Geborgenheit und Sicherheit bietet wie der alte Ort, wo man ringsum Leute treffen und Interessantes erleben kann, nur eben mitten in der Stadt, in der U-Bahn und wo auch immer."
    Und Rose Lagercrantz' Verbindung zu Astrid Lindgren?
    "Ich beruf mich – ich liebe Astrid Lindgren. Sie war die Sonne in meinem Leben."
    Kutsch: "Ros ist Ros. Die schreibt ihre eigenen Geschichten und weist es auch weit von sich, wenn ein Verlag den Versuch machen würde, in Anlehnung an irgendeinen Astrid-Lindgren-Satz, auf ihre Geschichte zu kleben. Ros ist Ros. - Die Wärme. Die Farbigkeit, die Rose Lagercrantz in dieser ganz einfachen Sprache schafft. Die Bilder, die entstehen, das sind S-P-O-Sätze, Subjekt-Prädikat-Objekt, eben für Leseanfänger. Und das ist die Kunst: da Leben hineinzubringen. Und das ist das Schwere für den Übersetzer: das ins Deutsche rüberzuholen. Sie beschreibt Kinder – die werden lebendig, also für mich werden die lebendig, für mich sind sie lebendig. Die Dunne kann ich anfassen."
    "Da ist Dunne wieder! Dunne, die so glücklich ist. / Manchmal auch unglücklich, aber das zählt sie nicht. / Unglück hält sie nicht aus, Unglück macht sie kaputt. Deshalb schreibt sie für alle traurigen Geschichten einen neuen Schluss."
    Lagercrantz: "In die zwei ersten Bücher ist sie immer durchgekommen und ist immer wieder glücklich geworden. Aber in diesem dritten Buch - alles ist so gut und dann klopft es auf die Tür. Die Sekretärin kommt und sie sagt: 'Etwas ist geschehen, Dunne. Dein Vater hat einen Unfall gehabt.'"
    Kutsch: "Es schnürt einem wirklich das Herz zusammen oder den Bauch zusammen, wenn man so was übersetzen muss. Die Geschichte geht natürlich gut aus und Dunne ist es auch, die den Vater wecken kann, indem sie einmal kurz 'Papa!' brüllt. - Das Schwierige an diesen Geschichten ist die Einfachheit – die schwedische Einfachheit, die im Deutschen nicht so akzeptiert werden würde, wenn man's eins zu eins ... übersetzen würde – was man eigentlich kann."
    Keine Liebe für langweilige Bücher
    Es gibt sie also noch, die schwedischen Kindergeschichten, die das Helle beleuchten und trotzdem die Dunkelheit nicht aussparen – so wie es einst Astrid Lindgren, gerade in ihren komplexeren Geschichten so wunderbar vorgezeichnet hat, in "Die Brüder Löwenherz", etwa, in "Mio, mein Mio" oder auch in "Ronja Räubertochter". Gerade haben auch in Schweden allerdings ziemlich zweidimensionale Geschichten für Kinder riesigen Erfolge - wie die Erstlese-Reihe "Detektivbüro Lasse-Maja" (natürlich lässt Kalle Blomquist grüßen) und Katarina Mazettis Abenteuer der Karlsson-Kinder.
    Lagercrantz: "Es gibt nur eine Sache für ein gutes Buch: Du liebst es. - Das ist das Einzige. Und wenn du nicht solche Bücher vorhältst, sondern bloß langweilige Bücher, dann gewöhnen sich die Leser, aber es hat nicht mehr mit Liebe zu tun. Es hat bloß mit Geschäft zu tun."
