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Schweinefleisch-Diskussion
"Mythen einer angeblichen Unterwerfung"

Zwei Leipziger Kindergärten wollten Schweinefleisch vom Speiseplan nehmen - eigentlich allenfalls eine Lokalnachricht, dann wurde eine Debatte um Islamisierung daraus. Die Kitas erhielten Drohungen. Die Publizistin Liane Bednarz hält die Entscheidung der Kita für falsch, warnt aber vor rechter Panikmache.

Liane Bednarz im Gespräch mit Christiane Florin | 02.08.2019
Eine Schweinshaxe mit einem Schild 36 Kilo pro Jahr.
Die Deutschen und das Fleisch: 36 Kilo Schweinefleisch pro Kopf und Jahr werden hierzulande verzehrt. (Deutschlandradio / Constanze Lehmann)
Christiane Florin: Wer sich Elternabenden in Kindergärten und Schulen aussetzt, dürfte mitbekommen: Das Essen ist immer ein Erregerthema. Aber was eine Speiseplanänderung in zwei Leipziger Kitas ausgelöst hat, ist mit dem Wort Erregung verharmlosend umschrieben. Seit bekannt wurde, dass, wie es in der Begründung heißt, aus "Respekt vor einer sich verändernden Welt" dort kein Schweinefleisch mehr angeboten werden sollte, kocht die Volksseele – jedenfalls ließen Medien und Wortmeldungen von Politikerinnen und Politikern diesen Eindruck entstehen. Beatrix von Storch von der AfD schrieb: "Kinder ohne Currywurst? Wir sehen hier ein klares Zeichen der Unterwerfung vor muslimischen Migranten." Unterwerfung – da lässt Michel Houellebecq grüßen. Aber nicht nur aus der AfD, auch aus der Union kamen Kapitulationsfantasien.
Am Dienstag dieser Woche erklärte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung auf facebook, wer tatsächlich bedroht wird. Er zitierte aus der Post, die bei den Kindergärten einging: "Frau, sie führen sofort wieder Schweinefleisch ein, bis 30.7. ansonsten wird die Kita abbrennen, wenn auch zum Nachteil der Kinder", heißt es in einer Zuschrift.
Ich bin jetzt mit der Publizistin Liane Bednarz verbunden. Sie hat in ihrem 2018 erschienenen Buch "Die Angstprediger" untersucht, wie das Abendland verteidigt wird. Frau Bednarz, zwei Kindergärten nehmen Schweinefleisch vom Speiseplan. Das klingt erst einmal nach einer Petitesse, bestenfalls nach einer Lokalgeschichte. Warum zieht das solche Kreise?
Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz 
Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
Liane Bednarz: Das zieht deshalb solche Kreise, weil das ein Zeichen einer viel übergreifenderen Debatte ist. Es geht im Grund um die Frage: Wie leben wir friedlich miteinander in der Gesellschaft zusammen, wie handeln wir Integrationsprozesse aus? Das kulminiert in der Frage: Inwieweit wird Rücksicht genommen auf muslimische Essegewohnheiten in bestimmten öffentlichen Einrichtungen? Und, das haben Sie auch angesprochen: Es berührt die Mythen einer angeblichen Unterwerfung unter den Islam, einer "Islamisierung". Das wird schon seit Jahren geschürt. Diese Panikmache kann jetzt perfekt an diesen Debatte andocken. Man sieht eben auch, wie die AfD versucht das auszuschlachten.
Florin: Nehmen wir an, es wären Milchprodukte vom Speiseplan genommen worden, weil einige Kinder Laktose nicht vertragen. Milch ist anscheinend nicht identitär, Schweinefleisch offenbar schon, weil es etwas mit Religion zu tun hat – kann man es so sagen?
"Wäre es nur um Laktose gegangen, wäre das niemals hochgekocht"
Bednarz: Ja, das hat primär sogar mit dem Verhältnis zum Islam zu tun. Wäre es nur um Laktoseprodukte gegangen, wäre das niemals so hochgekocht. Etwas Anderes wäre es gewesen, wenn man jetzt vegetarische Ernährung per se eingeführt hätte. Das hätte vielleicht auch zu Empörung geführt, aber ohne diesen religiösen Kontext.
