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Schweinemast-Skandal

Simon: Heute Vormittag wird es spannend im bayerischen Kabinett. Innenminister Beckstein, Justizminister Weiß und Gesundheitsministerin Barbara Stamm berichten über die Ermittlungen gegen zwei Tierärzte aus Niederbayern, die an bis zu 1.200 Schweinemäster illegal wachstumsfördernde Medikamente verkauft haben sollen. Gespannt ist man vor allem auf die Ausführungen von Ministerin Barbara Stamm. Die Landestierärztekammer hat die Ministerin schon vor zwei Jahren detailliert über den illegalen Antibiotika-Handel informiert und Maßnahmen zur Abhilfe vorgeschlagen, ohne dass das Ministerium darauf spürbar angemessen reagierte. Dabei hatte Ministerpräsident Edmund Stoiber erst letzte Woche die Einrichtung eines Ministeriums für Verbraucherschutz angekündigt. Nach der Häufung von BSE-Fällen auf bayerischen Höfen sollte so das Vertrauen in die Landwirtschaft, aber auch in die Politik wiederhergestellt werden. Der Versuch ist nun mit dem Schweinemast-Skandal fürs erste gescheitert. Am Telefon begrüße ich Alois Glück, den Fraktionsvorsitzenden der CSU im bayerischen Landtag. Guten Morgen!

    Glück: Guten Morgen.

    Simon: Herr Glück, eine Krise folgt derzeit auf die nächste. Wann wird die bayerische Politik wieder agieren statt reagieren?

    Glück: Die bayerische Politik hat agiert, zum Beispiel in der BSE-Problematik. Wir haben ein Maßnahmenpaket beschlossen, wie es seinesgleichen in Deutschland gegenwärtig nicht gibt, sowohl für den Verbraucherschutz wie für die Forschung sowie auch für die Landwirtschaft. Es kann also insoweit keine Rede davon sein, dass wir dort nur reagiert hätten.

    Simon: Was aber zum Beispiel Frau Stamm angeht wirkt es im Augenblick so, als ob sie sehr getrieben sei, denn sie muss ständig reagieren auf neue Enthüllungen und damit ja heute auch das Kabinett?

    Glück: Wobei wir dabei unterscheiden müssen zwischen dem, was versucht wird, auch zu inszenieren, und dem, was tatsächlich zu untersuchen ist. Wir haben jetzt eine Situation mit der Schweinemast-Problematik oder dessen Skandal. Wir haben ja noch keine Untersuchungsergebnisse, aber doch offensichtlich massive Anhaltspunkte über illegales Vorgehen. Das ist nicht das erstemal in Deutschland. Das gab es wiederholt. Leider Gottes ist es nun in unserem Bereich und es ist schlimm. Es ist schlimm, weil dahinter offensichtlich viel kriminelle Energie steckt, und da gibt es natürlich nichts wie vorbehaltlose Aufklärung. Es ist anscheinend sehr schwierig, denn die Staatsanwaltschaft hat ein halbes Jahr ermittelt, bis sie handgreifliche Ansätze für Hausdurchsuchungen und so weiter gegenüber diesen Tierärzten hatte. Hier wird offenbar mit großer Raffinesse gearbeitet. Vielleicht darf ich noch hinzufügen: Es ist nicht zutreffend, dass die Tierärztekammer vor zwei Jahren über die Praktiken informiert hätte. Die beiden Präsidenten haben in einem Gespräch in dem Ministerium darauf hingewiesen, dass es hier offensichtlich Probleme gibt, dass sie selbst Verdachtsmomente haben, dass manches nicht in Ordnung ist, aber auf der anderen Seite es ganz schwer fassbar ist. Richtig ist also, dass wir vor zwei Jahren auf Probleme hingewiesen haben.

    Simon: Und auch mit Namen auf den jetzt verdächtigten Arzt.

    Glück: Gegen den ist auch schon ermittelt worden. Es gab schon wiederholt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, es gab auch schon Bußgelder, in anderen Fällen wurde er freigesprochen. Es ist also nicht so, dass der betreffende Tierarzt nicht im Visier der Ermittlungen war.

    Simon: Sie haben ja selber sicher den abgedruckten Brief gelesen, über den unter anderem die süddeutsche und die Berliner Tageszeitung berichten. Es sind auch konkrete Maßnahmen vorgeschlagen worden, die allerdings nicht ergriffen worden sind, und zwar von denen, die sich eigentlich damit auskennen, nämlich den Tierärzten.

