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Schweden
Nur noch wenige Geburtskliniken im Norden

Die Kleinstadt Sollefteå ist in ganz Schweden ein Begriff. Sie steht stellvertretend für viele kleinere Gemeinden, bei denen an der Gesundheitsversorgung gespart wird. In Sollefteå traf es die Entbindungsstation. Die Bewohner wollen das nicht hinnehmen.

Von Randi Häussler | 04.04.2017
    Ein Frühchen in einem Brutkasten
    Ein Frühchen in einem Brutkasten (dpa / picture alliance)
    Das kleine Mädchen in ihren Armen ist gerade mal 24 Stunden alt. Emma Andersson hat ihr Baby im Auto bekommen, am Straßenrand, auf dem Weg zur Entbindungsklinik. Draußen: Minusgrade und Schnee. Emmas Lebensgefährte Jim Bylund saß am Steuer:
    "Ich habe mich schon in Sollefteå drauf vorbereitet, dass es auf dem Weg passieren kann. Wir hatten immerhin 120 Kilometer vor uns, und ich ahnte schon, dass das knapp werden könnte."
    Es ist gerade mal ein paar Wochen her, da wurde die Entbindungsstation von Sollefteå aus Kostengründen geschlossen. Emma Andersson kann nicht fassen, dass sie deswegen ihr Kind im Auto bekommen musste.
    "Zum Schluss ging es nicht mehr. Jim musste auf einen Rastplatz fahren. Eine Presswehe – und dann hat Jim die Kleine aufgefangen."
    Kurze Zeit später dann war der Rettungswagen da. Zum Glück: Das Baby ist gesund, und Emma zumindest körperlich ok. Doch sie ist geschockt – und wütend.
    Sollefteås Bewohner fühlen sich im Stich gelassen
    Und damit ist Emma nicht allein. Seit über eineinhalb Jahren haben die Menschen in der Region immer wieder gegen die drohende Schließung demonstriert, einmal waren es sogar 15 000. Nun halten einige Unermüdliche die geschlossene Entbindungsstation besetzt.
    Darunter auch Sofia Byström. In ein paar Wochen bekommt sie ihr zweites Kind. Sie wird, wenn die Wehen einsetzen, über eine Stunde lang im Auto sitzen müssen. Damit hat sie es sogar vergleichsweise nah – Schwangere aus den nördlichen Teilen der Region müssen künftig bis zu 200 Kilometer fahren.
    "Man hat uns im Stich gelassen! Die Politiker haben gesagt, dass diese Entbindungsstation bestehen bleiben würde. Wir sind hier aufgewachsen, planen unser Leben hier, und dazu gehört diese Geburtsklinik!"
    Kurz nach der Entbindungsstation wurde auch die akute Chirurgie in Sollefteå geschlossen. Sebastian Gunesson ist einer der Initiatoren der Proteste. Er findet, dass die Entscheidungen der Politik bestimmten Regionen in Nordschweden den Nerv abklemmen.
    "Junge Familien können sich nicht an Orten niederlassen, an denen sie sich nicht sicher fühlen. Sicherheit ist das Wichtigste, was man seinen Kindern geben kann. Es spielt keine Rolle, ob du 1 oder 500 Mal im Leben im Krankenhaus bist. Krankenversorgung ist Sicherheit und Zivilisation, und das ist es, was wir haben wollen."
    Doch nicht um jeden Preis, scheinen die regierenden Politiker des westlichen Nordlands zu denken. Der sozialdemokratische Regionalrat Erik Lövgren verweist auf das wirtschaftliche Minus, das die vorherige bürgerliche Regierung hinterlassen habe. Die Schließung der Entbindungsstation in Sollefteå: finanziell notwendig.
    "Wenn im Durchschnitt weniger als ein Kind pro Tag geboren wird, wir aber die Logistik dafür 24 Stunden, 7 Tage die Woche bereitstellen sollen, das ganze Jahr über, dann kann man doch zu dem Schluss kommen, dass die Schließung eine passende Maßnahme ist."
    Alternative: Geburt im Auto
    Zwei Hebammen in Sollefteå wollen nun immerhin die Sorge der werdenden Eltern vor der weiten Autofahrt etwas mildern. Zu ihrem Kurs mit dem Thema "Autogeburt" haben sich 18 Männer und Frauen angemeldet, unter ihnen auch Sofia Byström, die ein paar Tage vorher noch im Krankenhaus demonstriert hatte.
    Sie und die anderen werdenden Eltern stehen an diesem kalten Spätwinterabend um ein Auto herum. Im Auto hilft Maria Dahlberg, Hebamme, einer Gebärpuppe bei der Geburt. Einer der werdenden Väter packt mit an.
    "Wir lösen den Sicherheitsgurt der Mama, machst du mal? Dann ziehst du ihr die Unterhose aus, sollte sie das nicht selbst können. Gut! […] Ihr könnt ganz viele Decken in den Fußraum legen. Falls das Baby fällt, landet es weich. So. Jetzt die Füße hier oben gegen das Armaturenbrett."
    Das Standlicht und den Warnblinker sollen sie anmachen, erklärt Maria Dahlberg. Damit andere Autos und der Rettungswagen sie am Straßenrand sehen.
    "Jetzt spürt die Mama großen Druck, und sie möchte pressen. Meist geht es dann sehr schnell... und da ist es! Willkommen auf der Welt! Jetzt das Kind gut abtrocknen und zu Mama auf die Brust. Mama ist die beste Wärmequelle!"
    Sofia Byström ist nach dem Kurs zumindest etwas beruhigt. Nach wie vor hofft sie natürlich, es rechtzeitig ins Krankenhaus zu schaffen.