Florin: Immer wieder gibt es Konflikte um Kitas, zum Beispiel auch, wenn aus dem Martinsfest, dem Martinszug ein Sonne-Mond-und-Sternefest oder ein Laternenfest gemacht wird. Sie haben das in Ihrem Buch beschrieben. Auf wie viele Kindergärten trifft das eigentlich zu?
Bednarz: Diese Fälle sind verschwindend gering. Diese Martinszüge, diese Umbenennung hat die "Welt" 2015 untersucht. Diese Fälle sind gering. Aber sie werden gern instrumentalisiert, um daraus eine Islamisierung abzuleiten. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass natürlich im konkreten Einzelfall man schon darüber streiten kann, ob diese Maßnahmen sinnvoll sind oder nicht.
Die Frage konkret bei diesen Kitas in Leipzig, bei dieser aufgeheizten Stimmung, setzt es vielleicht schon ein falsches Signal, wenn man sagt: Schweinefleisch wird in toto nicht mehr ausgegebenan die Kinder. Es stimmt ja nicht, dass es verboten ist. Im Prinzip könnten die Eltern ihren Kindern Schweineschnitzel mitgeben. Aber dass man sagt, es wird per se nicht mehr angeboten, weil es zwei muslimische Mädchen von insgesamt 300 Kindern betrifft - da bin ich mir nicht sicher, ob das nicht doch unverhältnismäßig ist und die einfachere Variante dann nicht doch wäre, an den wenigen Tagen, an denen es Schweinefleisch gibt, dann für diese Kinder anderes Essen zur Verfügung zu stellen.
"Man sucht sich solche Beispiele und kocht sie hoch"
Florin: Also da hätte der Kindergarten Rücksicht nehmen sollen auf die öffentliche Diskussion und auf die mögliche Instrumentalisierung?
Bednarz: Ich meine schon. Und man muss auch sehen, das hat der Leiter der Kita ja selber gesagt: Es gab schon eine Handvoll Eltern - die hat er als Hardliner bezeichnet -, die dagegen waren. Man sollte vielleicht schon überlegen, wenn man eine solche Entscheidung trifft, die Eltern stärker ins Boot zu holen. Ich will damit in keiner Weise rechtfertigen, was die AfD jetzt daraus macht, aber dennoch ist die Entscheidung sehr weitgehend. Es betrifft typische Gerichte, die Kinder gerne essen, sei es die Bratwurst oder das Schnitzel oder Frikadelle. Das fällt alles weg.
Florin: Sie haben es kurz ewähnt: Es war kein Verbot, aber mit dem angeblichen Verbot wird Politik gemacht. Wie überhaupt die Vorstellung, es werde etwas verboten, es gebe Sprech- und Denkverbote sehr wirkmächtig ist.
Bednarz: Ja, das ist in der Tat wirkmächtig. Ich habe das Gefühl, man sucht sich regelrecht solche Beispiele in rechten Kreisen und kocht sie dann hoch. Das Gleiche: Es gibt in Elmshorn einen Lichtermarkt zu Weihnachten, der heißt schon immer so, weil es spektakuläre Beleuchtung gibt. Da wurde vor zwei Jahren zur Winterzeit auch eine Debatte losgetreten, das sei Islamisierung. Das ist so'n bisschen das Problem. Ich glaube, man muss versuchen solche Debatten seriös zu führen, das Für und das Gegen abwägen. Damit kann man solchen Debatten viel Wind aus den Segeln nehmen.
Florin: Wir reden aber nicht nur über rechte Scharfmacher, wir sprechen auch über die CDU/CSU, die auch Sprüche raushaut wie: "Jeder soll nach seiner Facon satt werden können".
Bednarz: Ja genau, das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz, da mit irgendwelchen plakativen Sprüchen zu kommen. Seriös wäre es ja eigentlich sich zu überlegen, wie kann man einerseits - es sind ja nicht nur Interessen, es sind ja wirklich Bedürfnisse, der muslimischen Kinder, sich korrekt im Sinne des Islams zu ernähren -, wie kann man dem gerecht werden und andererseits aber eben auch vielleicht nicht in toto Schweinefleisch verbannen. Aber diese Sprüche, da gebe ich Ihnen recht, die heizen die Debatte auf.
Wenn Herr Dobrindt zum Beispiel sagte, wer Gummibärchen als Integrationshindernis sieht, nur weil Schweinefleisch in der Gelantine ist, dem sei der kulturelle Kompass verrutscht. Da fragt man sich schon: Was soll so ein Spruch? Der heizt die Debatte ja noch weiter an.