    Glück: Dem Brief nach ist es so, dass hier vorgeschlagen wurde, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu machen, um diesen Dingen nachzugehen, nach geeigneten Wegen zu suchen, wie man die Dinge besser erfassen kann. Es wurde dann aus mir jetzt nicht bekannten Gründen nur eine interministerielle Arbeitsgruppe gemacht.

    Simon: Das heißt also nicht mit den Experten?

    Glück: Es ist nun so, dass die Frau Staatsministerin im Kabinett berichten wird. Welche Schlussfolgerungen daraus gezogen worden sind, das kann ich gegenwärtig nicht beurteilen, aber das ist momentan der notwendige Arbeitsschritt. Welche konkreten Schlussfolgerungen sind nach diesem Gespräch und nach diesem Brief gezogen worden.

    Simon: Aber gerade in einer Situation, wo die Verbraucher sowieso schon alarmiert und verunsichert sind, ist da nicht eine solche wenn nicht Nachsicht, dann doch eine Nachlässigkeit in einem für Bayern sehr wichtigen Zweig der Landwirtschaft ein Grund, auch mal Verantwortung zu übernehmen, wie das zum Beispiel in der Bundespolitik getan worden ist?

    Glück: In der Bundespolitik sind natürlich beide aus ganz anderen Gründen zurückgetreten worden. Aber selbstverständlich stellt sich die Frage nach Verantwortlichkeiten und es gibt auch nichts zu verheimlichen. Es ist auf der anderen Seite aber auch keine Vorverurteilung angemessen in einer vernünftigen politischen Kultur. Deswegen schlage ich vor, dass wir jetzt wirklich einmal genau hinschauen müssen, welche Schlussfolgerungen sind gezogen worden. Erst dann kann man die Situation weiter beurteilen.

    Simon: Man hatte manchmal in der Vergangenheit in Bayern den Eindruck, dass die Bauern mit viel Verständnis in der Politik rechnen konnten, manchmal mit etwas weniger Kontrolle, und heute rufen die Bauern selber nach schärferen Kontrollen und machen die Politik verantwortlich für die Skandale. Geschieht das zurecht?

    Glück: Hier erleben wir natürlich aus der Landwirtschaft heraus ein ich sage mal gewandeltes Verhalten, weil zum Teil dieselben, die vorher geschimpft haben über zu viel Bürokratie, Kontrolle und ähnliche Dinge mehr, jetzt diejenigen sind, die vielleicht zum Teil zur eigenen Entlastung sagen, man hätte mehr kontrollieren müssen. Dass mehr kontrolliert werden muss, und zwar nicht nur in Bayern, sondern für die ganzen Standards in der gesamten Nahrungsmittelkette in Deutschland und Europa, ist nach den Erfahrungen der letzten Monate ohne Zweifel so.

    Simon: Und Sie werden sich auch dafür einsetzen, dass es dort dann die entsprechenden Mittel wirklich gibt?

    Glück: Es ist keine Frage, wobei wir in Bayern zum Beispiel die Verbraucherschutzmittel eben nicht gestrichen haben im Gegensatz zur Bundesregierung, die die Mittel für die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände drastisch gestrichen hat, für die Stiftung Warentest drastisch gestrichen hat. Ich glaube aber, wir sollten gar nicht so sehr jetzt das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Parteien betreiben. Tatsache ist, dass insgesamt Deutschland einen hohen Standard in der Lebensmittelgesetzgebung hat, dass wir aber dem Verbraucherschutz bis in die Wissenschaft hinein alles in allem wohl noch nicht den Stellenwert gegeben haben, der in einer modernen Zivilisation notwendig ist. Es gibt anscheinend keinen einzigen Lehrstuhl in Deutschland - es gab einen; den gibt es mittlerweile anscheinend auch nicht mehr -, der zum Beispiel auch mit wissenschaftlichem Denken und wissenschaftlicher Systematik diesen Bereich entfaltet hätte.

    Simon: Das mit dem Verbraucherschutz ist sicher ein Bundesproblem, aber wenn wir noch mal bei den Kontrollen bleiben hat sich ja gezeigt, dass gerade in einem Land wie Bayern, was die Landwirtschaft hochhält, bei den Veterinärkontrollen einiges im argen liegt. Das haben ja nicht nur die letzten Aussagen der EU zur Situation in Bayern, Stichwort Tiermehl, erbracht.

    Glück: Tiermehl ist in Bayern genauso kontrolliert worden wie in den anderen Bundesländern.

    Simon: Aber die Befunde waren schlechter?