    Es finden sich neben dem Lesefutter aber auch Kinderbücher, die sich eben diesen Licht- und Schattenseiten des kindlichen Lebens auf verständliche, einfühlsame, witzige und hoffnungsvolle Weise nähern, ohne dass man den Eindruck hätte, hier würde versucht, Astrid Lindgrens Welt oberflächlich zu reanimieren. Zum Beispiel bei Rose Lagercrantz' Dunne-Geschichten vom glücklichen Leben. Zum Beispiel in den Hedvig-Geschichten Frida Nilssons, die bei uns vor allem mit dem Jugendliteraturpreis-nominierten "Ich, Gorilla und der Affenstern" bekannt wurde. Der dritte Hedvig-Band, "Die Prinzessin von Hardemo", ist in diesem Jahr bei uns erschienen. - Hedvig kommt in die dritte Klasse und wird gleich am Anfang mit zwei unerwarteten Ereignissen konfrontiert. Zum einen mit einem neuen, humorlosen Ersatzlehrer, nachdem ihr Klasslehrer gleich am ersten Schultag einen Nervenzusammenbruch erleidet. Zum anderen mit einer neuen, lockenköpfigen Mitschülerin, die aus Ulk gleich auf ihrem Schoß Platz nimmt. Bis Hedvig mit großem Erschrecken feststellt, dass das Mädchen ein langhaariger Junge ist, Olle. Und dann kann der auch noch keine Schleifen binden! Die beiden werden zum Gespött der ganzen Klasse und natürlich zum Liebespaar wider Willen.
    "Der Freitag ist kalt und frisch. Mit trockenen Bärten hängen die Hagebutten von ihren Zweigen. Bald lassen sie los, kullern auf den Boden und werden vergessen. Auf dem Friedhof in Hardemo spaziert eine einsame Dohle herum. Sie hat ihre Familie verloren. Sie gähnt und sucht mit dem Schnabel nach etwas Essbarem. Ab und zu schaut sie zur Schule und denkt, dass sie dieses Lied, das die Kinder da drüben singen, schon mal gehört hat: 'Hedvig Olle Liebespaar! Hedvig Olle Liebespaar! Hedvig Olle Liebespaar!'"
    Frida Nilsson: "Ich bin wie Hedvig aufgewachsen, mitten im Wald – ohne Nachbarn, ohne Geschwister, nur mit einem Haufen Bücher. Das ist eine Geschichte über meine Kindheit."
    Wie haben die Geschichten Astrid Lindgrens Frida Nilsson inspiriert?
    "Als ich zu schreiben begann, ließ ich mich von ihren heiteren Geschichten inspirieren. Hedvigs Charakter ähnelt sehr dem von Madita. Ganz klar, dass Astrid Lindgrens Figuren in mir weiterleben."
    Ist das Leben seit Astrid Lindgrens Tagen komplizierter geworden?
    "Offensichtlich konnte auch in den Zeiten, über die Astrid Lindgren schreibt, das Leben die Hölle sein. Aber sie fand einen Weg, die Geschichten heiter zu erzählen und kleine Welten zu finden, in denen es nicht so dunkel ist oder das Dunkle gar keine Chance hat."
    Kutsch: "Die sind ja hell, all die Sommergeschichten, die leuchten doch! Wie oft regnet es eigentlich in schwedischen Sommerbüchern? Da scheint ja immer die Sonne – ich sag das jetzt einfach so."
    Frida Nilsson: "Für mich ist wichtig, eine ganz persönliche Welt zu schaffen, wenn ich schreibe, eine Welt, die irgendwie vollkommen ist und in die kein Fremder eindringen kann. Damit meine ich nicht die Leser. Wie soll ich sagen? Jedes Buch, das dein Herz berührt, ist wie ein eigenes Universum. Und meine Hedvig-Welt ist vielleicht etwas heiterer als meine späteren Geschichten, zum Beispiel mein jüngstes Buch, das nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Das ist im Vergleich zu Hedvigs Welt sehr dunkel."
    Zu dunkle Geschichten?
    Interessant ist die Frage nach dem Grad der Dunkelheit, der in einer Geschichte für Kinder – nach Vorstellung der Verlage - herrschen darf. Denn eigentlich hat Frida Nilsson vier Hedvig-Bücher geschrieben, aber nur drei sind in Deutschland erschienen.
    "Interessant ist, dass Gerstenberg sich entschieden hat, den dritten Band, der in Schweden erschienen ist, nicht zu veröffentlichen, weil er ihnen zu dunkel ist. Hedwigs Großmutter ist gestorben und das beschäftigt Hedwig sehr, weil sie zuerst glaubt, sie sei daran schuld. Am Ende erkennt sie natürlich, dass dem nicht so ist und bildet sich eine eigene Meinung über den Tod."