"Feindbild seit Jahren aufgebaut"
Florin: Die Kitas sind in Leipzig, in Sachsen, dort sind gut 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner evangelisch, 4 Prozent katholisch, Muslime, eigentlich kaum messbar, ein halbes Prozent, habe ich in einer Statistik gefunden, also Religion insgesamt ist ein Minderheiten-Phänomen. Warum diese Wirkung eines religionspolitischen Themas?
Bednarz: Das liegt ganz schlicht und ergreifend daran, dass eben dieses Feindbild Islam leider in den letzten Jahren von rechtsgerichteten Kreisen doch sehr sehr aufgebaut wurde. Ich erinnere auch an diese ganze Debatte "Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht"? Die Unterwerfungsdebatte haben Sie auch angesprochen, so dass natürlich, immer dann, wenn es um den Islam geht, werden solche Beispiele dann leider herangezogen, um insgesamt Stimmung zu machen. Das ist eine der entscheidenden Faktoren. Und die AFD macht ja gerne Stimmung gegen den Islam als solchen.
Florin: Haben Sie den Eindruck, mit Fakten zum Beispiel mit Zahlenverhältnissen oder in dem man etwas ins Verhältnis setzt, aber auch mit Argumenten, in dieser Debatte etwas zu erreichen?
Bednarz: Es hängt ein bisschen von dem Gegenüber ab. Wenn das Gegenüber, mit dem man debattiert oder wenn man mit jemandem öffentlich debattiert und Leute zuhören, wenn die Leute bereit sind, sich auch selber und ihre Vorurteile zu hinterfragen, dann kann man tatsächlich mit Aufklärung viel erreichen. Gerade auch zu sagen, dass diese angebliche flächendeckende Umbenennung von Weihnachtsmärkte in Wintermärkte oder den Sankt Martinsumzügen, dass das statistisch einfach nicht nachweisbar ist. Das nehmen Leute dann schon auch zur Kenntnis. Aber je radikalisierter die Menschen sind, umso weniger interessiert sie das dann. Ich bin ehrlich gesagt auch immer wieder erstaunt, auch durchaus in Unionskreisen, wie sehr sich gerade diese Beispiele als Mythen der Islamisierung halten.
"Diejenigen, die diffenziert denken, melden sich nicht zu Wort"
Florin: "Legenden", nennen Sie das in Ihrem Buch. Sie waren kürzlich in Sachsen, in Freiberg, haben dort gelesen und diskutiert. Wie wurde dort über Abendland und Islamisierung gesprochen vom Publikum?
Bednarz: Insbesondere in Freiberg waren im Publikum schon in Teilen Anhänger dieses rechten Spektrums darunter, die sich dann in der Diskussion entsprechend zu Wort meldeten. Die Erfahrung, die ich oft mache, ist, dass diejenigen, die differenziert denken, sich nicht unbedingt in Diskussionen zu Wort melden, zumindest dann nicht, wenn Rechte sehr präsent sind. Die sprechen einen dann eher hinterher nach dem Vortrag an und sagen, es sei sehr differenziert gewesen. Insofern kommt es immer ein bisschen darauf an, aber ich glaube, man muss diese Debatten wirklich führen, zumal ja auch sich solche Mythen auch halten und dann Stimmung gemacht wird gegen die Großkirchen.
Es wird immer noch Kardinal Marx und Heinrich Bedford-Strohm. vorgeworfen, dass sie ihre Brustkreuze abnahmen, als sie im Oktober 2016 den Felsendom besuchten, in Israel. Auch da wird nicht differenziert und wird weiterhin behauptet, sie hätten sich "dem Islam unterworfen". Tatsächlich war es so, dass man normalerweise als Nicht-Muslim die Moschee gar nicht betreten kann. Es ging eigentlich eher darum, vor Ort auch Dialog zu suchen. Man hat sie durch den Felsendom, durch die Moschee geführt, von arabischer Seite aus. Man hat beispielsweise auch auf eine Sureninschrift, die auch Jesus Christus erwähnt, hingewiesen. Im Endeffekt diente es der Verständigung und war nicht von beiden so gemeint, dass sie ihren christlichen Glauben verleugnen wollten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.