    Glück: Nein, das ist nicht richtig. Das ist absolut falsch. In den anderen Bundesländern ist dasselbe Verschleppungsproblem vorhanden. Nur Nordrhein-Westfalen hat in einem Jahr, nämlich 1999, keine solche Verschleppungsproblematik, aber auch in den Jahren vorher. Insofern ist der Vorwurf falsch, dass hier lässiger kontrolliert worden sei. Im Gegenteil: Bayern hat das doppelte an Futtermittelkontrollen gemacht wie Nordrhein-Westfalen, obwohl in Nordrhein-Westfalen das doppelte an Futtermitteln produziert wird.

    Simon: Trotzdem wurden aber Praktiken nicht abgestellt wie zum Beispiel, dass die Tiere nicht bei der nötigen erforderlichen Temperatur getötet wurden, um die Keime abzutöten?

    Glück: Auch dieses ist falsch. Woher haben Sie denn die Information?

    Simon: Das sind Informationen, die nicht nur die EU, sondern die auch inzwischen in vielen Zeitungen publiziert worden sind.

    Glück: Das ist aber nicht richtig. In sämtlichen Tierkörperbeseitigungsanstalten ist in der notwendigen Temperatur von 133 Grad, 20 Minuten lang und drei Bar gefahren worden. In einer Anlage ist für eine kurze Zeit anstelle von 133 mit 130 Grad gefahren worden. Diese Anlage wurde dann entsprechend mit einem Kontrollsystem nachgerüstet. Das sind die Fakten, nicht was verleumderisch verbreitet wird.

    Simon: Wenn Sie verleumderisch meinen, dann müssen Sie die EU bezeichnen. Die verbreitet das ja.

    Glück: Die EU hat dieses nicht verbreitet. Das ist falsch!

    Simon: Wenn Sie jetzt den Rahmen sehen, den die Politik abstecken kann - sie kann Landwirtschaft fördern, sie kann sie kontrollieren -, wie weit ist es nach den Ereignissen der letzten Monate redlich oder unredlich, sich in Zukunft hinzustellen, etwas als sicher oder gesund zu erklären, wovon wir jetzt alle wissen - später ist man klüger -, dass man es letztlich nicht weis?

    Glück: Das ist ein ganz großes Problem. Die Lebensmittelgesetzgebung muss natürlich eingehalten werden. Das ist ja überhaupt keine Frage. Alle wesentlichen Normen des Verbraucherschutzes und alle wesentlichen Normen der Agrarpolitik sind heute europäische Ebene, nicht einmal mehr nationale Ebene. Wir sehen hier eines der ganz großen Zukunftsthemen: Ernährung und Gesundheit, Umwelt und Gesundheit. Deswegen haben wir uns entschieden, ein eigenes Ministerium dafür aufzubauen mit einem Wissenschaftler an der Spitze, weil wir es hier wohl mit einer Entwicklungsperspektive der modernen Zivilisation zu tun haben, der wir mehr Aufmerksamkeit geben müssen, als das bislang der Fall war.

    Simon: Und glauben Sie, dass wieder eine Situation kommt, wo Sie sich hinstellen können und sagen, wir können das machen, wir können das sicher essen, das ist gesund?

    Glück: Ich glaube schon, dass man natürlich sagen kann, wir haben gute Nahrungsmittel auch im Vergleich zu früher. Früher gab es zum Beispiel viel mehr Lebensmittelvergiftungen als heute. Insofern müssen wir die Maßstäblichkeit der Dinge natürlich berücksichtigen. Wir haben aber sicher auch viele grundsätzliche Probleme mit der modernen Methodik von Landwirtschaft, von Nahrungsmittelbehandlung, Aufbereitung, Konservierung und ähnlichen Dingen mehr. Ich nenne jetzt nur mal als Beispiel die heute kaum geklärten wahrscheinlichen Wechselwirkungen zwischen Ernährung und Neurodermitis und anderen Hauterkrankungen. Das heißt hier haben wir es mit einem äußerst komplexen Bereich zu tun, wo ich persönlich immer sage, absolute Sicherheiten kann hier niemand garantieren, aber Wahrscheinlichkeiten. Aufgabe der Politik und der Wissenschaft ist es, in einer Strategie der Risikominimierung das mögliche zu tun, aber gleichzeitig auch immer deutlich zu machen, dass wir immer wieder auch neue Zivilisationsrisiken haben mit jeder neuen Entwicklung.

    Simon: Das war Alois Glück, der CSU-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag, zur aktuellen Diskussion der Landwirtschaft und in seiner Partei.

    Link: Interview als RealAudio