    Kommen wir zu den sonnigeren Wintergeschichten aus Schweden, zu Kommissar Gordon und seiner eifrigen und lernbegierigen Assistentin. Die kleine Geschichte aus einem schwedischen Winterwald – für ganz junge Leser - wurde von Ole Könnecke übersetzt und von Gitte Spee mit wunderschön kolorierten Strichzeichnungen und dezentem Hintergrund in Szene gesetzt. - Nein, wir befinden uns nicht in einem weiteren Schwedenkrimi im Gefolge von Wallander & Co. Kommissar Gordon ist ein stattlicher Kröterich, Chef einer Polizeistation mitten im Wald - langsam, bedächtig, sorgfältig in seinen polizeilichen Gedankengängen, aber auch leicht amtsmüde, denn er steht kurz vor der Pensionierung. Im Lauf der Geschichte wird er eine kleine, sehr vertrauenswürdige Maus kennenlernen und sie zu seiner Assistentin und später zu seiner Nachfolgerin machen.
    Ulf Nilsson: "Er hat viel zu tun und er ist wie ich. Er trägt einen kleinen Bauch vor sich her, er liebt Plätzchen und ist deshalb auch ein bisschen fett. Und er will nicht zuviel arbeiten. Deshalb gefällt es ihm gar nicht, als er einen neuen Fall klären muss. Eigentlich hofft er, dass sowohl Verbrechen als auch Strafen aus der Welt verschwinden."
    Ein Winterabend im tief verschneiten Wald. Ein aufgeregtes Eichhörnchen betritt die Polizeistation und findet den Kommissar an seinem Schreibtisch sitzend.
    "Kommissar Gordon schlief. Er lag auf dem wichtigen Papier, das Gesicht mitten in einem kleinen Haufen Krümel. Sein Mund war offen und er schnarchte. Aus dem einen Mundwinkel lief ein bisschen Spucke auf das wichtige Papier. / 'Hu', sagte das Eichhörnchen noch einmal leise. / Der Kommissar zuckte zusammen, brummte ein bisschen und leckte sich im Schlaf die Lippen. Dann rieb er sich die großen runden Augen. Plötzlich schien er hellwach zu sein. / 'Ich habe überhaupt nicht geschlafen!', sagte er schnell. 'Ich habe gerade etwas Wichtiges geschrieben.'"
    Das Eichhörnchen meldet höchst wortreich den Diebstahl von Nüssen aus seinem Wintervorrat. Damit beginnt eine mühsame Spurensuche im Winterwald, bei der der Kommissar auch schon mal richtig eingeschneit und von einem namenlosen Mäuschen wieder ausgebuddelt wird. Der Kommissar wird es Buffy nennen. Buffy greift ihm nicht nur unter die Arme, unterstützt nicht nur seine Gedankengänge, sondern wird auch Partner in einem lieb gewonnenen Ritual des Kommissars: Der Teestunde, in der köstliche Muffins verzehrt werden, je nach Tageszeit mit verschiedenen Füllungen. - Jetzt mag sich mancher fragen: Wo ist da die dunkle Seite der Geschichte? - Ulf Nilsson erzählt von der Begegnung mit einer Schülerin. Er unterstützte das Mädchen dabei, aus einer Idee heraus eine Geschichte zu schreiben.
    "Und ich hab gefragt: 'Wie kommst du auf diese Idee?' Und sie hat geantwortet: 'Auf dem Weg hierher haben wir ein totes Eichhörnchen auf der Straße gefunden. Wir haben es im Wald begraben.' Und dann hat sie eine Geschichte geschrieben, in der sie dem kleinen Eichhörnchen helfen konnte. Ist das nicht wundervoll! Dass man mit einer Geschichte die Realität verändern, das Eichhörnchen wieder lebendig werden lassen kann und es dir sogar dabei hilft, von Ast zu Ast zu fliegen! - Darin liegt die Kraft von Geschichten. Und ich glaube, dass ich Kindern dabei helfen kann, diese Kraft zu finden und ihre Möglichkeiten zu nutzen, selbst wenn es nur in der Fantasie ist."
