Sonntag, 05. Mai 2024

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Schwedens Votum gegen den Euro

Meurer: Bis vor einer Woche hatte es in allen Umfragen in Schweden eine klare Mehrheit gegeben gegen die Einführung des Euro. Aber dann wurde Außenministerin Anna Lindh ermordet, und viele hielten es für möglich, dass es sozusagen einen Sympathieschub für die Euro-Befürworter geben könnte. Es kam aber anders: 56 Prozent der Schweden haben gestern Nein gesagt und nur 42 Prozent Ja. Darüber möchte ich mich unterhalten mit Jörn Gallwitz, dem Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer. Herr Gallwitz, haben Sie mit einem so klaren Nein gegen den Euro gerechnet?

15.09.2003
    Gallwitz: Nein, das habe ich tatsächlich nicht, denn auch die letzten Prognosen am Wahlabend zeigten doch deutlich, dass es nicht zu einer so überzeugenden Mehrheit des Neins kommen würde.

    Meurer: Jetzt gibt es ja zwei Möglichkeiten: Ohne den Mord an Anna Lindh wäre es noch deutlicher geworden, oder diese schreckliche Tat hat keinen Einfluss gehabt auf die Entscheidung. Was glauben Sie?

    Gallwitz: Ich glaube nicht, dass der furchtbare Mord an Anna Lind die Wahl in irgendeiner Weise beeinflusst hat. Wir glaubten zwar, dass eine stärkere Beeinflussung erfolgen würde, insbesondere derjenigen, die bis zuletzt unsicher waren und ihre Stimme dann aus Sympathie abgeben würden für ein Ja. Das hat sich aber nicht bewiesen.

    Meurer: Hat die Wahlbeteiligung vielleicht doch höher gelegen, durch die Ereignisse bedingt?

    Gallwitz: Ja, das glaube ich hingegen, dass die Wahlbeteiligung durch den Mord noch höher war als ursprünglich angenommen.

    Meurer: Was bedeutet das?

    Gallwitz: Eigentlich glaube ich - und das ist auch der Hintergrund der Niederlage der Euro-Befürworter -, dass es im Grunde ein ganz deutliches Nein zur Vormundschaft des sogenannten Etablissements gewesen ist. Schweden ist ja im Grunde immer sehr linientreu gewesen in allen wichtigen Fragen und ist eigentlich immer der sozialdemokratischen Regierung gefolgt. In diesem Falle aber hat insbesondere auch die taktische Unklugheit von Ministerpräsident Persson, einigen seiner Minister, die auf der Nein-Seite standen, den Mund zu verbieten, natürlich das schwedische Volk außerordentlich gestört. Hier war es also im Grunde ein Ausdruck des freien Wortes, der freien Diskussion, für Demokratie und gegen Vormundschaft des Etablissements.

    Meurer: Woher kommen diese Ressentiments der kleinen Leute gegen das Etablissement?

    Gallwitz: Ein bisschen durch die zunehmende Ohnmacht, dass es ohnehin über die Köpfe der Bevölkerung geht. Wir haben in den ganzen letzten Jahren eigentlich schon eine weitere Entfernung zwischen Politik und Bevölkerung gespürt.

    Meurer: Ist also die vorbildliche Demokratie, wie wir sie in Schweden vermuten, eher ein schöner Schein?

    Gallwitz: Ich glaube, die vorbildliche Demokratie ist ganz besonders durch dieses Nein zum Ausdruck gekommen. Man spricht sich einfach gegen das Etablissement aus und sagt: Nein, hier lassen wir uns nicht überfahren. Sehr deutlich auch die Unterschiede der Geschlechter: Stark war, dass über 58 Prozent aller Frauen Nein gesagt haben, während auf der Männer-Seite doch eher ein stärkeres positives Signal gehört wurde.

    Meurer: Nun war ja die Wirtschaft eindeutig für den Euro, also mit Sicherheit auch Ihre Deutsch-Schwedische Handelskammer. Was hat das jetzt für Folgen?

    Gallwitz: Ich glaube, es wird zunächst einmal keine so dramatischen Folgen haben. Sicher wird die Krone sich zeitweise etwas abschwächen. Auch das Zinsniveau dürfte in nächster Zeit in Schweden etwas höher liegen. Gewisse Bedenken haben wir seitens der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, dass sich die ausländischen Investitionen in Schweden, die in den letzten Jahren extrem hoch gewesen sind, etwas abschwächen werden. Vielleicht nicht so sehr seitens der Direktinvestitionen aus den Euroländern, zunehmend aber vielleicht aus den außereuropäischen Ländern wie insbesondere Japan und China. Was die Engländer ja sehr deutlich gespürt haben, dass gerade japanische Firmen ihre Investitionen in Großbritannien zurückgefahren haben zum Vorteil der Euroländer.

    Meurer: Was hätte denn umgekehrt die Einführung des Euro für Schweden gebracht?

    Gallwitz: Sie hätte, um auf die Direktinvestitionen aus dem Ausland zu kommen, vermutlich einen zusätzlichen Antrieb gegeben, denn jede Investition ist ja auch ein Kostenrisiko, wenn verschiedene Währungen am Platz sind.

    Meurer: Nun haben wir ja in den letzten Monaten eine Diskussion in Brüssel und innerhalb der Europäischen Union, dass vor allen Dingen Frankreich und Deutschland die Defizitgrenze sprengen und sich auf der Sünderbank wiederfinden. Glauben Sie, dass das in Schweden die Entscheidung negativ beeinflusst hat?

    Gallwitz: Ja, das glaube ich. Das ist ja auch gerade in der Wahldebatte sehr stark herausgetreten und deutlich gemacht worden. Die Nein-Seite hat natürlich sehr damit argumentiert, dass eben die Defizite und die schwierige Situation in Deutschland und in Frankreich letztlich vom Euro verursacht worden sind. Die Ja-Seite hat es nicht vermocht, klare, deutliche Argumente dagegen zu setzen. Man hat zwar immer wieder gesagt: Nein, das sind strukturelle Dinge, die nichts damit zu tun haben. Das hat aber die Wählerschaft einfach nicht geglaubt.

    Meurer: Wird Schwedens Gewicht in Brüssel abnehmen, Herr Gallwitz?

    Gallwitz: Das ist schwer zu sagen. Schweden gehört immerhin zu den Nettozahlern und ist insofern ein wichtiger Partner in der Union. Man soll ohnehin nicht die Bedeutung Schwedens überschätzen. Ich glaube, die Schweden überschätzen die Bedeutung ihrer eigenen Position etwas. Man hat zwar auf Schweden gehört, Schweden ist aber mit 9 Millionen doch ein nur kleiner Teil Europas.

    Meurer: Die Schweden sagen Nein zum Euro. Das war Jörn Gallwitz, der Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer.

    Link: Interview als RealAudio