    Eine inspirierende Landschaft
    Dunkle Seiten gibt es auch in den Geschichten Ulf Nilssons – man denke nur an die wunderbaren Bücher über den Tod, "Adieu, Herr Muffin" und "Die besten Beerdigungen der Welt". Die Tiefe von dunklen Seiten wird vielleicht nur für erwachsene Leser sichtbar. Jedenfalls stehen Probleme am Anfang jeder Erzählung. Der Diebstahl von vermutlich überlebenswichtigem Wintervorrat. Ein alternder Kommissar, der auch schon mal lebensbedrohlich zugeschneit wird. - Aber, keine Sorge: Mit Rose Lagercrantz, mit Frida Nilsson und anderen Kinderbuchautoren in der Nachfolge von Astrid Lindgren teilt er eine wahrhaftige Herzensangelegenheit: Eingebettet in die zeitlos schöne schwedische Landschaft abseits der Zivilisation, inspiriert diese Herzenssache die schwedischen Schriftsteller immer wieder auf eine ganz besondere Weise.
    Und was wird nun aus dem amtsmüden Kommissar Gordon, in dem unschwer Ulf Nilsson zu erkennen ist? Fall Nummer Zwei kommt bei uns bald in die Buchhandlungen. "Kommissar Gordon – Der letzte Fall". - Und das war's?
    "Als ich die zweite Geschichte schrieb, hab ich immer wieder daran gedacht, dass ich jetzt 65 bin und mich zur Ruhe setzen kann. Und dann wurde mir ziemlich langweilig und mir fiel ein, dass ich ja noch eine dritte Geschichte schreiben könnte, 'Ein Fall in jedem Fall', wo der Kommissar zurückkehrt und dabei hilft, ein Rätsel um ein paar Kinder zu lösen, die aus dem Kindergarten verschwunden sind."
    Ganz so sang- und klanglos überlassen die schwedischen Autoren aus der Folgegeneration von Astrid Lindgren ihre jungen Kollegen und Kolleginnen nicht den Gesetzen der Natur und den Gesetzen des Marktes. Mentoren sind nach wie vor nötig. Für Jungkommissarinnen wie Buffy genauso wie für Schriftsteller der jüngeren Generation, wie Frida Nilsson. Wer sonst, wenn nicht die Senior Advisors erzählen uns noch leibhaftig von den Schönheiten und Schattenseiten der analogen Welt. Und von den Gefahren, die drohen, wenn die Kinder- und Jugendliteratur immer mehr in die Hände von Marketingstrategen geraten sollte.
    Literaturliste:
    Astrid Lindgren: Tomte Tummetott. Mit Bildern von Kitty Crowther, Deutsch von Silke von Hacht, Oetinger, Hamburg 2014, o.P., 12,99 Euro
    Weihnachten mit Astrid Lindgren. Die schönsten Geschichten von Pippi Langstrumpf, Michel, Madita, den Kinder aus Bullerbü u.a., Oetinger, Hamburg 2014, 256 S., 22,95 Euro
    Dazu die gleichnamige Audio-CD, Oetinger Media 2014, 192 Minuten, 19,99 Euro
    Frida Nilsson: Hedvig! Die Prinzessin von Hardemo. Mit Bildern von Anke Kuhl. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Gerstenberg, Hildesheim 2014, 170 S., 12,95 Euro
    Rose Lagercrantz: Alles soll wie immer sein. Mit Bildern von Eva Eriksson. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch, Moritz, Frankfurt a.M. 2015 (erscheint im Februar!), 128 S., 11,95 Euro
    Ulf Nilsson: Kommissar Gordon – Der erste Fall. Mit Bildern von Gitte Spee. Aus dem Schwedischen von Ole Könnecke, Moritz, Frankfurt a.M. 2014, 110 S., 11,95 Euro
    Pernilla Oljelund: Elfrid & Leo. Das Fußballweihnachtswunder. Mit Bildern von Susanne Göhlich. Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer, Gerstenberg, Hildesheim 2014, 136 S., 12,95 Euro